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Full text of "Lachende Wahrheiten"

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©efatnmeltc  (gffa^^ 


53crtcgt  bax  gugen  ®iebcri(^g  in  Sena  1908 


3um  ^vni^ 


5?unftfvon  unb  S?unftgenu§ 


\cu\  em))örenbere^  6d)au[piet,  aH  fet)cn 
^u  muffen,  wieunfcre  leibige  ^2lUertt>clt^- 
fc^ulmeifterci  eg  fertig  gebrad)t  \)at,  t>k 
fü^eften  ^•rüd)te  mittele  pät)agogifd)er 
Batterien  ungenießbar  gu  mad)en  unb 
C^efd^cnfc,  bie  ba^u  erfeben  tüaren,  uns  ju  beglücfen, 
in  ^^uß  unb  Strafe  umjufc^en.  ®ie  Stunft  ift  größter» 
jig  unb  menfd)enfreunblic^  tt)ie  hie  6d)i3nf)eit,  n)eld)er 
fte  entfpringt.  Sie  ift  ein  ^roft  ber  ??cenfd)en  auf  (5rben 
unb  erijebt  (einen  anbern  "Qlnfpruc^,  al^  innig  gu  er- 
freuen unb  ju  befeligcn.  Sie  verlangt  n)eber  Stubien 
nod)  Q3orbilbung,  t)a  fic  fic^  unmittelbar  burd)  bic 
Sinne  an  t>a^  ©emüt  unb  bie  ^l)antafie  nsenbet,  fo 
ha%  äu  allen  Seiten  bie  einfache  jugenblic^e  (Empfang- 
lid)(eit  ftd)  im  ©ebiete  ber  .^unft  urteil^fäl)iger  erliefen 
l)at,  al^  bie  eingetjenbfte  @elet)rfamfeit.  So  it>enig  man 
'53lumen  unb  Sonnenfd)ein  t)erftel)en  lernen  muß,  fo 
wenig  es  93orftubien  braudjt,  um  ben  9Rigi  l)errlid), 
ein  t5^räulein  fd)ön  ju  finben,  fo  toenig  ift  e^  nötig,  t)ie 
5\!unft  ju  ftubieren.  ©etviß,  bie  €mpfänglid)feit  ift  be- 
fct)räntt,  bie  Begabungen  finb  ungleid)  zugeteilt,  bic 
Sinne,  n?eld)c  bie  i^unfteinbrücfe  »ermitteln,  beobachten 
fct)ärfer  ober  ftumpfer.  onbeffen  l)abe  id)  nod)  feinen 
^Cknfd)en  t>on  ©cmüt  unb  "pi)antafie  (benn  ©emüt  unb 
^l)antafie  fmb  bie  Q3orbebingungen,  aber  aud)  bie  ein- 
zigen Q3orbebingungcn  beö  ^unftgenuffeß)  gefannt, 
tt>cld)cr  nid)t  an  irgcnbcincm  ^eil  ber  5tunft  unmittel- 
bare ^reube  empfunbcn  bättc.  Unb  barauf  fommt  e^ 
allein  an.  3eber  fud)e  ftd)  an  bem  l)immlifd)en  ^eft  bie- 


i^unftfron  unt)  Äunftgenu^ 


jenige  Spcife  an^,  bie  feine  Seele  cntjücff,  unt)  treibe 
fid)  baran  nac^  Äer^engluft,  fo  oft  unt)  fo  üiel  er  mag, 
im  ftiüen  ober,  n)enn  ii)m  t)aö  Äerj  überläuft,  mit  gleid)» 
gefinnten  tyreunben.  "Sa^  ift  Äunftgenu^.  S>a^  ift  aber 
auc^  .^unftüerftänbni^.  QBer  ftd)  aufrid)tig  unb  be- 
fd)eiben  an  einem  5tunftn)er!e  erfreut,  ber  t)erftel)t  e^ 
ebenforoobt  unb  n)af)rfd)eintid)  nod)  beffer,  alö  n)er  ge» 
lehrte  93orträge  barüber  i)äit;  Wie  benn  aud^  en)ig  bie 
.^ünftter  fetbft  fic^  unmittelbar  an  t>a^  einfädle  ^ublifum 
njenben  unb  alle  Q3ormunbfd)aft  unb  geleljrte  3toifd)en= 
trägerei  jtt)ifc^en^unfttt)er!  unb  ^ublif  um  oerabfd)eucn. 
(Sine  Äunftfron  entftel)t,  fobalb  ber  ^unftgenu^  alg 
eine  ^f(id)t  aufgefaßt  n)irb.  S^  ift  fo  tt)enig  bie  ^flid)t 
be^  9}Zenfc^en,  6d)önl)eit  unb  ^unft  ju  lieben,  al^  e^ 
eine  ^flid)t  ift,  ben  3u(ier  fü§  §u  finben.  ®ie  ^unft  ift 
eine  gütige  ßrlaubniö  unb  eine  menfd)enfreunblid)e  (fin- 
labung,  me^r  mä)t;man  fann  eö  nel)men  ober  laffen. 
©lücflid),  tüer  i^r  ^u  folgen  unb  fie  gu  fd)ä^en  n)ei§;  njer 
bas  nic^t  vermag,  ben  mögen  mx  bebauern,  aber  tt)ir 
^aben  fein  xRec^t,  il)n  beßl)alb  ju  fc^elten.  —  Q3ered)tigt 
bie  ^atfacl)e,  ba^  bie  ^unft  erfal)rungögemä^  öerebelnb 
Xüxvtt  itd}U  ^ünftler  unb  naiüe  ^unftliebljaber  finb  ftetö 
gute  90^enfrf)en),  bagu,  bie  Ä^unft  alö  €räiel)ungßmittet 
ju  oertt)enben?  ^a,  unter  ber  93orau^fe^ung,  t>ci%  man 
(Sr3ief)ung  im  Ginne  be^  vorigen  3öl)rt)unbertö  (€r- 
3iel)ung  ^u  einem  recl)ten  9}Zenfd)en)  t>erftel)t  unb  ba§ 
man  ntd)t  mit  ^äbagogif  l)ineinpfufd)e.  Qßenn  im  ^eut» 
fd)en  ^ill)elm  ^ell  gelefen  tt)irb,  üern^anbelt  fid)  bie 
6d)ulftube  in  freiet  grünet  '33erglanb,  unb  au^  2auö- 
buben  tt)irb  eine  liebensn)ürbige  begeifterte  ©emeinbe 
ber  ^oefie.  93ef^ric^  nad)l)er  QS}ill)elm  ^eH,  la^  it)n  ana- 
l^fieren,  i)ergleid)en,  in  ^uffä^en  tt)ieberfäucn,  fo  ift  ein 


5?unfttron  unt)  5lunftgcnuB 


guter  ^cil  bc^  ©cipinnc«  tDteber  bat)in.  ?cein,  unter  t)cr 
Q3orauöfcfjung,  ba^  (Jrjietjung  baö  (Jjamen  jum  Siele 
I)at,  t>a%  es  glcic^bcbcutent)  ift  mit  let)ren  unt)  lernen. 
3u  lel)ren  gibt  e0  in  ber  Slunft  überljaupt  nid)t0,  au^er 
t)on  S\ünftlern  für  5\ünftler,  ju  lernen  njenig.  ^ie  oer- 
ebclnbe  unb  er3icl)erifrf)e  .Vi'raft  ber  5\unft  berut)t  eben 
nic^t  auf  bem  Qä>iffen,  fonbern  auf  bem  ©enteren.  3ö 
t>ai  ^siffen  über  bie  ^unft  fann  unter  Umftänben  fogar 
bie  (fmpfänglid)feit  jum  ©enu^  ber  5?unft  beeinträc^* 
tigen,  bann  nämlid),  wenn  QSiffenebünfel  entfte^t; 
bcnn  ^ünfel  ift  ha^  ©egenteil  jener  6eelenberfaffung, 
n)eld)c  jeber  S^unftgenu^  üorauefe^t:  befd)eibene,  felbft- 
»ergeffene  Eingabe,  ^ollenb^  ben  begriff  „^ilbung", 
t>a^  l)ei^t  t>a^  QBiffen  in  bie  breite  unb  im  Greife,  in 
bie  5?unft  t)erüber3iel)en  ju  tt)oHen,  ift  eine  unglürffelige 
93erirrung.  '^Bilbungsmä^ige  "2lufnal)me  ber  Äunft  er- 
zeugt im  beften  'Jall  OberfIäd)lic^!eit,  im  gett)ö{)nlid)ften 
<5all  Sclbfttäufd)ung,  im  fd)limmftcn  S^atl  (Smpfinbungö-- 
l)eud)elei.  ^lan  entfc^lage  fid)  bod)  ein  für  allemal  ber 
5Doffnung,  t>a^  llnmöglid)e  ju  erreid)en;  bie  Slunft  ift 
öiel  5u  reid),  ber  einzelne  biel  ju  arm,  aU  tay^  er  bie 
übermäd)tige6ummet»on6eligfeitenben:»ältigenfönnte; 
ee  gilt,  ftcb  entfd)loffen  auf  bie  feelent)ertt>anbten  2ieb-- 
linge  jurücf  ju5iel)en  unb  mit  ihnen  in  traulid)em  Um- 
gang ju  t>erfel)ren.  tO^it  einem  fold)en  Sntfcblu^  befreit 
man  fid)  t>on  ber  brücfenbften  öflaoerei  ber  mobernen 
9Belt,  ber  ^Mlbungsfron,  jener  ebenfo  läftigen,  als  ge-- 
meinfd)äblid)cn  5^o^ffteuer.  ®er  Sntfclilu^  foftet  übri- 
gene;  nid)t  mehr,  als  bie  Gntfagung  auf  ben  allfeitigen 
©enu^  fämtlid)er  ^onnenftral)len;  eö  bleibt  für  t>ai 
Q3cbürfniö  be^  einzelnen  noc^  immer  im  Überfluß  t>a, 
tDcnn  er  ftd)  mit  feinem  ^eil  bcfd)eibet.   ©a«  ^cbürf-- 


5\unftfron  unb  Äunffgenu^ 


ni^  aber  ift  t)er  rid)tigc  9^egulator  be^  5?unftgcnuffc^; 
folangc  baefelbe  fd)tt>eigt,  möge  jeber  bie  Äunft  in 
9?ut)e  taffen. 

^iele  öerfef)en  eö  nun  barin,  ba^  jie  ben  äußeren 
*2lnla^,  bie  Sinlabung,  mit  bem  inneren  'Sebürfni^  r>er- 
»ec^feln.  „QSir  muffen  bie  ©elegenf)eit  benü^en."  '5)iefer 
<B6){u%  ift  fo  falfc^,  tt)ie  wenn  jemanb  glaubte,  effen  ju: 
muffen,  fobalb  ein  föftlid)eö  93Zenu  in  ber  Seitung  an- 
gefünbigt  tt)irb.  ®aö  ^unftbebürfni^  i)at  bei  normalen 
S[Renfc^en  feine  Raufen;  e^  fteltt  fid)  periobifd)  ein; 
ber  fortmäl)renbe  QS^olfö^unger  nac^  ^unft  ift  fd)on 
ein  3ei(i)en  eines  ungefunben  Suftanbes,  n)eld)er  bie 
©iagnofe  auf  Q3erbilbung  ftellen  lä^t.  9?can  mu^  an 
^on^ert^etteln  unb  ^t)eateranfc^lägen,  an  9}^ufeen  unb 
felbft  an  Campi  Santi  vorübergehen  lernen,  xt>k  an 
8d)aufenftern;  benn  bamit,  ba§  unö  ^ttt>a^  augenfällig 
angeboten  njirb,  ift  nod)  nid)t  ben)iefen,  t>a%  mv  beffen 
bebürfen.  Sogar  bie  6eltenl)eit  einer  ©elegenl)eit  ift 
fein  ©runb  für  il)re  *i2luönü$ung ;  benn  ber  "^D^enfc^  ift 
fein  'pelüan;  er  fann  bie  Sinbrücfe  nx6)t  unverbaut 
aufftapcln,  bis  ftd)  t)a^  ^ebürfniö  regt. 

QSer  ^iatt  beö  jemeiligen  '^Bebürfniffeö  fein  ^ilbung^-- 
gemiffen  §u  9\ate  3iet)t,  tt)er  jeber  ^unftgelegent)eit  auf 
jebem  ©ebiet  in  jebem  'iHugenblirf  glaubt  "Jolge  leiften 
ju  muffen,  ber  ift  fein  neiben^n^erter,  tt)of)l  aber  ein 
meibenstvertcr  9D^enfc^,  öor  tt)eld)em  jeber  €rfat)rene 
im  tt)eiten  ^ogen  öorüberäiel)t;  benn  nicl)t  bie  ^unft, 
bie  freie,  eble  ©öttin  ift  eö,  tt)eld)e  it)n  infpiriert,  fon-- 
bern  bie  ^unftfc^olaftif.  <5)iefc  anfpruc^^öolle  unb  im 
©runbe  bod)  fo  fruct)tlofe  QSiffenfc^aft  i)at  bie  falfc^e, 
frampft)afte  Äunftbilbung^wut  auf  bem  ©en>iffen.  ß^ 
gibt  jeboc^  ein  vortrefflich eö  Heilmittel  bagegen,  näm- 


5?unftfron  unb  5^unftgcnu^ 


lid)  bae  fd)önc  ^i^ovt:  ,/3c^  ücrftet)e  ntd)f^  t)at)on."  Qßic 
crtöfcnt)  für  bcn  Äörer  n)ic  für  bcn  0pred)cnben  mvtt 
bicfc^  Ti^ort  u>o  oe  jemals  ertönt!  (SigentUd)  foUtc 
jcbcvinann  bicfen  oatj,  bcffen  '^lu^fprad)c  ein  tvenig 
fd)n>ierig  ju  fein  fd)eint,  fprcc^en  Urnen ;  bcnn  berfclbc 
fac^t  bie  üoUe  QBat)rt)eit,  ba  fid)  niemanb  anmaßen  barf, 
in  aücn  (Öcbicten  ber  5\unft  mit  bcm  iberjen  ju  Äaufe 
ju  fein,  -yreilid)  fcl5t  man  ftd)  mit  jenem  ©eftänbni^ 
ber  @cfal)r  einer  Unt)öfUd)feit  t>on  feiten  fd)led)ter3ogc- 
ner  ??tcnfd)en  au^ ;  allein  t>a^  ift  im  ©runbe  ein  neuer 
©cminn,  inbem  cö  un^  U\)vt,  nid)t  mit  bem  erften  beften 
in  ein  ©efpräc^  einzutreten.  (Sine  fd)led)te  Sraiet)ung 
aber  nenne  id)  eö,  roenn  einer  bem  anbern  wegen  beffen 
tt)irflid)cr  ober  t)ermeintlid)er  Uncmpfinblid)feit  ober 
Hnn)iffent)eit  in  ^AL'unftfac^en  glaubt  ttxoa^  Unangenet)-- 
me^  bemerken  ju  bürfen,  benn  fo  n)ie  niemanb  jum 
Ä^unftgenu^  t>erpflid)tet  ift,  fo  barf  ftd)  auc^  niemanb 
unterfangen,  feinem  9^äd)ften  ein  i^unftejamen  ab^u-- 
forbern.  €^  tt)äre  tt)ünfd)enött)ert,  n)cnn  fid)  in  biefer 
'5eäiel)ung  bie  '53egriffe  r>on  5Döflic^feit  itwai  verfeiner- 
ten, benn  bei  ben  meiften  ftammt  tia^  rul)elofc  unb  rul)e' 
ftörenbeÄunftbilbungflibebürfni^  einfad)  au^  ber'5urd)t 
t)or  ber  geftrengen  9lllertt?elt0infpcftion  in  ©efellfd)af-- 
ten,  (Sifenbal)ntt)agen  unb  ©aftt)öfen.  Sobalb  n)ir  jcboc^ 
bie  funftgebilbeten  ©robl)eiten  ben  ungebilbeten  ©rob- 
l)eiten  glcic^fteücn,  ti>irb  ber  erfd^rccfenb  t)0^e  6piegcl 
ber  ^ilbungeflut  urplö^lid)  finfen,  toie  benn  biejenigen 
Q3ölfer,  bei  tDeld)en  ein  fc^ärferer  Äöflid^feitötaft  im 
©efpräc^  njaltct,  bie  5tunft()eud)elci  faum  fennen. 

Qßic  bie  5\unft  j^um  ©enuffe  unb  nid)t  jur  Q3u^e  ber 
9}icnfd)cn  ba  ift,  fo  barf  man  fic^  auc^  ben  93ceifter,  unb 
toäre  er  nod)  fo  tot,  nid)t  als  einen  ^opan^  t>orfteüen. 


Äunftfron  unb  5^unftgcnu^ 


t)er  gcfd)affcn  n?urt)e,  um  unö  ju  imponieren  ober  gar 
un^  ju  ert)rüc!en,  fonbern  als  einen  ^yreunb  unb  QSo^I- 
täter.  Ciebe  iff  t>a^  einzig  rid^tige  ©efüt)t  gegenüber 
einem  93^eifter,  unb  jttjor  unbefangene  i?iebc,  o^ne  6d)eu 
unb  t>orftntflutlid)e  (5t)rfurd)t.  ^it  biefem  ©efüt)l  be- 
gnügt fid)  jeber  0d)affenbe  gern,  felbft  ber  größte; 
benn  bie  Äulbigung  beö  Äerjeng  bleibt  immer  bie 
feinfte  Äulbigung.  3ur  ßieJbe  n)irb  ftc^  t)on  felbft  ber 
0an!  gefeüen,  unb  in  xi)m  finbet  gemiffen^afte  "2lrbeit 
bie  fd)önfte  ßntfc^äbigung  für  au^geftanbene  9}^ü^e  unb 
©en>iffen0fämpfc.  —  ®ie  93ett>unberung  bebeutet  ben 
Tribut  au^übenber  ^ünftler  an  ben  9}Zeifter.  0er  £aie 
ift  üon  xi)V  entbunben ;  fte  ftei)t  if)m  aud)  fd)lec^t  ju  ©e- 
fid)t,  ba  er  feine  9I^nung  üon  ben  Sd)tt)ierig!eiten  i\at, 
bie  in  einem  5?unfttt>crf  überttJältigt,  öon  ben  *i2Iufgaben, 
bie  in  bemfelben  gelöft  tt)orben  fmb;  er  begnüge  fid)  mit 
®anf  unb  £iebe;  ha^  ift  natürlid)er  unb  gugleic^  be- 
fd)eibener.  —  ßine  Q3ergötterung^pflid)t,  ein  ängfttic^eö 
^abuüor  berüt)mten  9^amen,  ein  QSerbot,  erlaud)tc  *2luö-- 
tt)üd)fe  ber  ynfterblid)en  et)rlid)  ^ropf  ju  nennen,  an» 
erfennt  fein  .^ünftter.  <S)a^  finb  unüerfd)ämte  ßrfin» 
bungen  anma^lidjer  Seelen,  n)etd)e  fid)  unbefugtermcife 
an  einen  toten  93Zeifter  t)eranfd)leic^en,  um  il)n  alö  il)r 
9}Zonopol  in  'Sefc^lag  ju  nel)men  unb  fid)  mit  feinem 
geftol)lenen  ©lange  oor  ben  9}Zenfd)en  unleibli(^  ju 
machen.  Snbcm  fie  ftd)  üor  einem  cingigen  auf  bem 
*33auc^e  tpälgen,  glauben  fie  bamit  t>aß  9?ec^t  ju  er-- 
friec^en,  allen  übrigen  bie  fc^ulbige  €t)rerbietung  gu  öer= 
ttjeigern.  Seber  fc^öpferifc^e  ©eift  i)a%t  fxe  üon  Äerjcn. 


®id}tev  unb  ^l)anfäer*) 

^'^lan  mag  es  t)rct)en,  betjanbeln  unb  benennen  n)ic 
man  will,  c^  fommt  boct)  fd)lieftlid)  aud)  in  ber  Äunft 
unb  "Poefte  auf  ben  ©lauben  ober  Unglauben  t)inau2!. 
©lauben  bebeutet  auf  biefem  ©ebiete  bie  Überjeugung 
Don  einem  emig  gegennjärtigen  unb  njerffräftigen  ©eiftc 
be«  6d)önen;  Unglauben  bie  ??ieinung,  jener  ©eift  mar- 
fc^iere  getrennt  oon  ber  jetveiligen  ©egenn^art,  um  in 
bcr  (Entfernung  t>on  minbeftenei  einem  9}^enfd)enalter 
ju  bittjafieren.  Unb  beiberlei  Überzeugung  ftütjt  ftd)  auf 
bie  (frfaf)rung.  0en  einen  erfüllt  e^;  n)ie  follte  er'»  nid)t 
fpüren?  3n  bem  anbern  gäl)nt  eine  graue  Öbe;  t>a  mu^ 
er  n)ol)l  bie  ©egenn>art  für  eine  3urafal!periobe  anfel)en. 

©laubige  im  l)öd)ften  ©rabe  finb  natürlirf)  biejenigen, 
beren  gan^e  ^ätigfeit  ben  ©lauben  alö  ^riebfraft  t>or- 
außfe^t:  bie  fd)öpferif(i)en  x)D^enfd)en,  bie  Urfünftler,  bie 
??ceifter.  QÖ5o  ein  9?teifter  xvot)nt,  ta  glänjt  bie  Äoffnung, 
t)a  tt)inft  bie  "i^lufmunterung.  '-^luf  t>a^  blo§e  ©erüc^t  fei- 
net Q3ort)anbenfeinö  erl)eben  bie  9?^utigen  ben  Äopf ; 
bis  in  bie  fernften  QKinfel  ber  93Zitn)elt  jünbet  fein  Q3ei' 
fpiel;  fein  9^ame  ipirft  auf  ben  Sbeln  alö  Äerauefor- 
bcrung;  fein  9^ul)m  öerfiegelt  ben  Cügen  t)om  9Dtinber- 
tt)erte  bcr  ©egentpart  t>a^  93caul.  9^at)t  man  üotlenbö 
einem  xÜ^cifter  pcrfönlid},  fo  babet  man  in  einem  Jung- 
brunnen. QBäl)renb  in  allen  ©äffen  bie  Ä^lagett>eibcr  t>ai 
6iec^tum  beß  Talente«  bejammern,  tt)ät)renb  jeber  Äa- 
tl)eber  ben  '$orfd)lu^  ber  ^oefie  oerfünbet,  jebe  0orf- 
jeitung  ben  ^^ann  über  ben  QtÖeinberg  oerljängt  unb 
jebe  ©locfc  Q^cfper  läutet,  jeigt  er  auf  bie  6onne  Äo- 

*.  ^tefcr  \!luffaQ  trurtc  in  bcr  »5ünbcninüfc  bcr  .'5Uten\  bcr 
fogcnanntcn  ,3bca(iftcn-,  gefc^rlcben,  im  3al?rc  1886  ober  1887. 


mcr^,  beutet  nad)  ebenbürtigen  'iHblern  am  Äorijont, 
rebet  oon  ber  ilnerfcf)öpflic^feit  beö  Schönen,  üon  ber 
Äürje  be^  Cebenß,  öon  bem  QBenigen,  n)a^  fd)on  ge- 
fammett,  üon  bem  £lnabfet)baren,  n?a^  nod)  ju  ernten 
übrig  bleibt.  Hnauft)örtic^  !räd)5t  bie  Sa^rmarft^polijet 
an  ben  ^reujtt)egen  ftd)  Reifer :  „3urüc! !  <5)ie  Äänbe 
weg !  3f)r  f ommt  ju  fpät !  (S^  bleibt  nicl)t^  me^r  übrig !" 
^reunblid)  grü^t  ber  ^eifter  üon  feiner  gaftlid)ett 
Pforte:  „'=2iaeg  bi^^er  ©eleiftete  ift  nur  ein  Anfang," 

0oc^  nid)t  allein  jur  (Sr^eugung  be«  Schönen,  fon- 
bem  ebenfalls  5U  feiner  ^nnat)me  bebarf  e^  be^  ©lau- 
ben^,  n)ol)lberftanben  jur  unmittelbaren  'i2lnnal)me,  jur 
Qßertfcl)ä^ung  öor  ber  Cegenbe;  benn  nad)  ber  Cegenbc 
fönnen'ö  bie  9ßicl)te.  ^ud)  nac^  biefer  9^ic^tung  ftet)en 
bie  ^ünftler  toieberum  tt)eit  ben  übrigen  ooran,  benn 
fie  finb  nid)t  blo§  6d)ö^fer  unb  Snftrument  gufammen, 
fonbern  jugleici)  Q^efonan^boben.  '^HUeö  Sd)öne  finbet 
bei  it)nen  ein  t>ollti5nenbeö,  burc^  !ein  grämlidje^  9}^i^- 
trauen,  burc^  feine  mäfelnben  93orbel)alte  gebämpfte^ 
Sd)o.  Sin  befonbere^  6eelenorgan  befähigt  ben  9}Zei> 
fter,  im  Sanbe  ber  troftlofeften  6intfluten  bie  @olb- 
förner  ju  ernennen,  au^  ben  t)erl)eerenbften  'Büd^er- 
fc^märmen  ba^  93ebeutenbe  ju  unterfd)eiben,  id)  meine 
jeneö  93ertx)anbtfd)aft^gefül)l,  n)eld)eö  fid)  unangefragt 
melbet,  fobalb  ettt)a^  ©ro^c^  in  ben  ©efic^t^frei^  tritt, 
^u^er^alb  ber  ^ünftlergemeinbe  gebraud)t  ba^  Urteil 
felbft  beö  gefc^eiteften  9)^anneö  ^rücf  en :  QSergleic^ungen 
mit  Q3orbilbern,  ©runbfä^c,  *2lu^fprüd)e  frül)erer  9}Zei-- 
fter  unb  ät)ntid)eö;  fd)ä^cnön)erte  ilrücfen,  immerhin 
^rütfen;  bie  überbieö  ben  Übelftanb  l)aben,  gerabc  bann 
ju  oerfagen,  njenn  man  il)rer  am  bringenbften  bebarf, 
nämlic^  bann,  njenn  ta^  Originelle  nici^t  ben  t)or^an- 


10  Siebter  unb  ^barifäcr 

t)encn  x)?cuftcrn  gleid^t,  tvenn  baö  ©ro^c  nid)t  t)en  ^llei« 
ncn  bctjagt;  ivcnn  baß  9^euc  fein  burd)  t>a^  'bitter  gc- 
bciligtee  \>ln[cbcn  mitbringt,  ©ae;  £lrteil  bcr  5\ün[tlcr 
ift  ferner  augleid)  ein  licbcuoUe^,  auf  jebe  iDertJuolIe  ^i- 
genart  freunblid)  cingcbcnbeß;  fein  banfbarerefiS  ^ubli- 
fum  für  ben  ^^egabten,  als  gro^c  9?iänner;  je  größer, 
bcfto  bcffer.  '^luf  ©runb  bicfer  Sigenfd)aften  bitben  ju 
jeber  3eit  bie  älteren,  bereite  anerfannten  9DZeifter  bie 
natürlid)en  ^efd)üf)er  ber  jüngeren,  nod)  um  ^Inerfen» 
nung  ringenbcn.  ^a^  93ebürfniß,  einem  9'Jad)folger  bie 
grijbften  Äinberniffe  auö  bem  Q!Beg  ju  räumen,  n>a« 
blo^  ein  offenes  QBort  ber  (impfe^lung  foftet,  ift  aud) 
ein  ju  nal)e  liegenbeö,  alß  ba^  eg  nic^f  bie  9?egel  bilben 
follte;  t>a^  ©egenteil  ftnbet  ftd)  baber  in  ber  @efd)ic^te 
ber  .^unft  unb  Literatur  nur  atß  eine  feltene  ^2lußnabme. 
Über  t)a^  ©egenfeitigfeitöüerbältniö  ber  ausgereiften 
5\'ünftler  n?irb  mand)erlei  llnrül)mlid)eö  gemunfett.  lln- 
terfud)en  mv  jebod)  bie  *2lften  genauer,  fo  roerben  mir 
in  jebem  befonberen  ^aUi  tta^  SermürfniS  öon  ben 
Äeljereien  ber  beiberfeitigen  'i^Inbängfel  t)errübren  feben. 
9}^it  unabläffigem  Sieben  unb  6d)üren,  mit  QBafferftoff, 
(li)lov  unb  6d)tt>efel  fann  man  befanntUd)  fogar  t>a^ 
©olb  in  eine  6äure  ocrtvanbeln. 

3enfeit6  ber  5tünftler  fmb  nod)  jnjei  klaffen  üon  ©täu- 
bigen ju  oerjeicbnen,  ober  genauer  gefagt :  eine  5^laffc 
unb  ein  3uffanb.  'Sie  klaffe  beftel)t  auS  ber  ^luSlefe 
ber  vyrauen.  <5)ie  berübmte  oorurteilßtofe  ^mpfänglid)- 
feit  ber  ^rau  für  baß  6d)bnc  jeber  "^Irt,  jeber  "Jorm 
unb  jeben  9iamen0  ift  9iatur,  gebort  jum  QS^efen ;  in 
außge^eicbneten  "^erfönlid^feiten  offenbart  fie  ftc^  fogar 
als  ein  febnfüd)tigeß  ^ebürfniß,  alß  ein  0urft.  3tvar 
möd)te  aud;  bie  übrige  9?^enfd)beit  ta^  Schöne,  bet)aup- 


<5)id)fer  unb  ^f)anfäer  11 

tct  e^  äu  begei)ren  unt)  uermcint  eö  ju  fud)en;  boc^  einjig 
bic  "Jrau  ftö^t  einen  untt)iUfürlid)en  ^reubenruf  auö, 
tt)cnn  fte'^  erblicft.  ^a^  ttjeiblic^e  Urteil  berut)t  tt)ie  t)ai 
fünftleril'd)c  auf  bem  3nftinft,  ttJaö  üon  allen  @runb= 
tagen  ftet^  bie  föfttic^fte  bleiben  wirb,  tt)eil  fid)  bcr  3n- 
ftinft  nid)t  beeinfluffen  lä^t;  bod)  ift  ber  3nftinft  be^ 
tt)eiblid)en  Urteilt  auf  baö  „S(i)öne"  im  engeren  Ginne 
befd)ränft;  pr  Hnterfc^eibung  beö  9^ad)empfunbenen 
üom  £lrfprünglid)en,  be0  '^nfprud)öüollen  üom  ®ro§en 
taugt  er  n>enig.  5)errlid)e  ^itanien,  bie  fic^  an  einen 
ungefd)lad)ten  €fet  ober  einen  parfümierten  "Riffen  an-- 
flammern,  in  ber  9}^einung,  einen  göttlid)en  ©eniu^ 
feft3ul)alten,  tt)erben  ftet^  öon  neuem  fid)  unfern  erftaun- 
ten  ^Tlugen  üorftellen.  Qßenn  inbeffen  bie  t^^rau  nid)t  fei- 
ten einen  'Jrofd)  für  einen  t^^ifc^  anfiel)t,  fo  i)ält  fte  t)o6) 
tanm  jemals  einen  *5ifd)  für  einen  ^rofd) ;  no(^  «weniger 
mad)t  fie  bem  ^\}6)  gum  Q3ortt)urf,  t>a%  er  !ein  ^rofd^ 
fei:  eö  ift  bie^  ein  ebler  oug  unb  fein  gemeiner  OSorgug; 
man  barf  i^n  jur  9^ad)al)mung  empfel)len.  Unb  bann, 
gegenüber  bem  einmal  ertt)äl)lten  ©egenftanbe  be^  ©lau- 
benö,  tt)a^  für  eine  ^reue  1  ^aö  für  eine  Selbftlofig= 
feit!  QBaö  für  ein  unert)örter  9}^angel  an  moratifc^er 
•Jeigi^eit !  <S)ie  '^vau  wartet  feine  Seichen  unb  (Srlaub-- 
ni0fcl)eine  ab,  achtet  fein  Q3erbot,  ja  fpottet  felbft  beg 
Äot)ng.  9iac^  ben  ^offnungölofeften  9^iebcrtagen  erlifd)t 
biefer  Stern  nid)t,  in  ben  fc^wärgeften  Sturmnäc^ten 
be^arrt  fein  milber,  glüdüerfünbenber  ©lang;  fpäter, 
nad)  bem  Siege,  wenn  bie  anbern,  bie  fid)  wä^renb  ber 
S(^lad)t  in  ben  ©ebüfc^en  üerftecft,  mit  5ubringtid)em 
Subel  ^eroorbrec^en,  siet)t  fie  fid)  jurürf;  benn  fie  ftritt 
nic^t  um  ben  £ot)n.  0ie  ^^ilofop^ie  mag  über  bie  'Jrau 
urteilen,  wie  fte  will  ober  mu§ ;  bie  ^unft  fd)ulbet  if)r 


12  <5)id)tcr  unt)  ^t)arifäcr 

(il)reibictung,  ^anf  unt)  Ciebe.  Oljnc  bie  ^rau  n)ürbc 
bic  'D}^cnfd)!)cit  fd)on  längft  bie  Äunftwerfe  mittele  Co- 
garitf)incn  au^red)nen  unb  bie  <3)id)terfraft  mit  bem  5^0- 
promctcv  ineffen. 

©er  Suftanb  i[t  jene  tüunberfame  Cajur,  njeldje  ei- 
nige 3at)rc  lang  fclbft  bie  Geelen  Don  gemeinem  Sd)rot 
mit  einem  buftigen  >baud)  üerflärt:  bie  3ugenb.  'Jrei- 
lid)  nur  bie  männtid)e  3u9cnb,  t>a  bie  n)eiblid)e  mit  bem 
^^?cobcUftel)en  für  bie  "p(;anta)le  unb  mit  ber  Äeiratö- 
fäbigfeit  anbcrweitig  befd)äftigt  iff ;  bie  männliche  abev 
biß  in«  ,^artefte  Knabenalter,  ©as  QBed)felj"piel  gnjifc^en 
begeiftertem  Empfangen  unb  fd)öpferifd)em  '!2lf)nen,  jn^i» 
fd)en  befc^eibcner  ^eipunberung  unb  fecfem  Selbftgc- 
füi)l  t)erleit)t  bem  ^ubcrtät^ibeatißmuö  feinen  Oxeij  unt) 
feinen  Q3}ert;  bie  gewaltige  3at)l  ber  ^eilnel)mer  unb 
ber  ftürmifc^e  6l)ara!ter  ber  Überj^eugungöäu^erungen 
feine  9?^ac^t.  0ie  9lnfunft  neuer  3ünglingörcgimenter 
bebeutet  ftet^  eine  llnterftü^ung  be^  Künftlerö,  eine 
Q3ermet)rung  ber  ^ictät  für  ba^  Gc^öpferifd^e,  eine 
Q3erftär!ung  beö  9\u^me^  für  unoergänglid)e  QDöertc. 
0em  Sauerftoff  ät)nlid)  greift  bie  3ugenb  nur  alte^ 
eifen  unb  faulet  Äolj  an,  bie  ebeln  9}?etalle  fd)ü^t  fxe 
t)or  bem  Staube.  Äeilfam  t>or  allem  aber  mirft  bie  3u- 
genb  baburd),  ba§  fie  bie  babplonifd)en  "^^ürme  ber 
6d)olaftif  in  bie  Cuft  fprengt.  Stvar  beginnt  baö  QSü^- 
len  unb  6d)anäen  fogleid)  oon  neuem;  immcrf)in  tuar 
cßi  bod)  ein  l)übfd)e0  6d)aufpiel,  tt)ie  bie  '^Pagoben  famt 
ben  Pfaffen  umt)erflogen. 

0amit  ift  bie  l'ifte  ber  ßämmer  crfd)öpft,  unb  iPir  ge- 
raten ju  ben  Torfen.  Unb  jnjar  t)aben  bie  ^öde  eine 
auffaUenbe  ^amilicnät)nlid)feit  mit  ben  im  neuen  '^efta- 
mente  gefd)ilberten.  ^ai  neue  ^eftament  unterfc^eibet 


<5)icf)ter  unt)  ^t)arifäer  13 

jttjei  Äauptflaffen  öon  Ungläubigen,  bic  eine:  baö  93ol!, 
bie  anbete :  bie  ^{)anfäer,  Sabbujäer  unb  6(^riftgelet)r' 
ten  mit  i^rem  "^nt)ang.  0aö  Q3olf  nennt  man  in  ber 
Äunftfprad)e  „^ubtüum".  Unter  jebem  9^amen  betätigt 
e^  feine  bekannten  €igenfd)aftcn.  (Sinerfeit^ :  Qßanf  elmut 
be^  Urteilt  unb  ber  ^ebürfniffe  unb  geiftige  Sd)tt)er= 
fäUigfeit,  anbererfeit^  ©utartigfeit  unb  brad)liegenbe, 
nu^bare  '33ereittt)iaig!eit.  <S)a^  "^ublifum  in  feiner  @e- 
famtf)eit  gu  fd)mät)en,  ift  tüeber  gejiemenb,  noc^  gerecht, 
nod)  vernünftig,  benn  erftenö  t)ilft  e^  nic^tö,  jtt)eiten^ 
t)at  ber  'SOZenfi^  nod)  bringenbere  ^f[icf)ten  auf  Srben, 
al^  ben  <iHuftrag,  ^ublüum  ju  bilben,  brittenö  befinben 
ftcf)  in  ber  buntf(i)edigen  ©efeltfd^aft  fet)r  t)ornet)mc 
Geelen,  j.  ^.  bie  erften  9}Zeiffer  ber  9^ebenfünfte,  über« 
bieö  '^erfönlicf)!eiten,  benen  man  minbeften^  Äöflid)!eit 
fc^ulbet,  j.  95.  ^ijniginnen,  enblid)  ^erfonen,  bie  fein 
tt)o()lerjogener  SQ^enfc^  öffentlich  fd)ulmeiftert,  5.  ^.  bie 
eigenen  @efc^tt)ifter.  Hnl)eil  ftiftet  t>aß  „Q3ol!"  ober 
„'^ublüum"  t)öcl)ften^  burd)  feine  Q3linbgläubig!eit  ge-- 
genüber  feinen  eel)rcrn;  gefeilt  fic^  nämlict)  gu  ber  ^linb-- 
gläubigfeit  ber  €ifer,  bann  ergibt  fid)  ber  „'2lnt)ang" 
ber  ^l)arifäer,  3^  tweiter  man  fid)  oon  ben  6cl)ulen  ent= 
fernt,  befto  me^r  f(^n)inbet  biefe  ©efal)r,  befto  {)armlofer 
unb  bereittt>illiger  erfd)eint  baö  ^ublüum.  ®arum  be^ 
funben  t)eute  nod)  n)ie  üor  jn^eitaufenb  3al)ren  bie 
9CReifter  eine  mer!lid)e  Q3orliebe  für  ben  Umgang  mit 
Söllnern  unb  ^ifd)ern. 

^üv  ben  9Zamen  „^l)arifäer,  Sabbujäer  unb  Sd)rift-- 
gelet)rte"  je  einen  genauen  ^aralleltitel  in  ber  ^unft- 
tt)iffenfd)aft  gu  finben,  märe  eine  leid)te  Aufgabe;  fie 
mirb  mir  übrigen^  gar  nid)t  gefteHt,  ba  id)  eö  nic^t  mit 
ber  Trennung,  fonbern  mit  ber  Sufammenfaffung  ju 


14  '5)id)tcr  unt)  lM)arifäer 

tun  t)abc.  ^ür  bie  Sufammcnfaffunii  nun  tt)ät)le  id)  mit 
Q3ct»ac^t  denjenigen  9iamen,  tt)eld)er  auf  bie  gemein- 
fame  geiftige  Äcimat  t)inn)eift,  ben  Flamen  '^Ucranbri' 
ner.  Ül^qv  immer  t>on  ben  "^Uefanbrinern  i)anbelt,  mu^, 
n)iU  er  nid)t  sur  Ungerec^tigfeit  t)ingeriffen  tt)erben,  t)a^ 
natürlid)c  ©eild)t  biefer  Ceute  üon  iljren  fauertöpfifd)en 
x'^cienen  beim  '^Inblict  cineäi  Qßunber^  ober  QiBerfee  un- 
terfd^eiben.  '•^In  fid)  lüaren  unb  finb  ja  bie  ^lle^anbriner 
n>ürbige  53Mnner,  achtbar  unb  gead)tet  oerbient  um 
93ilbung  unb  Q[öiffenfd)aft,  unb  barum  mit  Titeln  unb 
'Ziimtern  au0ge^eid)nef,  an  antiquarifd)en  Äenntniffen 
bie  ^^rften  i()rer  Seit,  unb  barum  .„ju  oberft  in  ben  6d)u- 
len"  ft^enb,  üoU  oon  Sifer  für  bie  (Sr^ie^ung  bc^  QSolfe^ 
unb  ber  3ugenb,  Äüter  beö  ^empel0  unb  bes  ©efe^e^ 
(ber  S^unft  unb  Citeratur),  Don  fd)ran!enlofer,  faft  ab- 
göttifc^er  '^ietät  oor  ben  f)eiligen  Gcbriften  (ben  „^laf- 
ftfern")  erfüllt,  an  begeifterten  Äulbigungsbejeugungen 
für  bie  Q3erfaffer  berfelben  fid)  niemals  genugtuenb; 
„fie  bauen  ben  ©ered)ten  ©enfmäter  unb  fd)mücfen  bie 
©räber  ber  heiligen'';  jebe  Äritif  ber  Sd)riften,  jebe 
t)on  ben  ^ropi)eten  abmeid)enbe  9?ceinung  t>erabfd)euen 
fie  al0  einen  ©räuel  ber  ©oftesläfterung.  6ie  t)aben 
über()aupt  nur  ben  einzigen  vyet)ler,  ba^  fie  meinen,  ber 
ÖueU  ber  Offenbarung  märe  au^getrocfnet,  ba^  fie  let)- 
ren,  ber  I)eiligc  ©eift  mad)e  ;^u  ibrer  Seit  eine  flcine 
©encralpaufe  Don  einem  3at)rt)unbert,  i>a%  fie  bie  fröf)- 
lic^cn  QCßeiÄfagungen  an  haß  ^nbc  ber  QKelt  abrefficrcn, 
ba^  it)r  gefamtc2  tyüt)len  unb  <5)cnfen  oon  ber  Q3orauö' 
fe^ung  beberrfd)t  mirb,  bie  ©egenmart  t)ahc  feinen  t>or- 
nci)mercn  ^eruf,  ali  ber  Q3ergangen^eit  bie  'Jingcr- 
nägel  ju  puijcn,  unb  ber  tebcnbige  9}Zenfd)  feine  mid)- 
tigere  'Tiufgabe,   alß  bie  ^oten  ju  balfamiercn.    ^en 


®id)ter  unb  ^t)arifäer  15 

einzigen  e(i)ten  '^alfam   liefert  natürlid)   t)ie  "Jirma 
.^aip^ag  &  Sie. 

^ie  lyrage,  au^  tt)eld)em  3eelentt»in!cl  bcr  fonberbarc 
^rieb  enffpringt,  bei  abgöttifd)er  93eref)rung  ber  Q3er' 
gangcnbeit  bie  ®egentt)art  ju  entwerten  unb  bic  ^inber 
ber  nämtid)en  ^ropljeten,  üor  it)etd)en  man  fid)  auf  ben 
*Saud)  tt>irft,  fc^led)t  ^u  empfangen,  ein  ^rieb,  ber  fämt= 
Iid)en  '>21teranbrinern  fo  natürlid)  ift  tt)ie  ^ulöfd)tag 
unb  ^temjug,  ift  Iei(f)t  unb  bünbig  ju  beantworten:  er 
entfpringt  auö  bem  Snftinft  ber  Selbfterf)altung ;  bar- 
um  ift  er  fo  gät)  unb  ftörrifc^.  0a^  ganje  ^nfet)en  unb 
bie  f)o()e  gefellfcf)aftlid)e  Stellung  ber  "i^Uefanbriner  be- 
ruf)t  eben  auf  einem  Snterimesuftanb,  auf  einer  Sebi-- 
oafang,  auf  ber  ^atfad)e  ober  '!2lnnat)me,  t)a%  ju  i{)rer 
3eit  feine  großen  9Dcänner  t)orf)anben  feien.  Sonft  mü^= 
ten  fte  ja  üon  i{)rem  ^f)ron  {)erunterfteigen  unb  t>ai 
£ineal,  t)a^  fte  fo  meifterfjaft  fd)tt)ingen,  in  ein  ^yutteral 
fteden;  fte  ^aben  fid)  aber  t>a  oben  eingeniftet  unb  ben 
6tu{)l  bef)aglid)  gefunben.  daraus  erflärt  fid)  if)re  un- 
bett)u§te,  barum  jebod)  nid)t  minber  eifrige  ^Jeinbfelig« 
feit  gegen  jebe  lebenbige  ^unft  unb  gegen  jeben  '^n- 
fprud)  auf  f(^öpferifd)em  ©ebiete.  (^in  ©teid)niö  fett 
biefe  Stimmung  nod)  t)erbeutUd)en.  Qßenn  nad)  bem 
5;obe  bes  Äerrn  bie  0ienerfd)aft  fid)  feines  (Srbeö  be= 
mäd)tigt  f)at  unb  in  feinem  9^amen  fcf)altet  unb  h>altet, 
wirb  fie  n)ot)t  bie  9^ad)rid)t,  ba^  ein  Q3ern)anbter  be^ 
93erftorbenen  anrücfe,  mit  ^^reuben  begrüben  unb  bem 
jungen  Äerrn  bemütig  mit  bem  Sd)lüffetbunbe  entgegen- 
5iet)en  ?  9^ein,  fte  n)irb  fic^  gftjar  bereit  erklären,  ta^ 
(Srbe  bem  (5rbbered)tigten  auszuliefern,  aber  in  jebem 
befonberen  t5^alle  ben  ^nfijmmling  für  uned)t  ausgeben; 
mit  ber  Seit  tt)irb  fie  fogar  ^^ftenftüde  öorweifen,  n^elc^c 


16  <5)ic^ter  unb  ^t)ari[äer 

bezeugen  foUcn,  t>a%  ber  Äerr  finber«  unb  Denvanbten' 
lo^  gcftorbcn  fei.  <5)er  nämUd)C  (Ba^  in  ben  unbilblicben 
©cbanfcn  übcrfet5t,  tautet:  bie  ^Uejanbriner  muffen 
oUcm  UifprüngUcI)en  unb  ©ro^en,  tt)enn  eö  lebenbig, 
tt)enn  e^  gcgenttJärtig,  tt)enn  e^  perfönlic^  auftritt,  ben 
5\rieg  anfagen,  tveit  e^  fie  bcbrot)t,  tveit  eö  fie  öon  it)rer 
6tcüung  neben  bem  ^eiligen  ©ral  ^erunternötigt,  tt>eil 
ber  angefünbigte  junge  Äerr  t)orau0fid)tUd)  einen  ^licf 
unb  eine  Stimme,  ein  Urteil  unb  einen  '^efet)!  unb  über* 
bic0  aUevt)anb  unbeimlid)c  ^2lbncigungen  t)aben  xv\vt>, 
®ie  ganje  Sorge  ber  -QUe^anbriner  ift  ba^er  barauf  ge-- 
ricbtet,  bie  '^2ln(unft  einer  überlegenen  *^erfönlid)feit  gu 
t)er^üten  unb  für  ben  unglücflict)en  ^all,  t)Q%  fie  tro^-- 
bem  ^erannal)e,  QJßeHenbrcd)er  jur  ^bwenbung  ber 
f d)äbtid)en  ^yolgen  anzubringen,  ^er  3nftinft  ber  Selbft- 
erbaltung  erfinbet  ju  biefem  3n)erfe  tt)eitläufige  93er- 
teibigung^fpfteme,  mit  t)orgefd)obenen  QÖ3erfen,  !unft-- 
öotler,  alö  ber  t>oüenbetfte  '^Biberbau  unb  Termiten- 
hügel. 

??can  t>erfa§t  t>or  allem  einen  Slalenber,  n)eld)er  auf 
©runb  ber  Stellung  beö  9)^onbe^  jur  ßrbe  au^red)net, 
t>a%  in  ben  nä(i)ften  bunbert  3abren  überl)aupt  feine 
Talente  möglid)  feien;  bie  Slritif  übernimmt  bie  93er- 
anttDortlid)feit  bafür,  t)a%  biefeö  9^aturgcfe^  nid)t  über- 
treten njerbe.  Ol)nel)in  i)at  fic^  ja  bie  9^atur  mit  ber 
5bert>orbringung  ber  Stlaffifer  berma^en  angeftrengt, 
ba^  man  \\)v  unbebingt  eine  ßrbolung  gcmäbren  mu^. 
^can  fd)ictt  fie  alfo  in  bie  ^^yerien,  ob  fie  mill  ober  nid)t 
n)iü.  ^ie  'Diagnofe  ift  t>a;  bie  ©efat)r  ber  Sd)minbfud^t 
ift  bringenb;  ber  Sprud)  ber  '^irjte  erlaubt  feinen  Spa^. 
3ur  untrüglid)en  (Jrfennung  au^erorbentlic^er  Q3ega- 
bung,  bie  man  fo  gut  ju  fc^ä^en  mei^  tt)ie  ein  anberer, 


<S)id)fer  unt>  '^f)ari[äer  17 

toirb  t)er  9?ttttt)elt  eingefd)ärft,  t>a^  erfaf)rungögemä^ 
jet)eö  ed)te  Talent  mit  einem  ®en!mal  unter  ben  ^ü§en 
ein()erjufpa5ieren  pflegt;  bie  "21nn)ent)ung  biefes  6a^e^ 
auf  baß  falfc^e  Talent  ergibt  ftd)  burd)  bie  llm!et)rung 
üon  felbft.  <5)aö  ©efunbf)eitöamt  veröffentlicht  ein  @ut- 
ad)ten,  taut  tx>elc^em  »erbiente  ^ner!ennung,  ober  gar 
€l)re  unb  9\ul)m,  in  ber  3ugenb  ober  im  rüftigen  93can-- 
neöalter  genoffen,  giftig  tvirft,  e^  toirb  bemnad)  jeber-- 
mann  ermal)nt,  benjenigen,  ber  fid)  etnja  unnatürlicher» 
tt)eife  fcl)on  in  jungen  3al)ren  au^geict)net,  t>or  ber  '33e- 
rüf)rung  mit  ben  genannten  6toffen  ängftlic^  gu  bel)ü» 
ten.  ®en  ^fufcl)ern  im  ©egenteil  befommt  jebe  ^uö- 
jeic^nung  in  jebem  Lebensalter  tt>ol)l,  t>a  eö  il)nen  jur 
■iHufmunterung  bient.  Sungeunb  auci)  ältere  nocl)  rüftige 
unb  juoiel  öerfprecf)enbe  9!}^eifter  follen  bemgemä^  bei 
i^rer  '^Infunft  fofort  ifoliert  unb  einer  lebenslänglicl)en 
Quarantäne  unterzogen  toerben,  biS  eine  9D^ebi5inal- 
f ommiffxon  il)ren  nat)e  beoorftel)enben  ^ob,  bejie^ungS-- 
tpeife  il)ren  tjollenbeten  fiebjigften  ©eburtötag  bezeugt. 
3n  biefem  t^alle  oerfammelt  fiel)  ber  '^rüfungSausfc^u^ 
ber  *i2lle5anbriner,  um  über  it)re  'iHufna^me  in  ben  litc- 
rarifcl)en  Senat  ju  beraten.  (So  barf  immer  nur  einer 
auf  einmal  in  ben  Genat  aufgenommen  tverben,  auc^ 
ift  bei  ber  ^ufnat)mefeierlic^!eit  ftrengftenS  barauf  gu 
achten,  txi^  bie  Anerkennung  beö  einen  ja  ben  Sl)ara!ter 
einer  Surüdfe^ung  ber  übrigen  entf)alte;  barüber  mu§ 
in  jebem  einzelnen  ^allc  ber  '^aft  entfcl)eiben.  0aS 
€mpfang0gefci)rei  mu§  fo  laut  angeftimmt  n)erben,  t)a% 
niemanb  eö  überbieten  !ann,  fo  fiebert  man  fiel)  t>ai 
93orrecl)t  ber  Q3ere^rung.  ®er  QSerfaffunggrat  ber  ver- 
einigten ^^arifäer,  Sabbujäer  unb  Sc^riftgele^rten  bc= 
e^rt  fi^,  einer  löblicl)en  ©egentt)art  unb  Sufunft  mit- 

epiftelcr,  Cac^enbe  QBa^r^eifen  2 


18  ®icl)tcr  unb  l^tjarifäer 

jutcilcn,  t>a^  Äöd)ftt)ie[clben  be[cl)loffcn  ()aben,  bic  ari- 
ftofratifc^c  '?\cpubli(  ber  Äünftler  unt)  <S)id)ter  in  eine 
Q[Bat)hnonarcI)ie  ^u  ücrroanbeln.  QBät)lbar  fint)  nur  tote 
vScnatorcn.  "^lUfaUigc  ^^ctperber  um  bie  6tetlc  cine^ 
(i)id)tcrtürften  tjaben  it)re  3eugniffe,  itjre  nad)gelaffenen 
Q^C^eifc  unt)  ungebiucftcn  Q3riefe  ncbft  Curriculum  vitae, 
9iamcn,  QBotjnort  unt)  9cummer  t)eö  ©rabfteins  bi^ 
fpätcften^  ju  ßnbe  beß  9}^onatö  bei  ßnbeöunterjeic^- 
ncten  cin5urcid)en.  3et)e^  ©efud),  bem  nid)t  ein  amtlich 
beiilaubigtcr  "^ot)e0fd)ein  beigegeben  ift,  bleibt  unbcrücf- 
fid)figt.  Ä^ünftler,  Gc^riftfteller  unb  <5)ic^ter  finb  t>on  ber 
""^Ibflimmung  außgefd)Ioffen.  3nfuborbinationen  gegen 
ben  einmal  ern)ät)lten  ©ic^terfürften  in  ^orm  unbefug- 
ter Q3ergleid)ung  beöfelben  mit  einem  il)m  an  9\ang 
unb  5^ommanbo  9^ad)ftel)enben  foUen  alsi  Äod)t>errat  ge- 
al)nbet  merben.  <5)em  oeretvigten  ©ic^terfürften  ift  eine 
mit  unumfd)ränfter  93ollmac^t  au^gerüftete,  auß  ber 
3al)l  ber  ^leyanbriner  ju  ernennenbe  9^egentfc^aft  bei- 
gegeben, n?eld)e  in  feinem  9camen  bie  9\egierung0ge- 
fd)äfte  beforgt. 

So  meit  bie  ^Uejanbriner.  9[Öa^  fagt  t)ieräu  ber 
Äünftler  unb  ©id)ter?  9cun,  ber  get)t  feiner  QKege  unb 
tut  feine  QÜsunber  unb  Qßerte.  treiben  e^  jene  gar  ju 
breift,  fo  tuenbet  er  aud>  Xüot)l  einmal  ba^  Äaupt  nad> 
i^nen  unb  mad)t  fid)  mit  einer  poetifc^cn  9D^etapt)cr 
Cuft.  Äeutjutage  \väl)lt  er  bierju  mit  Q3orliebe  Silber 
aues  ber  Älaffe  ber  {)öl)eren  QBirbeltiere.  Sl)emalö  t)ie§ 
ee :  „O,  ^i)V  Schlangen,  Äcuc^ler  unb  Otterngeäüd)te!'' 
3m  ©runbe  fmb  eö  ja  feine  Ottern,  fonbern  blo^  93linb- 
fd)leid)cn.  3um  llnglücf  ber  '^llefanbriner  unterftreid)t 
jebod)  bie  9tad)iüelt  fold)e  (Jyflamationen,  felbft  tpcnn 
fic  unbillig  fein  foUten,  boppelt  unb  breifac^  mit  inni- 


93om  9l\if)m  19 


gern  ^et)agen.  ®e^f)alb,  tt)eil  fxc  t)en  5)irf)tern  fo  unenb- 
lid)  oiel  unt)  it)ren  ©egncrn  fo  unenblid)  njenig  oerbanft, 
weil  ferner  jene  fo  überaus  liebensttJürbig,  unb  biefc  e^ 
fo  ganj  unb  gar  nicbt  finb.  xOcan  tüirb  immer  t>on  neuem 
üerfud)t  int  9^amen  ber  ©ered)tig!eit  ein  gute^  Qßort 
für  bie  t)ern)ünfd)ten '2Uef  anbriner  einzulegen.  Qßeröer- 
folgt  inbeffen  i^r  ^nbenfen  am  tt)ütenbften  ?  <5)ie  '^ley an- 
briner  ber  jebe^maligen  ©egenttjart.  Hnb  ha^  ift  ber 
Äumor  be^  Unglauben^.  £äd)elt  er  aud)  nic^t  3tt)ifd)en 
tränen,  fo  bei^t  er  bod)  in  fein  eigene^  '33ein.  93tit  bie= 
fem  oerföljnenben  ^ilbe  will  id)  fc^lie^en. 


Sine  9^ation  follte  t)on  Seit  ju  3eit  t)inter  bem  @ar- 
tenjaun  nac^fc^auen,  ob  eö  mit  bem  9^u^m,  ben  fie  alß 
l)öd)ften  ^cei^  if)ren  ^u^erlefenen  gu  fpenben  gebenJt, 
rid)tig  ftel)t.  <S)enn  fo  bequem  tt)ie  man  meint,  gel)t  e^ 
mcl)t,  aU  ob  ber  9?u^m  ein  natürlid)eö,  unjerftörbare^ 
(Eigentum  be^  93knfcf)engefd)led)te0  wäre. 

3m  ©egenteil,  eö  gel)ört  fe^r,  fel)r  öiel  bagu,  bamit 
einer  9cation  ber  9^ul)m  gebeil)e,  unb  bie  minbefte  f  ci^lec^tc 
£uft  erfticft  ben  Lorbeer.  'Sarbarif(^e,  befpotifd)e,  l)^per- 
totale,  militärifcl)e,  fc^otaftifd)e  Q3öl!er  ober  Seitalter 
entbel)ren  be^  9^ul)me^,  fie  fönnen  i{)re  Äelbcn  blo§ 
et)ren,  nic^t  rül)men.  Sl)re  aber  ift  bie  feinblid)e  Scl)Wefter 
ober,  wenn  man  lieber  wiU,  bie  Schlingpflanze  be^ 
O^ubme^.  Sl)e  man  ftc^'ö  t)erftet)t,  l)at  fie  i^n  oerbrängt 
unb  erwürgt. 

Sum  9^ad)fcl)auen  aber  bünft  mid)  gegenwärtig  "Sln- 
la%  öor^anben.  ©enn  ic^  glaube  ju  bemerJen,  t)a^  ber 

2* 


20  Q>om  9\uf)m 


l)eiitfd}c  litcran[d)e  0\ul)m  öcr  (Segemvart  an  ^ä^Ud^en 
Übeln  franft. 

(vr  ift  aunäd)ft  treulos;  gett)Ovben,  inöem,  n)er  üor« 
geffern  gerüt)mt  tvuröe,  l)eute  in  bie  9\umpel!ammcr 
gciüorfcn  tvirt).  0ämtlid)e  gepricfene  9camen  x>^v- 
bvaud)en  ftc^  mit  einer  6d)ncllig!eit,  a\ß  tuäre  bie  Un- 
fterblic^feit  ein  S^onfumartifel.  S^aum  in  t)en  9Dcunt)  t)eö 
Q3olfcö  genommen,  [c^mität  auc^  fc^on  t)er  Äcrr.  3a,  e^ 
lä^t  fid)  gerabe^u  logifd)  au^red^nen :  tt>eil  l)eute  einer 
alfii  ©enie  oerfünbet  n)irt),  tt>irt)  er  in  5et)n  3at)ren  ab- 
getan fein,  mit  öeräc^tlic^cm  *2ld)feläuc!en.  Qßer  ein 
feineö  (§el)ör  bat,  ücrmag  fogar  toät)rent>  t)e^  3ubel« 
fd)on  t)en  9^ebenton  im  ^alfett  ^u  üerneljmen,  ber  fpä- 
ter  t)ie  t)öt)nifc^e  Dominante  bilben  tüirt). 

0er  9\ut)m  ift  ferner  fre(^  genjorben.  9?can  flüftert 
einander  nid)t  mel)r  et)rerbietig  einen  9iamen  ju,  fon-- 
t)ern  man  brüUt  il)n  bcn  Ceuten  um  t>ie  O^ren,  t)cn  Äut 
auf  bem  Äopf,  bie  Äänbe  in  ben  Äofen.  ^l^  t)anbeltc 
es  fid)  um  einen  foäialbemo(ratifd)en  ©enoffen.  3d)  fennc 
aber  nid)tö  93eleibigenbere^  als  einen  9\ut)m  ot)ne  (i'l)rcr- 
bictung.  Srft  ad)tet  einen  9}^enfd)en,  bann  oerbeugt  eud), 
t)ierauf  verbeugt  eud)  noc^  einmal,  l)ernad)  rüt)mt  it)n. 

'[yreitid),  n>enn  man  al^  ©rünber  auf  93erabrebung 
ergebene  Ceute  gleid>  3nterim0fd)einen  an  ben  93örfen 
au0fd)reit,  njenn  man  feineögleid)en  auf  fieben  6d)ul- 
tcrn  t)cbt,  bamit  er  gro^  auöfe^e,  bann  i)äU  e^  aller- 
bingfii  fc^njer,  (fl)rerbietung  für  ben  allju  t>ertt)anbten 
5?lienten  aufjubringen.  Unb  fiet)e :  ba^  93eifpiel  tt)irft. 
■^^Inbere  ©riinber  unternel)men  anbere  Q3erül)mtl)eiten. 
5)ann  entftcl)t  unlauterer  QOßettbetperb.  (Je  fe^t  ^apft 
unb  ©cgenpapft.  Unb  feiner  glaubt  an  feinen  eigenen 
^opft,  gefc^mcigc  benn  an  ben  feinblic^en. 


"^Uter^jubiläen  21 


<Sa  gilt  e^  nun  beizeiten  tjorjubcugen.  6onft  fönnte 
e»  eineö  5:agc0  tt>it»erfat)ren,  t»a^  ter  ober  jener,  bem 
man  ben  9\ut)m  anbietet,  antt)orte :  „^^^Iber  nid)t  n)at)r, 
i^r  n)afd)t  i^n  t>oc^  erft  grünblid)  mit  ^arbolfeifc,  c^e 
ic^  \f)n  in  bie  Äant>  ne^me,  euren  9^ui)m  V 


*2llter^jui)i(äen 

3c^  bin  nic^t  t)er  einzige,  bcr  bcn  ^whtX  nid^t  nad)-- 
jufü^len  öermag,  n)etd)er  eine  9^ation  in  bem  ^ugen» 
bticfe  f)eimfuci)t,  t^a  ein  t)erbienter  'SQ^ann  fec^^ig  ober 
fiebengig  ober  ad)tjig  S^^t:  alt  tt)irb.  Q3ielmel)r  befinbc 
ic^  mid)  in  öor^üglic^er  @efellfd)aft,  nämlic^  in  ber  @e- 
feflfc^aft  ber  ©efeierten  felber.  ©enn  wer  an  einem 
Subitäum  am  allertt)enigften  §um  Subeln  aufgelegt  ift, 
Xia^  \\t  allemal  ber  Subilar.  ®em  ift  gang  anbere:  gu- 
mute,  n)ef)mütig  unb  bitter.  ®ie  ©ebulbigen  l)alten  er- 
geben ftiH,  bie  ^ro^igen  retten  fid)  oor  ber  sugebacf)ten 
Operation  burd)  fd)leunige  ^hx&)t  in^  ©ebirge,  fall^ 
fie  nic^t  gar  "Jener  unb  Sd)n)efel  l)erunter!nurren  tt)ie 
©rillparjer. 

„So  tut  il)nen  aber  im  ©runbe  bod)  ttJot)l;  tro^  aller 
9Bel)mut"  ©eh)i^,  QS^e^mut  tut  n>o^l,  tt)ie  jebe^  er-- 
n)eid)te  £eib.  Unb  fie  ju  erweisen,  ftc  ju  rül)ren,  t)iel= 
leid)t  bi^  gu  tränen  ju  rül)ren,  ba^  mag  eud)  mit  euren 
maffen^aften  Ciebeö-,  'S)anfeö-  unb  '^Bewunberung^be«' 
teuerungen  unfd)n)er  gelingen.  <3)a  fc^n^inbet  mand)er 
unbewußte  ©roll,  ba  löfen  fxd)  allerlei  böfe  Spannungen. 
„(^^  {)at  mir  bod)  tt)ol)l  getan."  <2ßenn  ta^  eud)  genügt, 
öortrefflid).  9^ur  erinnert  mid)  biefe^  „®od)n)ol)ltun" 
fatalernjeife  an  einen  <5all,  ber  nid)t  eben  nad)  3ut>el 


7') 


'Qllferejubiläen 


fd)mccft,  nämlid)  an  einen  ^rauerfaü.  ^ovt  tut  eß  t)cn 
'53eteiligten  aurf)  t)oc^  n)ot)l,  tüenn  man  fic  buvd)  ^cil« 
nat)mc  ;^u  tränen  rüi)rt.  (Jure  3ut)iläen  fmb  Demnach 
Äonbolen^jubiläen.  Stur^,  im  9}^unt)e  be«  ©efeierten 
—  unt)  ber  ©efeierte  an  einer  'Jeier  jäf)lt  t)od)  aud)  ein 
tüenig  mit  —  fc^mecft  t)a0  3»bitäum  n)ie  eine  fauerfü^e 
haftete,  angefeuchtet  mit  ^Mttern)affcr. 

©lücfn)ünfd)en  fommt  i\)v  t)em  Äerrn?  ©lücfn)ünfd)en 
tvoju  ?  tt)cnn  eö  erlaubt  iff .  9?ian  mün[d)t  einem  9^en- 
fcben  ©lücf,  n?enn  er  foeben  ettt>a^  ßrtt)ünfd)teö  erreicht 
\)at.  '•2Ufo  tt)enn  er  ^cajor  getvorfcen  ift,  ober  9\cgic- 
rungsrat,  ober  n)enn  er  bae  gro^e  l^oö  gen)onnen  f)at 
ober  eine  reijcnbe  Q3raut  ober  einen  gefunben  fräftigcn 
<23uben  (??cutter  unb  Äinb  befinben  fid)  ben  llmftänben 
angemeffcn  n)ot)l).  9lber  ein  Subilar,  njas  hat  benn  ber 
t)eutc 3ubetn^tt)erteö  erreicht?  5)a^  fiebenjigfte '^Uterö* 
\ai)v.  Sin  t>ertt)ünfd)ter  ©ett)inn !  ®aß  \)cx%t  einen  (Jr- 
laubnigfcbein  auf  xDZagentreb^  ober  ©et)irnertt)eid)ung. 

©enji^,  ein  fd^öner  ©ebanfe,  eine  9^ationalfeicr  bcr 
^ett)unbcrung  einem  Cebenben  geboten!  —  wenn  fte 
red)t,^eitig  fäme,  tt>enn  fie  fpontan  gebief)e,  auö  naioer 
überqueUenber  ^egeifterung.  dagegen  eine  93ett)unbe-- 
rung,  bie  auö  bem  5?atenber  ftammt,  bie  pebantifc^  ein 
0atum  abtt)artet  unb  jnjar  ein  mögUd)ft  fpätes  ®atum, 
um  ja  nic^t  ju  früt),  t>a9^  t)ei§t  red)t5eitig,  ju  fommcn, 
bie  nad)  bem  ^aftftocf  ber  Sl^apeUmeifter  fd)aut,  um  ben 
richtigen  Ginfa^  nid)t  ju  t)erfet)len,  eine  ^enjunberung, 
bie  ha  organifiert  tpirb  n)ie  ein  5tupfertruft,  fold)  eine 
gnäbige  '^erounberung  t>on  oben  tjerab,  tt)o  t>a^  t)ot)e 
'^Iter  bem  Q3erbienft  alä  milbernber  Hmftanb  angerech- 
net n?irb,  ba^  ift  eine  ran^^ige  9^ationalfeier.  9?teint  \i)v 
benn  toirflid),  er  fätje  fte  nic^t,  euer  Jubilar,  bie  Gc^nür* 


QUfcrsjubiläen  23 


c^cn,  n>eld)e  ba5  Subiläum  äic()cn?  er  muftcre  unb 
tt)ägc  fic  nicl)t,  bie  Smprefarioö,  tt)eld)e  bic  nationale  '^c» 
getfterung  paci)tefcn  ?  bie  Totengräber,  n>etc^e  if)m  bie 
Äanb  brücfen,  n>ät)renb  it)nen  ber  brucffcrtige  9^e!rolog 
auö  ber  ^afcbe  gu(it?  (£ö  ift  ert)ebenb,  Äönig  au  fein, 
^ber  ein  Äing  au^  ©unften  oon  5?ing^mafern !  Unb 
üon  n)a^  für  ^ingsmafern!  Sagen  tt)ir'0  boc^  flipp  unb 
flar:  eure  angeblichen  <S)id)teriubitäen  finb  ^uc^I;änb- 
lerjubiläen.  3"  jtveiter  Cinie  ^io»  unb  5i}^onograp{)en- 
Jubiläen.  9?tit  ftebengig  3al)ren  njirb  ein  'S)id)ter  nac^- 
la^fä^ig.  <5)a  liegt  ber  Äonig. 

QSiffen  6ie,  für  njen  urfprünglid)  t>k  ^Iter^jubiläen 
erfunben  würben  ?  n)en  fie  erc^uicfen?  n^em  fte  njo^ltun? 
gan^  unb  gar  n)ol)ttun,  nid)t  „boc^"  tt)ol)ttun?  3enem, 
ber  fein  anbereö  93crbienft  befi^t  alö  fein  i)oi)es  bitter, 
jenem,  ber  jeitlebenö  feinen  anberen  '2lnla^  bot  il)n  ju 
feiern,  at^  feinen  ©eburt^tag.  Sin  fleiner  ^affier,  ein 
untergeorbneter  93eamter,  ein  bunfler  Sd)uUel)rer  in 
einem  finftern  Stäbtc^en,  n^elc^c  fünfunbjttjanjig  ober 
fünfzig  3al)re  treu  unb  befc^eiben  im  ©ienft  ftanben, 
n)enn  man  fold)en  ein  ^Tlltersjubiläum  ober,  n?a0  auf 
baöfelbe  hinausläuft,  ein  ^ienftjubiläum  ftiftet,  benen 
tut  t>a^  in  ber  Seele  tt)ol)l.  0e0l)alb,  n>eil  fie  fid)  l)ier- 
mit  ,^um  erften  9}2ale  i^reö  2ebenS  in  ben  Q3orbergrunb 
bes  SntereffeS  gerücft  fügten,  n)eil  jtc  nun  tt>enigftenS 
einmal  in  it)rem  ^afein  it)r  (Sl)rgei,5d)en  befriebigt  fpüren, 
tDeit  fie  l)infort  bie  fü^e  SHufton  neben  fic^  aufS  ^ran- 
fenbett  legen  bürfen,  efxva^  auf  (Srben  gett)irft,  etttjas 
gegolten,  ettt>aS  erreicht  ju  l)aben.  QBer  mithin  einen 
großen  ®id)ter  an  feinem  70.  ©eburtStag  feiert,  ert)ebt 
i^n  in  bie  fc^n)inbelf)afte  5)öt)e  eineS  '53ud)l)alterS  oon 
*33ranbtS  Sc^ttjeijerpillen. 


24  ^^Utcr^jubiläcn 


(Sinc^  ift  fid)er :  üor  Dem  7ü.  ©cburt^tag  i)(in^  t)cr 
©cfcicrtc  einen  fec^jigften,  oor  bem  fed)jigften  einen 
fünf.^igften,  t>or  bem  fünf^igften  einen  fünfunboier^igften 
unt>  brciunbüierjigften  ©eburtötag.  Q^Öarum  ivurbe  ha- 
malö  nicbt  gcjauc^jf,  nid)t  gerebet,  nid)t  gebrucft  unt) 
nid)f  gebed)ert?  ^6)  ücrftel)e,  t>er  9\ut)m  t)at  feineSubel» 
out>erturen,  fonbern  bio%  3ubeljapfenftreid)e.  Smmer» 
I)in,  eine  brei^igjäi)rige  ©eneralpaufe  t>or  '^Beginn  be^ 
erften  ""^Ifforbcö  ift  etroaö  lang,  unb  ein  plöt5lid)C0  ^yor- 
tiffuno  mit  bcm  üoUen  Ord)eftcr  nad)  ben  Sorbinen  ift 
ctxva^  plump.  So  inffrumentiert  ber  tt>at)re  9\u{)m  nid)t. 
®er  liebt  tia^  sempre  crescendo.  '^Iber  freilief),  üon 
einem  3ubel,  ber  ha^  ^empo  üerfeljlte,  barf  man  aud) 
feinen  ^att  ertüarten. 

Ol)ne  6d)er3 :  ber  ©egenfa^  jtt)ifc^en  bem  0d)n>eigcn 
tt)ät)renb  langer  3at)r5el)nte  unb  bem  pl()^lid)en  ^utti 
mit  Raufen  am  ßnbe  beö  Ceben^  ift  eine  fo  auffallenbc 
(vrfd)einung,  t>af^  fie  §um  9cad)benfen  aufforbert,  t>a% 
fie  eine  (Xrflävung  er^eifd)t.  <S)a  f)abe  id)  mid)  nun  öftere 
gefragt,  ob  nid)t  am  (5nbe  boc^  ber  bla^gelbe  9ceib  ein 
flein  ftein  bi^d)en  mit  im  Spiele  Wäre.  So  ^abe  \6) 
mid)  gefragt  unb  id)  t)ahci  mir  geantwortet:  ja,  unb 
antworte  mir  nod)  fo. 

'5)er  Äauptgrunb  jebod)  ift  mir  jufällig  jum  "^Bewu^t- 
fein  gefommen,  bamats  al^  ©eutfd^lanb  ha^  3ubiläum 
^aul  Äepfe^  beging.  (3d)  fage  ein  3ubiläum  „begel)en", 
wie  man  fagt  eine  ©efd)marflofigfeit  beget)en.)  ^aju- 
mal  erfd)ien  nämlid)  in  einer  ber  erften  Scitungen 
®eutfd)lanb0  ein  ^reoe,  t>a^  fid)  feierlid)  bagegen  oer- 
waljrtc,  e^  möchte  etxva  <Sraud)  werben,  ©ic^ter  fo  un- 
beimlid)  frül),  nämlid)  in  il)rem  fed)5igften  ^ai)v^  fd)on, 
ju  feiern,    ©a  ftel;t'0  ausbrücflid),  offen  unb  el)rlic^. 


"^Ittcröjubiläen  25 


©reifen  tt>ir'^,  {)alten  wiv'^  feft  unb  laffen  tt)ir'^  nid)t 
mef)r  entfd)lüpfen.  (Sin  fed)5igjät)riger  ®id)ter  ju  jung, 
um  gefeiert  ^u  n?ei:t)en.  9}^iti)in  ift  e^  eingeftant)ener= 
ma^en  t)ie  Q^üftigfeit,  bie  93oüfraft  t)eö  6d)affen^,  tva^ 
t)ie  ©eneralpaufc  be^  9?uf)me^  t)erfd)ulbetc  unl)  nid)t 
ettt)a  irgendein  anderer  Hmftanb.  €f)e  ber  0icf)ter  mit 
tüenigftens  einem  ^yu^  im  (3xabe  fte{)t,  gebüf)rt  i^m  feine 
^eier.  QKie  gefagt,  folcf)  einen  golbenen  Sprud)  barf  man 
nid)t  met)r  auö  bem  (B>d)a^z  ber  9}^enfd)^eit  fd)n)inben 
laffen;  er  ge{)ört  auf  ctt)ige  Seiten  inö  ©ebäc^tni^  ber 
9^ad)tt)ett,  neben  ben  Sprüd)en  ber  fieben  QKeifen. 

Snbeffen,  t>a^  ift  nun  nid)t  met)r  ber  9^eib,  ber  fo 
fprid)t.  ®enn  fo  beutUcb  brücft  fid)  ber  9teib  nid)t  auö, 
ber  munfelt.  9^ein,  e^  ift  üietmet)r  bie  Ueblid)e  Q3orau^-- 
fe^ung,  at^  ob  bie  '33ebeutung  eine^  0id)ter^  erft  bann 
anfange,  tt>enn  er  ein  „abgefd)loffeneö  fertiget  ©anje^" 
bilbet,tt)cnnmanfeine„gefamte^ätig!eit"„überfc^auen", 
njenn  man  ein  „ßeben^bilb"  öon  i{)m  „entwerfen"  fann, 
mit  anberen  QBorten:  tt>enn  man  if)n  ab^anbetn,  er= 
Hären,  herausgeben,  fommentieren  unb  emenbieren, 
tuenn  man  i^n,  furj  gefprorf)en,  in  ben  Uterar{)iftori- 
fd)en  9DZörfer  ftampfen  fann. 

0a0  ift'S;  t>a^  ift  tia^  ,,Sefam,  tue  bid)  auf.  9^id)t  bie 
Qßerfe  —  ©Ott  bett)af)re,  bie  finb  9^ebenfad)e  —  fon-- 
bern  tia^  „<S)id)terbilb",  ber  ^la^,  bie  9iummer,  bie 
bem  9[Ranne  in  ber  2iteraturgefd)id)te  gebüi)ren,  baS  ift 
ha^  QSic^tige.  Qßenn  tüir'ö  fonft  nici)t  «Junten,  fo  «»listen 
njir'S  i^^t :  ha^  gegentx)ärtige  ®eutfcf)tanb,  tro^  allem 
©etue  unb  ©erebe  über  ^oefie  unb  ©oetf)e,  ift  mit 
nid)ten  Uterarifc^,  fonbern  Iiterar{)iftorifd)  oerantagt. 
9^id)t  um  t>a^  ©enie^cn  ber  ®id)tcr,  fonbern  um  t>a^ 
©ojieren  berfelben  ift  eS  if)m  ju  tun. 


26  0atum0jubiIäcn 


^^luf  baäjcnigc  Jubiläum  aber,  auf  tt»eld)cß  id)  mid) 
freue,  an  h)eld)cm  ic^  teilnel)men  möd)te,  werbe  id)  tüo^l 
nad)  lange  n)arten  muffen :  auf  hai  3ubiläum  ^u  Si^ren 
eine^  großen  '^ßerfeö,  baß  focben  frifc^  erfc^ien. 


®atum^jut)i(äen 

<5)er  t)unbertjät)rige,  bcr  fünf;^igjäf)rige,  öienctd)t  aud) 
ber  fünfunbjwan^igfte  ^obestag,  QKarum  nid)t  ber  ad^t* 
unbneun^igfte  ober  ber  neununbi-ierjigfte  ?  3d)  begreife, 
cß  gei)t  nad)  bem  ^ejimalfpftem.  Q^öcnn  bie  ®rbc  ftd) 
fo  unb  fo  üielmat  um  bie  Sonne  gefc^tt>ungen  \)at,  bann 
gefd)icf)t  plö^lid)  ein  allgemeine^  Äatlo  über  einen 
Q3erfd)oüenen. 

9^un  ift  eö  ja  unftreitig  ein  erl)ebenbeö  Sd)aufpiel, 
biefe  Popularität  ber  "iHftronomie  unb  beö  ^ejimal- 
ft)ftem^.  9cur  fagc  mir  boc^  einer,  tt>a^  t)at  i>a^  9cuÜ 
Äomma  9iull,  tt>a^  I)at  bie  6!lipti!  mit  bem  QBert  eine^ 
toten  0d)riftfteHer0  ober  mit  bcr  ^reube  über  feinen 
QBert  ju  fd)affen  ? 

^äre  t>ai  blo^  ein  l)armlofe^  Gpiel.  tüie  cttüa  "Oa^ 
l?otto,  fo  t)ätte  id)  nid)t^  bagegen  cin5un)enben.  *i2lllein 
biefe  ^rämien;^iel)ung  get)ört  in  bie  .klaffe  ber  fd)timmen 
Cofe,  n>eld)e  bcn  *2Ibnel)mern  unfeblbar  Sd)aben  bringen. 
3d)  meine  Sd)aben  am  Q[Bat)rt)eit^gefüt)l.  ®enn  tt>aö 
ba  gelogen  lüirb,  an  ben  l)unbertjäl)rigen  QOßeifttt)afd)e' 
reienl  gelogen!  gelogen! 

QÖJenn  morgen  Q5>ielanb,  übermorgen  ^aracelfu^,  am 
©ienötag  9lbälarb  gefeiert  n»irb,  ober  n)en  fonft  ber 
QBenbefreiö  bes  5trebfc0  zufällig  au^  bem  Gtaub  bcr 
©cfd)id)tc  emporiüirbelt,  fo  nnrb  t>ai  anbäd)tige  (Europa 


<5)atum^jubiläen  27 


bcei  ^agc  lang  ftaunenb  ocrnefjmen,  tt)ie  unb  tt)a«  ma^en 
QBielanb  ein  Äomer  üon  ©ottee  ©naben,  ^aracelfu^ 
ber  '53egrünber  ber  9taturn?iffenfc^aft,  ^bälarb  ber 
geniale  93ortäufer  ber  9^eformation  gett)efen.  3nt 
©runbe,  t>a^  anbäd)tige  (Suropa  ücrnimmt  e^  burc^au^ 
nid)t  ftaunenb,  benn  eö  glaubt  ja  fein  Qßort  baoon. 
Hnb  bie  cö  fagcn,  glauben'^  auc^  nic^t,  ober,  was  noc^ 
fc^Ummer  x%  fic  tüiffen  nirf)t  einmal,  ob  fte'g  glauben 
ober  nid)t.  ^^ber  jebermann  ^ält  eö  für  rirf)tig,  ba§ 
man'^  fage.  ®a^  nun,  fet)en  6ie,  nenne  ic^  lügen.  Ober 
tva§  i)d%t  benn  fonft  lügen  ? 

Übertreibe  i^  etttja?  9cet)men  n)ir  bod^  ben  erftcn 
beften  ber  jüngft  jubilierten.  3um  '33eifpiel  Bürger. 
Äaben  fte  il)n  uns  ba  in  unoerantw örtliche  ^lafftfer- 
l)öt)en  emporgefd)roben,  ben  armen  93ürger,  bem  anbert- 
^alb  ^allaben  paffierten,  t)on  jenen,  bie  feinen  Sommer 
mad)en! 

Äernac^,  tt)enn  tas  Subiläum  üorbei  ift,  frä^t  fein 
5bal)n  met)r  nad)  bem  geräufd)Ooll  ©efeierten.  9tämlic^ 
C0  gel)t  ttJieberum  nad)  bem  ©ejimalfpftem.  9DZan  jie^t 
junäc^ft  eilenbs  100  ^rogent  oon  bem  ©efagten  tviebcr 
ab,  lä%t  bie  (Srbe  fic^  rul)ig  meiter  brel)en,  begräbt  ba^ 
Opfer  n)ieber  in  bie  ftille  ^rut)e  ber  93ergeffenf)eit 
unb  tuartet  gebulbig  ab,  bi^  eine  neue  9luli  ^eran= 
tpacfelt,  bie  bann  eine  öierfteHige  ©cjimalga^l  ergibt. 
3e^t  tt)irb  ber  Ceic^nam  abermale  abgeftäubt  unb  noc^ 
üiel  unoerfc^ämter  aufgeblafen,  unb  fo  gebt  eö  weiter 
burc^  bie  Seiten  ber  Seiten  in  Snjigfeit,  "2lmen. 


Copuli,  Copula 

Q.\^ieberf)olt  t)abc  id)  fet)n[üd)ti9  t)ie  ©ned)en  bcneibct. 
3uerft  mit  5et)n  3at)ren,  iveil  fie  nid)t  lateinifd)  lernen 
mußten,  t)ierauf,  mit  snjanjig  3at)ren,  weil  il)nen  bcr 
Onf  el  jum  ©cburtötag  ftatt  QS^ebcrö  jn)eibänbiger  Qßelt- 
gefd)id)tc  ein  flcineö  '^änt)d)cn  6!lat)innen  §um  '^Präfent 
mad)te,  cnblid),  mit  brei^ig  3at)ren,  weil  !ein  "SOZenfc^ 
i()ren  ®id)tern  ein  ^ed)telmed)tel  anmutete. 

l'ieben  6ie  bie  Sufunft'^  3d)  für  meinen  ^eil  roei^ 
nic^t,  ob  ic^  fie  liebe,  benn  ic^  fenne  fie  nid)t  "^Iber  id) 
glaube  baran.  QSirflid),  in  allem  (Jrnff,  id)  glaube,  e^ 
gibt  eineSufunft.  3ebenfall^  bürfen  mir  e^,  nid)t  mal)r? 
alö  möglich  annet)men,  mir  mären  nid)t  bie  legten  9}cen- 
fd)en  auf  ßrben,  fonbern  c^  !ämen  nad)  unö  nod)  meitere 
jel)n,  ^manjig,  l)unbert  93^enfd)engefc^lec^ter,  bie  ^elt, 
nad)bem  fie  ein  paar  93ciUiönd)en  3at)re  gebauert,  mäl)re 
t)ielleid)t  nod)  einige  Heine  <5)u^enb  3al)rtaufenbe.  ®ie 
^nnal)me  ift  nid^t  fo  unfinnig,  nic^t  mal)r? 

0ieö  öorauögefe^t,  fo  l)alten  Sie  je^t  bitte  einmal 
t>a^  0\}v  an^  ^elepl)on  unb  l)ord)en  6ie,  mie  bie  Site- 
raturgefc^ic^te  be^  brei^igften  3ö^rl)unbert^  —  um  in 
ber  9^äl)e  ju  bleiben  —  über  unferc  in  ben  ©runb  unb 
^3oben  l)ineint)erfuppelte  Literatur  urteilt,  —  über  ba^ 
Ciebc0gemäfd)e,  ha^  Legionen  üon  Sd)riftftencrn  in 
9)^t)riaben  üon  Q3üc^ern,  3eitfd)riften,  Scitungen  unb 
'5:l)eatcrn  ja()rau^  ial)rein  öon  ©ibraltar  bi^  ioammcr- 
feft,  t?om  Ural  bie!  jur  Sierra  9^et)aba  9}Ziüiarben  öon 
uncrfättlic^en  liefern  unermüblid)  aufmarten,  —  über  bie 
Äunberttaufenbe  üon  ^D^ännlein,  mcld)e  Suropa  unb 
'2imerifa  feit  fünfzig  3al)rcn  mit  .sbunberttaufenben  t>on 
QKciblein  bereite  incinanber»  ober  außeinanbergefup- 


Copuli,  Copula  29 


pelt,  unbcfd)at)et  ber  tröftlid)en  ^ereifn>iUig!eit,  annod) 
toeitere  fünfzig  3a^rc  alfo  fort5ufal)ren,  —  über  unfer 
anfprud^öooHe^  Äof)elict)  be«  ^ed)tetmed)tel^ ,  baö 
„Spoö  t>eö  neunjef)nten  3af)rt)unt)ert6''  —  über  unfere 
nicbUc^e  93orauöfe^ung,  t>a%  jebe,  aber  aud)  jebe  €r-- 
jä{)lung,  unt)  jebeö  ^tjeaterffücE  ot)ne  ^U0nat)me,  fei  c^ 
i?uftfpiel  ober  ^rauerfpiel,  ^anble  eö  öon  ()eute  ober 
öon  93Zofi^  Seiten,  nur  unter  ber  ^ebingung  genießbar 
njöre,  ba^  man  ein  Ciebe^gcfc^näbet  t)ineinn)urfte  — 
über  unfere  6ud)t,  jebem  großen  ^anne  ber  i^unft-- 
gef(i)id)te  nac^trägtid)  ein  Ciebfd)äftd)en  in  feinen  9^ut)m 
5u  ftridfen,  n;>eit  wir  anberö  feiner  nid^t  ööllig  fro^ 
tperben  fönnten. 

Äören  6ic  n>irnid)  nid)t0?  9Zic^tg  bergteid)en  n)ie 
,,^tatfd)  für  ^latfc^tt)eiber"  ober  ,,eine  Literatur  n)ie 
öon  Kupplern  für  Kuppler"  ?  3c^  für  meinen  ^eil  i)öre 
e0  gang  beutUd).  9^un,  e^  tut  nid)t^.  3d)  tt)erbe  eö  3f)nen 
auffc^reiben  unb  gelegentlich  einmal  3ufd)ic!en. 

(Sinfttt)eilen,  um  6ie  bod)  einigermaßen  ju  entfd)äbi-- 
gcn,  erlaube  id)  mir,  3t)nen  eine  Äanbüoll  öon  meinen 
eigenen  ilrteilen  mit  auf  ben  Äeimtt)eg  ju  geben : 

*2lu^füt)rlic^e  Darlegungen  frember  '5amilienoerf)ält- 
niffe  gebulbig  angul)ören  ober  anliefen,  ift  njeibifcl) ; 
unb  an  bem  ^eric^t  t>on  fremben  ßiebe^oeri^ältniffcn 
93ergnügen  gu  finben,  ift  nic^t  männlic^. 

©a^  Sd)munjeln  barüber,  baß  jttjci  fi(^  friegen,  ift 
auf  ben  ßippen  ber  '^xan  lieben^toürbig,  tpeit  mütfcr- 
lid^,  auf  ben  £ippen  be^  9)^anne^  toiberwärtig,  »eil 
greifen^aft.  9^ämlid)  ein  tt>at)rer  'SO^ann,  n)enn  er  üon 
einer  £iebe0paarung  l)ürt,  fd)mun3elt  feineötoegö  ver- 
gnügt, empfinbet  auc^  nicf)t  bic  minbefte  9^ü^rung, 
fonbern  er  ruft:  „QCßa^?  bie  fci^önc  9E  nimmt  mit  bem 


30  Copuli,  Copula 


C^fel  Dorliebi^  jc^t  ift  fie  abgrunbtief  in  meiner  'iHd)tung 
gcfunfcn!"  öo  ruft  er;  I)crnac^  gct)t  er  t)in  unt)  fingt 
l)aö  J^ict)  oom  ^ud)0  unt)  t)er  5;raube. 

<3)aß  anbäd)tige  ©etu  unt)  ©erebc  um  eine  perfonifi- 
jierte  ©ottijeit  t)er  Ciebfc^aften,  um  eine  t)eilige  „Üiebe" 
an  ftd),  n?eld)e  ii)re  Äerfunft  üon  ber  6innlid)!eit  ver- 
leugnet unb  if)re  9\id)tung  nac^  einem  ßin3elmcnfd)en 
oerlä^t,  um  üom  aaegorifd)en  Äimmel  i)crab  fämtUd)e 
Liebespaare,  t)ie  t>a  ftnt),  t)ie  t)a  tt)aren,  unb  bie  ha  fein 
iDerbcn,  gerüt)rt  ju  fegnen,  ba^  ift  ein  eunud)enf)afte0 
©cbaren. 

®enn  e^  gibt  jttjar  rool)!  für  bie  tvrau,  nid)t  aber  für 
ben  ?3iann  eine  „Ciebe"  fd)Ied)t()in.  Q^Ber  ha  fd)reibt  ,,bie 
2iebe  ift"  —  „bie  Ciebe  t)at"  —  fc^reibt  unmännlid). 
®er  ^lann  liebt  nid)t  inö  '^2lbftra!te,  er  liebt  nic^t  bie 
„2iebe",  fonbern  er  liebt  ein  einjelneö  beftimmtes  n?eib-- 
lid)eö  9ö5efen,  ober  mel)rere  beftimmte  weiblid)e  Qiöefen, 
meinetn?egen  aud),  tt)enn  6ie'ö  burd)au^  tt>ollen,  fämt- 
lic^e  beftimmten  tt)eiblid)en  Q55efen,  niemals  jebod)  bie 
blo^e  3bee  be^  Q3erl)ältniffe0  beö  liebenben  93tanne^ 
jum  liebenben  Qßeibe.  '^a,  Ciebeeillufion,  leibenfc^aft-- 
lid)fte,  tt)at)nfinnige  ßiebeßillufion  angefid)t^  eineö  roeib- 
lid)en  QBefenö,  ba^  ift  männlid);  im  l)öd)ften  ©rabe 
männlich  fogar,  nämlic^  törid)t.  dagegen  eine  beftil- 
liertc  l)eiligc  „Ciebc"  an  fic^,  ha^  ift  ein  l)pfterifd)e^ 
^oftulat. 

So,  baö  wäre  für  ben  Einfang,  bamit  6ic  ni6)t  etttja 
ungebulbig  tt)erben.  3c^t  aber  eine  f leine  '^Bitte.  können 
6ie  mir  nid)t  t>iclleid)t  zufällig  fagen,  wo  Äefuba  ioo^nt? 
3d)  beginne  mid)  nämlic^  aUmät)lid)  für  biefe  ®amc 
unbänbig  ^u  intereffieren. 


Q3on  ber  ,,männ(id)en''  *^oefie*) 

Smmcr  »on  neuem  eradjten  t)ie  profaifc^cn  ^öpfe  t)a^ 
reine  ©olt)  ber  '^oefte  für  ju  roeic^,  eines  3u[a^e«  be- 
bürftig,  felbft  bann,  wenn  fie  tt)eoretifd)  tai^  ©egenteit 
let)ren,  ja  t)ieneid)t  bann  am  meiften.  9cad)bem  mv 
glücfUd)  barüber  t)inau^  ftnb,  bie  ^oefie  mit  ©eift  ju 
TOürjen,  mit  '^t)rafen  ju  brapieren,  mit  ^ugenben  ju 
beffern,  mit  3been  ju  erf)eben,  mit  <2ßei0t)eit  gu  t?er- 
tiefen,  mit  9cü^lid)teiten  breitjuftrecfen,  fängt  unoer- 
fet)en^  bie  teibige  '2lrgnei(unft  oon  oorne  an,  unb  um  eö 
nid)t  uralt  nennen  gu  muffen,  nennt  man'ö  mobern. 

(Sine  fräftige,  männlid)e  ^oefie  möd)ten  wir  ^ur  '^Ib- 
med)^lung  je^t  I)aben,  Pepton  unb  Hämoglobin  ber 
9^ufe  gu  fd)luc!en  geben,  (Sifen--  unb  6ta{)lbäber  ftc 
brauchen  taffen,  um  it)re  ^onftitution  ju  ftärfen.  Xlm 
ein  roenigeö,  fo  falbten  mir  if)r  ben  '3}tunb  mit  '33art- 
maffcr.  93renncnbe  fragen,  rote  <5af)nen  unb  mörber» 
lid)e  Streife  foflen  bie  roten  '53Iut!örperd)en  oermet)ren, 
Sc^mei^  unb  Unrat,  ©iaieft  unb  <S)t)namit  bie  Sucfer- 
franff)eit  auftreiben,  ©eftern  ftärfelte  man  mit  bäuri» 
fc^en  Äembärmeln,  ^eute  mit  fabrifftäbtifd)en  *2lrbeiter= 
fd)ürjen.  ©ie^mal  aber  ift  e^  un^  grimmig  ernft.  Qßir 
t)aben  unö  nämlid)  an  bem  ©olbfrf)nittfprup  fo  grünb» 
lic^  ben  9}^agen  öerborben,  ba^  mir  nad)  Petroleum 
ted) jen.  QBa^  ift  profaifd)  ?  ma^  ift  pebantifc^  ?  ma^  ift 
norbnifelnebel--nüc^tern  ?  ma^  fd)mecftübel?  ma^  ried)t 
beben!lid)  ?  Äer  bamit,  auf  ba^  mir  eö  bid)ten ! 

Unb  t>a^  ßrgebni^  ?  ^itanifd)e  ©rimaffen,  ot)ne  ben 
minbeften  3umad)^  an  ^raft.  0a^  fommt  bat)er,  ba^ 
©efct)mulft  unb  '30'^uöfel  §meiertei  ift,  unb  ba^  einer 
fürd)terlic^  fc^nard)en!ann  unb  bod)einSc^mä(^Ung  fein. 

*)  3n  ber  aJiorgenrötc  beö  9iaturati0muö  gefc^ric&e«. 


32  Q3on  bor  „inännlid)cn"  *^ocrte 

<5)cnn  \vci\^  bcbcutct  „Slvaft"  in  ber  5?;unft?  9iid)t  im 
(Nktvid^t  t)C0  6toffe^  liegt  fie,  nxdjt  in  tjaarigen  Sbeen, 
fonbern  in  bcr  fieg^aftcn  <Semältigung  ber  jeweiligen 
9lufgabe.  Q33er,  nja^  er  immer  unternimmt,  meiftert,  t>er 
ift  ein  fräftiger  5^ünftler.  <5)a^  gel)t  fo  tüeit,  t)a§  eine  ge« 
funbe  5\unft  fic^  überl)aupt  niemals  t)ie  Straft  jum  3iele 
fel)t,  fonbern  t)ie  95ollent)ung,  in  n?elcl)er  neben  andern 
guten  fingen  aud)  t)ie  SXvaft  entljalten  ift.  Q3egel)rt  ein 
Seitalter  leibenfd^aftlid)  nad) Straft  in  ber^oefie,  fo  ift  bae 
fc^on  ein  (ranf l)afte^  6pmptom,  it>ie  tüenn  ein  bleid)füc^» 
tigeß  ©ienftmäbd)en  nad)  Salat  ruft,  ßifen  freffen,  (5rbe 
fd)merfen,  ben  äerfef3cnben  ©eift  unferer  Seit  einatmen 
tpollen,  t>ai!'  follten  Seid)en  t>on  ©efunbt)eit  fein  ?  3d)  bitte 
umOSerjei^ung,  t>aQ  finbSeid)en  ber^TInämie  unbÄpfterie. 

©ie  ^unft  lä^t  fid)  nun  einmal  nid)t  legieren,  unb 
mit  ben  Rauften  fann  man  nid)t  bid^ten.  ilnb  ob  meinet- 
tpegen  ein  ganjeö  Seitalter  mit  9D^illtarben  t)on  Hr- 
n)äl)lern  einftimmig  t)a^  ©egenteil  befd)löffe,  fo  \v\xt> 
3tt)ar  v>ielleid)t  ta^  Seitalter  !nabenl)aft,  bie  Stunft  je- 
bod)  um  fein  Äaar  männlid^er  tt)erben.  ®enn  mit  bem 
Qä>illen,  mit  '33efd)lüffen,  mit  Cärm  unb  ©efd)rei  lä^t 
ftc^  bie  ^oefie  fo  toenig  turanjen,  wk  irgcnbeine  anbere 
9^aturpotena.  "i^Ille  Cebenöfraft  ift  Saft,  unb  aller  6aft 
ift  tt>eid),  ja  fogar  im  3nnerften  —  e^  tut  mir  aufrichtig 
Uib  —  ein  toenig  fü^.  5Dat  bat)er  ein  erbarmung^tpür- 
bigc«  ©efd)led)t  fo  t>iel  Gc^led  fd)lucfen  muffen,  t>a%  cö 
n)infelt  ,,alle0  in  ber  QÖJelt,  nur  beileibe  nid)tö  6ü^e^", 
gut,  ce;  gibt  ber  ©inge  unb  "^ätigfeiten  auf  ßrben  genug, 
bie  nic^t^  weniger  als  fü^  finb.  Q[Bol)l  befomm'ß!  '^Iber 
bie  'poefie  felber  mit  fo/\ialen  Swiebeln  als  fauren 
Äcring  ruften  ju  wollen,  biefe  9D^aponnaifc  wirb  ßuc^ 
nimmer  geraten. 


„'HU"  unt»  „jung" 

^2luf  ber  einen  ^exte  ein  in  e^renf)after  ^^^ittelmä^ig« 
feit  ergrauter  8enat,  t)em  \d)  gerne  t)ie  fc^ult)ige  Stjr» 
erbietung  erroiefe,  n?enn  id)  if)m  (vt)rerbietung  fd)utt)ete, 
auf  ber  ant)ern  Seite  junge  Ääuflcin,  tt)etd)e  ob  it)rer 
problematifc^en  Pubertät  ein  Siegeögefc^rei  anftimmen 
lüie  t)ie  tyröfc^e  in  t)cr  9D^ainac^t,  —  jc^t  toä^len  0ic, 
ttjer  gefällt  3f)nen  am  beften? 

,3tt"  unt)  ,4ung",  t)aß  fint>  ^remt)n)örter  für  t)ie 
^oefte.  Q35et)er  t>a^  ^Iter  nod)  bie  Sugent)  ftnt)  im 
minbeften  ein  93ert)ienft,  nod)  ein  Q3orgug,  ja  n\d}t  ein- 
mal eine  Sigenfc^aft,  fonbern  einfad)  ein  Suftant).  9}Zan 
ift  jung  ober  alt  fo  tt)ie  man  gefunt)  ober  fran!  ift  unb 
fo  mie  man  einft  tot  fein  n)irb.  91id)t  ber  biefeö  unb 
jener  tia^,  fonbern  jeber  biefeß  unb  t>a^,  Qißae  in  aller 
QBelt  t)at  bie  S^unft  bamit  ju  fd)affcn?  ©enau  fo  mel, 
als  ob  bu  3at)nfd)mer5en  tjaft  ober  feine.  Äer  mit 
euren  9ffier!en !  llnb  gnjar,  bitte,  jeber  mit  ben  feinigen 
befonbersi  S\?eine  6tangenfd)en  9\eifegefellfd)aften  burc^ 
ben  ©eift  ber  Seit!  9tämlid)  e^  ftef)t  ein  ^ourniquet 
t)or  bem  6d)alter,  unb  Ermäßigungen  für  6d)ulen  unb 
93ereine  gen)äl)rt  ber  9\ul)m  nic^t. 

9ffia^  finb  bas  überl)aupt  für  fleine  6et)min!el,  bie 
nid)t  einmal  über  ba^  eigene  fur^e  ßeben  ben  ^ticf  in 
bie  näd)fte  Smigf eit  fpannen !  Q3}enn  bu  nac^  beinem 
^obe  ein  bleibenbeg  Qßerf  tt)irft  l)intcrlaffen  ^aben, 
bann  tt>irft  bu  anfangen  jung  ju  tücrben,  n)0  nid)t,  fo 
n>arft  bu  alt  geboren,  alt  n)ie  ein  £eberapfel,  tro^  all 
beinem  0uliel)  unb  ©emaufer.  Ober  mirb  t>ielleid)t 
gerabe  barum  fo  unöecfc^ämt  gebalgt,  n)ei(  man  fpürt, 
morgen  mirb  Äalali  geblafen  ? 

öpitfelcr,  £ocf)ent)e  ^a^r^eifen  3 


34  „"^Ut"  unt)  „jung" 


^u  bift  i)mtc  grün  ober  ivenigffcn^  grünlid).  3ci) 
gratuliere  oon  Äcr^en.  hinein  nid)t grün,  fonbern  immer- 
grün ift  bie  {yarbe  be^  9?ii()me^.  3t)r  feib  I;eute  un- 
ftrcitig  t)ic  'Slüte  ber  9tation,  obf^on  ic^  mir  lieber 
anberc  93lumen  inö  5?nopflod)  ftede.  ^^lllein  fet)t  euc^ 
t)or,  eö  gibt  aud)  ^lumfol;l. 

©ewiB :  für  bie  3uct)tmal)l,  für  (S^e,  Ciebe  unb  2icb» 
fd)aft,  ba  ift  3ugenb  ein  Q3or3ug.  ^atl^  alfo  einer  ber 
Senatoren  ber  ^ocfte  auf  ben  unglücflid)en  (Einfall  ge-- 
rietc,  Sud)  eine  i^ellncrin  oom  Spatenbräu  abfpenftig 
mad)en  3U  tt>olIen,  bann  it?ürbet  \i)v  glänjenb  über  baei 
'Qllter  ftegen.  Sn^mer^in,  fo  über  bie  9}^a^en  genial 
braud)t  man  fid)  beßmegen  nid)t  §u  gebärben.  ©enn  ob 
e^  aud)  ein  QSorgug  ift,  fo  ift  e«  bod)  gottlob  fein  feltener. 
9DZan  teilt  it)n  mit  93^illionen  t)0u  ??citmenfd)en,  ja  mit 
tt'cilliarbent»onanberenminber5n)eibeinigen©efd)öpfen, 
bie  barum  nid)t  ben  '^^Infprud)  erl)eben,  ©enie  ^u  fein. 

Sd}lie^lid)  ein  ©el)eimni^  im  QSertrauen.  93^it  ber 
3ugenb,  n^iffen  Sie,  gel)t  es  n>ie  mit  bem  ^ferbefpiel ; 
fie  rennt  l)erum.  5\;aum  t)at  einer  angefangen,  ber  jüngfte 
ju  fein,  fo  reitet  i^m  fd)on  ein  nod)  jüngerer  auf  ben 
Werfen.  Hnb  n)äl)renb  er  eben  gerabe  im  beften  3ug  ift, 
feinen  ^orbermann  „n^adliger  ©rei^"  p  fd)mäf)en, 
tid)crt  ee  bereite  l)inter  ipm  „alter  ©ecf".  Äören  Sie 
es  nid)t  ^  So  fd)auen  Sic  bod)  nur  in  ben  Spiegel. 
^Ti.an  ficl)t  ja  n)abrf)aftig  fd)on  brei  anmutige  '^■äit' 
lein  linfs  unb  red)tß  neben  ben  'klugen!  5)a0  finb 
junge  l)offnungöoolle  9\ün5eld)en,  mein  Hefter.  Unb 
mcnn  biefe  9^ün5eld)en  iverben  Oxunjeln  gemorben  fein, 
bann  mivb  eine  frcd)c  ^^anbe  mannbarer  ^uben  Sie 
oerl)öl)nen,  fo  unc  jci)t  Sic  bie  "Qllten  üerl)öbnen.  "«^Imen, 
baei  gofd)el}e! 


QSon  bev  fintrüftung^titeratur  unb 
it)rer  '3)tact)e 

(5lnläBli^  Äcnnanä  „Sibirien") 

3n  t)er  t^amilie  t)cr  9Cßoi)ltättgfeitöUtevatur  gibt  e^ 
eine  untergeordnete,  aber  überaus  effeftöoüe,  populäre 
unb  bantbare  ^pegiee,  tt)eld)e  namentUd)  öon  t)en  ebenfo 
praftifd)en  me  auf  t)en  morali[d)en  Sd)ein  bet>ad)ten 
-^ngelfad)fen  biesfeitö  unb  jenfeitß  beö  Ogeans  unt) 
ii)rem  !ontinentalen^ugent)fd)rt)eife  eifrig  gepflegt  mxh  : 
bie  (^ntrüftungsliteratur.  Sie  t)ert)ält  fid)  §u  ben  großen 
l)umanen,  auf  bauernbe  Q3erbefferung  be^  £ofe^  unglücf= 
lid)er  ^Ocenfd)enflafi■en  ^injielenben  6d)riftn)erfen  n)ie 
baß  9\ül)rftücf  ober  ber  Senfationsroman  jum  flaffi- 
fc^en  @ebicf)t.  OI)ne  ba^  nottocnbigertueife  bie  enttt)icf  elte 
Humanität  unrein  5U  fein  braucl)t,  arbeitet  bod)  bie  ßnt-- 
rüftungsliteratur  über  ben  angeblid)en  l)umanen  3tt)ecf 
weit  l)inauö  auf  ben  Cärmeff  eft,  in  einer  9\eif)e  t>on  9?eben 
unb  9}keting5  5roft  felbft  bann  gett)innenb,  wenn  bie 
benunjierten  Übelftänbetatfäd)lirf)  fo  jiemlid)  beim  alten 
geblieben  finb,  fo  ^af^  eß  oft  banad)  außfiel)t,  al^  tt)ären 
bemmobernen^^lngelfacl)fen  ßntrüftungßmeetingß  über= 
baupt  ^ebürfniö  unb  biß  gu  einem  ©rabe  Selbft3tt?e(f. 

Sold)  eine  (^ntrüftung  fommt  tt)ie  eine  QBinbßbraut 
unb  oerraufd)t  roie  eine  9}^obe,  unabt)ängig  öon  bem 
praftifd)en  €rgebniß.  3n  ber  QSal)l  ber  93Zittet,  um  ben 
Denunzianten  üor  ber  ()ffentlid)en  xDceinung  fd)ttjar§  5U 
färben,  ift  bie  (Sntrüftungöliteratur  nid)t  eben  peintid). 
Übertreibungen  gel)i5ren  nod)  ^u  ben  gelinbeften  5?unft-- 
griffen;  ber  l>flic^t,  bie  Dinge  oon  allen  Seiten  ju  be» 
trad)ten,  überl)aupt  ber  @ered)tig!eitßpflic^t  l)ält  man 
fiel)  in  biefem  t^^alle  für  überl)oben;  man  ^ulbigt  allen 

3* 


3(1   l}on  ^c^  Cfntriiüunci^litcratur  unt»  il;rcr  ??iad)c 

Grnfte0  ttcm  ©runbfat),  ben  \d)  prioatim  oft  \)abe  au5= 
fpred)cn  i)örcn,  cö  fönne  gar  nid)tß  fd)at)cn,  ^venn  man, 
um  t>en  3^vec!  ,^u  erreid)en,  benSuftant)  fd^tuärjer  mate 
alö  er  in  t>cr  ^at  fei;  gut  tt)äre  er  jcbenfaUö  nic^t.  s^Ufo 
nid)t  ^lufflärung,  fonbern  grelle  ^'ac^elbeleuc^tung  mit 
müglid)ft  bunflen  Sd)Iagfd)atten  jeigen  fold)e  ©cmälbe. 
<?iefelbe  „QBa{)rf)eit"  ju  nennen,  ift  jebod)  angenommene 
9\egcl. 

(i;{)arafteriftifd>  für  t)ie  Sntrüftungsliteratur  ift  ibre 
QBiüfürlic^feit,  £aunent)aftig!eit  unb  Sufäüigfeit  in 
Äinftd)t  auf  ben  ©egenftanb  ber  Sntrüftung.  93Zan  get)t 
nid)t  <2txr>a  barauf  au^,  bas  menfd)lid)e  Hnglürf  plan- 
mäßig äu  erforfd)en  unb  bie  9^ac^forfd}ungen  über  fämt- 
lic^e  Cänber  ber  (^rbe  gleid)mä§ig  au05ubef)nen,  bamit 
t>a^  HnerträgUd)fte  gebeffert  tt>erbe,  9^eiu :  bie  t)immel- 
fd)reienbften  Q3ert)ältniffe  fönnen  jat)r5ef)ntelang  un- 
geftört  fortbefte^en ;  plij^lid)  günbet  jebod)  irgenbein 
9lngelfad)fe,  bem  es  gerabe  beliebt,  in  irgenbeinem 
QBinfel,  ber  t>ielleid)t  feine^megö  ber  fc^timmfte  ift,  unb 
nun  foll  bie  gan^e  Q^ßelt  gerabe  barüber  unb  einjig  bar-- 
über  auf  fein  S^ommanbo  in  '^lufregung  geraten.  £« 
l)anbclt  fid),  tt)ic  mir  fd)eint,  f)auptfäd)lid)  barum,  t>a% 
öon  Seit  5U  Seit  etmag;  an  ber  großen  ©locfe  t)ange, 
tuogegen  ic^  nid)tö  einjuttjenben  ^abe,  n)cun  nur  ber 
©cl)ängte  ber  rid)tige  ift,  n)cnn  bie  ©locfe  ben  reinen 
'5:on  unb  ber  ^enbetfd)tt)inger  jebeßmat  ben  einem  Übel- 
ftanbe  angemeffcnen  6d)tt)ung  betDal)rt.  Oft  l)ängt  in- 
beffcn  eine  9}^ü(fe  am  Schwengel,  tt)äl)renb  unten  ein 
paar  Siefanten  bel)aglid)  grafen.  ??iand)mal  tönt  auc^ 
bie  ©locfe  bebenflid)  tüie  eine  gro§e  Trommel  unb  ber 
©locfcn,:iief)cr  fiet)t  mitunter  einem  9)^arftfd)reier  oer* 
n>ünfc^t  äl)nlid). 


^^on  ^cr  (Jntrüftungöliteratur  unt>  \i)xev  93tac^e    37 

3n  t)tefer  93?infürti(l)feit  unb  3ufäüig!eit  laffen  fid) 
glcid)Wot)l  gewiffe  Icitcnbc  ©runt)ge[et)e  erfennen :  f)ci- 
mifd)e,  alfo  englifd>e  ober  amcnfanifd)e  Suftänbc  eignen 
ficf)  md)t  für  eine  (Sntrüffung ;  wev  fid)  f)ier  im  Stoff 
»ergreift  bem  mvt)  auf  bie  S^inger  geflopft  dagegen 
bietet  ber  Orient  immer  eine  unerfrf)öpflid)e  'Jüüe  üon 
banfbaren  ??iotioen.  'ferner:  gegenüber  fleinen  ober 
finan,5ieU  ober  militärifd)  fd)n)ad)en  l?änbern  gebeult  ein 
Cfntrüftungöfelbjug  ungteid)  beffer  aU  gegenüber  einem 
©ro^ft^ate.  Über  Suftänbe  politifd)  befreunbeter  ©ro^- 
ftaaten  entrüftet  man  fid)  nid)t.  ßntrüftungßfampagnen 
^aben  ftetß  einen  politifd)en  Äintergrunb,  fo  biejenigen 
beß  tür!enfeinblid)en  ©(abftone  über  Bulgarien,  fo  auc^ 
je^t  n)ieber  biejenige  beö  rabi!albemo!ratifd)en  S^ennan 
über  Sibirien.  Cfine  mit  politifd)en  Äintergebanten  ge= 
fpidte  Äumanität  aber  ift  ttjeber  eine  reine  nod)  eine 
ganje  Humanität  Sie  t)ört  nur  mit  bem  Unfen  0{)r, 
auf  bem  red)ten  ift  fie  ftocftaub.  '^lit  bem  tinfen  9f)r 
aber  f}övt  fie,  ma^  it)r  in  ben  politifd)en  ^ram  pa^t, 
fd)on  jum  öoraus. 

9'Jod)  ein  anbere^  9}Zer!maI,  tt)eld)eö,  n>ie  ic^  f)offc, 
benjenigen,  ber  um  be^  fogenannten  eblcn  3tt)ec!eß  n)illen 
alle  entftellenben  '5ei)tcr  ber  Sntrüftungöliteratur  ent-- 
fd)ulbigen  möd)te,  ju  einigem  9^ad)ben!en  oeranlaffen 
mirb:  ber  ßntrüftung6mad)er  felber  teilt  feiten  bie  opti= 
miftifd)en  unb  ^txvaß  naioen  Hoffnungen  feinet  ^ubli- 
!umö  l)infid)tlid)  ber  Qßirffamfeit  feiner  €ntl)üUungen^ 
alfo  be0  ^rucfe^,  ben  eine  aufgeregte  öffentlid)e  93cei= 
nung  auf  bie  Suftänbe  eineö  fremben  Canbeö  ausüben 
fi5nne  unb  tt)erbe.  O'cebmen  mv  Äerrn  ^ennan.  (fin 
Sd)riftfteller,  ber  felbft  bem  Cef  er  melbet,  ber  ©runb 
alle^  Übet^  in  ben  fibirifd)en  ©efängniffen  fei  ber,  t>a% 


38    ^on  ber  ^ntrüftunc^sliteratur  unt)  \\)vex  ^Otad)e 

bic  ©elbcv,  iüeld)c  bie  9^egierung  jur  SrffeUung  neuer 
(j^efcingnifTc  fd)ic!e,  t»on  bem  ^eamtcnt)eer  cjcftoblen 
tDcrbcn,  ber  ferner  baö  gan3eruffifd)e9\egierung9f9ftem, 
bas  bei^t  ben  '^Ibfolutiömuß,  anflogt,  t>er  enblid)  in 
nacften  Q^Oorten  al^  einziges  tuirffame^  S^orreftit?  eine 
freie  parlamentarifd)e  ^^erfaffung  in  9\u§Ianb  i)infteUt 
fann  bod)  unmöglid)  t)offen,  mit  einem  ^ud),  ein  paar 
Sutrüftungßmeeting^  unb  einem  ibaufen  Seitung^arti- 
feln  ctroaö  ^raftifd)e0  ju  tt>irfen.  Ober  meint  t>ieneid)t 
Äerr  5?ennan,  t>a  bie  ^ad)^  fo  preffiert,  biö  jur  ruffi-- 
fd)en  Q3erfaffung  ben  3aren  prooiforifd)  burc^  eine 
anglo-amerifanifc^e  Äumanitätß--"Cl!tienfompagnie  ju 
birigieren?  Ober  etwa  burc^  eine  5t!onfularpfufd)erei, 
tt)ic  ein  gebulbige^  ^al!anftätd)en?  Qllfo,  beutlid),  crnft» 
i)aft  unb  fd)arf  gefragt:  {)egt  Sberr  Sxennan  bie  leifefte 
Äoffnung,  t)a^  9\u^tanb  in  allernäd)fter  Seit  eine  freie 
parlamentarifd)e  9\egierung  erl)alte? 

0ie  ^^lntn?ort  tautet:  nein.  ®ann  ift  aber  aud)  5len= 
nan^  ^ud)  fein  ernftgcmeinter  93erfud),  bie  2age  ber 
ruffifd)en  ©efangenen  tatfäd)Ud)  ju  oerbeffern,  unb  mit 
bem  Q[ßot)ltätig!eit0d)ara!ter  be^  Q^C^erfe^  unb  beö  93er' 
faffer^  ift  es  öorbei. 

„€^  ift  bod)  immerhin  fef)r  fd)ön,  tt>enn  e^  aud)  gänj* 
Uc^  unpraftifct)  fein  mag",  tt)irb  t?ieUeid)t  ein  i^efer  auf- 
rufen. 3rf)  anttüorte:  e^  ift  leiber  fef)r  praftifd)  unb 
gar  nid)t  fd)bn.  (Jtwas  fet)r  6d)öne6,  ba^  gänjUc^  un-- 
praftifd)  ift,  beftrebt  fid)  nid)t  mit  biefer  Äaft,  „bic 
öffcntlid)e  tDceinung  ber  ganjen  gebitbeten  QBelt  auf- 
jurüttcln"  unb  mögUd)ft  „fd)neU"  ben  erftcn  ^^anb  „ver- 
möge eines  geringen  "Preifeß  bem  großen  ^ublifum 
jugänglid)  ju  mad)en",  njcnn  jum  t)orau^  feftftebt,  t>ci% 
bic  ^lufrüttelung   umfonft  ift.    (iixva^   febr  3d)öne^, 


9\et)olocrf)umanität  39 

gänjtid)  £lnpra!ti[d)c^  jagt  aud)  nid)t,  nac^t)cm  bie  crftc 
^ntrüftung  t)en  Äerrn  Q3erleger  genötigt  ^at,  „in  Seit 
öon  öier  9)Zonaten  t)ier  91uflagen  brucfcn  ju  laffen", 
eine  „neue  t^^olge"  t>on  (Jntrüftung  nad),  at^  ^anble  e^ 
fid)  um  ein  jn^eiteö  Äeft  ungarifd)er  ^änge,  ©iefe  Sbaft 
I)at  üielmct)r  eine  t>ent)ünfcf)te  "^i{)nlid)(eit  mit  t)em  äu^erft 
praftifd)en  Sifer,  ben  eine  ^anbfabri!  enttt)icfett,  njenn 
ein  ^Irtifel  einen  QS^inter  lang  in  Der  9}^ot)e  ift 

3ebem  0ing  bient  feine  ^ntftef)ungöurfad)e  als  bie 
befte  ßrflärung.  3d)  tt)ill  bem  Cefer  einfach  melben,  in 
treffen  ^ienft  unb  "iHuftrag  Äerr  .^ennan  feine  3«= 
ftruftionßveife  nad)  Sibirien  angetreten  f)at :  er  ift  öon 
einem  amerifanifd)en  3eitung5t)erleger  al^  Q^eporter 
auf  3eitung^!oftcn  nac^  Sibirien  fpebiert  tDorben.  3d> 
tt)ei^  nid)t,  ob  t>a^  febr  f^ön  ift,  praftifd^  ift  eö  of)nc 
3tt)eifeL  ® eniale  Srfinbung^gabe  !ann  man  ber  amerifa- 
nifd)en  treffe  nid)t  abfpred)en.  9^ad)bem  fie  unö  einen 
(^ntbecEer  gefd)enft,  befd)ert  fie  un^  je^t  einen  €nti)üHer. 
Um  aber  ber  ©efat)r  oorgubeugen,  ha^  tt)ir  näd)ften^ 
einen  ioeilanb  auf  Seitungöfoften  über  ben  Ojean  fpc- 
biert  erf)alten,  tt>iU  id^  mic^  bie  ^ü^e  md)t  öerbrie^en 
iaffen,  auöfüf)rli(^  nad)3un)eifen,  t>a%  bie  p^üant^ro- 
pifd)e  9?eportcrfttmme  beß  Äerrn  ^ennan  im  ©runbe 
nid)t^  anbere^  fingt,  alß  ben  trauten,  allbefannten,  ett>ig 
üon  neuem  ba^  Äerj  erfrifd)enben  ^an!ee=®oobte. 


9^ex)oIt)er^umanität 

^ie  ^elt  fennt  bereite  eine  O^eöoberpreffe,  fie  foü, 
tpie  es  fd)eint,  je^t  nod)  eine  9^eöobert)umanität  er- 
halten. 


40  ?\cooliHniniinanität 

'5)a  unrt»  nun  [cbon  feit  langen  ^^^lonaten  ein  unbe- 
fd)oltener,  ebrenbafter  llniüerfitätsprofeffor  metbobifcb 
gebetet,  rubelet  unt)  fcbonungeloö,  au«  t)em  einzigen 
@runt)e,  tt>eil  er  ftd)  erfübnte,  übci*  ein  afiatifdje«  ^^olf 
eine  mißliebige  ??ceinung  ^u  äußern. 

^aö  fann  ja  nett  tverben.  ^in  niittJtätiger  ^errorig» 
mu6?  "Pbi^^"^^ropi[d)c  Seloten,  eine  Sammelbüc6[e  in 
ber  l^infen,  einen  9?caul!orb  in  t>er  9\ed)ten  ?  ßin  „9xing" 
bee  t)ereinigten  ^^Ubion,  3ion  unb  3amarien,  a'>etd)cr 
jeben,  t»er  fid)  in  ^C^obltätigfeitöangelegenbeiten  ein  un= 
abbängigeß  ^Irteil  erlaubt,  al^  ^oabiter  benun^iert? 
(!fine  anglo-armenifd)e  Senfur  über  unferc  llniüerfi- 
täten  ? 

(ie  bleibe  babingefteUt,  ob  bie  auffaUenbc  ^eüor» 
3ugung  flein-afiatifd^en  (^tenbeö  üor  jebem  anbcren 
menfd)lid)en  Glenbc  billig,  t>a^  i)d%t  üerbältniismäßig 
fei  unb  ob  fxe  tt)ir!lid}  nur  beßtt>egen  ftattfinbet,  tt>eil 
oergoffeneö  Q3lut  gen  5bimmel  fd)reit  ober  nid)t  öiet- 
leid)t  eber,  \x>exl  »erlebte  ^oliti!  t>on  Gonbon  fd)reit. 
3onbcrn  fo  lautet  bie  'Jrage,  ob  tuir  eine  9}^enfrf)entiebc 
mit  bem  <5)old^e  t)ahzn  tvoUen,  roie  ©bringe  Seife  mit 
ber  Cfule.  Ob  niemanb  mebr  follte  mucffen  bürfen,  fo- 
balb  es  bem  erften  beften  t<}^eetingt)eiligen  beliebt,  eine 
^ürfenbetje  auejupofaunen. 

9}^ilbtätiger  ^errorißmuö.  QÖSirflic^,  tt)ir  finb  gar  md)t 
fo  weit  mebr  baüon  entfernt.  Qä^aß  ift  bcnn  C$:erroriö» 
mu5?  'Säe  Sc^toeigen  aller,  tüenn  einer  geopfert  Joirb. 
97iebr  braucht  e^  nid)t.  ^e!  ift  nid)t  bie  geringfte  tat- 
fäd)lid)c  ?Dcad)t  üonnöten,  um  einen  ^errori^muö  ju 
begrünben;  ee;  genügt,  i>a%  jebermann  fid)  bucfe. 

Hnb  mir  fd)eint,  toir  bitten  un^  fd)on  ju  lange  ge- 
bucft.   ^in  5bod)fd)uUebrer,  megen  '>2lrmcnierläfterung 


'?\eoolt)ert)umamtät  41 

in  t)cn  ©runb  unt)  ^oben  t)erf)e^t,  t)ert)äd)tigt,  üer» 
meud)elt!  3d)  rou^te  biöf)er  üon  ©ottesläfterung,  f)in- 
gegen '^Irmenierläftcrung,  biefe^  93erbred)en  ift  mir  neu. 
QSJenn  baö  fo  fortgef)t,  tt>irb  eö  balb  ungefäf)rlid)er 
fein,  in  9\u^tanb  ein  freiet  QSort  über  ben  3<iren,  al^ 
bei  unö  ein  freies  Qßort  über  5?teinaficn  öertauten  ju 
laffen. 

0a  tt>irb  nun  nid)t  anbcr^  gu  f)clfen  fein,  atö  haf^  bic 
Unbeteiligten  bem  ifolierten  Opfer  pf)ilantf)ropifd)en 
9^ärf)ftent)affe^  an  bie  Seite  fpringen,  biö  bie  beteiligten 
fid)  be^  gemeinfamen  Sntereffeö  an  ber  ^reil)eit  ber 
?Dceinung^äu^erung  erinnern. 

QSer  aber  ha^  allerbringenbfte  Sntereffe  baran  Ijat, 
tia^  bie  fd)mäl)licl)e  '33erner  '^rofefforenf)e^e  ein  ßnbe 
nel)me,  ba^  finb  juft  bie  "iHrmenier  unb  i^re  ^efd)üt5er, 
t5^ürfpred)er  unb  ^reunbe.  ©enn  ttjenn  etn>a^  imftanbe 
ift,  einem  bie  fogenannte  „^rmenierbewegung"  (b.  t).  ben 
Canbfturm  ber  frommen  gegen  bie  anberögläubige 
5:ürfei)  grünblid)  §u  verleiben,  fo  ift  e^  fold)  eine  €in- 
fd)üc^terungöfanonabe.  9iicf)t2  fül)ltbie'5:eilnat)me  jäl)er 
ab,  al^  n)enn  über  ber  bittenben  Äanb  eine  93ombe  au^ 
bem  ^lirmet  jum  Q3orfcf)ein  tommt,  fei  fie  nun  mit  ^ulöer 
ober  mit  ©ift  ober  mit  93erbäd)tigungen  gelaben.  Unb 
nun  üollenb^  fo  eine  w)ol)lorganifierte  internationale 
ßajaruö-^rtillerie !  Streitbare  9?^ärtt)rer ! 

„9D^itd)riften",  fd)ön.  ^ber  Dyna-93^itd)riften?  0iefc 
^axU  t>on  trübem  im  Äerrn  fcf)mec!t  meinem  tt)eft- 
europäifd)en  ©aumen  ein  bi^d)en  gu  gepfeffert,  ju  nitro-- 
glt)§erinfauer. 

9^ein,  moralifc^e  9}^e^eleien  in  ber  Sc^tt)eij,  al^  "2ln- 
l)ang  ju  ben  9)Ze^eleien  in  Armenien,  im  9^amen  ber 
9}^enfc^lid)!eit  öcrübt,  taß  ift  ja  bie  reinfte  '2ßol)ltätig» 


42  0\eoolDcvt;umanifät 

fcitötürfci.  -?cod}  ein  paar  93^onatc  fold)er  5\ro!ot)U0' 
incn[d)lid)fcit  unb  ivir  n>cvt)cn  in  t)cn  ^yaU  fommen, 
milt)tätiqc  Sammlungen  für  t)ie  graufam  t)a{)ingefc^lac^- 
tefcn  Opfer  t)er  9cäd)ftentiebe  eröffnen  ju  muffen. 


Literatur 


®a^  t>ert)otene  gpo^ 


a§  unfcrcr  Seit  ba0  (5poö  t»crn>et)rt 
iDäre,  biefer  3at)  get)ört  §u  t)en  foft« 
barften  Sbelffeinen  im  '^f)rafen!äftlein 
jet)e^  ©ebilt)eten.  Sllopft  man  bann 
fd)üd)tern  an  bie  Pforten  t)er  ©et)irne, 
bittet  man  um  gnädige  ^^cgrünbung,  fo  erf)ält  man  ein 
t>ert»roffeneö  93tunfetn  t)on  ^rimitiojeitattern  t»er  Q3öl- 
fer,  3u9ent)  bec  93^en[d)t)eit,  ^laiüität  ber  ^^eltanfc^au• 
ung  als  ber  alleinigen  5uträglid)en  ^ltmofpf)äre  für  t>a^ 
(Jpo^.  Übrigens  X)erftel)e  fid)  tie  Qad^e  gett)ifferma^en 
Don  fclber,  mie  ja  fd)on  J)ie  oöltige  *21bmefenf)eit  biefer 
5\!imftform  in  ber  9^cu5eit  ben)eifc,  tjerbunben  mit  bcr 
gtänjenben  ßntn)icftung  bes  9\oman^,  ber  eben  für  t>a^ 
neunje^nte  3cit)r()unbert  X>a^  n)at)re  i6:)U  ßpo^  märe. 
3tem,  es  ift  eine  emige  ©runbmai)r{)eit. 

^2Ufo,  meil  t>a^  Äomerifc^e  Seitalter  bie  genannten 
Q3orbebingungen  erfüllte,  barum  ?  locil  fie  un^  fehlen, 
barum  nid)t? 

©ut.  <5)er  ©ebanfe  tä^t  ftc^  t)i5ren.  '^Iber  ju  prüfen, 
nid)t  mal)r?  ob  benn  aud)  bie  ^atfadbe,  mit  metd)er 
man  um  fid)  fd)(ügt,  zutreffe,  ob  mirflid)  t>a§  Äomerifd)e 
Seitaltcr  jene  Q3orbebingungen  erfüllte,  i>a^  fällt  nie- 
manb  ein.  'S'aö  ift  üermutlid)  ebenfalls  eine  ett)ige 
@runbmat)rl)eit.  Ober  mo^u  l)at  man  benn  fonft  Sd)lag- 
mörter,  als  t)a%  fie  einem  bas  '5)enfen,  t>aii  Q^Biffcn,  t)a^ 
i^ernen  unb  ät)nlid)e  ilnbilben  erfparen?  Unb  menn 
einer  über  ein  Seitalter  nid)t  einmal  t)a^  ^rimitiofte 
tt)ci^,  fo  mu§  CS  bod}  ein  "Primitiojeitalter  fein. 

3d)  l)abe  \)kv  nid)t  ©efd)id}te  ^u  bojieren.   ^lUein 


©aö  »erbetene  ßt)OS  45 

tüenn  t)ie  fecfe  '2lrt,  tvk  Äomer  mit  feinen  ©Ottern  um-- 
fpringt,  eine  naioe  Q[CNeltanfd)auung  befunbet,  tt)enn  bie 
über  unb  über  blafierte,  oerfaulte  Kultur  be^  jomfd)en 
Äleinafienß  einen  5linbf)eit05uftanb  oorftellen  foü,  tt)enn 
bie  unauft)örlid)en  5\lagen  über  bie  ©egenn)art,  biett)ei)-- 
mütige  6et)nfud)t  nac^  ber  Q3ergangent)eit,  bie  Q3er- 
jnjeiflung  an  ber  3u!unft  3ugenb  ber  9?^enfd)t)eit  be- 
beuten,  bann  beanfprudje  id)  t>a^  9\ed)t,  t^a^  neun5et)nte 
3a{)rf)unbert  einen  ^inb^eit^juftanb  unb  bie  ^arrifonö 
naio  5U  nennen. 

©as  ift  bas  linf e  ^ein,  auftt)eld)embieett)ige@runb-- 
n)at)rf)eit  t)in!t.  9iun  bas  red)te  Q3ein: 

„Urjuftanb,  ^inb^eitSäuftanb,  Sugenb  ber  9}^enfc^- 
t)eit",  „9^ait>ität  ber  ^^eltanfd)auung'',  „<33lüte,  9^eife, 
*i2ltter  ber  93ölfer".  QBer  »ermißt  fic^  hiermit  gu  bispu» 
tieren  njie  mit  bekannten  ©rö^en  ?  ^enn  id)  nun  be= 
^auptete,  t)a%  bie  9?cenfc^f)eit  niemals  jung  unb  fein 
Seitalter  jemals  naio  tt)ar?  Unb  ic^  bel)aupte  t>a^  in 
ber  '^at  ©ibt  e^  benn  eine  ^Biologie  berQ3öl!er'^  <2ßei^ 
etroa  jemanb,  tt)ann  ein  Q3olf  jung  unb  n?ann  alt  ift  ? 
©etraut  fid)  einer  ju  entfd)eiben,  ob  §.  ^.  bie  gegen» 
toärtigen  ^eutfd)en  ober  9^uffen  ein  alteö  93olf  ober 
ein  junget  fmb  ?  ob  fte  am  anfange  ober  in  ber  ^Zitte 
ober  oor  bem  ßnbe  fte^en?  ober  too  fonft? 

?3^e^r  noc^ !  Ober  oielmel)r  nod)  tt)eniger ! 

QCßir  toiffen  ja  gar  ni^t  einmal  toa^  t>a^  ift,  ein 
„Q5ol!" ;  ob  ta^  mit  9}Zutterfprac^e  unb  ^rabition  ober 
mit  Staatßoerfaffung,  ^olitit,  ©renken  unb  Q3aterlanb 
ober  mit  6itten,  ©ebräuc^en,  *5eften  unb  9?eligion  über-- 
ein^  läuft,  ©efc^toeige,  t)a%  xvxx  aud)  nur  ein  einjigeö 
Cebensgefe^  ber  93ölfer  fennten,  oorau^gefe^t,  'oa%  eine 
abftrafte  ^oUeftioperfon  „93olf'  überhaupt  ßebcnöge- 


46  ^a§  verbotene  ^po^ 

i'ctK  habe,  ^avum  ift  alle  Q:CNei0t)eit  üon  naioen  QSelt-- 
anfc^auungcn,  oon  ^inbf^ett  unt)  3ugent)  ber  ??tcnfd)' 
^cit,  oon  jungen  unt)  dtcn  QSöIfern  "iHberttJi^. 

Übrigens  gef)t  es  mit  biefer  ewigen  ©runt)tt)at)rt)eit 
luie  mit  ben  anbern  ett)igen  ©runbtt)at)r^eiten.  9iimmt 
man  ficf)  bic  9[Rüt)e,  fte  ettt)a^  genauer  ju  unterfuc^en, 
fo  entbcrft  man  unfet)Ibar  red)t^  unten  in  ber  Sc!e  mit 
fleinen  ^ud)ftaben  einen  (Eigennamen,  ein  „fecit"  ta^ 
neben  unb  eine  3ai)re0sat)I  bai)inter.  ©ie  einige  ©runb» 
n)at)rt)eit,  ba^  ba^  (Spoe  nur  jugcnblid)en  Q3ötfern  eigne, 
biefe  eroige  ©runbn)ai)rt)eit  i)at  im  Tübinger  6tift  ftu- 
biert  unb  fprid)t  fd)n?äbifd)en  ©ialeft.  Q3or  Q3ifc^er 
mu^te  !ein  9^enfc^  ein  6terbenstt)örtd)en  oon  it)r.  9cocf) 
im  ac^t^e^nten  n)ie  in  fämtlid)en  frül;eren  3a{)rt)unber- 
ten  galt  t)aii  Spoß  für  ha^  näd)fte  unb  t)öd)fte  Siel  jebe^ 
0ic^terß.  ßeffing  (teilte  es  obenan,  ©oet^e  t)erfud)te, 
3d)iUer  erfet)nte  e^.  Unb  bie  berühmte  Sonne  Äomer^, 
tt)o  ift  benn  bie  geblieben?  0ie  t)at  t> er mutlic^  Gönnen- 
finfterni^  ? 

3c^  n)ei§  fo  gut  tüie  ein  anbcrer,  toaö  93ifc^er  wert 
ift.  ^^llein,  t)a%  nun  bem  macfern  Sd)maben-3efai^  §u-- 
liebe  l)infort  alle  <3ö3elt  ben  oerfau^ten  Einfall,  ben  9\o- 
man  für  t>a§  €po^  ju  taufen,  burc^  3uc^ttt)al)l  weiter 
fortpflanzen  foüte,  t>a^  märe  boc^  wa^rlid)  ein  Sd)tt)a-- 
benftreic^  bcr  9}^enfd)t)eit. 

Quarten  follten  mir  mit  bem  ßpos,  biß  mieber  einmal 
^rimitiü^uftänbe,  naiöe  Q[Beltanfd)auungen  unb  Q3i5lfer' 
jugenb  ]\d)  gnäbig  l)erbeibequemten  ?  '5)a  fijnnten  mir 
big  an  ber  ^agc  "^Ibenb  Warten,  ©enn  berglcid)en  wirb 
niemals!  wiebcrfommcn,  weil  e^  niemals  bagewefcn  ift. 


S^IeiB  unb  Eingebung 

^ie  llncntbe^rltd)(eit  energifd)er  9lrbeit  nad)  ber  ^itt' 
gebung  braud)t  nic^t  mebr  betviefen  5U  tüerben,  ba  nur 
5linber  unb  Äinbeefinber  ^eufgutage  nod)  glauben, 
Äunfttt)er!e  fämen  einem  fertig  in  bie  ^eber  geflogen. 
3d)  möchte  jebod)  l)ier  barauf  aufmerffam  machen,  'Oa% 
ber  tylei^  auc^  al^  93orarbeiter  unb  'Sat)nbred)er  ber 
3nfpiration  eine  tt)i(i)tige  Quölle  fpielt,  t)a%  ber  alte  9\at, 
tie^  Stimmung  ober  bie  (Eingebung  abjutuarten,  beffer 
burc^  ben  entgegengefe^ten,  bie  Stimmung  unb  Singe* 
bung  5U  ertro^en  ober  an^ulocfen,  üerbrängt  merbe. 

3cl)  mu^  freilief)  fofort  gen)ic^tige  93orbel)atte  jur 
Q3erl)ütung  öon  9}^i^beutungen  augfpred)en.  Äerüor-- 
ragenbeß  ©ic^tertalent  bilbet  natürlich  bie  unerlä^Iid)e 
Q3orau2fe^ung,  benn  wo  fold)e^  fel)lt,  vod%  id)  über-- 
t)aupt  bto^  eine  einzige  jtüecfmä^ige  Sd)affensreget: 
auf5ul)ören.  t5^erner  bejiel)t  ftd)  ber  QSert  beö  "tylei^eö 
at^  einer  Q3orarbcit  geiüi^  nid)t  auf  ben  (^ntn)urf  eine^ 
Qßerfes,  ha  gerabe  t)ier  bie  Eingebung  unb  ber  ©rab 
if)re^  ^erte^  alles  entfd)eiben,  fo  ha^  nid)t  einmal  bie 
ben)unberung^tt)ürbigfte  5tunft  be§üglid)e  tOcängel  ober 
£ücfen  ju  erfe^en  üermag.  QSer  ot)ne  genügenben  ^l)an- 
tafiejn^ang  an  bie  ^2lrbeit  fcf)rcitet,  ift  mit  bem  betreffen» 
ben  ^^erf  rettungslos  t»erloren.  ®ie  Hreingebung 
ftammt,  tüic  jebermann  tüei^,  auS  Seelengegenben,  bie 
ben  Gräften  beö  Q3erftanbes,  beS  QBillenS  unb  beS 
©eifteS  tpeit  überlegen  ftnb,  unb  QSorarbciten  gibt  eS 
nur  mittelbare  unb  paffioe:  00m  ßeben  tü(i)tig  gefd)üttelt 
SU  tt)erben.  Sd)  gel)C  fogar  nod}  einen  (5d)ritt  tt>eiter, 
inbem  ic^  bie  erfte  Eingebung,  njie  gen)altig  fie  auc^  fei, 


48  ,vtci^  unt»  (rincicbung 

für  luv^uläiuilid;  halte,  mc  eg  benn  bic  3ucjcnt)  l)aupt- 
fäd>lid}  t»arin  t»crftc^t,  ba^  fic  unmittelbar  nad)  einem 
begeiftcrten  t'nttvurf  an  bie  "Qlrbeit  fc^reitet.  93ictmc^r 
fint»,  el)c  ein  ^lan  für  arbeitereif  fann  eva6)Ut  tt>ert»en, 
nocb  eine  cjanje  ??ccnge  ergänzender  Äonjeptionen  unter- 
geordneten 9\ange0  notiüenbig  unt)  jtpar,  grunt)fäl5lid) 
gefproc^en,  für  jebe  Gjene  eine  befonbere,  biß  eine  fcrt- 
laufenbe  5lctte  »on  Silbern  unabtt)cnbbar  t)or  ber 
'^l)antafte  beftel)en  bleibt;  bann  erft  ift  t>a^  QBer!  t»or 
ben  'Qlnfang  angelangt;  bann  aber  pflegt  es  aud)  ben 
Patienten  bcrart  ju  beunrul)igen,  t>a%  es  iljn  5ur  Ar- 
beit 5tt>ingt,  ob  er  möge  ober  nid)t.  QS>eil  nun  jene  llnter-- 
eingebungen  fxct)  ebenfotoenig  befet)len  laffcn,  tt)ie  bie 
oberfte  5^on§eption,  —  jeber  gewaltfame  93erfud)  fül)rt 
ju  einer  unl)eilt>ollen  tyälfd)ung  —  fiel)t  fid)  ber  0id)ter 
öfters,  ja  meiften^  ge§tt)ungen,  feine  tnertoollften  ^läne 
jal)r5el)ntelang  in  ben  unbetüu^ten  ©rünben  ber  Seele 
träumen  unb  feimen  ju  laffen,  biö  fid;  üertüanbte  llntcr- 
eingebungen  in  genügenber  3at)l  unb  tyüüe  oon  felbft 
angefe^t  t)aben.  ^cr  ju  frül)  beginnt,  beraubt  bei  aller 
Äunft  ben  Stoff  feiner  fd)önften  Srträgniffe.  <S)arum 
bilbet  bie  Sorge  um  bie  (^rfenntnis  beg  Oxeifeguftanbes 
eincg  ^lanc^  eine  ber  größten  9iöte  be^  S\ünftter0. 

9tad)bem  jebod)  einmal  bie  '-^Irbeit  in  Eingriff  ge- 
nommen worben  ift,  Ipat  ber  ganje  ??ccnfd)  mit  ange- 
fpanntefter  ^ätigfeit  feiner  gefamten  ©eifteefräfte,  ben 
93erftanb  öoran,  fid)  mit  bem  '^ßerte  ju  befaffen  unb 
t)or  bem  Sd)luffe  nid)t  ju  rul)en.  3d)  t)alte  Unterbre- 
chungen, bel)aglid)e0  1scrfud)en  ober  längere»  QBäl)len 
tt)äl)renb  ber  "-^lu^arbeitung  nid)t  für  erfprie^lid).  5bier 
gebüt)rt,  toie  id)  glaube,  bem  'Jtei^  ein  t)öl)ere0  "^xQÖ^t, 
alß  man  il)m  einzuräumen  pflegt.    <^ei  weitläufig  t>er- 


tVlei^  unb  Eingebung  49 

anlagten  planen  nämlid)  n>irt)  fclbft  bei  l)er  beftcn  QSor» 
bercitung,  trotj  aller  5?üf)nf)eit  t)eö  QJJiüeng  unb  alter 
ßc^tl)eit  t)er  ^egeifterung,  tro^  jal)lreid)en  '^^ugenblicfg- 
einfallen  ftd)  über  turj  ober  lang  plö^lid)  ein  fd)limmer 
Äafen  ergeben,  fei  e^,  ha^  eine  bi0l)er  unbemerfte 
Sd)tt)ierig!eit  au^  einer  t^^alfe  beß  Stoffel  an  ben  5:ag 
!ried)t,  fei  es,  t>a^  Körper  unb  Stimmung  nad)  monate- 
langer ^^nfpannung  ben  <5)ienft  oerfagen,  fei  eß,  t>a^ 
manburrf)  unabn?ei^bare"'^lnfprüd)ebeö  äußeren  ßebene 
abgel)atten  unb  au^  bcm  3ufammenl)ang  geriffenn)urbe, 
n)onad)  fid)  ber  früf)ere  6d)affenßl)od)mut  nid)t  in  bem 
nämlid)en  ©rabe  mieber  einftetlen  n)ill.  3n  fold)en  <5ällen 
nun  nachzugeben  unb  bie  9lüäUi)x  üon  £uft  unb  Stim- 
mung abjuttjarten,  l)alte  ic^  für  r\x6)t  rid)tig,  obfcl)on 
biefee  93erfal)ren  t>on  berühmten  <5)id)tern  geübt  unb 
empfof)len  tüorben  ift.  ®as  Q3erfa{)ren  ift  allerbing^ 
üorfic^tig  unb  fid)er,  allein  e^  ift  nid)t  gro§;  l)ätten  bie 
xD^ufifer  be^  oorigen  3al)rl)unbert^  unb  bie  9}^aler  be^ 
15.  3^l)rl)unbertö  nad)  biefem  ©runbfa^e  get)anbelt,  fo 
n>ürben  xoiv  um  bie  ibälfte  il)rer  Qßerfe  oerfürjt  Sorben 
fein.  Cie^e  fic^  nid)t  eine  äl)nlid)e  fd)nelle  ^refffic^erl)eit 
in  ber 'i^lusarbeitung  ebenfalls  beim®  id)terben!en?  3d) 
tt)age  ee  gu  glauben  unb  gu  t)offen.  Qßenn  mid)  aber 
meine  Äoffnung  nic^t  taufest,  bann  tann  einmal  unter 
günftigen  llmftänben  bie  "^ßeltbas  6d)aufpiel  t)on<5)id)= 
tern  erleben,  n)eld)e  bie  ^rud)tbar!eit  ber  großen  x!D^aler 
unb  9?cufi!er  erreichen,  t>aß  i)n%t  t>aß  biöl)erige  ^a% 
bid)terifc^er  ^robuftion  um  bas  'S)reifad)c  übertreffen, 
benn  tt>aß  bie  fortlaufenbe  9^eit)e  ber  Qßerfe  unterbrid)t, 
ift  tt)eber  ber  9}^angel  an  vorrätigen  Snfpirationen 
erften  Oranges  (gro^e  ^ünftler  t)aben  ftet^  txxß  ^J^aga^in- 
gett)el)r  votier  Patronen),  nod)  bie  nötige  9?cifefrift  (e^ 
6pitteter,  Cac&cnbe  ^af>rt)citen  4 


50  iVlci^  unb  Eingebung 

gebt  unc  bei  bcn  Orangen :  fic  reifen  ^ivav  langfani,  aber 
e0  befinben  fiel)  immer  einige  reife  im  ^ufc^),  fonbern 
einesteils  t)ae;  9\ingen  um  t)ic  Äunftform,  anberntcilö 
baß  Söubern  unb  QäJäblen  in  ber  ^iuöarbeit.  <S)aS  erfterc 
fann  einem  burd)  red^tjeitige  ©eburt  in  einem  bevor- 
zugten Seitattcr  crfpart  tüerben,  xv>o  man  fcfte  ^unft- 
formen  bereite  üorfinbet,  t>a^  juicite  ift  Sac^e  ber 
Energie,  tveld^e  freilid)  nic^t  ben  {;pgicnifd)en  9\egeln 
9iiemepers  entfprid)t 

xOteine  9}^einung  lautet  mitf)in:  9^ad)  93eginn  ber 
Qlrbeit  bürfe  man  tveber  auf  bie  jenjeilige  Stimmung 
9?ücffid)t  nehmen,  noci)  üor  irgenbeiner  Sd)n?ierigfcit 
abbiegen,  noc^  über{)aupt  fid)  irgenbeine  ^aufe  ge- 
ffatten,  fonbern  bie  93oHenbung  furjer  5banb  erjtüingcn. 
3ft  bieg  jebod)  möglid)  unb,  tt)Gnn  möglid),  nüf^lid)? 
®ie  5?ür§e  folt  mid)  nid)t  t)inbern,  biefe  tyrage  beutlid) 
§u  beantworten.  0ie  Eingebung,  obtt)ot)l  fie  ftetß  über- 
rafd)enb  unb  ungerufen  eintrifft,  iff  gleid)tt>oI)l  t>on  bcm 
©ebanfcn  nid)t  fo  unabhängig,  tvk  man  gerDöt)nli(^ 
annimmt;  im  ©egenteil  bient  bie  ^enfarbeit  bagu,  bie 
^l)antafie  mit  befruc^tenben  (Elementen  ^u  füllen,  auS 
tt>eld)en  fid)  eineö  unt>or^ergefet)enen  "2lugcnblicfS  ta^ 
Q3ifion0bilb  enÜa'Oet  tt)ie  ber  93li$  auS  ber  fd)tt)angercn 
9ltmofpl)äre.  ®ie  9lrbcit  ift  alfo  eine  ^litjanleiterin 
ober,  um  ein  ^ilb  ju  gebrauchen,  ein  ^flug,  ber  allerlei 
gute  fc^tummernbc  ©inge  aufrül)rt,  njelc^e  unter  ber 
^inmivfung  ber  etvig  tätigen  ^l)antafie  im  "tylug  auf- 
leud)ten.  5)ie  ^atfadje,  t>a^  n)äl)renb  ober  unmittelbar 
nac^  einer  fräftigen  9lrbeit  bie  fd)ijpferifd)c  ^^antafic 
in  größerem  '^Dta^e  fid)  gegentvärtig  unb  tvillig  geigt, 
als  im  träumerifcljen  0\ul)eguftanbe,  tüirb  fc^ttjerlid)  ein 
Äünftler  beftrciten;  ferner  lel)rt  bie  ^rfal)rung,  t>a%  neue 


^tci^  unt>  (Eingebung  51 

(Eingebungen  um  fo  reid)er  juftrömen,  je  fräftiger  ein 
Äünftler  bie  alten  Eingebungen  erledigte,  je  fleißiger  er 
fein  ßebtag  arbeitete,  folglich  mu§  ein  urfäd)lid)er  3u- 
famment)ang  gtüifc^en  ^Tirbeit  unt)  (Eingebung  ttjalten. 

9^un  toirb  3tt>ar  o()ne  jeben  Svueifel  bie  Eingebung 
nid)t  an  ber  Stelle  erfolgen,  tt)0  ic^  fie  begel)re  unb 
brauche,  unb  ber  Q3erfud),  mit  bem  QSiUen  unb  bem 
fleißigen  <S)enfen  eine  6d)tt>ierig!eit  erfreulich  5u  über-- 
n)inben  ober  eine  beftimmte  £üc!e  ber  ^l)antafie  fd)ön 
aufzufüllen,  mxt>  gang  gen?i^  mißlingen.  'S)ennod)n)erbe 
xd)  gegebenenfaEö  bie  '2lrbeit  mit  ganger  Äraft  leiften, 
n)eil  fid)  tt)äl)renb  berfelben  Q3ifionen  einftellen  tuerben, 
bie  einem  anbern  ^cil  be«  QSerfeö  gugute  fommen,  an 
tt)eld)en  xd)  augenblicElid)  gar  nid)t  benfe.  ^d)  glaube 
nämlid)  folgenbe^  (Sefe^  ber  Q3ifion0pt)änomene  beftim- 
men  gu  !önnen.  9^temal^  taud>t  eine  Q3ifion  an  bem-- 
jenigen  ^un!t  auf,  nad)  tt)eld)em  ber  6d)affenbe  bie 
•^lufmerffamfeit  gerid)tet  ^at,  n)ol)l  aber  rüdnjärtö  unb 
t)ortt)ärt^  auf  ber  ^ai)n  bcö  Q5>er!e^,  unb  gtpar  in  einer 
vO^enge,  n)eld)e  ber  (Energie  ber  'Arbeit  proportional  ift. 
3c^  nenne  haß  für  meinen  Äauögebraud)  t>aß  (Sefe^  ber 
ricod)etierenben  ^l)antafte.  <S)ie  Arbeit  breitet  'Jang- 
ne^e  au^,  in  tt)eld)en  eine^  fd)önen9}^orgenö  bie93iftonen 
jappeln.  "2luö  biefem  ©runbe  unternet)me  xd)  unbebenf- 
lid)  bei  ber  tt)üfteften  Stimmung  bie  Arbeit.  ®enn  xvaß 
iff  Stimmung?  9cert>enfad)e;  t)xe fünftlerifd)e ^^antafic 
aber  ift  nid)t  9ceroenfad)e,  fonbern  eine  l)eiligc  Sad)e. 
(Eine  fd)öne  unb  n)al)rc  Ccgenbe  lä^t  ben  <S)id)ter  oon 
ber  9}tufe  ungerufen  befud)en.  Qltlein  nod)  fd)öner  unb 
n)a^rer  ift  eö,  n)enn  ber  'S)id)ter  ben  93efud)  ertoibert 
unb  fic^  nid)t  baoon  abfcf)reden  lä^t,  t)a%  er  bie  9}^ufe 
einmal  nid^t  gu  Äaufe  trifft.  Ober,  profaifd)  gefprod)en: 

4* 


.vlci^  unb  (Eingebung 


in  einem  guten  3toff  liegt  t)ie  ^unftftimmung  ftet«  ent- 
tjalten;  wcv  mit\)\n  t)ie  9'tert>enftimmung  übertt>int>et, 
findet  jene  )ld)er,  fobalt)  er  fid)  n>iet)ev  in  t>en  6tof|  ein- 
gelebt i)at 

^ollenbö  t)arin  ttjürbe  ftd)  einer  fd)tt>er  irren,  tt)enn 
er  einen  9\at  t>er  Eingebung  in  fold)en  5d)tt)ierigteiten 
erwartete  unt)  abnjartete,  tüeld)e  bie  ÄompofUion  be-- 
treffen,  n>enn  er  alfo  §.  '^.  t)or  fd)einbar  unentn^irrbaren 
Q3ertüicfelungen  ober  t>or  ber  ?^ötigung  einer  ^^lu^roabl 
jn)if6en  anfcbeinenb  gleic^ttjertigen  ^f  lOtioen  ta^  ^^er! 
bi6  auf  weiteres  beifeite  legte.  0iefe  ^inge  liegen  nam- 
lid)  au^erbalb  bee  ^ereid)ö  bes  UnbenjuBten.  So  gibt 
feine  fomplijierten  ^iftonen.  ^ifionen  finb  ftets  ein- 
fach, abfolut,  fie  fönnen  nic^t  entwirren,  fonbern  unb 
trennen,  tt)äl)len,  orbnen  unb  fammeln,  fte  fönnen  Weber 
^e^ieljungen  erfinben,  nod)  (iTläuterungen  t)in3ufügen; 
fte  erftrecf en  fxd)  niemals  über  bie  ©renjen  einer  einzigen 
räumlich  flar  umriffenen  Sjene  t)inau^  unb  vermögen 
jeitlid)  ober  räumlid)  ©etrennteß  nid)t  ^ufammen^u- 
faffen,  ja,  wenn  wir  genau  beobad)ten,  erfd)einen  fogar 
"^erfonen  unb  Sad)gruppen  innerl)alb  eines  Seit»  unb 
Ortraf)men6  nur  bann  ber  9?ifton  5ugängli6,  wenn 
biefelben  leicbt  überfid)tlid)  oereinigt  i"inb.  (So  mu^  bem-- 
nad)  mittel^  ber  ©ebanfen*  unb  QBillensarbeit  bas 
fompofitorifd)e  Äinbcrnis  ,^ut>or  infoweit  überwunben 
werben,  t>a^  aüereinfad)fte  räumlid)e  unb  5eitlid)e  ^er* 
l)ältniffe  oorliegen,  el)e  man  üon  ber  Eingebung  ein 
poetifd)e0  ^ilb  erwarten  barf.  ^^reilid),  wäbrenb  man 
bas  erftere  tut,  wirb  mciftens  fcbon  bie  "Pbantafie  in  bie 
frifc^gefd)affene  5tlarbeit  fo  begierig  l)erbeigefprungen 
tommen,  wie  ein  Äanind)en  in  eine  buftenbe  Salatfifte. 

Soweit  meine  befc^eibenen,  perfönlidjen  (Erfahrungen. 


$cmpo  unt>  (Energie  bee  t»id)terifcf)en  3d)aftcn6   53 

®a  ic^  jebod)  nic^t  über  prioatc  9iaturgcfe^e  ocrfügc, 
oermutc  id),  ee  ttjerbe  anbereiDO  äi)nUc^  3uget)en. 


5empo  unb  Snergie  bei^  bid)terifc^en 
(2cf)ajfen^ 

189U 

*5lu^  übercinftimmcnbcn  "*^lbt)ant)tungen  xvk  ©etegen» 
t)eit0fritifen  gef)t  tjerüor,  ba^  I)euf  jutage  in  5)eutf(^lanb 
burcbfcbnittlid)  bem  ^id)ter  t>a^  SutvaiUn  unb  ^aufie-- 
ren,  alfo  i>a^  6d)affen  unb  Q3eröffentUd)en  in  längeren 
3tt>ifd)enräumen  jur  ^ugenb  angercd)net  n)irb.  *2H^ 
^roteft  gegen  bie  tanbläufige  xyabrifarbeit,  tvelc^e  jät)r- 
Ii6  ein--  ober  gn^eimat  xi)xen  9\oman  unb  \t)v  ^f)eater-- 
ftücf  5ufammenfcf)rotet,  mag  biefe^  urteil  oöUig  am 
"pla^e  fein,  nja«  ic^  um  fo  miliiger  pgebe,  alö  id)  eben» 
fatl^  ben  lcbf)afteften  ^2lbfd)eu  gegen  jenen  Iiterarii"d)en 
9?iünerflei^  öcrfpüre. 

£eiber  ift  es  ber  tVlud)  alejanbrinifc^er  3eitalter,  t>a% 
jebe  äftbetifd)c  Q5>a^rt)eit  fo  lange  burd)  ben  ?3cunb  ber 
QS>eisl)eit  gebogen  mirb,  bi^  fie  fcblie^lid)  infeftiöö  mirft. 
Q5>irb  überbieg  ber  6prud)  nod)  burd)  has  Qßort  ober 
t>a§  ^eifpiel  oon  Autoritäten  unterftü^t,  bann  banft 
meift  ber  ©ebanfe  ah,  fo  t)a%  forrigierenbe  ober  ergän» 
^enbe  ^5atfad)en  überljaupt  nid)t  mebr  ermogen  merben. 

60  fd)eint  mir  benn  gegenwärtig  bie  @efat)r  im  ^r\' 
juge,  "Oa^  besbalb,  meil  jufättig  einer  ober  ber  anberc 
ber  neueren  ©ro§en  einem  bauö{)älterifd)en,  oorfid)tigen 
Gc^affen  bulbigtcn,  ber  frifd)e  9?Zut  unb  ber  9\eic^tum 
ben  9cad)fommenben  jum  Q3ormurf  gebret)tn)erbe.  ®a^ 
^at  allerbing^  feinen  vernünftigen  3ufamment)ang,  in-- 


54    '5:empü  unb  (rnerc^ie  be^  bid)tcvij'dten  6d)affen^ 

beffen  Ui)vt  bie  (vrfat)rung,  t>a%  Q3crfc^icbene^  gtetd)cr- 
tüeifc  gleid)5eitig  ju  fd)ä^en,  bie  .Gräfte  eineö  tf)corC' 
tifd)  urteilenben  ©efd)led)te0  überfteigt.  <5)ie  ©efai)r  ift 
na()c,  unb  ic^  erlaube  mir  ju  it)rer  "^Ibtüenbung  an  einige 
^atfac^en  auö  bem  ©ebiet  ber  fünftlerifd)en  ^i)pfto- 
logie  ju  erinnern. 

9^cid}begabte  geniale  9taturen  finb  gu  allen  Seifen 
fruchtbar  unb  im  l)öd)ffen  ©rabe  fc^affensluftig,  fall« 
fic  nic^t  burd)  befonbere  Äinberniffe  gel)emmt  tverben, 
beren  es  freiließ  eine  lln3at)l  gibt,  unter  anbern  tiaii 
9\ingen  nad)  neuen  .^unftformen,  in  bem  ^alle,  t>a% 
bie  ererbten  ftd)  überlebt  t)aben.  3ft  t)ingegen  alles  im 
reinen,  au^en  unb  innen,  bann  probujieren  bie  ©ro^en 
mit  erftauntid)em,  oft  gerabeju  fiebert)aftem  (Sifer.  0ie 
^eifpiele  am  ber  ©e[c^id)te  ber  93^u[if  unb  ber  bilben- 
ben  5tünfte  ftel)en  jebermann  oor  'vJlugen ;  e^  liegt  fein 
©runb  oor,  marum  eö  in  ber  <5)id)tfunft,  menn  fie  ftd)ere 
'formen  oorfinbet,  anber'o  5ugel)en  follte.  ^ud)  fennt 
'3)eutfd)lanb,  menn  id)  nid)t  irre,  einen  ^lafftfer  erften 
9\ange0,  bem  t>ci^  ununterbrod)cne,  miUen^gemaltige 
Gc^affen  bi^  jum  legten  ^tcmjuge  nic^t  jum  0d)aben 
gercid)t  \)at  —  \6)  meine  6d)iller. 

'diftl)etifd)e  ^Probleme  mollen  überl)aupt  mit  feinen 
Ringern  unterfud)t  tperben;  mit  S(^lagtt>örtern  unb 
*^lutoritäten  fd)lägt  man  bie  i5^ragen  tot,  wai  fcl)n?er-- 
lid)  lebenteimenb  mvUn  mirb.  (S^  gibt  Slunftformen, 
benen  t>aa  Staltftellen,  Überarbeiten  unb  9^ac^feilen 
n>ol)lbcfommt,  anbere,  n?eld)e  in  einem  Q3?urf  fertig  ge- 
macht iperbcn  mollcn.  So  gibt  ferner  fold^e,  in  meld)en 
bie  guten  <i)inge  mit  ^üt)lfäben  gefogen  fein  tt>otlen, 
unb  it)nen  gegenüber  miebcr  folc^e,  bie  man  t)aftig  am 
bem  ©runb  n)ül)lcn  mu^,  mie  ber  ötier  ben  Oxafen  mit 


^empo  unt)  Energie  be5  bid)tertfd)en  Sd)affen^    55 

ben  hörnern  aufn?ü()It.  (^^  gibt  fogar  einen  oerfd)iebe-- 
nen  ©rab  oon  9\eife,  in  n?cld}er  biefe  ober  jene  tyrud)t 
genoffen  n)erben  foll.  ßinige  fann  man  nic^t  lange  ge» 
nug  am  'Boum  t)ängen  taffen,  anbete  mu|  man  einem 
fräftigen,  aber  furj  bauernben  Sonnenfc^ein  auöfe^en. 
(So  ift  j.  ^.  längft  erfannt  tt)orben,  t)a%  großangelegte 
QBcrfe  nid)t  mit  jener  ??tiniaturforgfalt,  id)  möchte  fagen 
•Jließpapierforgfalt  nad)bet;anbelt  njerben  trollen,  tt)ie 
eine  Plegie  ober  ein  Sieb,  ^ud)  iiat  noc^  fein  QSerftän- 
biger  je  bem  ^ramatifer  bie  regelmäßige  3nteroaU- 
avb^it,  ben  jäl)rlid)en  Ertrag  feiner  ßrnte  jum  93ortt)urf 
gemad)t  Sine  ^atfacf)e,  bie  für  fid)  allein  genügen  müßte, 
bie  ^{)eorie  ju  njiberlegen,  gegen  tt>elrf)e  ic^  l)ier  an- 
fämpfe,  n?enn  überl)aupt  jemals  fic^  eine  ^^eorie  burd) 
^atfad)en  überzeugen  ließe.  9teben  ben  llnterfd)ieben 
beö  ^Hrbeit^gebietes  muffen  aud)  bie  Unterfd)iebe  ber 
fc^affenben  Snbioibualitäten  erwogen  njerben  unb  gmar 
in  crfter  ßinie  llnterfd)iebe  in  ber  "^Begabung^art  unb 
Unterfd)iebe  im  Temperament  QBaö  bie  '^Begabung  be= 
trifft,  fo  liefert  bie  9^atur,  felbft  tvenn  mv  nur  bie 
l)öd)fte  Hrbegabung,  atfo  ^a^  ©enie  inö  Qluge  faffen, 
ungleid)e  6orten  t)infid)tli(^  ber  Sprungfraft  unb  Quell= 
fülle.  9teben  Äungerbrünnlein,  bie  nur  nac^  ©etDittern 
fließen,  neben  fprungl)aften  ^eufelgbrunnen,  bie  plö^= 
lid)  in  bid)fen  QSogen  fommen  unb  n>unberbar  oer= 
fd)n)inben,  neben  monbgered)ten  rut)igen  ^iefmaffern, 
bie  fäuberlid)  mit  (ibb^  unb  t5^lut  n)ed)feln,  fpenbet  bie 
9tatur  unter  anberen  aud)  6trom-  unb  9ffiiefengenie^, 
toelc^e  fo  überreich  mit  Saft  unb  8amen  gelaben  finb, 
t)a%  il)nen  jeber  "2ltem§ug  jur  ^Probuftion  toirb,  bei 
Strafe  be^  (Srfticfens  im  Xlnterlaffungsfall.  0ie  follen 
fxc^  nun  n)at)rfd) einlief)  einem  äftl)etifd)en  xO^obebogma 


56    ^cmpo  unt)  ^ncvoic  t)C0  t)irf)fcrifd)en  (2rf)affen0 

julicb  it)ren  gcfegnctcn  9?Zunt)  fd)lic^en?  Ober  wollen 
i{)nen  t)ic  brci  iueifen  Jungfern  ber  9cad}t  geivaltfam 
ein  "Papagenofd)lo^  öortegen?  Offen  geftanben,  tuer  in 
ber  5\unft  über  t>Q^  Suoiet  be^  6d)önen  flogt,  beffen 
6d)önl)eit2!ftnn  iff  mir  t>erbäd)tig. 

<S)a2  Temperament  betreffenb,  fo  gelangert  von  hier- 
mit in  ta^  ivicf)tige  9\eid)  ber  ^er[öntict)feit. 

(v^  gibt  befd)aulid)e,  jufriebenc,  innige  ^l)antafie- 
menfd)cn,  tt)eld)e  fid)  fd)mun5elnb  unter  einen  blül)en' 
ben  Q^ßcibenbufd)  feijen,  bie  finget  5n)tfd)cn  ben  S^nien, 
unb  nun  mit  l)albgefd}loffenen  2ibern  gebulbig  abn^ar« 
ten,  bi0  t>k  @olbfi[d)e  anbeißen,  tagelang,  n)od)enlang, 
einerlei.  'Siefe  tperben  mit  au0gefud)t  feinen  "Riffen  auf 
ben  9Diarft  fommen,  aber  feiten.  (S^  gibt  aber  aud) 
frifd)e,  mutige  ^l)antafiemänner ,  n?eld)e  in  rafcbem 
Q3oot  mitten  in  bie  t)of)e  6ee  l)inauöfegeln,  bie  9^afe  im 
<?Dtorgentt)inb,  bie  Forellen  in  biegten  6d)aren  inö  9^e^ 
fc^eud)enb  unb  bie  5bed)te  fpie^enb,  t>af^  eö  runbum 
fpri^t.  ®a§  man  jene  liebt,  begreife  id;:  id)  liebe  fie  tro^ 
einem.  Qlbcr  njenn  man  mir  nun  um  jener  tt)tllen  biefe 
tjerunebren  möd)te,  fo  foU  bod)  t>ai^  QCßetter  breinfabrcn. 

Qöenn  benn  fd)on  einmal  abgemeffen  tüerben  foU, 
n)eld)e^  t>on  beiben  "5:emperamentcn  ba^  eblere  fei,  ba^ 
befd)aulid)e  ober  baö  energifcbe  —  eö  foUte  jn>ar  beffer 
nid)t  abgemeffen  merben  —  bann  mu^  vielmebr  bem 
willenef räftigen  Temperament  ber  Q^orjug  äugefprod)en 
n^erben.  Q[Öa0  id)  burd)  brei  C^jempel  betveifen  tvill, 
^toei  logifd)e  unb  ein  joologifdjc^.  ^em  nnllenöftarfen 
0id)ter  ftebt  baä!  befd)aulid)e  Ginnen  in  ben  (Jnergie- 
paufen  frei;  nid^t  aber  bem  befd)aulid)en  ©id)ter  ber 
'^^luffdjtvung  ju  nad)baltiger  (Energie.  QBenn  man  ben 
ivegen  it)rer  feiigen  Q3efd)aulid)feit  bcneibcten  0id)tern 


über  ben  Q[Bcrt  3i)flifrf)er  Sammtungen         57 

am  Ceben^abent)  t>urc^  baö  6c^tafiimmerfenftcr  guc!t, 
fo  f)ört  man  [xc  über  if)re  unfelige  '5öul()eit  feufjen.  €^ 
gibt  nic^t  blo^  *5ifcl)e,  fonbern  eö  gibt  aud)  93ierfü^Ier 
unt>  Q3ögel.  93on  tiefen  laffen  fid)  manche  in  allerlei 
6d)lingcn  unb  ^yallcn  fangen,  mand)e  aber  muffen  auf 
bem  "^Inftanb  im  ^lug  ^eruntergefnallt  werben,  mit 
fd)arfem  '^lic!  unb  fc^neller  Äanb,  mand)cn  mu^  man 
fogar  ju  ^ferbe  unermübtic^  narf)fe^en,  bi^  fie  fid) 
fd)tie^lid)  ergeben.  „Qßenn  i()r'ß  nid)t  füt)lt,  it)r  tverbefö 
nid)t  erjagen."  3d)  bitte  nid)t  gu  überfet)en :  felber  i)at 
er  freiließ  nicbt  gejagt,  aber  fein  Sagb^unb  t)af  0  \i)m 
apportiert,  unb  er  \)<xt  if)n  geftreid)elt,  alö  er'^  it)m  au^ 
bem  9}^aul  naf)m.  —  (^nblid)  ba^  QSic^tigfte.  QCßie 
iPoHen  6ie,  bitte,  ba0  foftbarfte  ^ilb,  bie  *!2lbler  unb 
bergteirf>en,  in  ^\)v^  ©en>alt  befommen,  njenn  nid)t  mit 
angefpannter  (Energie?  0a  fann  einer  lange  mit  feinen 
fingen  0id)teraugen  auf  ber  £auer  fi^en,  bie  fommen 
nicl)t  l)erab,  nid)t  einmal  auf  ©efid)t^n?eite,  gefd)n)eige 
benn  auf  0d)u^n)eite.  0enen  mu§  man  mutig  nac^» 
flettern,  auf  ©letfc^erl)öl)e,  unter  6ct)n)i^en  unb  Geufsen, 
biö  einem  bie  reine  Äöl)enluft  bie  6d)ultern  babet  unb 
ber  erfel)nte  Q3ogel  plö^licl)  über  bem  ^opf  fd)reit. 


Über  ben  QBert  g^Hifi^er  6ammtungen 

©er  "^Brauc^,  bei  Äerauögabe  Iprifc^er  ©ebic^te  mög- 
tic^ft  Q3ielfad)e^  unb  Q3erfd)iebeneö  jufammenjuftellen, 
lieber,  <53allaben,  Sprüd)e,  Srääl)lungen,  9^ätfel,  'Jorm-- 
übungen,  ^eftgebid)te  ufn>.  in  einem  nämlid)en  gemein» 
famen  ^anb,  i)at  gen)i^  feine  trefflid)en  ©rünbe,  unter 
anberen  ben,  ba§  meiftenö  nid)t  all^u  Diel  ^raud^bare^ 


5S  Über  t)cn  ^^crt  3pfltfd)er  *2amm(ungen 

oor^anben  [ein  xvivt),  t)a§  folglid)  au0  allen  Sd)ub' 
fäd)ern  t>ie  Oveferoen  berbeirücfen  müjjen,  um  einen  an« 
fet)nlid)en  ^ant)  tJoräufteUcn.  Cprif  get)t  eng  jufammcn, 
njenigftcn^  gute  i?prif.  9}teift  mu^  toter  ^aUaft  nach- 
geladen iperbcn,  um  bem  93erleger  t)a«  nötige  ©en?irf)t 
5u  liefern.  ®at)er  t>ie  unücrmett)lid)en  Überfe^ungen 
unl)  9^eifex)erfe.  ^Seiläufig  gefagt :  jeber  '5)id)ter  foUtc 
einen  fürd)terlid)en  6d)tpur  leiften,  erften^  niemals  eine 
8tat)t  ober  ©egent)  anäut)id)ten,  felbft  nid)t  Q3enet)ig 
ober  (Sapri,  jnjeiten^  niemals  eine  Überfe^ung  in  feine 
Sammlung  aufjuncljmen.  0er  llmftanb,  t)a%  gerabc 
bie  ©ebid)te  biefer  "-^Irt  t>on  ber  Slritif  als  „unoer-- 
gänglid)e  '^perlen  ber  Literatur"  gerül)mt  ju  n^erbcn 
pflegen,  betveift  \t)m  fd)on,  t)a%  er  f>kv  auf '^^Ibioegen 
n>anbelt. 

'^llfo  praftifc^  ift  ber  ^raud).  3ninierl)in:  eine  Samm- 
lung üon  93erfd)iebenem  ift  feine  Q5ereinigung.  0a^ 
^ud)  hat  unter  fotd)en  Hmftänben  fein  anbere^  '33anb 
als  ben  (Jinbanb.  9iimm  ben  'Secfel  ober  ben  ^itel  n?eg, 
fofort  fallen  bie  ©ebid)te  au^einanber  unb  fried^en  lie- 
ber in  il)rc  Sc^ublaben.  'iHber  auc^  folange  ©ecfel  unb 
^itel  t)aftcn,  folange  ber  Sinbanb  ^ätt,  bie  OSorfteUung 
bes  ^.'efers  fann'e  nid)t  jufammenbenfcn,  nid)t  in  ein 
einziges  gro^eö  (Srinnerungßbilb  faffen.  ©enn  einSam- 
melbuc^  ift  nid)t  organifd)  gegliebert,  nid)t  überftc^tlid) 
proportioniert,  [)at  feinen  ?^cittelpunft  unb  feinen  ©e-- 
famtbeobad)tung0punft.  93^an  orientiert  fid?  anfangs 
fc^ioer,  man  erinnert  ftd)  nad)träglid)  nur  mit  93^üt)e 
ber  Stellen;  man  ift  gejtijungen,  mit  ^leiftiftftrid)en 
im  Oxegifter  fid)  notbürftig  einen  QBeg  ju  merfen,  tt?ie 
ein  T3erfd)önerung0t)erein  an  ben  Q3ud)en,  um  fic^  fpäter 
in  bem  ©eljölj  ivieber  jured^t^ufinben. 


über  ben  Qßert  jt)flifd)er  Gammlungen         59 

®a^  ift  übrigen^  9^ebenfad)c.  Äauptfad)c  ift:  Stoanjig 
t)erfd)iet)enartige  ®et>id)te  finb  ^tDangigmal  ein  ein^elnee 
©eöic^t,  nic^t  aber  jtvanjig  ©et)id)te.  (S^  fummiert  ftd) 
eben  nid)t.  'S)a^  ©efü^t  !ann  ein  9^ätfel,  eine  ^Sallaöe 
unb  eine  ©f)afele  fo  jpenig  5ufammen3äl)Ien,  a\^  ber 
QSerftanb  5tleit)er,  ©emüfc  unt)  Äauötiere.  ßö  gel)ört 
5n)ar  bemfclben  Eigentümer,  aud)  foU  eö  tf)m  e^rlid^ 
5um  Q3ermögen  gererf)net  werben,  bod)  nebeneinanber 
tt)irft  eö  als  ibau^rat  ober  ©erümpet.  Q3erfd)iebene^ 
tt)irb  mef)r,  n)enn  man'^  fonbert,  tt)eniger,  wenn  man'^ 
jufammentut. 

demgegenüber  erad)te  ic^  bic  Sufammenfteltung  mög= 
Iid)ft  gleichartiger  Sr^eugniffc,  alfo  bie  ^^ttQ,  ben  ^ranj, 
ben  Sp^luö  ober  tt)ie  tt)ir'^  fonft  nennen  njoUen,  für  ein 
l)öl)ere^  Sammelpringip.  0urc^  3t}tUn,  alfo  burd)  bie 
9^ebeneinanberftellung  beö  ©leic^artigen,  entfteljt  näm- 
lich eine  93ereinigung ,  eine  93erbinbung,  ein  ©efamt- 
bing,  tai^  über  ben  (Singettt)ert  beö  befonbern  Stüc!e^ 
l)inau^  nod)  einen  neuen  QSert  fd)aftt,  einen  ^otleftit)= 
njert,  ber  feinerfeit^  nid)t  blo^  Q3uc^n?ert,  fonbern  aud) 
5l'unfttoert  enthält. 

^a^  gel)t  fo  gu :  jebe^  gute  ©ebic^t  ober  9}^ufifftü(i 
erfd)lie§t  eine  gange  QBelt  üon  üernjanbten  6d)önbeit0- 
möglid)!eiten,  bie  in  ber  nämlid)en  9^id)tung  liegen  unb 
beren  unbeftimmte  Umriffe  ein  befugter,  mit  '^Ijantafie 
begabter  Cefer  ober  Äörer  al)nt  unb  fcl)nfüc^tig  be-- 
gef)rt  QSerbcn  nun  bie  geat)ntcn  bege|)rten  llmriffe  oom 
<S)id)ter  t>ertt)irflic^t,  werben  mit  anberen  QSorten  bem 
einzelnen  ^unftn)er!d)en  bie  öerwanbten  hinzugefügt,  fo 
entftel)t  eine  au^nel)menbe  ^efriebigung.  3unäd)ft  bie 
(Erfüllung  beö  Qßunfd)e^.  ®ann  9^ut)e,  inbem  ber  Cefer 
nun  nic^t  gezwungen  wirb,  erft  ben  Stanbpunft  §u 


60  Über  bcn  ^'Csert  ^t)(lifd)cr  Sammlungen 

tt>ed)feln,  um  baö  tvolgenbc  ju  genießen,  ferner  eine 
"^Irf  QÖ}of)nUd)fctt6'  unt>  Äeimatsgefüt)!,  tia  uns  tüieber« 
I)olt  bic  nämliche  QBelt  mit  benfelben  5tunftmittetn  cor- 
gefüf)rt  n>irt).  (Jnblic^  bcr  &*int)rucf  beö  "xReid)tum0,  weil 
©leid)artige^  fic^  fummiert  unt)  fid)  einl)eitlid)  t)er- 
bunben  ber  Erinnerung  oorfteUt.  Sbier  t)er()ält  eö  ftd> 
mitt)in  gerabe  umgefet)rt  aU  bei  ber  funterbuntcn 
Sammlung.  3tt>an3ig  ^allaben  [inb  mel)r  alö  jn^anjig 
^allaben,  nämlid)  eine  QÖSelt  t>oU  ^aUaben. 

Äicrbei  tvirb  c^  ein  tücifcrer  Q3orjug  fein,  n)enn  fid> 
bie  ©emcinfamfeit  aud)  auf  bie  äußere  ^orm  erftrecff. 
®a^  Streben  bes  <S)id)ter^,  fid)  in  ben  t)erfd)iebenften 
T>er0ma^en  ju  betätigen,  ift  ja  erflärlid),  in  beftimmten 
fällen  fogar  löblich;  boc^  biefem  Streben  entfpric^t 
feineßweg^  ein  93ebürfni5  be^  ßefer«.  Einerlei  ober 
äl)nlic^e  ^yorm  erlaubt  unö,  bie  'i^lufmerffamfeit  auf  ben 
3nl)alt  gu  fon^entrieren,  unb  leiftet  bem  obenertt)äl)n- 
ten  5beimatßgefül)l  93orfd)ub;  allju  l)äufiger  QS>ed)fel 
ober  allju  efjentrifcbe  93erfd)iebent)eit  ber  ^orm  n>irft 
als  llnftetf)eit.  Qßer  bat)er  ba«  *i21nfc^miegen  bee  Q3erfe^ 
an  ben  3n()<itt  übertreibt,  inbem  er  auf  Sd)ritt  unb 
^ritt  mit  ber  tyorm  bem  3nt)alt  nad}jagt,  tt)irb  unrut)ig 
merben.  So  tt)ie  t>aii  Epo^  ben  einmal  gen)äl)lten  Q3er^ 
feftl)ält,  fo  tt>ie  bie  poetifd)e  Er5äl)lung  fid)  mit  93orteil 
in  eiferne  Stropl)en  jmängt,  fo  tvirb  auc^  bie  jpflifc^e 
Qrint)eit  fid)  mit  Q3orteil  gemeinfamer  ober  tuenigften^ 
oertüanbter  'Jormcn  für  jebe^  cinjelne  Stücf  bebienen. 

^Heinere  unb  fleinfte  Stücfe  »erlangen  gcrabeju  mit 
O^otmcnbigfeit  ben  3t>nuei,  bei  Strafe,  burc^  eine  Spalte 
bc^  ©ebäd)tniffe^  in  bie  ett)ige  Q3ergeffenl)eit  ju  fmfcn. 
Eß  gibt  'S)ingc,  bie  man  ein;^eln,  anbere,  bie  man  nur 
in  ber  QSieljatjl  feruiert.  9JZan  barf  eine  9}^clone,  ein 


llber  t)cn  QT^ert  5t)flifd)er  Gammlungen  61 

•©rama  anbieten,  aber  nic^t  eine  Äirfd)e  ober  ein  Ciet>. 
eine  Äirfd)e  ift  eine  '^eleibigung,  ein  l?iet)  ein  'iJlrmutS' 
geugni^.  Äier  ift  einmal  fogar  njeniger  a\^  !einmat. 
®a^  t)a^  btinbe  ibu^n  ein  5törnd)en  gefunden  i)at,  tiefet 
erftaunlid)e  greigniö  bef)ält  man  !lugertt)eife  für  fid). 
3n  tJoUem  (Srnft:  ic^  bin  t)er  ^Infic^t,  ttjer  nur  §tt>ei 
<33aüat)en  ober  nur  fed)^  lieber  i)at,  foll  biefen  93ettel-- 
fd)a^  für  [id)  behalten,  fetbft  bann,  tt)enn  bie  jtt)ei  ^al» 
laben  unb  fed)^  lieber  im  ^öd)ften  ©rabe  öoUfommen 
fmb. 

®eßf)alb,  tt)eil  lieber  unb  ^atlaben  in  einem  guten 
©arten  traubenförmig  tt?ac^fen,  anhängig  an  einem 
Gtengel.  €injetne  abgestaubte  beeren,  ta^  ift  ju  mager, 

ä«  geisig- 

Q2ßaö  n>ir  t)ier  mit  ®en!en  gefunben  t)aben,  ba^  foÜ 
un^  bie  Srfaf)rung  beftätigen. 

<2ßelc^erlei  ©ebid)t--  unb  xOZuftffammlungen  fmb  benn 
bie  beglücfenbften,  bie  berü^mteften,  bie  beliebteften  ? 
bie  öerfc^iebenartigen  ober  bie  gleichartigen?  Smmer 
bie  gleichartigen.  <5)ie  Scl)iUerfcl)en  '33atlaben,  bie  Scl)u-- 
bertfc^en  lieber,  bie  ^acl)fcl)en  ^rälubien  unb  tyugen, 
bie  '33eett)OOenfcl)cn  Sonaten,  bie  93^enbelö[ol)nfcf)en 
Cieber  o^ne  9Dßorte,  bie  6l)0pinfd)en  9'Jofturnen  unb 
9}^a§ur!en  ufn?.  ^^Zet^men  tt)ir  an,  ^eet^oöen  ^ättt  blo^ 
bie  oier  erften  feiner  6onaten,  95a(i)  blo§  bie  t)ier  erften 
feiner  ^rälubien  gefct)rieben,  njürben  biefe  oier  ol)ne 
it)re  9^ac^folger  benfelben  <2ßert  für  bie  Qßelt  befi^en, 
Xüit  je^t  bie  nämlicf)en  üier  innert)alb  be^  SpHug?  9^ein, 
benn  einmal  würben  fxe  in  ber  ^l)antafte  ber  93^enfc^-- 
l)eit  überl)aupt  nic^t  ^aften,  fic  n)ürben  ferner  ber  QSer« 
binbungölinien  üerluftig  gel)en,  bie  je^t  üon  it)nen  ju 
i^ren  Scl)tt)eftern  l)inüberleiten.  'S)ie  Q3ieläat)l  l)at  eben 


■Ibcr  bcn  '^C^ert  bcr  Crin,^clfd)ön^ett 


im  3pftu^  nicbt  blo^  6ummcntt)ert  fonbern  Q3crcini- 

3um  Überfluß  nod)  t)ic  ^robe  auf  bag  (^jcmpel. 
Äabcn  „5\tat>ierftücfe"  irgcnbeine^  9)^eifterß,  tjabcn 
„ausgctväbltc  S^ompofttionen"  jemals  eine  ä{)nlid)e  ^e» 
beutung  ju  erlangen  t>ermorf)t,  n)ie  bie  SpHen  ber  0o- 
natcn?  Q3>arum  be{)aupten  QBeberö  glän^enbe  ^laoier- 
fompofitionen  fo  n^enig  9\aum  im  ^enju^tfein  ber 
Station?  QBeil  fie  berein^elt  auftreten,  öon  jeber  (Gat- 
tung fpärlid)c  'groben.  QCßarum  ftnb  Ä^ompofttionen 
allererften  9\ange^  rote  bie  9}cojartfc^en  5?lat>icrpt)an- 
tafien  natje^u  unbefannt?  Qßeil  if)rer  gu  n?enig  fmb. 
Qßären  e^  gttjanjig  \iatt  üier,  attc  QBelt  möchte  fxe 
fpielen. 


ilber  ben  Qßert  ber  Singetfc^ön^eit 

9\offini0  3ubiläum  ift  oerüungen,  unb  bie  "^Irtifet  bcr 
"^^ageeblätter  gu  feinen  S{)ren  ober  nnef)ren  fmb  üer-- 
raufd)t.  QBag  mir  in  ben  le^teren  am  meiften  5U  benfen 
gab,  ift  bie  nad)läffigc  9lrt,  mit  n>etd)er  man  über 
bie  Sin5elfrf)önf)eiten,  über  bie  elementar-mufifalifd)en 
Offenbarungen  be«  9}^eifterö  t)inrDeggei)t,  um  bie  ^ragc 
ein;\ig  nad)  9Iuffaffung,  Gbarafteriftif,  <S)ramatif  unb 
„'^iefe"  ju  ftetlen.  93on  bem  9\offinifcI)en  ^cuer  be^ 
^empo,  oon  bem  fc^n?ebenben  ^ylug  feiner  '^Itlcgri,  »on 
bem  5aubert)aften  (öecreöcenbo  am  Sd)lu§  feiner  Sin« 
Icitungen  ^ur  Out»erture  (5.  93.  bei  '5:ancreb  unb  6emi- 
ramig),  oon  bem  golbnen  QSofalflang  feiner  a  capella- 
3tüc!e  (3.  93.  ber  ^lö-^ur'Sntcrmc^^i  im  Q3arbier  unb 
im  Ott)elto),  oon  bem  ttjunberbaren  9Rüc!cn  bcr  Äarmo- 


Über  t)cn  Q3i>erf  t)cr  (iftn5clfcl)önbeit  63 

nie  in  t)en  Übergängen,  üon  ben  fd)tt)eflenben  ^Ifjenten 
feiner  9?celot)ien,  n>cld)e  bic  Seele  fd)on  auf  rein  p\^d)0' 
mec{)anifd)em  QÖJege  jum  3aud)5en  zwingen,  t>on  feiner 
.^unft,  burc^  t)ie  einfad)fte  Snteröallcnfotge  innertjalb 
te&  ©reiflangeg  beiläufig  ^aüafinen  unt>  9\efrains  gu 
geftalten,  unb  taufenb  anbern  ©enialitätcn  taxim  eine 
'^Inbeufung;  al^  ob  ta^  9^ebenfad)en  n)ären. 

3c^  behaupte  aber,  ber  öffentlid)en  93ceinung  gum 
^ro^,  ba^  t>a^  bie  &auptfad)e  unb  ba^  übrige  bie 
9tebenfad)e  fei.  Hnb  bei  biefer  @e(egenf)eit  möd)te  id) 
mir  erlauben,  gegenüber  ber  ma^lofen  Überfcbä^ung  ber 
^unft  ober  t)ielmet)r  be^  5^unftmä§igen  unb  ^egie^ung^- 
ooUen  gegenüber  ber  elementaren,  unmittelbar  burdE) 
fid)  felbft,  ol)ne  9?üdfic^t  auf  ben  3ufamment)ang  n)ir- 
fenben  Sd)önl)eit  ein  n>arnenbeö  QKort  §u  fprcd)en.  (So 
gibt  nid)t  blo§  unfterblid)e  QSerfe,  fonbern  aud)  unfferb- 
lic^e  9D^otioe,  ja  unfterblid)e  '^aft^.  9}cag  aud)  bie  S^orm 
be^  ©anjen  nod)  fo  t>erfel)lt,  ber  Oberätt^ed,  bem  bie 
€in5ell)eit  bienen  foU,  nod)  fo  ungereimt  unb  t)ergäng= 
lid),  ber  '^lu^brud  nod)  fo  unpaffenb  für  ben  beftimmten 
•iHnla^  fein,  9}celobien,  93Zotit»e  unb  Äarmonienfolgen 
erften  9?ange^  fönnen  §n)ar  üergeffen  unb  oerftäubt, 
nie  aber  entwertet  n^erben.  (Sin  llmfd)tt)ung  ber  9)^obc 
ober  aud)  blo§  ein  naioeö  Ol)r  unb  ©emüt  —  unb  fofort 
ftrat)lt  it)r  ©lan^'mieber  tt>ie  oor  t)unbert  Sauren. 

llmgefel)rt  fd)n)ebt  über  ber  jnjedmä^igften,  gefd)tof-- 
fenften  Äunft,  tt)ofern  fie  nic^t  in  il)ren  Unterabteitungen 
mit  Sin5elfd)ön^eit  au0§af)lt,  bie  ®rol)ung,  eine^  ^age^ 
ju  öeralten  unb  bann  auf  'J'ZimmerttJieberfe^en.  ®ie 
9^ad)n>ett  n)irb  ba^  ^lan-,  3tt>ec!-  unb  ©efe^mä^ige 
ber  ^orm  al^  ein  Seugni^  be^  ftarfen  QSitlenö  ad)tenb 
crtt>ä^nen,  aber  bie  betreffenbcn  Qßerfc  ber  ©efc^ic^te 


64  Über  t»en  ^Ißert  t)cr  (vin5elfrf)bnl)eit 

übcrtpcifen  unt)  ^wav  t)er  ©efc^id)te  t)e0  barbarifc^en 
^lei^cö,  t)a()in,  wo  t)ic  int)ifd)en  Qißelt'  unt)  3eid)cn- 
fpfteme,  t)ic  fpefulatioc  ^bitofop{)ie,  t)ie  fd)otaftifd)e 
^beotogic  unt)  5a()lreid)e  ä()nlict)e  funftöollc  Gpinfifie- 
vunijen  eine^  bie  Orunblage  t>ertaffenben  ^Dcenfcben» 
geifte^  faferniert  wobnen.  (isine  5?unft  obnc  (i'inaelfct)ön-- 
^citen,  bic  für  ftd)  allein  fcI)on  unmittelbar  bezaubern, 
ift  ein  3eicf)en  barbarifd)er  Q3i5lfer  ober  Seiten.  3d) 
nenne  ba^  etwas  ungenau  aber  beutlid) :  Q[ßifd)nu. 

«^ßer  ftd)  gegen  biefc  ^ebauptungcn  fträubt,  bem 
möd)te  id)  folgenbe^  §u  beDenfen  geben: 

(Srfal)rung0mä^ig  tüirb  bcrfd)affenbe^ünftlerbaupt- 
fäcblic^  öon  t>Qn  Sinjelbeiten  eine^  ©cmälbeö  entjücft, 
tüäbrenb  ber  l?aie,  ber  Slunftfenner  unb  ber  'Qlftbetiter 
außfcblie^lid)  ben  3^erf=  unb  bie  ^unftmä^igfeit  be^ 
©anjen  ins  ^2luge  faffen.  9iiemanb  wirb  aber  barüber 
im  Streifet  fein,  roeld)e^  ber  beiben  Urteile  ma^geben-- 
ber  ift  tyerner:  bie  größten  93ceifter  ber  gefd)loffenen 
•Jorm,  3.  ^.  6t)a!efpeare,  Scbiller  unb  ©ante,  t)aben 
gleid)tvol)l  ber  Sin3elfd)önl)eit  fo  gro^eö  ©etvic^t  bei- 
gemeffen,  t>a%  Seite  für  Geite,  ja  (Bat^  für  Sat5  mit 
fold)er  auögerüftet  erfd^eint.  93^an  nenne  mir  bod)  fold)e 
5l'unftwer!e  ber  93ergangenl)eit,  weld)e  einzig  unb  allein 
burd)  it)re  bramatifd)e  ober  fonftige  planmäßige  ^raft 
fortlebten,  dagegen  ftnb  ewige  QBerfe,  benen  <5orm  ober 
6d)luß  feblt,  in  einer  erlaud)ten  5ablreid)en  ßlite  oor- 
^anbcn:  3.  ^.  3lici^,  Orlanbo,  <5)on  Quid)otte.  (Jnblid) 
baä  fd)lagenbfte  ^eifpiel:  bie  göttlid)e  5tomöbie.  *2ll6 
©efamtfunftwerf  für  unö  9:ßifd)nu,  burd)  bie  Sinjel- 
fc^ön^eiten  in  (fwigfeit  genießbar. 


Sin  i^riterium  ber  ©rö^e 

QSer  in  t)er  ©efd)id)te  bie  Unbeftänt)ig!eit  be^  ©e- 
fd)mac!e^,  bie  Q[Bant)etbar!eit  ber  Urteile,  bie  Hnj'id)er' 
t)eit  ber  3Ut>erfid)tlid)ften  äftf)ctifci^en  ©runblagen  tt)at)r' 
genommen,  fragt  fiel)  beforgt,  ob  eö  benn  ni(i)t  gemein- 
fd)aftlid)e  9}^er!male  gebe,  u>etd)e,  bem  ^rei^taufe  ber 
tt?ed)fe(nben  '2lnfid)ten  jum  ^ro^,  jebertei  ®rö§e  gu 
jeber  Seit  t)on  ber  9}^ittetgrö§e  ober  Sd)eingri5^e  unter- 
fcf)eiben  liefen.  Sin  fotd)eö  9}^erfmal,  nid)t  ba^  einzige, 
fd)eint  mir  t>k  ^rägnanj  p  fein,  auf  beutfd) :  ta^  '23e' 
bürfni^  nad)  bünbigem  ^luöbrucf ,  ober,  oon  ber  ^e^r- 
feite  betrachtet,  ber  ^bfd)eu  öor  au^gebe{)nteren  minber- 
iüertigen  Übergang^ftetten,  ber  Äa§  gegen  bie  '33reite, 
ber  Horror  vacui.  Seber  ©ro^e,  toer  er  aud)  fei  unb 
n^ann  er  aud)  lebe,  gibt  immer  t)icl  auf  einen  fteincn 
9^aum;  ob  er  nun  bie  6d)ä^e  nur  fo  über  bie  Hfer 
fd)äume  ober  ob  er  ^auö()älterifd)  bie  Straft  §ufammen= 
t)atte.  Q'Ze^men  Sie  njen  6ie  n;)o(ten,  Äomer  ober  6d)iüet 
ober  n)en  fonft,  unb  fc^tagen  Sie  irgenbeine  beliebige 
Seite  auf,  jebe  Seite  ga^It  mit  ©otb,  überall  tt)erben 
Sic  gefeffelt,  überall  fpüren  Sie  Äoc^luft,  überall  ift 
Sc^önt)eit.  S^  fommt  bei  ben  ©ro^en  nid)t  öor,  tiaf^  ber 
©enie^enbe  ftd)  erft  burd)  Sanbt)aufen  n)ül)len  mü^te, 
e^e  er  ©olb!(5rner  entbedt,  eö  fommt  namentlid)  nid^t 
öor,  t>a%  größere  Partien  ^ert  erft  burd)  ben  3ufam-- 
ment)ang  gett)innen,  alfo  nur  Übergang^-  ober  ^om^o-- 
fition^tt)ert  beft^en. 

„2efen  Sie  nur  tueiter,  Sie  toerben  bann  fd)on  fet)cn/' 

9^ ein,  ic^  lefe  nid)t  n^eiter.   «Senn  ein  ©ro^er  öerftedt 

bie  Sc^önt)eit  nid)t  in  eine  ^urft  üon  9}Zet)l  unb  Äädfet. 

SOcufx!  ober  '^oefie,  unfcr  ^rüfftein  pa^t  für  beibe^. 

epittcter,  Cad^cnöe  QD3at)rI)eUcn  5 


66  0ic  Stimmung  bcr  ©vof^cn 

QiOer  3hnen  bicfc  Äaufen  üon  ^önen  ju  t)erfd)luc!en  gibt, 
et)C  er  3()ncn  cttr>aö  9ial;rf)afte^  mitunter  fd)enft,  t)er 
ift  (ein  G5ro^er,  er  tjei^e  iuie  er  njoüe.  9cet)men  6ic  da- 
gegen Q3eetI)ot>en  ot)er  9D^0äart  ober  Äapbn,  einerlei : 
cinß,  gtuei,  t)rei:  in  t)en  erftcn  ^^atten  fd)on  t)aben 
6ie  tyorm,  Älart)eit,  Energie,  meiftens  and)  bereit« 
<Bd)'öni)c\t. 

©00  fommt  t)ai?on,  t>a%  ein  ©ro^er,  tt)ät)renb  er 
fd)afft,  in  t)er  ßmigfeit  lebt,  too  t)ie  Seit  foftbar  ift. 
©enn  in  t>er  Gtüigfeit  bebeutet  bie  Gefunbe  me^r,  ate 
im  ''^lütag  bic  6tunbe. 


®ie  Stimmung  ber  ©ro^en 

ßö  frod)  ha  t)ov  einigen  3at)ren  (unb  !fried)t  noc^)  ein 
literarifd)er  S^a^enjammer  burd>  Suropa,  ber  fid)  in 
allerlei  5\ünftlerromanen  erleid^terte,  bereu  gemeinfame^ 
^l)ema  ben  Seelenefel  eines  an  feiner  5\unft  irregett>or-- 
benen  ilünftlerö  bilbete.  0en  ^Jlnta^  gab  3ola  mit  fei- 
nem Oeuorc.  ©iefe^  ©ofument  barf  litcrarl)iftorifd)en 
9Ö3ert  beanfprudjen,  bod)  nicbt  in  bem  6inne,  wie  e^ 
ber  Q3erfaffer  meinte,  al^  ^robe  ber  öeelenfämpfe  eine^ 
genialen  S^'ünftler^,  fonbern  alö  tvarnenbes  Stempel 
ber  Stimmung  ber  gottt>erlaffenen  9}Zittelmä§ig!eit,  be^ 
unheilbaren  geborenen  Gtümper^.  9^iemal^  üerjnjeifelt, 
ja  niemals  jweifelt  ein  ©ro^er  an  ber  ^unft.  ^n  fxc^ 
felbft,  id)  meine  an  feinem  93er^ältni^  jur  5^^unft  mag 
er  ^njeifcln  ober  uerätoeifeln,  bie  5tunft  felber  t)ingegen 
ftellt  er  nie  in  *5rage.  Qö}cl)mut  unb  ©ram,  Q3crbüfte-- 
rung  bis  jum  '^Gal^nfinn  mi5gen  il)n  l)eimfud)en,  allein 
S(el  cor  feinem  QÖJerläeug,  nein,  ben  öerfpürt  (ein  9)?ei-- 


über  bie  "^S^aliat^  67 

ftev.  3et)er  füd)tige  ©eiger,  tuenn  it)m  au6)  ©Ott  unt> 
QSelt  abt)anben  fämcn,  glaubt  boc^  an  feine  ©eige.  'i^ln 
bic  ta^Ut  xi)m  feine  Sfepfis. 

5?unft,  tt)enn  fie  einer  fann,  üerleif)t  ba^  ©efü^t  bcr 
^raft,  jeugt  Selbftben)u§tfein  unb  6elbftgefüt)l.  Unb 
Gelbftgefü^I,  toenn  eö  begrünbet  ift,  mad)t  glü(ilici).  <5t^ci= 
lid)  ift  bie  S^unft  eine  2a)t,  unb  ^war  eine  fd)n)ere  2a% 
aud)  mag  einer  geitmeilig  barunter  äd)gen,  n)ie  Ginb» 
bab,  als  er  ben  9^ie[en  trug,  immerf)in  ift  e^  ein  gött-- 
lid)er  9?iefe  unb  eine  befeligenbe  S^ne^tfd)aft. 

<S>arum  nod)  einmal:  5^ünftlerifd)e  Stärfeunb  ©rö^e 
^eugt  ©tücf,  n)el)mütige^  ernfte^  (3lüd,  zugegeben,  im-- 
merl)in  i>a^  ^öd)fte  ©lücf,  i)a^  auf  biefer  ßrbe  gu  fin= 
ben  ift.  Äattlos  ift  nur  ber  S^n)äd)ling  unb  (S!el  oer- 
fpürt  nur  ber  €rbärmlicl)e. 


llber  bie  ^aüabe 

©ans  ^it  Hnred)t  i^at  man  bie  ^aüabe  unter  bic 
€pifcl)en  0icl)tung0gattungen  red)nen  ujoüen.  "Senn  bie 
©eftaltung  eines  Spog,  aud)  beö  fürjeften,  erforbert 
gan§  anbere  tyä^igfeiten  unb  Stimmungen  al^  bie  ^al- 
labe.  3n  ber  Q3ertegenf)eit  Jt>ät)lte  t>xQ:  ^oeti!  folgenbe^ 
^ußfunftsmittel :  nid)t  epifd),  nid)t  Iprifc^,  fotglid) 
„ti)rifd)'epifd)"  ober  „epifd)-lt)rifc^".  Oh  t)a^  logifd) 
fei,  fd)eint  mir  gn)eifelf)aft.  ^in  '5:ier,  t>a^  njeber  ein 
Äunb,  nod)  eine  Äa^e  ju  fein  fd)eint,  ift  be^^atb  feine 
Äunbefa^e. 

3d)  frage  einfad) :  QSer  fd)reibt  unb  n)cr  fd)rieb  öon 
je^er  '23allaben?  ©ie  eiteraturgefc^id)te  antwortet:  ber 
ß^rifer.  ©araul  jiel^e  id)  ben  6c^lu^,  t)a%  bie  ^aHabe 


68  Über  t>ic  ^aüabc 


^ur  lvrifd)cn  ^oefie  Qih'di)[t  tverbcn  mu^.    3nt)irefte 
2x)xxt;  2i)v\t  mit  einer  93ta0fe  t>or  t)em  ©cfid)t. 

QÜJcif  iDid)tiiicr  al^  bie  <S)efinition  t)er  ^aüabe,  n)eld)e, 
beiläufig  gefagt,  niemant)  gelingt,  ift  bie  Unterfd)eibung 
it)rer  Unterabteilungen.  <5)enn  bie  Unterfd)eibung  ver- 
feinert t>a^  6tilgefül)l  unb  lä§t  neue  "^Hufgaben  finbcn. 
0a  ergibt  fid)  benn  t)or  allem  bie  Trennung  ber  naioen 
Q3olföbaUabe  üon  ber  bett)u^t  unb  oirtuoö  ausgearbei- 
teten itunftballabe.  3tt)ei  gewaltige  Äälften,  tDelc^e 
il)rer(eite  roicberum  eine  9?cenge  bon  Unterabteilungen 
l}aben. 

I 

3c^  beginne  mit  ber  Q3olf2batlabe.  ^iefelbe  \)at  ent- 
tueber  einen  mptl)ologifc^en  ibintergrunb  ober,  al^  ßr- 
fa$  bafür,  einen  S^ealiemu^  menfd)lid)er  Übermacht, 
cor  allem  ber  Slönigefrone.  3d)  fpred)e  bal)er  oon 
mptl)ologifc^en  '53aUaben  unb  oon  5tönig0baüaben. 

®ie  mptl)ologifd)e  ^allabe  befd)äftigt  ftd)  mit  alten 
begenerierten  5beibengöttern,  meld)e,  au^  9\eligion  unb 
^>eltanfd)auung  oom  (it)riftentum  t)erbrängt,  im  Q3olf^- 
aberglauben  njeiterfpuften,  am  liebften  mit  Oiijen  unt> 
(Slfen.  «Siefe  ©ötter  greifen  t)anbelnb  in  t)a^  tD^enfd)en- 
fd)icffal  ein.  Sie  ir>erben  urfprünglic^  al^  menfd)en» 
feinblid)e  Qöefen  aufgefaßt;  it)rc  '53egegnung  bringt 
Unt)eil.  0e0l)alb  i)at  bie  ed)te  naioe  Q3ol!0batlabe  meift 
tragifd^en  "-^lusgang  unb  graufige  Stimmung. 

So  nod)  bei  Q3ürger. 

(Die  OefpenfterbaUabc  unb  bie  blutige  Sd)aucrbaUabe 
finb  Unterarten,  bc5iel)ungömeife  ^Ibarten  unb  Unarten 
ber  mvtl;ologifd)en  Q3aUabe.  9}^er(mürbig  übcreinftim- 
menb   erfd)einen  bie  mpt^ologifc^en  ©eftalten  in  ber 


über  bie  ^^aüabe  69 


QSolf^poeftc  ber  oerfd)icbenften  9'Jafionen.  Sic  treffen 
bie  ^'lifcn  unb  ^Ifen  unter  anbern  9'Jamen  faft  überall. 

QSenn  Sie  bie  ^roeite  "^Irt  ber  Q3olfsballaben,  bie 
Äönig^ballaben,  nac^fül)len  njollen,  fo  muffen  Sie  fid) 
erinnern,  i>a%  bie  ^rone  bem  9?^ittelalter  als  ettt)a^  mit 
bem  Überfinnlic^en  Q3ern)anbteß  erfrf)icn.  ioat  bod)  im 
93olf^mär(^en  ber  ^önig^fol)n  ungefäl)r  ^yeenrang.  5)ie 
^önigöfamilie  erfd)eint  n)ie  eine  l)öf)ere  '2lrt  xOcenfd), 
beren  bloßer  O'tame  fd)on  ibealiftifd)  tt)irft  unb  beren 
^efen  unb  ©ebaren  burc^  einen  glänjenben  Sd)immer 
»erfjüUt  n)irb.  <S)e^t)alb  feine  Spur  einer  (il)arafteriftif, 
fonjenig  wie  bie  ^l)antafie  (Sngel  d)arafterifiert  9?^ic^ 
tt>anbelt,  n)enn  id)  fo  einen  ^allaben--  ober  ^Rärc^en» 
fönig  fet)e,  immer  bie  £uft  an,  mit  \i)m  S!at  ju  fpielen. 
a^  fxnb  .^artenfpielfönige. 

(S^  ift  übrigen^  bie  .^önigsmürbe  nid)t  unerläßlich 
für  einen  Selben  ber  ^önigöballabe.  ß^  fönnen  anbere 
Stänbc  bafür  oüariieren,  oorausgefe^t  nur,  ta%  ber 
Stanb  einen  ibealiftifd)en  unb  eblen  Scl)immer  in  ber 
93ol!^pl)antafie  gett)innt.  3d)  betrachte  bie  Äelbenbal» 
labe,  t>xQ  O^itterballabe,  bie  Sängerballabc,  bie  2iebeö= 
ballabe  nur  ale  Unterarten  ber  Äönig^ballabe. 

*33e!anntertt)eife,  aber  aucl)  mer!mürbigern)eife,  oer-- 
ftel)t  bie  93ot!ßp^antafte  t)a^  ^unftftücf,  famofe  Q3er- 
bred)er  mit  einem  ibeatiftifc^en  9Zimbuö  gu  umgeben, 
t)orau0gcfe^t,  ha%  ber  Q3erbrcc^er  in  tt)ot)ltuenber  ^erne 
arbeitet  ober  regelrecht  t)alßpeinlic^  unfc^äblicl)  gemacf)t 
iDorben  ift.  0enn  t)ort)er  lautet  es  anber«. 

(5^  gibt  bal)er  auc^  eine  Äatun!enballabe  unb  jtDar 
in  reic^l)altigem  ^2lffortiment.  3n  Ofteuropa  ert)ält  ber 
Äeibuc!,  ber  S^ofaf,  beren  9^ame  urfprünglicl)  einen 
räuberifc^en  ^yreibeuter  befagt,  bie  poetifc^e  ^erflärung ; 


über  bie  l^aliciW 


in  ^efteurcpa  fmt)  cö  Q3ant)iten  unt)  ^riöaträubcr, 
9\inalbo  Oxinalbini,  ^va  <5)iat»oto  unt)  bergleid)en.  <S)en 
Ä^orfarcn  {)at  fogar  ein  "^Mditcr  t»om  0\ange  ^i)ron^ 
jum  Cicbling  enpät)lt.  i{\\t>  noc^  f)eutäutage  ift  fein  ©e- 
föpftcr  V)or  tiem  ^efungentverben  fid)er.  "Sie  mört»er- 
lirf)e  Q3än!clfängerci  t)er  frü!)cren  Sa^rmörfte  ift  ein 
cd)fer  tiire!tev  ^Ibfömmlintj  t)er  alten  QSoKßballabe. 

'S)agegen  t>at  t)ie  93olf?pt)antafie  niemals  bem  @e-- 
rid)t,  ben  ^^etreibungßbe{)brl)en,  bcm  6teuern)efen  unb 
ben  ^fänbungßbeamten  eine  poetifd)e  Seite  abgen)on-- 
nen.   (J^  gibt  feine  ^oti§eibaUabe. 


II 

9cun  gur  5n)eiten  ioälfte  ber  Q3aUabenbid)tung :  jur 
Äunftballabe. 

(^0  genügt  nid;t,  ta%  ein  Stünftter  fid)  ber  Q3olf ^baltabe 
5Utt)enbe,  bamit  eine  Äunftbaüabe  entftet)e.  ®enn  ber 
5lünftler  fann  fid)  feiner  ^erfönlic^feit  unb  feiner  ^il- 
bung  entäußern,  um  bie  9'iait»ität  ber  Q3olf^poefie  nad)- 
jual)men.  Go  f)anbelten  jum  Q3eifpiel  95ürger  unb 
^lf)lanb.  <S)ann  entftef)t  ein  ard)aiftifd)eö  5?unftn?erf,  t>ci^ 
t)eiBt  ein  fotd)eß,  n)eld>eö  abfid^tlid)  im  ©eifte  einer 
entfd)n?unbenen3eit  ober  entfd)n)unbener  Q3orfteUungen 
unb  gtilformen  arbeitet  QSenn  9?ienbetigfof)n  'Jugen 
unb  Oratorien  im  ©eifte  ^od)^  fomponierte,  fo  fompo- 
nierte  er  ard)aiftifd) ;  tt)enn  unfere  <33aumeifter  Ääufer 
in  9\ofofo  ober  ©otif  bauen,  fo  bauen  fie  ard^aiftifd). 

<I>ic  5^unftballabe  entftanb,  alß  ein  0id)ter,  o^ne  fic^ 
feiner  ^ilbungc4;öl)e  unb  feiner  5?unft  ju  entäußern, 
mit  feiner  gan^^en  ^er[önlid)feit  ftd)  ber  Q3aUabe  an- 
nat)m.  Unb  jener  0id}ter  mar,  n)ie  £ie  njiffen,  ©oetbe. 


llbcr  bie  ^aUabe  71 


€r  i)0.t  bic  ^unftbaUabe  gefd)affen.  '5:iefeingreifent)e, 
tDcnn  aud)  md)t  auffällige  S.lnterfd)ict»e  öon  t)cr  Q3otfö' 
baUabe  jcigt  t)ic  @oett)efd}e  ^unftbaüabe;  ynterfd)iet)e 
im  tiefften  Snnern  tt)te  in  ber  äußern  <5orm. 

0er  urfprüngtid)e  mt)tt)oIogifcf)e  ©e^alt  ivirt)  in  ber 
^unftballabe  aüegovifd)  gebeutet  unb  rationaliftifd)  er» 
Hart,  ®ic  et)emaUgen  ©ötter  finb  nur  nod)  bilbUd)e  lim» 
fd)reibungen  ber  9taturfräfte.  0ie  tragifd)e  unb  grau-- 
fige  Stimmung  fommt  ab{)anben ;  an  if)re  Stelle  tritt 
ein  {)of)er  ©ebanfenget)alt,  ber  aüe^  burd)geiftigt.  9^uf)e 
unb  'Slnmut,  ^larf)eit  unb  Sd)önt)eit  ber  Silber,  be^ 
^onö  unb  ber  6prad)e  burd)fonnen  bie@oeti)efd)e^unft-- 
baUabe;  fo  ba^,  felbft  n)enn  ein  tragifd)c^  ^nbe  erfolgt, 
keinerlei  9\üf)rung,  gefd)n)eige  benn  Srfd)ütterung  be- 
tt>ir!t  n)irb ;  benn  bie  '^Befriebigung  beß  äft{)etifd)en  Sinn^ 
ift  fo  ftar!,  t)a%  felbft  ber  '53erid)t  bes  ^obeö  bie  Äar-- 
monie  nid)t  ftört.  Q®i^  unb  Äumor,  ja  fogar  taß  £el}r- 
{)afte,  tritt  in  ber  ©oet{)efd)en  Q3al{abe  jutage. 

9'Jid)t  ausna{)mölo^  ift  bie  @oet{)efd)e  Ä'unftbaüabe 
ber  93olföbal(abe  überlegen.  0en  SrHönig  g,  ^.  mit 
feiner  ettt)a^  aufbringlid)en  9?ationaliftif  vermag  id)  nid)t 
al^  ebenbürtig  mit  feinen  naiöeren  Q3crbilbern  gu  er- 
fennen  unb  id)  ftel)e  mit  biefem  Urteil  unter  ben  5)id)= 
tern  nid)t  allein,  ^bcr  im  ganzen  b^teuUt  bie  @oet{)e- 
fc^e  93allabe  eine  (^rl)öf)ung,  unb  jn^ar  eine  gemaltige 
(^rl)öl)ung. 

QQßenn  6ie  nun  ein  9\c^Qpt  l)aben  moUen,  um  ju  er- 
fcnnen,  ob  eine  '33allabe  ber  93 olf ßballabe,  beäicf)ungö- 
meife  iljrer  9^ad)af)mung :  ber  ard)aiftifd)en  93allabe  an- 
gel)öre,  fo  fragen  Sie  fid)  einfad) :  ,,Äat  tk  '^allat>e 
einen  Haren  ©ebanfenftnn,  ober,  ma^  basfelbe  ift,  eine 
burd)fid)tigeSt)mboli!?"  ^ennja,bannifteg  eine^unff- 


\\hev  bie  ^aüabe 


baUat)e.  'S^cnn  t>ie  Q3olföbaUat)c  arbeitet  au0  ber  6tim-- 
mung,  bic  itlunftballabe  aus  bem  ©ebanfen. 

Q?on  allem  biß()er  ^el)anbelten  grunbt)er[ct)iebcn  finb 
bie  6cI)iUerfd)en  'Saüaben.  «Siefe  finb  über()aupt  nid)t 
au6  bem  Stamm  ber  93olföbaHaben  getDac^fen,  aud) 
m6)t  baraufgepfropft,  fonbern  eine felbftänbige  ^flanje 
mit  eigenen  Q^isurjeln.  Q3on  ber^atlabe  t)aben  fte  nid)tö 
alä  ben  9iamen;  unb  biefer  9came  ift  oerfänglid),  tt)ie 
eine  (Stilette,  bie  burd)  93ertt)ed)flung  auf  eine  anberc 
'iytafd)e  getjeftet  tt)irb. 

Soll  man  bie  QSiüfür  ber  Benennung  bebauern?  3d) 
glaube  nid)t;  benn  ^ierburc^  tüirb  ber  Q3egriff  ber  ^aV 
labe  erweitert,  tt)enn  fd)on  etiyyaß  gen^altfam.  ®ie  ^oeti! 
geminnt  bamit  einen  Obertitel  für  bie  ergäljlenbe  Sprit 
im  allgemeinen,  unb  ein  fold)er  ^itel  ift  njünfc^enöroert, 
t>ielleid)t  fogar  nötig,  einerlei  U)ie  er  laute.  9tur  mu§ 
man  üerftet)en  unb  fid)  oerftänbigen.  QBenn  einer  5.  ^. 
an  ben  6d)illerfd)en  ^aüaben  t>a^  QSefen  ber  ^allabe 
im  allgemeinen  ftubieren  n?ollte,  n)ie  baö  mit  Q3ürger 
unb  ill)lanb  unb  teiltveife  aud)  mit  ©oetl)e  gelingen 
fann,  fo  ttJürbe  er  auf  abenteuerliche  Irrtümer  üer= 
fallen. 

QSa^  finb  benn  bie  6c^illerfd)en  „93allaben"  ?  Q3iel-- 
leid)t  t)iftorifd)e  ^allaben?  Scheinbar  ja,  in  QJ3ir!lid)= 
feit  nein,  benn  t)iftorifd)  fann  blo^  l)ei§en,  xt>aQ  burd) 
fein^l)ema  ber  9ö5eltgefd)id)te  anget)brt.  (Sß  genügt  aber 
nid)t,  t)a^  etwas  »ergangen  unb  einer  tot  ift  ober  nie 
gelebt  l)at,  bamit  er  jur  Q[ßeltgefd)id)te  gcl)öre. 

QCßie  l)ei§en  benn  bie  Äelben  ber  6d)illerfc^en  ^^Batla-- 
ben?  Q;i>a6  tun  fie?  QSann  l)aben  fie  gelebt  V  5Daben  fic 
überl)aupt  loirflid)  gelebt?  Q3canttvorten  6ie  fid)  biefe 
<rVragen,  bie  6d)illerfc^en  ©ebid)te  in  ber  Äanb,  fo  »er- 


QOBibmungcn  73 


ben  6ic  au6)  t)ic  *2Intn>ort  auf  bie  t^^ragc  finben,  toa^ 
bic  6d)incrfrf)cn  93allQben  finb :  nämlid)  *i2lne!boten. 

<5)er  grünblic^e  @cfc^irf)t6fenner,  ber  unt>crgleid)lid)c 
©efc^ic^töbramatifer  ift  in  feinen  '^atlaben  ber  großen 
©efd)id)fe  auö  bem  QBege  gegangen  unb  i)at  gef[iffent' 
lief)  bie  ftaubigften  QÖöinfel  ber  »ergeffenften  *iHne!boten- 
fammtungen  abgefud)t.  ^arum  tat  er  ha^  ?  Qßeil  er 
unbebeufenbe  ^f)emen  braud)te,  um  baran  feine  9^ic- 
fenfraff  unb  9?Zeifterluff  fpielenb  gu  betätigen.  0er  ge- 
gebene 6toff,  hai  @efd)ic^trf)en,  ift  nicf)t^ ;  ja  oft  nod)  tt)e- 
niger  als  nid)t^,  nämlid)  unleiblid) ;  aber  feinet,  ba^  nic^t 
6d)ilter  jur  llnfterblid)feit,  gum  ©emeingut  aKer  9ta- 
tionen  ert)ebt.  ßr  braud)t  ja  blo^  etttja^  ansurül)ren,  fo 
i)at  eö  ben  Stempel  feiner  9}ceifterl)anb.  Scl)iller  miß- 
lingt übert)aupt  ni(f)tö. 

@oett)e  unb  6d)iller  unb  if)re  9^ac^folger  l)aben  baö 
©ebiet  ber  ^unftballabe  f  eine^roegö  erfc^öpft.  Überl)aupt 
erfd)öpft  ja  niemanb  t>ie  ^unft. 


QBibmungen 

93or  mir  liegt  ein  ^albe^  ©u^enb  im  »ergangenen 
3al)rc  erfd)ienener  unb  t)on  üerfc^iebenen  93erfaffern 
gefcl)riebener  ^ücf)er,  n)etd)e  fämtlid)  mit  einer  QSib- 
mung  ,/2ln  meine  '^J^utter"  t>erfet)en  ftnb.  ^a  ift  e^  »o^l 
am  ^la^e,  ein  QBort,  ba^,  n)ie  ic^  »ermuten  muß  unb 
l)offen  barf,  fd)on  oft  gcfagt  worben  ift,  noc^mal^  ju 
fügen. 

"^Büc^er,  bie  man  bruden  unb  burd)  eine  QSerlagö^anb- 
lung  freug  unb  quer  in  bie  unbekannte  QSelt  verbreiten 
läßt,  ftnb  eine  ^^ngelegent)eit  ber  Öffentlichkeit,  nicf)t  ber 


'4  Q;i}it)mungen 


Familie.  Q55et)cr  t>ic  93cutter,  nod)  t)ie  ^vau,  noc^  bie 
^ante  ^e^  93crfafferö  fommt  i)kx  in  <33etrad)t.  "^a^  ein 
ern)acf)fener  ??cenfd),  tüenn  er  bae  unfd)ä^bare  ©lücf 
^at,  feine  93cutter  nod)  unter  t)en  2ebent)en  ju  befi^en, 
\t)v  feine  beften  @efü{)le  ber  Ciebe,  St)rturd)t  unb  «San!- 
barfeit  n)ibmet,t)erfte{)tfid)  t>on  felbft,ift  aurf)  fein<5)id)ter= 
gef)eimni^.  ßin  ^arlamentsrebner  gibt  an  t^^amilien- 
pietät  bem  6d)riftfteUer  nid)t2!  nad);  bennod)  fällt  il)m 
nid)t  ein,  eine  9\ebe  über  bie  3uc!erfteuer  mit  einer  *2ln- 
l)änglid)feit0f(o0f el  an  bie  9lbreffe  feiner  liebften  9lnge- 
l)örigen  einzuleiten.  3d)  üerfte^e  ja  unb  ac^te  bie  ©eftn» 
nung,  ic^  fül)le  fogar  mit,  id)  taffc  mid)  tt)illig  rül)rcn 
unb  fd)lie^e  überbieö  auö  ber  QS5ibmung  auf  bie  @ut= 
artigfeit  unb  ßiebenenjürbigfeit  beiber,  beß!  93erfafferg 
unb  ber  9}^utter.  (So  njürbe  mid)  aber  ein  ä{)ntid)er*^ie' 
tät^auöbruc!  aud)  am^arlamentörebnerrül)ren.  QBar- 
um  tut  ber^arlamentörebnernid)töbergleid)cn?  OBe^o» 
t)alb  lä§t  er  fic^  biefen  Q3ortei(  entgef)cn  ?  ^eil  er  ein 
größeres  '5:aftgefül)l  befi^t,  tt)ei(  er  fpürt,  t>a%  man  ber 
Öffentlid)!eit  nid)t  Q3ertraulicl)f  eit,  f  onbern  gl)rerbietung 
fd)ulbet.  Sine  9^ation  ift  ein  ju  erf)abener  QOßcrt,  um 
atö  9[Rün§e  für  ein  '5amiliengefd)enf  ju  bienen,  unb  ba^ 
^ublifum  eine  ju  t)ol)e  ^erfon,  at^  ba^  man  il)m  zu- 
muten bürfte,  fid)  in  feiner  @efamtl)eit  in  unbeftimmter 
9\id)tung  nad)  einer  unbcfannten  ®ame  gu  »erneigen, 
VDie  el)rn?ürbig  biefe  an  fid)  fein  möge.  3d)  wd%  nid)t, 
U)ie  eö  anbern  ergef)t;  id)  üerfpüre  in  fold)en  fällen  ftetö 
einen  leifen  S^i^el,  bem  93erleger  ba^  ^ud)  ungelefcn 
äurücfjufenben,  mit  ber  93egrünbung,  ^a%  id)  leiber  zu- 
fällig nid)t  bie  Gl)re  l)ätte,  bie  9?tutter  be^  93erfafferö 
5u  fein,  ^yreilid;  bet)ält  fd)lie^lid)  txiQ  9?^itgefüt)l  t)k 
Oberl)anb ;  allein  id)  i)ahc  bem  Q3erfaffer  fd)on  ^tma^ 


QS>it)mungen  75 


X)cv^eii)en  muffen,  elje  er  nur  Seit  i)atte,  mir  feine  me- 
frifc^en  '5ef)ler  ju  enttt)icfeln,  unb  bas  ift  ctwa^  ju  früf), 
Sin  atte^  Äerfommen  t)erfd)ult)et  t)en  ??cipraud)  unt) 
entfd)ult)igt  if)n  im  (Sinjelfalle ;  ja,  t>ie  5\unftgefd)id)te 
mu§  it)n  in  ben  't^lugen  bercr,  t>enen  erlaud)teö  '^eifpiet 
f(J)on  ©efe^  bebeutet,  fogar  red)tfertigen.  5)id)ter  unt) 
Äünftter  entrichteten  einft  auf  t)em  ^itel  ober  gar  inner= 
t)atb  t)e0  Qffierfe^  felbft  beliebigen,  un^  gleid)gültigen 
Äerren  unb  ©amen  it)ren  Äöflid)feitö-  ober  *5Hnpng-- 
Iic{)!eitstribut.  ^aler  fd)enften  unö  §u  einer  t)errli(^ett 
9}^abonna  ^5:ud)t)änbler  unb  9?at^f)erren  mit  in  ben 
^auf ;  93^ufi!er  öerfc^nörfetten  ben  ^itel  xi)vev  unfterb- 
liefen  QSerJe  mit  breimeterlangen  abiigen  9tamen.  Ob 
jebod)  bergleicl)en  auf  uns  erf)ebenb  tüirfe,  baö  :frage 
id)  jeben  Hnbefangencn.Übrigens  ge^örtbieÄulbigung^= 
Pflicht  ber  Q3ergangenl)eit  an;  gegentoärtig  fiel)t  ftd) ber 
^ünftler  unb  Sd)riftftelter  jum  großen  93orteil  feiner 
Gtanbeötoürbe  il)rer  entbunben.  «Sarf  er  nun  bafür  fei= 
nerfeitö  tt)iH!ürlid)  t)ie  QSelt  oeranlaffen,  il)m  ben  pri= 
oaten  ©efül)l2tribut,  ben  er  jemanb  fcl)ulbet,  mitga^ten 
ju  Reifen?  9^ein;ber  9}^utter  be^  Sd)riftftetler^  gebül)rt 
tia^  erfte  (^jemplar  eines  QSerfeö,  baö  QSerf  felber  aber 
gef)ört  einer  anberen  S>ame:  et)ebem  nannte  man  fie 
9}Zufe,  je^t  bei^t  fie  bie  ^unft  3l)r  aßein  foU  ein  ^unft- 
tt)er! gen)ibmettt)erben.  <5)a  fid)  übrigen^  biefe  QSibmung 
üon  felbft  öerftebt,  bidht  unter  allen  QS>ibmungen  bei 
n)eitem  bie  gejiemenbfte :  gar  feine  QCßibmung. 


Q3efiertitel 

Seit  ungcfät)r  5tDci  3at)t5cf)nten  rei^t  in  <S>cutfd)' 
lant  —  unb  nid)t  nur  in  <S)cutfd)tanb  —  mel)r  unb  meljr 
ber  93vauci)  ein,  bie  9teugierbe  be^  Iiteranfd)en  ^ubti- 
fum^  burd)  Q3ejiertitel  ju  reiben.  Hnter  QSeriertitetn 
t)crffct)e  id)  folc^c  '^iitel,  n)eld)e  anftatt  ben  3nt)aU 
ju  benennen  ober  ju  erflären,  if)n  gefliffentlid)  oer-- 
t)üQen. 

®a^  gefd)ie^t,  inbem  man  entroeber  eine  nebenfäd)» 
lic^e  ^ne!bote  ober  ein  geringfügige^  9?equifit  ober 
cttt)aß  'i2if)nlid)eö  auö  bem  'tiefte  in  ben  ^ifel  ert)ebt 
C^ppuö:  „^tebermauö");  ober  inbem  man  einen  ah' 
ftraften  ©ebanfen,  ben  t>a^  ^ud>  ober  t>a^  3fücf  ju  he^ 
tt>eifen  üorgibt,  mit  irgcnb  etwaö  ^luffäüigem,  ttjomög- 
li^  Q3ierfü^igem,  t>ergleid)t  unb  f)ierauf  t>CL^  t)erglid)ene 
93ilb  jur  llberfd)rift  xv'di)lt  {^ppu^:  „<5)er  fd)n)ar5e 
6d)Ieier")-  3n  le^terem  <5alle  ge^t  es  tatfäd)Iic^  fo  ju, 
ba^  ber  93erfaffer  erft  einen  marftfd)reierifd)en  ^itcl 
aueftügelt  unb  nad)träglid)  irgenbtDo  im  ^ert  ha^  ©teid)» 
ni«  anbringt,  n)eld)e^  er  bann,  um  ben  ^itel  gu  rec^t» 
fertigen,  mit  ein  paar  tef)rt)aften  QKorten  pebantif^  unb 
aufbringtic^  außeinanberfe^t. 

JTdt  biefem  6t)ffem  taffen  ftd)  t)Q^  gen)öt)nlid)fte 
Gc^ablonenbrama  unb  ber  gemeinftc  9lffefforroman  mit 
ben  n)unberbarffen  9camen  taufen.  3.  ^53.  rM^  rote 
^aninc^en",  ober  „ber  fliegenbe  'Jrofd)",  tt)enn  Qttva  bie 
Äauptperfonen  nad)  unmöglid)en  Sitten  jagen ;  eö  braud)t 
ja  blo^  irgcnb  jcmanb  irgenb  einmal  im  93ertaufe  be^ 
<2ßerfe^  ben  begriff  ber  Hnmögtic^!eit  mit  einem  roten 
Äanind)en  ober  einem  ftiegenben  "tyrofd)  ju  öcrftnnbitb- 
liefen. 


a^ei-iertitcl  77 


?^un  tx)unt)ere  id)  mid)  feine0tt)egö,  t)a§  bie  9^eftame 
biefe^  raffinierte  xO^ittet  crfunben  f)af,  t)enn  bie  9\eflame 
ift  ebenfo  pfiffig  wie  ffrupeUo^.  dagegen  tüunbert  mic^, 
t>a%  je  länger  je  \mi)v  aud)  oorne{)mere  ©eifter  biefe^ 
unfeine  xO^ittel  nid)t  t>erfd)mä{)en  unb  tia%  baöfetbe  of)ne 
QSiberfprud)  t)ingenommen  tt)irt».  3ft  es  bocf)  fd)on  fo 
roeit  gekommen,  ba^  tt)enn  ein  9\oman  mit  bem  ^itet 
„Sappt)o"  ober  ein  "5:f)eaterftücf  mit  bem  ^itel  „^iU^" 
erfd)eint,  jebermann  al:^  felbftoerftänblid)  öorau^fe^t, 
t>Q%  M^  QOßerf  jebenfalt^  nid)t  oon  Sappt)o  unb  nic^t 
X)on  ^illp  f)anbeln  »erbe. 

©egen  biefe^  Q3erftedenfpie(en  möd)tc  x6)  mir  nun 
erlauben,  ein  ernfte^  '^ebenfen  auö5ufpred)en.  9^ämlid) 
abgefet)en  t>on  ber  '^fiffigfeit  beö  ^unftftücf  djen^,  n)eld)e 
an  ftd)  fc^on  nid)t  tt)ürbig,  jebenfall^  nid)t  t>ornel)m  ift, 
ftnbe  id),  wenn  ic^  ben  ^unftgriff  prüfe,  t)a%  er  auf  einer 
£üge  berul)t.  0enn  ttjenn  einer  ba^,  tt>ag  er  meint,  ab- 
fic^tlid)  fo  außbrüdt,  ta^  ber  ßefer  ober  Äörer  ^tma^ 
anbere^  barunter  öerfte^en  mu^,  fo  lügt  er,  ®en  Sin» 
wanb  ber  ©eringfügigfeit  aber  taffe  id)  nid)t  gelten« 
*2lud)  bie  fleinfte  ^reböpuftel  bemeift  ^reb^.  QCßenn  ic^ 
ba^er  bie  Sd)riftfteller  eine^  gangen  Seitatter^  mit  tf^n 
Überfd)nften  Unn)af)rl)eiten  fagen  l)öre,  fo  mu§  ic^  auf 
einen  allgemeinen  9}^angel  an  ßmpfinblid)!eit  für  ^a^r» 
l)eit  unb  Hntt)at)rl)eit  fd)lie^en.  ^u^  biefem  ©runbc 
fd)lage  id)  oor,  gu  bem  alten  ef)rlid)en  ^raud)  jurücf- 
aufe^ren,  folc^e  Überfd)riftcn  ju  wählen,  toelc^e  md)t 
irrefül)ren,  fonbern  weifen,  b.  l).  entn>eber  ben  Sn^alt 
anbeuten  ober  ben  Äauptgebanfcn  au^fprec^en,  ober 
ben  Äauptnamen  nennen. 


<5amiliaritäten 

,,9lltmeiftcr  @oett)e",  ^r'^iit'oaUv  Äomer",  „93atcr 
Äcrobot",  „^apa  5bapt)n",  ba^  get)t  ja  n)ic  in  ber  ^u\>' 
penfce.  Q3}arum  mcl)t  „^ante  Sappf)o",  „9}^ama  ©ibo"  ? 

93iit  n)eld)em  9\ed)t,  bitte,  tun  6ic  fo  familiär,  fo  »er- 
tt)ant)t,  fo  gnät)ig  mit  ben  erlaud)ten  Äcrrn  ?  6ic  mögen 
nod)  fo  järtlid)  '^apa  rufen,  er  nennt  Sk  boc^  ntd)t  (vmil. 

•beiläufig  eine  inbiöfrete  ^rage:  Sie  finb  o^ne  Strei- 
fet t)er  9ZämUd)e,  t)er  t>a  fd)reibt:  „^reunt)  £ampe", 
„trüber  ©rimmbart",  „©eöatter  Stord)",  „On!el^e^", 
benn  beibertei  ftammt  auß  bemfelben  ^amilienfmn,  au0 
bem  gleid)en  oeronifelten  ©emütöfd)a^.  Sine  auögebef)nte 
93ertt)anbtfd)aft,  fürnjat)r!  t)on  üäterUcI)er  Seite  mit 
Äomer  unb  Äa^bn,  t>on  mütterlid)er  mit  ber  ^x6)^ 
9toa^  t)erfd)n>ägert !  3d)  gratuliere. 

9^un  gel)ört  eö  ja  gen>i§  ju  ben  unt)eräu^erlid)ften 
9)^enfd)enred^ten,  ah  unb  ju  ein  bi^d^en  läppifd)  ju  tun. 
Unb  jur  Q3erbauung,  nad)  bem  Sffen,  roenn  einem  juft 
m6)t^  ©efc^eiteß  einfällt,  teiftet  ettva^  "i^Ilbernes  ben 
gleid)en  <S)ienft.  ^Iber  bru(fen  laffen  follte  man'^  beffer 
nid)t.  ©agu  ift  benn  bod)  ber  (Einfall,  alle^,  njae  t>a 
freud)t  unb  fleud)t,  ^apa  gu  nennen,  nic^t  bebeutenb 
genug.  9Iuc^  fd)iene  e^  mir  gefd)marft)oller,  ben  6d)er5 
nid)t  auf  bie  großen  5berrn  ber  S^unft  au^subet)nen.  ^i)v 
93ilb  genjinnt  fid)er  nid)t  baburd),  ba^  ber  erfte  befte 
ftd)  i()nen  auf  bie  ^nie  fe^t 

^lUerbing^,  eö  mad)t  fid^  ja  gett)ifferma^en  üon  fel- 
ber.  Gin  S^ünftler  tt)irb  alt,  junge  fommen  ^eran,  bie 
ben  eilten  niemals  jung  fa^en ;  benen  gel)ört  bie  QSor* 
ftellung  biefe^  5berrn  unjertrenntid)  mit  ber  Q3orftellung 
tr>ei§er  Äaare  ^ufammen;   unb  ber  „^Utmeifter"  ober 


Familiaritäten  79 


„^apa"  ift  fertig,  ^ft  ba^  auc^  nid)t  bcfont>er^  gef d)cit, 
fo  ift  e^  bod)  oeräei^Ud). 

5bingegen  ift  es  unt)cr5eit)lid),  nad)bem  jener  bas  Seit- 
liche gefegnet,  xf}m  feine  njei^en  Äaare  in  bie  Swigfeit 
nad)5utragen,  \\)m  feinen  tt)ot)lt>erbienten  9\u{)m  auf 
alle  Seiten  mit  Sd)lafrocE  unb  Pantoffeln  gu  öerun- 
jieren.  <5)enn  ber  ^^ob  verjüngt;  nact)bem  ber  £eib  öcr-- 
fd)n)unben,  tritt  bie  Seele  mit  bem  *i2Intli^  ber  Sugenb 
oor  bie  Erinnerung. 

Übrigens,  er  räd)t  ftd)  graufam,  ber  tote  ^unftpapa, 
für  ben  llnglimpf.  ®amit,  t>a%  er  (Sud)  ben  Sd)(üffel  gu 
feinen  QSerfen  öermeigert.  QSer  mit  ber  QSorfteltung 
eineö  ünblic^en  ^Utoaters  Äomcr  an  bie  3lia^  tritt, 
trägt  mit  feinen  Äänben  einen  muffigen  93eigefd)ma(f 
in  ben  ^ejt,  ben  er  nid)t  mel)r  loö  lüirb.  0ie  Sonne 
Äomerg  fd)Iägt  \i)m  in  einen  "^Itroeiberlommer  um.  QBer 
fid)  einmal  angett)öt)nt  f)at,  „^apa  Äapbn"  ju  fagen,  ber 
f)at  bas  "^Benefis  bes  Äa^bnfd)en  'Jrü^lingsjubet^  auf 
immer  oerloren.  93eobaci^ten  Sie  bod)  nur  bas  ^onjert- 
publifum  bei  einer  Äa^bnfd)en  St)mpl)onie.  Qßie  fie  ta 
tt)ol)ln)OÜenb  läd)eln,  tt)ie  fie  gnäbig  fd)mun§eln!  ^(0 
njoUten  fte  fagen :  „Er  fann'^  noc^  red)t  gut,  für  fein 
^Iter."  ®a^  fommt  üom  „^apa  Äapbn". 


^üotxia 


®ie  ,,®on--3uan--3bee" 

auft-Sbee",  ,,^rometf)euö-3t)ee",  „^tüu 
gc-3ut)cn-3t>ee",„<5)on-3uan-3t)ee".3c^ 
i)ahc  Ceute  gcfannt,  n)etd)e  behaupteten, 
fid)  ettDas  babei  gu  t»enf  en.  9cun,  in  jet)em 
'JaHe  ift  e^  eine  ^übfc^e  ßntbecfung, 
t>a%  man  bto§  f)inter  einen  beliebigen  (Eigennamen  baß 
QS>örtcf)en  St^ee  ju  fe^en  braud)t,  um  ein  Qviefenei  oon 
er()abenen  @efüt)Ien,  ein  n?at)re^  <23ogel-9?ocf--9teft  üon 
•^ieffinn  ins  ßeben  gu  rufen.  9iatür(id),  jetjt,  t)a  baö 
©ef)eimni0  einmal  gefunden  ift,  !ann  eö  ein  6c^ulbube. 
6emirami^--3bee,  3cu^--3t)ce,  ÄeraHes -- 3t)ee,  Gäfar- 
Sbcc,  '33rutuö--3t'ee,  5)0^enftaufen'3bee,  5?ad-t)ev- 
3tvötfte--3t)ee,  —  ein  ^fänberfpiel  ift  fd)tt)ierig  da- 
gegen. 3cb  mad)e  mid)  ant)eifd)ig,  an  einem  9?egennac^- 
mittag  §tt)eitaufenb  neue  --3been  ju  gebären. 

'^Im  beften  gefällt  mir'g,  njenn  bie  --3been  it)rerfeit^ 
mit  anbern  -3been  gu  einem  gemeinfamen  3t>eenAug  gu- 
fammengefoppelt  n)erben  n)ie  Äarmonüanjagen.  'i^lnti» 
nou^'*i2ld)ille0--93^ojart--9\affael'3bee.  ©a^  ift  ja  ein 
mal)rer  Omnibus.  2a%  fel)en,  ob  id)  e^  aud)  fann:  „£lra= 
noß  --5?ronoö  -  ^itan  --  Äannibal  -  Gpartafuö  -  9}^id)elan- 
gelo  ■  ^^eetl)0i3en  -  9\embranbt-©oet^e-9capoleon«3bec." 
©el)tba2? 

„3n  gett)iffem  Sinn,  tvenn  6ie  n)ollen,  —  eö  tommt 
barauf  an,  n)ie  3ie  e^  t>erftel)en,  —  get)t  eö  allerbing^." 

9iun  gut,  eö  gereid^t  mir  jum  ^rofte,  t)a%  id)  eö  auc^ 
!ann. 

'5)ieferp^ilofopl)ifd)cn®ampfmafc^ineburd)ben9^ebel 
ber  3c»t)v^unberte  müd)tc  id)  beileibe  feinen  Slniippel 
auf  bie  Sdnenen  n)erfen.    3ct)  üerftelje,  eö  ift  ein  ^er- 


<5)ie  „<5)om3uan-3t)ec"  83 

gnügungg^ug.  9cur  an  einer  einjigen  St^ee  ne^me  id) 
ein  dirgecni^,  Gagen  6ic  mir:  voa^  ift  eine  „©on-Suan- 
Sbee"? 

,,9tun,  t)ie  St'ee  t)er  nmt)iberfte{)lid)!eit,  n)ie  fie  fic^ 

auf  ©runb  einer  genialen  ^erfönlid)feit "    Ginb 

Sie  fertig?  Q3er5eif)en  6ie,  t)a§  id)  6ie  unterbred)e. 
^itU  zeigen  Sie  mir  in  ^on  3uan  irgenb  Hwa§  @e= 
nialeö  ober  Hnmiberftel)lid)e^.  3tt>ei  9'Jot5uc^tt»erfud)e, 
beinaf)e  üor  ben  klugen  be^  ^ublifumö,  t>a^  eine  93^al 
unter  feiger  Q3er!teibung,  Srmorbung  eine^  ©reifet, 
*23ertaffung  unb  ^erf)i5^nung  einer  treuen  ©eliebten, 
mit  Beigabe  öon  ein  bi^d)en  ©atgenmut  tOZatt^äi  am 
legten  —  "Oa^  finb  bie  ^ften.  (Jine  merfroürbige  Hn- 
n)iberfte{)lid)feit,  n)enn  einer  in  ber  9totäud)t  fein  Äeit 
fud)en  mu^,  ja  menn  \t)m  biefe  nid)t  einmal  gelingt,  tro^» 
bem  er  ©raf  ift,  in  einem  feubalen  3eitatter,  im  Canbe 
ber  primae  noctis  unb  eine^  ber  Opfer  fein  leibeigene^ 
^auernmäbd)en. 

'^llfo  9Zotäud)t,  menn  man  fie  nur  fleißig  übt,  ift  genial, 
ift  eine  geniale  3bee.  €ine  geniale  3bee!  Hnb  menn  fie 
einem  ^artnädig  mißlingt,  fo  ift  t>a^  bie  3bee  ber  Un-- 
tt)iberftet)lid)feit.  9^un  fold)erlei  3been  gibt  eö  @ottfei= 
ban!  einen  reid)en  Segen  in  unfern  3ud)tt)äufern,  mit 
abftel)enben  O^ren  am  5^opf  unb  Letten  an  ben  deinen. 
Sagen  Sie'g  il)nen  bod),  t>a%  fie  3been  finb,  e^  mirb  fte 
freuen,  eö  mirb  fie  tröften.  9^ur  bitte  id)  um  S^onfequenj. 
QSenn  <Don  3uan  eine  3bee  ift,  bann  muffen  mir  bie 
intereffanten  3nbit)ibuen,  tt)eld)e  im  9xebberg  ober  im 
€ifenbal)nn)agen  eine  x5^rau  überfallen,  gu  ©oftoren  ber 
^t)ilofopl)ie  ernennen,  bamit  fie  un^  ein  Kollegium  über 
bie  reine  Q3ernunft  lefen,  nebft  einem  Stipenbium  sur 
QSßeiterauöbiltung  il)rer  genialen  "i^lnlagen. 

6* 


84  0ie  „0on-3uan'3t)ee" 

?3ieinctit)egcn,  im  ©runbe  lä^f  fid)  ja  aüiz  auf  einen 
einfachen  6pracf)unterfd)iet)  jurücf fütjren :  gefällt  €ud) 
t)ag  Q;ßort  „3t>ee"  beffer  al^  „6d)uft",  fo  i)abe  id)  nid)te 
bagcgen.  Qjßarum  aber  „3t)ee",  tt)enn  einer  etwas  in  ^^ln• 
balufien,  unb  ,,0d)uft",  njenn  er  t>ai  nämlid)e  in  ©eutfd)- 
lanb  tut,  bag  ift  mir  nid)t  flar.  Ober  tt>irb  t)ieUeid)t  9iot-- 
juci)t  baburd)  ibeal,  ba^  man  Q3ariton  baju  fingt? 

©iefes  atfo  in  tyriebe  unb  ^reunbfd)aft.  9}Zan  fann 
ja  anbrer  '^^Infti^t  fein,  nid)t  'mai)v,  unb  cinanber  boc^ 
üon  Äerjen  lieb  l)aben.  QSo  id)  aber  Jriebe  unb  ^reunb- 
fd)aft  fünbe,  luo  id)  meine  ©egner  nid)t  mel)r  fo  übüig 
üon  ganzem  Äerjen  lieb  tjaben  fann,  tt>ie  id)  follte  unb 
luollte,  ta^  ift  üor  bem  llnternel)men,  bem  anbalufifc^en 
3beentt)ic^t  guliebe  ben  anbern,  ben  $enor,  ben  Otta« 
üio  für  läd)crlid)  auö^ugeben.  QBo  unb  iüann,  meine 
Äerrn  unb  ©amen,  n?ar  jemals  ßiebestreue  unb  Q?er-- 
trauen  eine^  Sbelmanneö  gegenüber  feiner  ^raut  ^twa^ 
£äc^erlid)e0?  (^ttr>a  in  ®eutfd)lanb,  bem  gelobten  Canbe 
ber  ^reue?  ^lan  nenne  mir  bod)  eine  einzige  Stelle  ber 
Oper,  n>o  ®on  Ottaüio  fid)  läd)erlid)  benimmt.  ©en?i§, 
tt>enn  beutfc^e  0arfteller  fingen  „id)  fc^)päd)e",  jtatt  „id) 
fc^njörc",  bann  ift  t>a^  fd^njad),  bann  tt)irb  er  läd)erlid). 
Sd)  meine,  ber  0arfteller,  nic^t  Ottaoio. 

9cein,  fott)oI)l  ber  Cibrettift  luie  ber  ^omponift  l)aben 
Ottaoio  ernft  genommen  unb  fpmpatt)ifc^  gemeint;  t>ai 
lie^e  fid)  ben^eifen,  unb  tt)enn  id)  gut  unterrichtet  bin, 
ift  CS  mittlern>eile  aud)  bett)iefen  n>ovben.  <5)ie  Oper 
©on  3uön  bebeutet  eine  Q3ert)errlid)ung  ber  ^reue,  n>ie 
•Jibelio. 

Ober  ujäre  etwa  Ottaoio  auf  UmtDegcn  läd)erlid), 
baburd),  t)a^  ^Zinna  im  gel)eimen  nid)t  il)n,  fonbern  ^on 
3uan  liebte?    ^as  lic^e  fid)  5ur  x^iot  be()auptcii,  fall« 


'^k  „0on--3uan-3t)ee"  85 

fte  ein  öerf)ciratete^  ^aar  »ärcn,  bod)  aud)  bann  nur, 
n?enn  einer  3ut>or  alle  feine  ??coraI  unb  feine  ©runb= 
fä^e  in  bie  ^afd)c  ftecft,  um  bafür  ^^Infdjauungen  frem-- 
ber  QSölfer  unb  Seiten  t)eroor5uframen.  —  «SJagegen  ein 
'^Bräutigam  Iärf)erlid),  n)eil  feine  ^raut  if)n  hinterge{)t, 
tveil  fie  if)m  t)erfc^n?eigt,  ba^  fie  einen  anbern  liebt,  — 
nein,  felbft  bie  friüolftcn  Seitalter  oerabfd)euen  in  fol- 
cf)em  ^a\i  bie  falfd)e  '^Braut.  Übrigens  ift  e^  ja  gar 
n\d)t  xr>a\)v,  ha%  '3)onna  ^^nna  0on  3uan  liebt,  erften^, 
n?eil  hci^  ©egenteil  tüai)v  ift,  id)  meine,  n)eil  im  ^erte 
aud)  nid)t  ber  minbefte  9lnt)alt3pun!t  bafür,  f)ingegen 
eine  9?tenge  au5brücflid)er  ^lusfagen  be^  ©egenteil^ 
ftel)en;  jn)eiten^,  n)eil  es  unmöglich  ift.  9ciemals  unb 
nirgenb^  ern^ibert  eine  anftänbige  tyrau  einen  feigen 
9iOt?iud)töerfud)  mit  2iebe. 

3d)  ^dbe  gefagt,  tuo  meine  (Sntrüftung  anfängt,  id) 
n)ill  nid)t  oerfd)n)eigen,  mo  fie  ben  ©ipfel  erreid;t.  Sie 
erreid)t  ben  ©ipfel,  wenn  ic^  lefen  mu^,  mie  beutfd)e 
^^iftl)etifer  unö  mit  triumpl)iernbem  6d)munjeln,  alö 
l)anble  eö  fid)  um  einen  äftl)etifd)en  @en)inn,  in^  Ol)r 
5ifd)eln,  fo  rein,  wie  fte  fid)  anftelle,  wäre  <S>onna  9lnna 
fd)werlidt)  aus  bem  ^^Ittentat  loögefommen,  tielmeljr  t)er= 
fd)weigc  fie  il)rem  93räutigam  bas  Saftigfte.  ©iefe  Q3or= 
ffellung  foH  un^  bie  O^er  terfü^en.  (5^  ift  übrigeng 
nü^lid),  ba^  biefe  anmutige  Snfinuation  au^gefprodjen 
unb  gebrudt  würbe,  ^enn  fie  bient  jum  (^jempel,  in 
wcld)e  ^bgrünbc  bes  @efd)mac!eg  literarifd)e  ^uppel- 
fud)t  unb  literarl)iftorifcl)e  ©eniebienerei  ein  Seitalter 
unmerflid)  fül)ren  fönnen. 


^Uevtei  ^emerfungen  ju  allerlei 
i{x\Uvv\ä)t 

<5)er  6em eft eranfang  an  t) er  Uniö er fi tat 

<2>aö  QÖ5mter[emefter  rürft  ^eran.  0ie  tjerfd)iet)enen 
^a!ultäten  t)er  Unioerfität  n)ert»en  in  ^ätbe  it)re  .^urfc 
n)iet)er  eröffnen,  u>etd)e,  5ufammengered)net,  t)a^  ge-- 
famte  Riffen  t>er  ©egenttjart  bet)euten.  Sin  reid)t)alti-- 
geö  unt)  oerfd)iebenartigeö  Programm,  in  n)etd)em  bie 
dnjetnen  ©iejiplinen  t)immetn?eit  öoneinanber  entfernt 
fd)einen. 

'^öenn  jeboc^  einer  in  ben  erften  QKod)en  bes  Seme- 
fterö  an  einem  unb  bemfelben  ^age  fämtlid)e  Äörfäle 
obfud)te,  fo  n?ürbe  er  ju  feinem  ßrftaunen  überall  bie 
nämUd)e  ^ätigfeit,  ja  fo  äiemlid^  benfelben  93ortrag 
finben,  nur  mit  anberen  Eigennamen :  Definitionen  unb 
logifd)e  Spi^finbig!eiten  über  ben  ^itet  ber  angefün- 
bigten  Q3orlefung,  n)eitauö{)olenbe  Oxürfbticfe  über  bie 
Ceiftungen  frü{)erer  3cit)rt)unberte  auf  bem  angegebenen 
©ebiete,  minutiöfe  9\egifter  ber  einfd)lägigen  Q3üc^er 
unb  9lbt)anblungen,  verblümt  mit  fritifd)en  ^luseinan- 
berfe^ungen  unb  Sänfereien  gegenüber  ben  93ertretern 
anbcrer  ^rofefforenfd)uIen.  0a^  '5:f)ema,  ber  ©egen- 
ftanb  ber  Q3orlefung,  fommt  erft  in  ber  britten  ober 
vierten  Qßod)e  an  bie  9^ett)e,  n)enn  e^  gut  gef)t. 

DieSrflärung  biefer  €rfd>einung  liegt  auf  ber  5banb. 
<5)er  moberne  '^rofeffor  ift  in  erftcr  i?inie  ©elel)rter  unb 
erft  in  jnjeiter  Ginie  Ce^rer,  l)äufig  fogar  erft  in  le^ter 
ßinie,  unb  manchmal  in  gar  feiner  Cinie. 

®ementfpred)enb  arbeitet  er  unter  bem  9^amen  „Q5or-- 
lefung"   fein  ?Dianuffri;)t   nid)t  au0   ber  ^erfpeftioc 


einerlei  ^^emerfungen  ju  aüertei  £lnterrid)t      87 

be^  6tul)enten,  alfo  nicf)t  fo,  tvie  es  t)ie  ^fpd)ologie 
gegenüber  bem  eifrigen  9ceuling  »erlangte,  aud)  nid)t 
tt>ie  e^  baö  (Sjamen  fpäter  »erlangen  tt>irb  (unb  t)a^ 
t>a&  te^tere  n\6)t  gefc^iet)t,  i)alU  id)  für  ein  ©lücf),  fon- 
bern  er  fcf)reibt  ein  n)iffenfcf)aftlic{)eö  QBerf ,  ein  ^ud) 
mit  einem  Q5>ort,  unb  lieft  baß  ^ud),  el)e  er  eg  veröf- 
fentlicht, einftroeilen  auf  bem  ^atl)eber  in  '^Bruc^ftücfen 
ben  Gtubenten  üor. 

ßin  fold)e^  '^Buc^  mu§  nun  natürlid),  um  bcm  tDiffcn^ 
fd)afttic^en  9camen  h^^  Q3erfaffer^  S^re  einzutragen, 
mit  allen  ©rforberniffen  ber  @elel)rfamfeit,  alfo  aud) 
mit  bem  Äleinfram  ber  ^u^einanberfe^ungen  t)infid)tlic^ 
ber  einfd)lägigen  Literatur  au^gerüftet  fein,  t>a  tod)  ein 
*23ud)  Stellung  net)men  unb  feine  (^5iften§bered)tigung 
innerl)alb  ber  9}Zenge  be^  bereite  üor^anbenen  reid)» 
lid)en  9}Zaterialö  betpeifen  mu^.  "2lud)  gel)ören  ^rinji-- 
pienbefenntniffe,  0tellungnal)me  unb  einleitenbe^u^ein-- 
anberfe^ungen  mit  bereite  93ort)anbenem  felbftt>erftänb- 
lid)  in  einem  gelel)rten  ^uc^  an  ben  'Einfang,  darüber 
^errfd)t  !ein  Stveifel. 

®ie  ßrflärung  ift  alfo  leicht  unb  ptaufibel.  9Zid)t^= 
beftomeniger  ^ögere  ic^  nid)t,  folangc  bie  Hnioerfität  nod) 
bie  t^iftion  einer  Äod)fc^ulanftalt  für  bie  Sug^nb  auf- 
recf)terl)ält,  unb  fxc^  md)t  baju  befennt,  lebiglid)  neue 
*^rofefforen  l)eran5iel)en  ju  tDoUen,  jenen  ^raud)  als 
einen  9}^i§braud)  gu  be§eid)nen.  <S)enn  er  ift  fo  unpäba-- 
gogifd)  tt)ie  möglid).  SD^an  benfe  fid)  einen  gum  9}Zittag-- 
effen  (Singelabenen,  tt)elcf)er  fxd)  mit  großem  'i^Ippetit 
unb  ®urft  an  bie  ^afel  fe^t  unb  bem,  beoor  man  bie 
6uppe  aufträgt,  erft  ftunbenlange  Definitionen  über 
begriff  unb  Umfang  ber  Suppe  geboten  njürben,  nebft 
einer  ©efc^ic^te  be^  9}Zittageffen^  oon  Sarbanapal  bi^ 


88      einerlei  ^emerfungcn  ju  allerlei  Hnferrid)t 

©argantua ,  unt)  fritifdjen  Qlu^einanbcrfe^ungen  über 
t)ie  3ubcreitung  ber  Saucen. 

^Benn  man  mir  aber  eintt>enbef,  baö  ©leid)niö  treffe 
nicbt  äu,  tt)enn  man  meint,  ber  ©emüt^juftanb  eine^ 
Stubierenben  Idffe  fid)  bemjenigen  cineö  hungrigen 
nid)t  an  bie  6eite  fe^en,  fo  ertaube  id)  mir  gu  entgeg- 
nen, t>ci%  man  f)iermit  bie  3ugenb  ganj  bebeutenb  unter- 
fd)ät5t.  (J^  gibt  einen  QBiffenßburft  unb  einen  Qßiffenß- 
i)unger;  ja  biefe  ftnb  fogar  bei  einem  normalen  jungen 
x'^cann  bie  9\egel.  9cid)tö  aber  tDirft  nieberfd)Iagenber, 
al^  njenn  ber  Q3)iffenöf)ungrige,  ber  nac^  Q3}iffen  unb 
nid)t  nad)  bem  QKiffen  t)om  9^id)tn)iffen  be^  QBiffen^ 
»erlangt,  §unäd)ft  mit  oben  fd)otaftifd)en  ^lueeinanber- 
f  e^ungen  unb  gelel)rten3änf  ereien  abgefpeift  n>irb.Q[ßenn 
ic^  Äoraj  ober  ©ogmati!  belege,  fo  njitl  id)  nic^t  erfah- 
ren, xva^  ©riffoniu^  im  ©egenfa^  gu  Scribonius  über 
Äoraj  gefd)rieben  \)(it,  xvaQ  9}^inutiu^  9^abulifta  im 
ätt)i5lften  3<i^vl)unbert  unter  bem  Qßorte  0ogmati!  oer» 
ftanben,  fonbern  id)  will  meinen  Sorag  t)aben  unb  id) 
will  n)iffen,  ob  id)  bereinft  in  ber  Äöüe  gebraten  ober 
geröftet  tt)erbc.  ©a»  liegt  mir  nal)e,  ta^  ge^t  mir  an 
bie  yr^aut,  'Oa^  brennt  mid). 

xÜ^ir  fd)iene  be0t)alb  rid)tiger,  ba^  bie  Q3orlefungcn 
anberö  eingeleitet  tt)ürben.  ®enn  ol)ne  jeglid)e  Einleitung 
nnrb  eö  fd)ii>erlid)  abget)en,  tücnn  man  nic^t  mit  ber 
^üre  inö  ioauß  fallen  n)ill.  3d)  geftatte  mir  folgenben 
93orfd)tag:  eine  lebenbige,  geiftern)ecfenbe  '2lnfprad)e, 
bie  bcn  ©eift  beö  ju  bcl)anbelnben  Q35iffenßftoffe^  jum 
©egenffanb  unb  bie  Seelenöerfaffung  beö  tuiffensbur- 
ftigen  ?ceulings  ,^um  93ifirer  t)ätU.  <5)a0  n?äre freiließ  feine 
leid)te,  aber  eine  ivürbigc  unb  fegen^reic^e  "^lufgabe,  ju- 
gleid)  eine  fold;e,  n)ic  man  fie  meinem  (irad)ten^  einem 


^^lllcrlei  ^^cmerfungen  ju  allerlei  nnferrid)t      89 

2el)rer  Der  ftaatlic^en  i)od)fc^ulc  jtocimal  im  ^a\)v  gar 
n)ol)l  äumutcn  dürfte. 

etttja^  93otanif 

Steigen  tt>ir  oon  t)en  5)od)fc^ulcn  gu  t)en  x^ittelfd)U' 
len  t)inab.  Unter  t»en  oielen,  alljuöielen  £e^rfäd)ern 
unferer  S(i)ulen  findet  ftc^  cine^,  beffen  ^ame  „Q3otamf" 
lautet,  ^otanif  Ijei^t,  bud)}täbl\d)  überfe^t:  QBiffenfd)aft 
oon  ben  Kräutern,  tt)eld)e  bie  5\ul)  fri§t.  3n  biefer  en- 
gen  93efc^ränfung  ift  bie  '^otanif  gttjar  felbftoerftänb- 
tic^  in  ben  Sd)ulen  nie  gelel)rt  tt>orben,  ba  bie  Sennen 
fold)e  Qö}eißl)eit  ni(i)t  nijtig  l)aben  unb  bie  Sd)ulbuben 
fie  nic^t  braud)en.  <S)ie  ^otanif  ift  melme{)r  in  itXüa^ 
anberer  eyorm  unb  ^tt^ar  al^  "2lpott)e!ertt)eiö()eit  in  bie 
^äbagogif  eingetreten;  fie  ttjollteurfprünglid)  bie  Äennt» 
ni^  ber  t)eilfamen  ^räutlein  bem  Q3olfe  unb  ber  3ugenb 
»ermitteln,  ^u  TJu^  unb  'Jrommen.  ®aoon  geben  bie 
tjielen  Beinamen  „officinalis"  in  unfern  lateinifdjen 
^flan5enbeftimmungen  ^unbe;  e^  finb  foffile  Überreftc 
au^  ber  naiöen  ^^potl)e!erbotani!.  0ie  *2lbftra!tion  oon 
ber  t)tü^lid)!eit  ^u  einer  objeftioen  G^ftematif,  n)eld)e 
jeber  ^flange  ol)ne  Unterfd)ieb  unb  oljne  9^ücffid)t  auf 
if)re  9^ü^tid)feit  ober  6d)äbtic^!eit  ein  9\ed)t  auf  unfer 
3ntereffe  §ufprid)t,  mar  ein  meiterer  ^yortfc^ritt,  ber  um 
fo  leict)ter  gegenüber  bem  alten  '2lpotf)e!erftanbpunft 
red)t  bct)ielt,  als  bie  moberne  SOf^ebi^in  nict)t  mef)r  mit 
Pflanzengiften,  fonbern  mit  9}^ineralgiften  tt>irtfd)aftct 
^l^  enbtic^  an  bie  Stelle  ber  trorfenen  Sd)ematifierung 
nod)  bie  ^flan3enpl)pfiologie  trat,  meiere  bie  ^flanje 
al^  lebenbes  ^efen  üerfte^t  unb  erflärt,  glaubte  unb 
glaubt  man  tiaß  9\icbtige  gefunben  gu  f)aben. 

^od)  menn  mir  nun  ben  Erfolg  ber  Sd)ulbotani!  auf 


90      "i^lUcrlei  93emerfungen  ju  allerlei  £lnferricf)t 

unfre  3ugent)  prüfen,  fo  finben  n)ir,  t)a§  er  ben  ßr- 
tüartungen  t>urd)auö  nid)t  entfpric^t,  t)enn  t)a^  3nter' 
effe  an  ber  ^flanjenfunbc  t)ätt  nad)  beendigtem  6d)ul- 
unterrid)t  nid)t  üor,  ja  gei)ört  fogar  n)ä{)renb  beö  Unter- 
rid)t^  5U  bcn  9luönal)men.  Qßenn  tvir  aber  bie  gegen« 
tvärtig  beliebten  Äanbbüct)er  !onfultieren,  fo  lä^t  fid) 
ber  93Zi^erfolg  gar  n)of)l  begreifen. 

^n^  ber  primitit)en  9^ü^lid)feitöbotani!  i}at  bie  mo' 
berne  Sd)ulbotanif  nod^  bie  '53et?or5ugung  ber  'Jelb- 
unb  Qßiefen!räuter  t)erüberfd)leppt,  auö  ber  fd)olafti-- 
fc^en  flaffifijierenben  ©elet)rtenbotanif  bie  gleid)mä^ige 
93crteilung  be^  Sntereffe^  auf  jebe  ^flanje,  fo  ba§  bem 
9yarn!raut  fo  t)iel  ober  fo  tt>enig  9lufmer!fam!eit  ge- 
gönnt n)irb  tt)ie  ber  ^alme.  <S)abei  fonnte  e^  aber  nid)t 
einmal  bleiben.  <S)ie  ^eöorjugung  ber  t)eimifd)en  <5elb- 
pflangen,  mit  anberen  QSorten  ber  Offisinalfräuter, 
hva(i)U  unvermutet  eine  Surücffe^ung,  ja  meiffenö  gc- 
tabeju  eine  'iHuöfto^ung  ber  (Jbelpflanjen  au^  bem  Un- 
terricht mit  fid)  (n>ie  benn  tatfäd)lid)  bie  prad^tooHen 
e50tifd)en  93lumen  unb  Sträud)er  im  botanifd)en  Sd)ul- 
unterric^t  fel)r  ftiefmütterlid^  be^anbelt  n)erben).  '5)ie 
gleid)mä^ige  Q3erteilung  be^  Sntereffe^  auf  ta^  Snter-- 
cffante  n>ie  auf  t>a^  llnintereffante  fül)rte  il)rerfeit^  un- 
mer!lid)er--  aber  notn)enbigern)eife  baju,  "Oa^  ber  Äaupt- 
ton  auf  t>a^  Unfd) einbar fte,  auf  bie  93arietäten,  auf  »er- 
achtete, auf  feltene  Gpejieö  ber  ^flangen  gelegt  tt>urbe 
unb  gelegt  tt)irb.  9^atürlict) !  <5)enn  ^flanjenfpftematif 
ruft  ber  "^flangenfammlung,  unb  jeber  Sammler  ftrebt 
r\xd)t  nact)  Qßid)tigfeiten,  fonbern  na6)  6eltenl)eiten. 

So  t)at  eö  fiel)  allmät)lid)  gemacf)t,  t>a%  93otanif  felbft- 
Derftänblid)  alö  bie  Q[ßiffenfd)aft  ber  tt)ilbtt)act)fenben 
^elb-,  9ö}iefen-  unb  Qßegpflanjen  gilt,  mit  ^uöfcf)lu^ 


"imerlei  '53cmerfunc3en  ju  allerlei  Unterrid)t      91 

oöer  93ernad)läfrtgung  nid)t  blo§  t)er  e^otifc^en  ©e- 
tt)äc^fe,  font>ern  aud)  t)er  importierten  (Sbelpflanjen. 

<5ür  felbftoerftänölid)  gilt  t>a^,  tx)eit  tt)ir  mit  t)er  ^at-- 
fac^e  al^  einer  @ett>ol)nl)eit  »ertraut  jtnt);  t)or  bem  QSer- 
ftanbe  unb  oor  ber  ^äbagogi!  bagegcn  ernjeift  fid)  t>ai 
6elbftoerftänblid)e  alö  eine  yngel)euerlid)feit. 

QBo  in  aller  QSelt  folgen  tt>ir  benn  bei  anbern  Gc^ul- 
färf)ern  bem  ©runbfa^,  i)a%  nur  bie  n)ilb  ober  ro^  t)or= 
gefunbenen  ©egenftänbe  Sntereffe  beanfprucl)en  bürf-- 
ten?  t>a%  ein  9bje!t  mit  bem  'iHugenblicf,  ba  e^  oerebelt 
n>urbe,  feinen  "^Infprud)  auf  unfere  ^ufmerffamfeit 
verliert?  Qßaö  tt)ürben  mv  ba^u  fagen,  njenn  in  ber 
Soologie  ßörae  unb  '5:iger  überfprungen  ober  nebenbei 
abgetan  tDürben,  um  unfern  einl)eimifd)en  9^aubtieren, 
atfo  ttwa  bem  i5^lol),  um  fo  gefpanntere  ^lufmerffamfeit 
gu  fcl)enfen?  60  aber  t)anbelt  unfere  ^otanif,  tpenn  fic 
bie  l)eimifd)en  £ln!räuter  ben  cblen  e50tifd)en  9^iefen= 
gen)äd)fen  öoranftellt.  Ober  tt)enn  biefelbe  Soologie 
über  ^ferb  unb  Äunb  öeräd)tlid)  mit  gwei  Porten  l)in= 
^egging^r  tnit  ber  'Scgrünbung,  t)a%  ^ferb  unb  Äunb 
gefünftelte  3ud)tprobu!te  unb  feine  9'Jaturtt)üd)^linge 
tt)ären?  So  l)anbelt  aber  unfere  'Sotanif,  inbem  fie  un- 
fere l)errlid)en  ©artenblumen  einfad)  ignoriert. 

Ober  bie  9}^ineralogic  ?  foll  man  ta  t)ielleid)t  auc^ 
ben  diamanten,  ba^  ©olb  unb  ta^  Gilber  beiläufig 
abtun,  tt)eil  fie  nid)t  auf  bem  Ütliberg  gefunben  njerben? 
*iHber  bie  "Jranfen  nimmt  jeber  gern,  nic^t  »a^r?  tro^- 
bem  fie  ^unftprobufte  ftnb  unb  ba§  9?ol)material  au^ 
'iHmerifa  flammt. 

•5)er  ©arten  al^  Unnatur  auö  ber  *^otani!  i)ertt)iefen! 
©amit  fpric^t  fid)  meinet  (Srad)ten^  bie  gegentt)ärtige 
©c^ulbotanif  t>a^  Urteil.  Unnatur  gegen  Unnatur:  barf 


92      einerlei  ^cmerfungen  ju  allerlei  Unferricf)t 

xd)  fagen,  xva^  x6)  für  Unnatur  ^alte?  <5)cm  Unfraut 
ben  Q3or5ug  \)or  bem  Slraut,  t)cm  ©emüfe  öor  t)cr 
Blume,  t)em  Qffiegerid)  üor  ber  9\o[e,  t)er  3icl)orie  öor 
bem  Slaffee  geben,  baä  f)alte  icf)  für  Unnatur,  ^-ixv  Un-- 
natur  Ijalte  ic^  eö  ferner,  n^enn  einer  auf  ben  ^Ibi^ 
nad)  <5)iffeln  ffeigt  unb  ben  ©ärfen,  bic  er  unterwegs 
antrifft,  feinen  Btic!  fc^enft,  ober  n^enn  er  Cattid)  pre^t, 
aber  bie  'i2l5aleen  nid)t  einmal  bem  9iamen  nad)  fennt, 
ober  n^enn  er  auf  ber  "^yurfa  nad)  einem  oon  ©ott  üer» 
gcffenen  Sd)immelpilj  fud)t  unb  an  ben  93lumenmaga-- 
jinen  ber  Ba^nt)offtra^c  ad>tlo0  t)orbeigel)t,  ba6  l)altc 
id)  für  Unnatur. 

„9'Jatur."  3d)  l)abe  bisher  nid)t  gctüu^t,  ba%  bic 
6d)ule  9^atur5uffänbe  erftrebt.  3ft  bcnn  bie  Sd)ule,  ift 
bie  93otanif  9^atur? 

'Ser  ©arten  gel)5rt  in  ben  botanifc^en  Unterricpt, 
ba^  ift  meine  Überjcugung;  unb  jnjar  obenan.  9}^it 
an  feinen  93lumen,  unb  ^ttyax  namentlid)  mit  feinen 
93lumen,  S\ametien,  Teerofen  unb  5b^a5intt)en  ufn>. 
Unb  n?arum  foHte  id)  meine  9}ceinung  nur  t)alb  fagen : 
id)  glaube,  ^a%  ju  t>Qn  2el)rmitteln  beö  botanifd)en 
Sd)ulunterrid)tö  unbcbingt  ber  Katalog  einer  Äanbel^« 
gärtnerei  get)ören,  ferner,  t>a%  man  bie  Sd)ulfinber  in 
bie  botanifc^cn  ©arten,  in  ^rioatgärten,  in  Äanbelö- 
gärtnereien  unb  'Blumenmagajine  fül)ren  foU,  unb  b^' 
l)aupte,  t>a%  bamit  iia^  Sntereffe  ber  ©efamtl)eit  ber 
6d)üler  für  bie  'Botanif  getx^onnen  tvürbe,  n)ät)renb  c^ 
je^t  mittele  unfcrer  Sumpf-  unb  Unfrautbotanif  fünft- 
lid)  lal)mgetegt  unrb.  <5)en  Sd)üler  toollte  id)  fet)en,  bem 
nid)t  beim  'Qlnblicf  einer  ttjei^en  5?amelie  ober  eine^ 
©artcnrt)obobcnbron  bae  Äerj  aufginge;  bagegen  bic 
Gtaubfäben  eineß  5Duflattid)^  ju  äät)len,  ift  nid)t  jeber- 


^^lllerlei  '53cmerfungen  ^u  allerlei  Unterricf)t      93 

mann^  ©efd)mac!  unt)  fott  nid}t  jebermannö  ©efd)mact 
fein. 

QBenn  tt>ir  übrigen^  beobad)ten,  tt>ie  gefliffcntUc^  üon 
t)er  3d)ulbotanif  ber  ^uft,  t)ie  ^Jarbe  unt)  t)ie  ^rad)t 
ber  ^lume  alö  9cebenfad)e  bcl)ant)clt  tt)ert)en,  n)ät)renb 
bocf)  bem  natürlid)cn  93^enfd)en  gcrabe  bieö  bie  Äaupt- 
fad)e  ift,  bann  !ommen  ir>ir  nod)  einem  anbern  tiefen 
Übelftanbe  auf  bie  Spur.  ®ie  Sd)ule  ber  9^eu5eit  (ic^ 
meine  bie  auf  bem  '^Boben  be^  Mittelalter^  gett)ac^fenc, 
mit  Äumanifti!  überju(iertc  ©ete^rfamfeitsanftalt  im 
Unterfd)ieb  gu  ber  t)ellenifd)-ri5mifc^en  €rjief)ung^fc^ule) 
^at  gemä^  i^rem  fd)olaftifc^--bo!trinären  Hrfprung  t)on 
je^er  9DZül)c  gehabt,  ben  €räie{)ung^tt)ert  be^  Sd)önen 
an§uer!ennen ;  n)ie  lange  ivurbe  nid)t  ber  3eid)nungö- 
unterrid)t  al^  mü^ige^  ^llotrium  bei^anbelt!  Hnb  auf 
ber  Äoc^fd)ulc  ftnb  ^ftl)eti!  unb  5\unftgefd)id)te  jüng- 
ften  '5)atum^. 

9^un  i>at  f\6)  t>a^  ja  tf)corctif(^  gebeffert;  man  tpei^ 
^cutgutage,  unb  bie  ^äbagogi!  gibt  e^  gu,  i)a%  ber  (^r-- 
gicl)ung0tt)ert  ber  6d)önt)eit  unfd)ä^bar  unb  unerfe^tid) 
ift;  ba^  bie  tVreube  am  Sd)öncn  t)a^  ©emüt  nid)t  nur 
crt)eitert,  fonbern  aud)  reinigt,  ba^  ber  6d)önl)eit^finn 
ben  xÜ^enfd)en  gut  mad)t,  um  e^  mit  einem  OBort  ju 
fagen.  *iZlllein  bie  '^raji^  i)xnH  tangfam  unb  fpät  t)inter 
ber  (Sinfid)t  brein;  unb  tva^  bie  Sinfid)t  gugibt,  t>ciß  ift 
begl)alb  noc^  nid)t  in^  @efüt)l,  in  "cyleifc^  unb  '53lut  über-- 
gegangen.  ^loä)  tvantt  unfere  ^äbagogü,  allen  prinzi- 
piellen Sugeftänbniffen  5um  ^ro^,  an  ber  ^nnal)me, 
Scf>i5n^eit  tüäre  eräiet)ung^n?ibrig.  Unb  je  tiefer  wir  in 
bie  ^rimarfct)ulen  l)inabfteigen,  befto  zahlreichere  unb 
beutlid)ere  (Stempel  üon  fd)önl)eit^feinblic^en  ^äbago- 
gen  fijnnen  tt)ir  treffen.   0ie  Q3ol!^fc^ute  !ennt  nur  ben 


94      'Clüerici  ^^emcrfungcn  ^u  allerlei  Unterricht 

9^ül^lid)feit0ftant)punft.  Q6)'6ni)dt  aber  nü^t  befannt- 
lic^  nid)t^;  tt)enigften^  lä%t  fid)  ifjre  9^üf)lid)feit  nic^t 
bcmonftrieren  tt>ie  bie  9^ü^Iid)feit  t)er  Äut)  unb  bc^ 
Sd)afeö. 

®a  liegt  ber  ^ern.  QSeil  bie  ^lume  fd)ön  iff,  njeil  ber 
©arten  ein  9}Zufeum  ber  fd)önften  ^f[^"5e"  barfteHt, 
gerabe  t)t^f)alh  get)t  bic  ^od)mütigc  6d)olaftenbotanif 
naferümpfenb  baran  t»orüber.  „®ie  9tatur  fennt  nicf)t^ 
Mnbebeutenbeß,  unb  e^  ift  gut,  tia^  ber  6d}üter  fid)  ge« 
n?öt)ne,  bem  unfc^einbarften  Sd)ierling  txi^  nämliche 
3ntereffe  abjugenjinnen  ^vie  ber  präd)tigen  93^agnolie." 
3d)  bitte  um  T^er5eit)ung.  ^yür  bie  n)iffenfd)aftlid)e  <53o- 
tanif  gilt  biefer  6a^  in  üoüem  Umfang ;  md)t  jebod)  für 
bie  ^äbagogif,  folglid)  nid)t  für  bie  Sd)ule.  €^  l)errfc^t 
bod)  nid)t  bie  ^bfid)t,  bie  Schüler  gu  «Softoren  ber  '^o^ 
tarnt  au^jubilben!  QBenn  tt)ir  n)enigftenö  nur  einmal 
fo  n)eit  njören,  t)a%  ber  ©runbfa^  anerfannt  n)ürbe: 
ec^ulmetf)Obe  unb  n)iffenfd)afttid)e  93cetl)obe  finb  jtüeier- 
lei,  unb  le^tere  fann  nid)t  einfad)  bie  erftere  erfe^en. 
^ber  gegen  biefen  ©runbfafj  fünbigt  bie  '^vaiciß  unferer 
Getuten  noc^  auf  Gc^ritt  unb  ^ritt.  ®er  2ateinlel)rer 
übt  ^eftfritü,  aU  l)ätte  er  lauter  angel)enbe  ^l)ilotogen 
oor  fid),  unb  äi)nlx6)  t)erfäl)rt  jeber  in  feinem  ^a6). 

3d)  meine  alfo,  um  meine  *5lnfid)t  furj  sufammengu- 
faffen,  ba^  ber  botanifd)e  ec^ulunterrid)t  nod)  einen 
großen  ^ortfd^ritt  ju  mad)en  t)at :  ben  6d)ritt  jur  äft^e- 
tifd)en  'Botanü,  in  njeld)er  bie  6d)önl)eit,  bic  "Jörbc 
unb  ber  Q[ßol)lgerud)  ber  Q3lumcn  nid)t  aiß  ^IKotrium, 
fonbern  alö  5bauptfad)e  bel)anbelt  wirb,  llnb  id)  t)offc 
eö  nod)  5u  erleben,  ba^  bic  93otani!  auf  it)rem  Q33eg 
oom  Oxinberftall  burd)  bie  9lpotf)e!er!üd)C  fd)lie^lid> 
beim  ©arten  anlangt,  n)o  fie  (Srfprie^lic^ere^  ju  fe^cn 


^^Iterlei  ^emerfungcn  ^u  allerlei  ilnterric^t      95 

unt)  5u  lel)rcn  finbet.  ^annjumal  aber  roerben  t)ie  Sd)ü- 
ler,  t)ie  aus  ber  Sd)ule  ein  lebl)aftes  3ntereffe  für  '^flan- 
jenfunbe  mit  ins  geben  l)inübernel)men,  nid)t  mel)r  bie 
^ußnal)me  bilben,  \vk  l)eute,  fonbern  bie  9\egel. 

„2  e  i  d)  t  e"  ^  t  a  0  i  e  r  ft  ü  cf  e 

9}^ad)en  njir  nun  auö  ber  Gc^ulc  einen  *i2lbfted)er  in 
ben  ^rit>atunterrid)t,  unb  gtt^ar  in  ben  mufifalifd)en, 
fpejiell  in  ben  .Klavierunterricht. 

93knd)e  5\lat)ierlel)rer  glauben  ben  Äinbern  fogenann- 
te  gefällige  tOtelobien  unb  !inblid)e  leicht  t)erftänblid)e 
9}^uftfftü(le  anbieten  gu  follen,  unter  benen  bann  noc^ 
biejenigen  mit  QSorliebe  gett>äl)lt  merben,  tt)eld)e  für  ben 
93ortrag  fleine  unmer!licl)e  9}Zucfen  l)aben,  bamit  ta^ 
^inb  unben>u^t  lerne.  <S)e0l)alb  bie  '53eliebtl)eit  ber  ma= 
gern  Sonatinen,  fpinbelbürren  9^onboö,  ber  9^egimentö-- 
tod)ter,  beg  6tänbcl)en^  au^  ©on  3uan  unb  äl)ntid)er 
©efä^lein  im  ^laüierunterrid)t. 

3cl)  l)alte  ha^  für  einen  ^el)lgriff.  3unäcl)ft  finb  bie 
tec^nifcl)en  Ää!d)en  in  folcl)en  Stüdlein  oft  fel)r  boöl)aft 
unb  ftel)en  in  feinem  vernünftigen  93erl)ältniß  tt)eber 
jum  muftfalifd)en  'Jßert  be^  ©ebotenen  noc^  jum  )jri-- 
mitioen  Spönnen  be^  ^inbeö.  3^/  tvenn  tt)ir  genauer 
jufeben,  fo  fe^en  bie  meiften  ber  t)ermeintlid)en  ^inber- 
gefä^lein  nid)t^  tveniger  als  Q3irtuofität  bes  Gpieler^ 
vorauf.  €in  9?onbo  j.  ^33.  ot)ne  raffinierte  ^unft  beö 
'2lnfd)lag^,  ein  6cbergo  obne  2eicl)tig!eit,  ein  finale 
ot)ne  [yeuer  bes  QSortragg  ftnb  gerabe^u  unerträglich, 
llnb  ^roar  je  „finblicl)er",  b.  i).  je  ärmlicher  baö  Stütf 
fomponiert  ift,  um  fo  mel)r  QSortraggfunft  ift  vonnöten, 
um  etn)a§  barau^  Su  macf)en.  Sonff  bleibt  nic^t^  alö 
eine  öbe,  mörberlicl)e  Langeweile. 


96      einerlei  '^^cmcrfungcn  ;^u  allerlei  Hntcrricl)t 

'ferner  xvixU  e^  entmutigend ,  it>enn  einer  ba^  nid)t 
fann,  n>a^  fid)  bem  0\)v  at^  Ieid)t  einfd}meid)elt.  '2lUe 
foId)en  t)eimtücfifd)en  6tücfc,  unt)  !)ierniit  beifpielö- 
n)cife  aud)  t)ie  beiden  ^eet()ODenj"c^en  6onaten  9pu^  49 
lüüröe  id)  aus  bem  genannten  ©runbe  au^  t)cm  Sxlaüier« 
unterrid)t  t>ern?eifen.  ^benfo  au^  bemfelben  ©runbe,  alfo 
auö  t>em  ©runbe,  tüeil  fie  täufcben  unt)  entmutigen,  alle 
fold)en  Stücf  e,  tt)elc^e  ber  *i^lutor  fetber  mit  ber  Überschrift 
„leicht"  ober  „für  bie  Anfänger"  bebad)t  \)at  QBenn 
biefe  einem  ^inbe  fc^tt>er  üorfommen,  bann  gibt  e^  bie 
53offnung  auf.  3ene  Stürfe  finb  aber  gar  nid)t  ted)nifd) 
leicht;  fte  finb  bto^  bünn  !omponiert,  inbem  fie  mit 
t»eri)ältniömä^ig  fpärlid)en  9}Zittetn  operieren.  ^a6) 
überfd)reibt  eine  "^uge  mit  „leid)t",  n^enn  fie  nur  jwei 
Stimmen  f)at,  9CRo§art  eine  öonate  mit  ,,leid)t",  tDenn 
fie  auf  {)armonifd)e  unb  !ontrapunftif(^e  ^rac^t  t)er- 
5id)tet.  0arum  fönnen  bie  betreffenben  Gtücfe  bod)  febr 
gro^e  ^ingerfertigfeit  öorau^fe^en  unb  fe^en  fie  aud) 
tatfäd)lid)  oorauö.  ^Ufo !  bie  93e5eid)nungen  „9lnfängcr", 
„leidet",  „finblid)"  im  9D^unbe  eine^  ftaffifd)en  ^lutor« 
follen  un^  nid)t  irreführen.  <S)cr  ^Hutor  fagt  ,Mx6)t''  unb 
meint  bamit  „einfad)"  unb  „anfpruc^ßloö".  <5)ie  ein- 
fad)en  unb  anfprud^ßlofen  ^ompofitionen  get)ören  aber 
ju  allerle^t  in  ben  5llat)ierunterrid)t. 

llnb  I)iermit  fommen  ivir  jur  Äauptfac^e :  t>a^  5?inb 
ber  Cegenbe  unb  t>a^  tinrflid)e  .^inb  finb  jn^eierlei.  <S)a^ 
n)irflid)e  ftinb  oerabfd)eut  im  ynterrid)t  nid)t^  mct)r 
a\i  t)aii  „Slinblid)e"  (üerftet)e  i^aü  ^änbelnbe),  unb  oer- 
ffel)t  in  ber  5l'unft  nid)tö  fo  fd)n)er  roie  ha^  einmütige. 
'^aii  S^inh  \m\i  ernft  genommen  tperben,  ee  tt)ill  wad)- 
fen,  baß  i)ei§t  fid)  ert)öt)en,  üergrö^crn,  es  loiU  fic^ 
n'di)VQn,  bcge()rt  alfo  in  ber  QiC^iffenfd^aft  ^atfad)enftoff, 


^lüertei  '^^emerfungen  ^u  aUertet  ^Interdc^t      97 

in  ber  ^unft  ^üUc  unb  9\eid)tum.  ^a0  if)m  felber  ünb- 
lid)  ober  fpielenb  ober  leid)t  ober  übertx)unben  t>or!ommt, 
baö  iff  \i)m  im  llnterrid)t  ein  ©egenftanb  ber  Q3erac^' 
tung.  So  gef)ört  eine  j'ef)r  gro^e,  nämlid)  eine  refleffie' 
renbe  ^ilbung  baju,  um  unter  ber  ^inblid)!eit  eine^ 
^^emaö  bie  verborgene  5?unft  f5erauß5ufüf)len.  0en 
9[öert  einer  9\egiment0tod)termelobie  ober  eineö  So- 
natind)enß  tro^  ber  gaffen{)auerfd)en  Of)renfäüigfeit 
5u  ermeffen  ift  Sac^e  ber  (5rn)acf)fenen ,  nxd)t  ber  3u= 
genb.  <5)arum  gef)ört  aud)  meiner  9J^einung  nad)  Sie- 
menti  nid)t  in  ben  ^(aoierunterrirf)t  ber  Sugenb,  weil 
er  nid)t  ftoffUd)  reid)  genug  ift,  tt>ei(  er  bem  ^inbe  in 
ben  ^f)emen  gu  f inbtirf)  unb  in  ber  9lu^füf)rung  §u  bürf- 
tig  fd)eint  9}Zan  frage  bod)  nad) :  alte  ^inber  l)affen 
ben  ^nod)enmann  dlementi.  ^^ß^alb  n)ot)l  nennt  man 
\i)n  ben  ^taffifer  ber  Sugenb.  $.lnb  mit  ^CRo^art  öerbält 
e^  fid)  unter  anbern  @rö^ent)erl)ältniffen  äl)nlid).  'S)ic 
Sugenb  finbet  ftd)  üon  9[}Zoäartfd)en  Sonaten  enttäufd)t, 
warum?  weil  fie  ju  anfpred)enb,  gu  gefällig  unb  bamit 
§u  unbebeutenb  fd)einen.  ®ie  3ugenb  will  eben  nic^t 
ha^  ©efällige,  fonbern  t>a^  (^rnfte.  <5)aö  ^^llterbefte,  ba^ 
^llerf)öd)fte  ift  eben  auc^  in  ber  SCRuft!  für  bie  Sugenb 
gerabe  t>a^  9\id)tige.  3d}  würbe  jebem  Sd)üter  ben 
mufi!alifd)en  ^laffiler  gewäl)ren,  ber  fein  Äer§  beglüdt; 
punftum.  ®enn  ein  Ä^unftwerf,  t>aß  einen  beglüdt,  oer- 
ftel)t  einer  aud). 

0er  9'^cib  ber  ©Otter  in  berSd)ule 

3um  tröftlid)en  Sd)lu^  unb  abfd)recEenbcn  (fjempcl 
nod)  eine  abenteuerlid)e  aber  wal)rl)aftige  ^nefbote 
auö  bem  literarifd)en  6cl)ulunterrid)t,  für  beren  ©e= 
nauigfeit  i^  bürge.  Stel)t  ba  in  einem  Sd)ulbuc^,  ba^ 

Spitfcter,  Cac^cnbe  ^a^r^cifen  7 


98      '•^lüerlci  'i^emerfungen  ju  allerlei  llnterrid)t 

üor  3al)rcn  in  5\urß  Yoav,  unt)  es  ii>ai)rfd)einlid)  nod) 
ift,  eine  erbaulid)e  ©efd)id)te,  betitelt:  „'I^er  S^irfcö- 
bäum".  3n  tiiefer  ©efd)id)te  tt>irt)  einem  tueifen  lO^annc 
t)cr  präd)ticje  5\irj"d)garten  eine^  ^^auern  gezeigt.  (Btatt 
nun  aber  in  freubige  '^ewunberung  ju  geraten,  beginnt 
ber  weife  ^^ann  ^u  l)eulen:  „mir  n?irt)  angft".  £lnt) 
at^  man  il)n  fragt,  tuooor  il)m  angft  u>ert>e,  erflärt  er 
feierlid):  t>or  bem  entfe^lid)en  llnglücf,  baö  ben  (Eigen- 
tümer treffen  muffe,  it)eil  feine  S^irfc^en  fo  läfterlid)  gut 
get)iet)en. 

Qßie  gefällt  3l)nen  biefc  ®efd)id)te,  mit  bitterem  (Jrnft 
oorgefü^rt,  in  ber  93^einung  ein  löblic^e^  ßfempcl  ju 
bringen,  in  einem  6d)ulbud)e? 

Sin  reijenbeg  Sd)aufpiel,  n?enn  biefe  erbaulid)C  ©e- 
finnung  um  ftd)  griffe!  <Bu  wirft  gu  Äerrn  9^otfd)itb 
gum  9}^ittageffen  eingetaben ;  fobalb  bie  golbenen  S^affec-- 
löffel  aufmarfd)ieren,  fängff  bu  an  ju  wimmern,  weil 
bir  öor  bem  grä^lid)en  6d)idfale  grauft,  ta^  ben  ©aft- 
geber  erwartet,  ber  golbenen  5\'affectöffel  wegen.  3nt 
'33allfaal  greine  beine  Sängerin  an,  weit  fie  '53rillanten 
trägt.  Ober  eine  börflid)e  Sd)ulflaffe,  bie  auf  ber  ^erien-- 
reifebeim'i^lnblirf  ftäbtifd^er  5Derrlid)feitin'inngftgefd)rei 
au^brid)t?  gö  wäre  jebenfallö  gut  gu  erfaljren,  bei  wet-- 
d)em  9l!tivlonto  unb  oor  weld)en  Stoffen  fid)  ber  9ieib 
ber  ©Otter  einftellt,  bamit  wir  uns  bagegen  üerftd)ern 
unb  rüdoerfic^ern  fönncn.  ®ie  ©amen  werben  neib-- 
ftd)cre  '^acftud)über3üge  über  ben  feibenen  Kleibern 
tragen  unb  man  wirb  fid)  l)üten,  alljuDiel  ©elb  an  ber» 
fclben  Örtlic^feit  aufjufpeid^ern.  xDiid)  Wunbert  blo^, 
t)a^  bie  ^^ant  oon  (Englanb  bis  jet3t  t)om  9ieib  ber  ©ijtter 
ocrfd)ont  blieb,  dlad)  ber  ^l)eorie  mü^te  ja  bort  ber 
<33lil)  alle  Q3iertelftunben  cinfd)lagcn.   £lnb  bei  profpe« 


"Einerlei  Q?etnerfungen  ^u  aüerlei  Hnterrid)t      99 

riercnben^^lftiengcfetlfc^aftcn?  Q3erteilt  ftd)  t)aber9^cit) 
bcr  ©Otter  auf  bie  "2lftionäre? 

^iv  fd)eint,  xviv  \)aben  am  9ieit)  ber  ?r>tenfc^en  unt) 
ber  '^rogreffiofteuer  reic^tic^  genug.  3d)  öerftct)e  ja 
bie  löbltd)e  ^nbfid)t.  0er  93erfaffer  jenes  furiofen  Äiftör- 
d)ens  t)at  feinen  9\ing  bee  ^olpfrateö,  feine  3pt)igenie 
unb  wei^  @ott  roa§  alte^  nod^  gelefcn  unb  glaubte  ge- 
bilbet  äu  J?erfaf)ren,  inbem  er  bie  t>ermeintlic^e  QBelt- 
anfd)auung  unferer  ^lafftfer  ber  Sd)uljugenb  ju  ©e- 
mute  fü{)rte. 

darüber  aber,  nämlid)  über  ben  £ef)rgei)a(t  ber  <S)id)= 
ter,  unb  bie  (Ermittelung  biefes  2el)rgel)alteö  fei  bei  biefem 
abfonberlid)  naioen  ^nla^  nod)  ein  9ffiörtd)en  gefagt. 
0id)tertt)at)rl)eit  ift  nid)t  £el)rtt)al)rf)eit.  Sie  barf  nic^t 
einfad)  bud)ftäblid)  als  Q3erftanbe0n)a{)rl)eit  aufgefaßt 
unb  befolgt  tt)erben.  "S^er  0id)ter  !ennt  unb  übt  bie  öer-- 
fd)iebenften  ^vt^n  t)on  Q©al)rl)eit,  3.  ^.  bie  5?oftüm-- 
tt)at)rf)eit,  bie  aus  ben  "2lnfd)auungen  eineö  bestimmten 
Seitalter^  orafelt,  bie  6t)ara!tertt)al)rl)eit,  bie  aus  ber 
3nbit?ibualität  einer  gegebenen  ^erfönlid)!eit  tönt,  bie 
^ombcntt)a{)rt)eit,  bie  fid)  an  bem  präd)tigen  ^naü  eine^ 
9\cim^  ober  eines  ©teid)niffes  ober  einer  Sa^wenbung 
ober  einer  Sentenj  ergoßt. 

3m  9?ing  beö  ^ol^frateö  nun  erhalten  mv  bie 
^oftümtt)af)rf)eit  mit  ber  93ombentt)af)rf)eit  vereinigt. 
Selbftoerftänblid)  fiel  es  ja  Sd)ilter  nid)t  ein,  perfön- 
lid)  an  ben  9'^cib  ber  ©ötter  ju  glauben;  fonbern  er 
t)erfe^te  fid)  !ünftlid)  in  bie  antife  Q[Öeltanfd)auung 
unb  fd)rieb  au^  berfelben  mit  QSol)tgefallen  an  ben 
barau^  SU  gettjinnenben  bid)terifc^en  unb  oratorifci^en 
QBirfungen  feine  fd)tt)ungt)olte  ^allabe.  Hn^  bas  <S)ogma 
t>om  9Zeib  ber  ©ötter  nad)  §tt)eitaufenb  3al)ren  n)ieber 

7* 


100  'Pie  ^^aUettpantomime 

einimpfen  ju  tvoUen,  baä  war  u^al)rüc^  nid)t  6ci)iüer^ 
?3icinung.  <5)aü  Q3erftänt)ni0  jener  ^aUabe  berut)t  mit- 
t)in  barin,  t>a%  wiv  cinerfeitß  bie  bicl)terifci)en  6d)i5n» 
t)eitcn  t)cr  (£r5äf)lun9  ernennen  unt)  anbererfeite  ja  nic^t 
yerfäumen,  ben  ägv)pti[d)en  ©aftfreunt)  einen  albernen 
.sbeulmeier  5U  nennen. 


®te  Q3aüettpantomime 

QÖLser  fict)  einmal  gen)üt)nt  tjat,  bie  menfcl)lid)en  €in- 
ricl)tungcn  in  5?unft  unt)  £cben  nad)  it)rcr  3tt>ec!mä^ig- 
feit  unb  il)rem  (Jigemvert  gu  beurteilen,  lüirb  überall 
öeltfamteiten  unb  Q3L>iberfprüd)en  begegnen,  iveil  ju» 
fällige  Hrfad)en  unb  gläubige  93efolgung  eineö  einmal 
gegebenen  'Seifpielö  beftimmenben  (Sinflu^  biö  in  ferne 
Seiten  auösuüben  pflegen.  <£>er  pl)ilofopl)ifd)e  Genfer 
fpürt  fold)c  Ungereimtt)eiten  t)auptfäd)lid)  in  ben  ^ijc^= 
ften  ©ebicten  beß  93cenfc^engeifteei ;  ic^  m\i  jebod)  an 
einem  <53eifpiele  jeigen,  X>a%  bie  Heiligung  ber  ^d)a' 
blone  burd)  Überlieferung  fid)  felbft  in  t>cn  untergeorb- 
netften  ©ebieten  geltenb  mad)t,  t>a%  wiv  merfnjürbiger- 
iüeife  fogar  fold^e  ®inge,  bie  niemanb  ernft  nimmt,  al^ 
unantaftbar  bet)anbeln. 

(fin  l)auptftäbtifd)e^  ^Ijeater  tünbigt  eine  Q3allett' 
x>orftellung  an.  QBae  werben  wir  "Oa  erl)alten  ?  QBir 
wiffen  eö  im  wcfcntlid)en  ^um  öorau^:  ein  ©pmnafium 
oon  5:rifot2;  unb  fursen  Oxödlein,  farbenfunfelnbe  'Qluf- 
märfd)e,  magifc^e  Q3ertt)anblungen ,  faleibof(opifd)c 
G^enenbilber,  d)oreograpl)i[d)e  Croolutionen,  gefd)nie- 
gelte  ^änjer,  wcld)e  als  yvorf^iel^er  fd)raubenförmig  in 
bie  Cuft  fd}nellen,  unb  mel;r  ober  weniger  fd)öne  <S)amen^ 


0ie  ^aüettpantomime  101 

tt)eld)e  t)ie  ^^Irrne,  mitunter  and)  bie  ^cine  über  ben 
.^opf  crfjeben.  0a^  aüe^  »erftänbigt  fid)  untereinanber 
mit  3eid)en,  in  einer  ©et)eimfprad)e  ber  quergeftreiften 
9}tu0f ein,  bie  njir  nic^t  fennen,  t^a  ftc  Icibcr  nic^t  ju  ben 
llnterrid)t5gcgenftänben  ber  6d)ute  get)ört.  «darunter 
aber  brauft  ein  ooüe^  Ord)efter,  ba^  alle  (Sffefte  ber  neu- 
eften  3nftrumentation  gett)ifi'ent)aft  ausbeutet. 

©a^u  ertaube  id)  mir  eine  3^rage:  Sinb  atle  bie  Fer- 
ren unb  <S)amcn  auf  ber  ^ü^ne  taubftumm?  9iein? 
QKarum  fprec^en  fie  benn  fein  einjige^  QBort?  ^eit 
es  nid)t  erlaubt  ift.  Qßer  ^at  es  i{)nen  aber  »erboten? 
unb  tt)a«  für  eine  entfe^Ud)e  Strafe  ertt)artet  bie  Über» 
tretung  beö  Verbotes,  ba§  biefe^  fo  ängftlid)  beob= 
afi)Ut  tDirb  ?  darauf  tt)irb  n)ot)t  bie  '^Intnjort  fd)tx)eigen 
muffen.  Unb  je^t  geftatte  ic^  mir  eine  gtt^eite  x^rage: 
©ibt  e^  ein  poffierIid)eres  6d)aufpiel  in  ber  ^elt,  al^ 
ein  ^ubtüum,  t)a^  mit  feierlichem  Srnft  eine  ^aub» 
ftummenoper  an^övt,  mo  auö  einem  ©runbe,  ben  feiner 
oon  il)nen  fennt,  ftatt  beö  natürlid)en9}Zittelö  ber  Sprad)C 
t)k  Äanblung  burd)  Symptome  be^  ^löbftnn^  erftärt 
roerben  fott?  "Scbarf  man  Qtwa  jur  €rl)olung  pom 
^onüerfationsftüc!  bie  unumftö^lid)e  @cn?i^{)eit,  ba§ 
^eute  \a  fein  ^ort  oerlaute?  ©ut.  3ft  e^  jebod)  gugleid^ 
nötig,  ben  €inbru(f  ju  erl)alten,  aU  n)äre  fämtlid)en 
'^erfonen  bie  3unge  abgefd)nitten  n^orben?  liefen 
ßinbrucf  aber  stt)ingt  unö  eine  fentimentale  Sntrige 
auf,  bei  tt>eld)er  bie  ßiebenben  einanber  üergn^eifelt  an= 
geftifulieren ,  auf  9}^unb  unb  Äerj  unb  Äanbfo^len 
geigenb  unb  nad)  bem  Äimmel  njeifenb. 

3tt)ei  Perfd)iebene  0inge  fmb  ju  unterfd)eiben :  ber 
^  a  n  5  unb  bie  Ä  a  n  b  l  u  n  g.  ^er  ^an§  bebarf  natürlid) 
feiner  '^Öorte,  unb  toill  man  ta^  Ballett  in  unpfammen- 


102  ^ic  ^aüettpantomime 

t)ängenbe  SmäcUän§e  auflöfen,  fo  bin  id)  f)er3lid)  bamit 
eintjerftanben.  dagegen  it>iberfpnd)t  ber  Einfall,  über 
einem  5i)mpf)onieord)c[ter  eine  3ntrige  meljrcre  ^ifte 
f)inburd)  pantomimifd)  ftatt  regitierenb  »erlaufen  ju 
laffen,  nid)t  altein  ber  93ernunft,  fonbern  auc^,  n>a^ 
n)id)tiger  ift,  ber  9Ctufi!.  <S)aburd)  tt)irb  nämlid)  ber 
.^omponift  genötigt,  ftd)  ju  einer  l)immelfd)reienben  @e» 
fül)leefftafe  für  bie  nidjtigften  ^nläffe  gu  üerfteigen, 
bamit  er  bie  fjenifd)en  93orgänge  annäl)ernb  »erbeut- 
lid)e,  unb  bie  Q3allettmufif  gel)t  babei  it)reß  fd)önften 
93orred)teö,  ber  frifd)en,  mutigen  ^rijl) lief) feit  üerluftig. 
S^reilid)  f)at  '^luber  eine  6tumme  »on  ^ortici  unb  9)i0= 
jart  einen  ^apageno  mit  bem  6c^lo§  üor  bem  9}^unbc 
geftüulieren  laffen,  allein  eine  Ciebfd)aft  3tt)ifd)en  ^a-- 
pageno  unb  ^enella,  nebft  einem  obligaten  (Il)or  t)on 
aufgeregten  '^aralptifern  burd)  met)rere  9l!te  l)inburd> 
in  Partitur  gu  fe^en,  beffen  l)ätten  fie  fid)  n)ot)l  beibe 
nid)t  unterfangen.  Qßal)rlid),  id)  n)unbere  mid)  nid)t 
met)r  über  bie  6d)n)ierigfeit,  mit  einem  fd)(>pferifd)en 
©ebanfen  in  tt)id)tigen  ^unftangelegen^eiten  burd)^u-- 
bringen,  tt)enn  bie  9Dcenfd)l)eit  nid)t  einmal  ben  9'Rut 
aufjubringen  »ermag,  ben  l)eiligen  trabitionellen  ilnfmn 
einer  '53allettpantomime  ,5u  forrigieren.  ®ie '^Baüettpan- 
tomime  mit  famt  il)rem  manierierten  Sbealbeinftil  ift 
ein  *2lnad)roni^mu^ ;  fie  ftellt  ein  Überbleibfel  auö  jenem 
fteifen,  petrifijierten  Qxenaiffanceflaffijiömuö  ber  S^ran- 
jofen  bar,  ben  mir  anberßmo  fo  fd)arf ,  ja  allju  fd)arf 
oerbammen.  QS>ir  ^aben  ben  Sängerinnen  bie  altet)r- 
mürbigen  ?\eifröde  geftu^t  unb  nid)t  ttjenig:  id)  fd)lage 
nod)  einen  fräftigen  6d)nitt  in  ben  3opf  »or. 


2lu^  bem  3irtu^ 

0cr  äftf)etifd)e  QBert  t)es  3irfuö  ift  fein  geringer,  ha 
(örperlid)e  5\raft--  unt)  S^unftleiftungen  *52lnmut  gum  2oI)n 
eintragen,  ßr  (önnte  nod)  beöeutent»  erf)öt)tn)ert)en,  n?enn 
ftatt  t)er  üirtuofen  5f unftfertigfeit  bie  Sd)önt)eit  t)er  £ei= 
ftung  alö  3tt>ecf  in5  'Cluge  gefaxt  n)ürbe.  ^er  3ir(u^  alö 
eine  ^^Inftalt  t)er  t)öf)eren  ©pmnaffif  im  ©ienft  ber  Qiftf)e= 
tif  aufgefaßt  unt)  bementfpred)enb  geleitet,  mü^te  unfef)!-- 
bar  für  t)en  bilbenben  ^ünftter  unt)  ben  't^reunb  t)er  bil= 
benben^unft  eine'^lnfd)auung0fd)uleerften9\ange^  tt)er-- 
ben,  n)ie  er  es  tatfäd)lid)  jum  ^eil  fd)on  je^t  ift,  tro^ 
feiner  ©runbfa^toftgfeit,  llnfid)ert)eit  unb  lln§ulänglid)= 
feit.  Siat  bod)  5.  ^.  ber  fran jöfifd)e  9}caler  3  n  g  r  e  0  bie 
Q3ermutung  genjagt,  bie  ®ried)en  f)ätten  bie  lebenbigen 
9}^obcne  it)rer  Statuen  in  ^rifot  geftecft. 

'^aß  neuefte  Ä)er5U3iet)en  üon  Umzügen  unb  hängen 
ift  babei  X)om  Stanbpunft  be2  ©enie^enben  gu  billigen; 
1)a%  bie  ^l)eater  an  einigen  Orten  ben  obrig!eitlid)en 
(2d)u^  gegen  bie  Sitfusballettoorftellungen  angerufen 
unb  erl)altcn  l)aben,  fprid)t  gen)i^  nid)t  gegen  bereu  Q^eig; 
benn  man  n)el)rt  fid)  nid)t  gegen  ungefäl)rlid)e  9^eben' 
buf)terfd)aften.  9ieben  ber  ©pmnaftif  aller  ^2lrt  befi^t 
übrigen^  ber  3irfu^  noc^  eine  'i2ln3ief)ungßfraft,  bie  er 
gegenwärtig  nur  fpärlid)  unb  gar  fläglic^  benü^t,  näm» 
lief)  bie  9?^imif.  Erinnern  voiv  uns,  toa^  für  eine  9?olle 
bie  felbftänbige  SOZimif  im  Altertum  fpielte  unb  üer- 
gleid)en  voiv  bamit  bie  untergeorbneten  ^ienfte,  tt)eld)e 
bie  9}Zimif  im  mobernen  ^f)eater  5U  t)errid)ten  l)at,  fo 
bleibt  ein  unabfe^arer  9?eft  öon  ^Dcöglid)feiten,  ber  na-- 
turgemä^  bem  Sirfus  zufällt,  ta  tai  ^Ijeater  il)n  öer-- 
fd)mäl)t.  (5^  ift  ja  nid)t  gefagt,  t>a%  es  burc^au^  ^anto- 


104  ^^lu§  bem  3iv!uö 


iniincn  unt)  öa^  t)ie  'Pantomimen  t)urd)auö  täppifd)  fein 
muffen ;  t)er  99^enfd)  !ann  nod)  etnjaö  anbere^  mit  feinen 
©liefern  anfangen,  aU  fid)  in  einen  haften  mit  brci  5\Iap' 
pen  311  t>erfried)en.  Übert)aupt  legt  ber  3ir!uö  eine  merf- 
n>üvt)igeSrfint)ungöIofig!eitant)en'5:ag,fobalbbie^i)an-- 
tafie  ftd)  üon  bcn  ^ferbeftällen  entfernt;  unb  tüenn  id) 
hiermit  einige  Übetffänbe  rüge,  fo  gefd)iet)t  e^  m<i)t  au^ 
^einbfeligfcit  gegen  ben3irfu§,  fonbern  auö  bem  frcunb» 
fd)aftlid)en  QBunfd),  \i)n  biejenige  Q3onfommen{)eit  er-- 
reic^en  gu  fe()en,  bie  i()m  gebührt  unb  bie  \i)m  f  0  na\)e  liegt. 
QSarum  erfd)eint  ber  3it!uö  fo  mand)en  unter  unö 
unausfpred;lirf)  langweilig  ?  QBeil  er,  ftatt  feine  unerme§-- 
lid)e  <5reil)eit  ^u  benü^en,  unö  mit  alten  ^unftftücfd)en 
abfpeift,  üon  weld^en  öiele  niemals  einem  vernünftigen 
^uge  93ergnügen  bereitet  l)aben.  3»t  ©ebiete  ber  ^ferbe= 
breffur  gel)ört  ^iert)er  alleö,  tpaö  ber  t)tatur  beö  '^ferbe^ 
n)iberfprid)t  unb  feiner  6d)önt)eit  *=2lbbrud)  tut:  s-  '^^ 
ba^9'iieber!meen,ba^Sid)'auf'bem--9\üden-n)äl3en,ba^ 
Äerumrutfc^en  ber  Hinterbeine  im  Sanb,  n)äl;renb  bie 
QSorberfü^e  entweber  auf  ben  6d)ranfen  ober  auf  rol-- 
lenben  QSagen  ftet)en,  unb  äl)nlid)e^ ;  im  ©ebiete  ber 
„berittenen  ©pmnaftif "  ba^  9?eif-  unb  ^eppid)fpringen, 
tr>eld)e^  groar  bem  "^luge  93ergnügen  geit)äbrt,  aHein  im 
llnterfd)ieb  t>on  ben  93oltigierfünften  ein  fo  befd^eibeneß, 
t>a%  bie  enblofc  ^ieberl)olung  Überbru^  l)erüorrufen 
mu^.  ^erCl'rfat)be^claftifd)en^an5feil^burd)ben(fifen• 
brabt  barf  faum  eine  glüc!lid)e  9ieuerung  beiden;  benn 
es  ift  obne  3tt)eifet  finniger  unb  fd)öner,  i)a%  eine  ela- 
ftifc^e  ©eftalt  t>on  einem  elaftifd)en  Seil  in  bie  5DÖt)c  ge- 
febert  lüerbe,  al^  t)a%  jemanb  mit  breiten  Sd)ut)en  unb 
plumpen  dritten  fd)n?erfällig  bie  Cuft  bergan  tt>aU  n)ie 
burd)  einen  Gumpf. 


•2luö  bcm  Sirfuö  105 


-^Im  übelftcn  fiet)t  eö  in  bcr  f)umonftifci)cn  ©egcnb  be^ 
Sirfuö  auö.  5)a  fint)  bie  ($!lon?nö,  bic  beftellfen  Cuftig= 
mad)er,  bie  red)tmä^igen  (^rben  beö  St)afefpearefc^cn 
9tarren{)umorö,  üon  n)etd)cn  ic^  5tt>ar  beileibe  md)t 
oertangen  möd>te,  ba§  fie  5tt)ifd)en  tränen  täd)elfen  — 
ba^  fet)lte  gerabe  nod)  I  —  aber  öon  tDeld)en  tt>ir  forbern 
bürfen,  tiaf^  fie  un^  erf)eitern,  um  fo  mei)r,  at^  if)nen  feine 
äft{)etifrf)en  Q3erbote  iöinberniffe  bereiten,  at^  it)nen  »on 
jebermann  baö  9?ed)t  §ugeftanben  n)irb,  in  bem  ganjen 
ungef)euren  ©ebiet  ber  Sprad)e  unb  ©ebärbe  irgenb  et= 
njaö  ^röf)lic^eö  gteid)Oiel  n)etd)en  Stilö  gu  erjagen.  QSa^ 
lie^e  ftd)  barau^  mad)en !  Unb  n)aö  mad)en  fie  barau^ ! 
6d)on  if)re  ^teibung  ift  eine  '33anferotter!lärung  be^ 
^i^e^  unb  obenbrein  noc^  eine  ^eteibigung.  ^ornifd) 
tvivft  ein  Äleib,  tt)enn  e^  ein  9IRotit>  au^  bem  2eben  fa-- 
rifiert;  tüofürjebod)  f einerlei  91n^altungö-  unb  Q3ergtei= 
(i)ungöpun!te  auö  ber^nfd)auung  gegeben  ftnb,  t)a^  fann 
einem  vernünftigen  ^enfc^en  fein  2ad)en  abgen>innen. 
QBa^  foHen  un^  biefe  9}Zei)tgefpenfter  mit  i^ren  fpi^en 
^erü(fent)elmen,  mit  it)ren  d)inefifcben  9!)Zatereien  auf 
^arifer  tyräden,  mit  if)ren  unter  ben  ^d)fetn  feftgebun- 
benen  feuerroten  ^luber{)ofen  ?  ^n  n)cn  ober  an  tvai 
erinnern  fte?  9Sagtt>olIen  fieöerfpotten?9^id)tö;  fie  finb 
blo^  'inuögeburten  be^  ^Ibertüi^eö,  finntoö  für  ben  ©eift 
unb  f)ä^Iid)  für  t>aß  ^luge;  bagu  mit  it)ren  'iHnfprüd)en 
auf  unfere  2ad)muä!etn  n)ibertt)ärtig  aufbringtid).  ®ie 
rici)tige  '52luöftaffierung  be^  Ctotunö  tt)äre  naturgemäß 
bie  Übertreibung  n)irflid)  üor^anbener  ^leibertrad^ten 
ober  ^örperformen,  t)om  9}Zcnf^en  f)inab  biö  jur  ^ier- 
tt>elt ;  alte9JZaßf  en  berQ3ol!ö!omöbie  beru{)en  ja  urfprüng» 
Uli)  auf  biefem  ©runbfa^,  ber  englifd)e  dloron  nid)t  n)e= 
niger  aU  ber  fran§öfifc^e  ^ailaffe  ober  ber  itatienif<i)C 


106  "^lu^  bem  3irfu^ 


'^antalone  ober  ber  beutfd}c  Äanetüurft.  Q©er  t>ertt)e()it 
benn  bcm  Sirfu^narren,  auö  ber  9D^ittc  be^  gro^ftäbti- 
fd)en  Gebend  uid)t  nod)  taufenb  anbere  ^ppcn  511  i)olen, 
al^  ben  bummen  'iJluguft,  bie  einsige  !omifd)e  'Jigur, 
tDctdje  ber  Q5>i^  üieler  ^aufenbe  n)äf)renb  langer  3af)rc 
5u  erfinben  gettju^t  ()at?  niemanb  oern)e{)rt  e«  if)m,  al^ 
feine  llnfät)igfeit  unb  unfere  unglaublid)e  '^^Infprud)^» 
tofigfeit.  QBenn  oier  Glon^nö  einen  Siefanten  ober  i{)rer 
jttjei  ein  Sl)epaar  üon  S^a^en  barfteüen,  bann  finb  fie 
in  il)rem  ©ebiet,  bann  evi)dUvn  fie  un^,  bann  jn?ingen 
fie  un^  §um  Cad)en,  ob  tüir  n>ollen  ober  nicf)t.  9lllein 
gibt  e^  benn  nid)t  nod)  mel)r  ^iere  auf  ber  QBett?  Soll 
benn  felbft  in  ber  ^arobie  bie  6d)ablone  l)errfd)cn? 
£inb  tr>ir  bagu  üerbammt,  überall  nur  in  ausgetretenen 
©elcifen  gu  tt>anbeln  '^  ©ibt  eS  benn  !ein  ^ünf d)en  ge-- 
funben  Übermuts,  frö^lid)en  (Bpa^e^  mcl)r?  'allein  bie 
Äerren  C!lon)nö  bünfen  fid^  tt)ot)l  §u  öorne^m,  um  il)ren 
9^arrenberuf  mit  Srnft  burd)}ubenfen  unb  auS§ufüt)ren ; 
fie  ^aben  ja  aud^  üiel  Srt)abcneS  ju  tun.  (f  ^e  man  fid) 
beffen  t)erfiel)t,  n)upp,  ftet)t  einer  bem  anbern  auf  ben 
6d)ultern,  ein  britter  auf  bem  jtüeiten  unb  brel)t  feinen 
•tyilj  tx)äl)renb  anbertf)alb  Stt)igfeiten.  <5)aS  mag  öiel« 
leicht  fd)tDierig  fein,  langnjeilig  ift  eß  jebenfallS.  ^a% 
fid)  für  bie  <5ilä!unftftüc!e  eine  l)übfd)e  ^omif  gett)innen 
lie§e,  tt)cnn  bie  6lott)nS  fid)  babei  alS  Tataren  einfül)r- 
ten,  fällt  if)nen  natürlid)  nid)t  ein.  Ihn  fold)e  9Sal)r^ei- 
ten  5u  finben,  bebarf  eS  üermutlid)  ber  ©ebanfenarbeit 
mel)rerer  3öl)rt)unberte.  iiberl)aupt  fallen  bie  i?eute  je- 
ben  ^lugenblicf  auS  il)rer  9\olle.  3e^t  fd)ellen  fie  mit 
Äul)glocfcn,  ober  flimpern  'il"plo))l)on,  ober  fragen  ben 
unoermciblid)cn  5?arnet>al  oon  93enebig  in  ben  üer^err- 
teften  Stellungen,  nid)t  ettt)a,  um  uns  S^reube  5U  gönnen. 


nu^  bem  3irfuö  107 


font)ern  bamit  mv  ifjrc  ©cfd)ic!licf)(cit  betüunbern.  QBcnn 
un:^  jebod)  eine  blaßte  Qxi)dtcvn  foll,  bann  bavf  fie 
nic^t  5n)ifd)enf)inein  um  Q3eifaü  tt)infeln  tt)ie  ein  ^enor- 
fanget;  fte  mu§  i{)n  erfd)leic^en  unb  er§tt?ingen,  nid)t  er- 
betteln. 93on  bem  gefprod)enen  QiÖi^  ber  (itoiunö  la^t 
unö  fd)tt)cigen.  9^ur  ein  ^eifpiet  bafür,  n)ie  aud)  t)ier 
n)ieber  fftaoifd)e  ^efangen{)eit  in  ber  S^onoention  \tatt 
be^  fröl)lirf)en  ßinfalleö  fjerrfc^t :  ein  unleiblid)e^  blaffet 
(5nglifd)''Seutfd)  fc^eint  fo  giemlid)  alle^  ju  fein,  voa^  bie 
ßcute  üon  ber  ^omit  ber  ^uöfprad)c  tüiffen,  unb  fetbft 
t>ai  üben  fie  nid)t  unferttt)egen,  fonbern  tt)eit  fte  glauben, 
fid)  burd)  (gngtifd)  einen  x>ornef)men  '2Inftric^  5U  geben. 
6ie  f Otiten  bod)  im  ßuftfpiel  nac^fef)en,  n>elc^e^  93ergnü= 
gen  bie3ufd)auer  be!unben,  fobatb  ein  Ungar  oberSd)n?a= 
be  ober  Q^uffe  auftritt;  im  5:f)eater  freilid)  ertpecf  en  fold)e 
9}Zittet  ber  ^omi!  t>a^  ^d)fe(5U(f cn  ber  ^ritifer,  n)cil  fte 
für  ju plump  gelten; im  3ir^u^, nebenbreffierten6d)tt)ei= 
nen,  iverben  fie  tüobl  fd)tt)erlid)  §u  gering  fein.  Q3erfpot- 
teten  bod)  bie  Äerren  nid)t  froftige  Ä»irngefpinfte,  fon= 
bern  t>a^  ^ublüum,  mid)  unb  meine  9Zad)barn,  bamit 
tüir  einmal  Ijerslid)  lad)en  fönnten ! 

(S^  gibt  übrigen^  nod)  eine  unleiblic^ere  @efellfd)aft 
im  3irfu^,  at^  bie  abftraften  tyilän^J^^^^n :  t>a^  finb  bie 
6tatuenmännd)en.  QLßeöl)alb  ein  t)eref)rlid)eö  ^ubli= 
fum  biefe  ^ef)ltt?ürmer  nid)t  in  gebüljrenber  QSeife  mit 
Gc^impf  unb  6d)alen  au^  ber  'Mirena  jagt,  ift  mir  ftet^ 
ein  9\ätfel  geblieben.  Q3ergeblid)  ^erbred^e  id)  mir  ben 
^opf  barüber,  roaö  biefen  ^Ittentätern  auf  ben  gefunben 
9}^enfc^engefd)mad  ©nabe  exmvH,  bingcgen  xt>d%  x6) 
gar  tt)ol)l,  tt)arum  id)  fie  unau^fte^licb  finbe.  Qßenn  ic^ 
nämlid)  nid)t  irre,  fo  berut)t  bie  Sd)ön^eit  einer  Statue 
^auptfäc^tid)  auf  i^rer  6d)önl)eit;  t>a%  jeboc|>  biefe  in 


108  ^'hiß  t)cm  3irfu« 


93abe^ofen,  fatticje  QKoUenjarfen  unb  Sd)nabelftrümpfe 
gcficcften  ©efellcn  mit  it)i*cn  anfgeflcbten  l^erücfcn,  mit 
itjren  t>crfd)micrtcn  @efid)tern,  mit  \i)ven  roten  Äälfen, 
bic  t»om  Saum  beö  Q3>amfeö  geföpft  n^erben,  mit  it)rcn 
frechen  beifaüßtüfternen  ^^lirfen  iinb  ©ebärbcn  fcl)ön 
tt>ären,  rt>irt>  fd)tüerlid)  jcmanb  bet)aupten.  (iin  anbrer 
tpcfcntlid^cr  93orjug  in  9}^armorgruppen  fd)eint  mir  im 
93tarmor  ju  liegen ;  ob  man  aber  ben  9}tarmor  mit  ©lürf 
burc^  ^rci,  ??tet)I  unb  Sd)n>ci§  erfe^en  fönne,  bleibt 
mir  fraglid).  ®ocf)  n)at)rfd)eintic^  ift  ee  fd)on  ein  ^it- 
bungsgenu^,  überhaupt  nur  an  antife  Statuen  erinnert 
ju  n?erben,  einerlei  rt>ie?  ^a  crl)alten  n)ir  benn  ein  lieb' 
lid)eö  ©leid)ni^ :  ©ic  *2ltten  at)mten  mit  it)ren  Statuen 
ben  menfd)lid)en  Störper  nad),  im  ebelften  Stoff  unb 
in  ben  ibealften  'formen  xi)n  r>er[cl>önernb;  tt>ir  äffen 
burc^  ben  menfd)lid)en  Körper  bie  antifen  Statuen  nad), 
mit  ben  abfd)eulid)ften  Ceibern  unb  mit  ben  gemeinften 
Stoffen  biefelben  t)erballt)ornenb.  9toci)  ein  Sd)ritt  njei- 
ter,  fo  njerben  unfere  ^ilbl)auer  bie  9^el)lafrobaten  be^ 
Sivtu^  in  9}carmor  auöfüljren,  um  auf  biefem  Q[Bege  jur 
9^atur  unb  jur  ^Intife  ^u  gelangen.  0er  ©ipfel  beö  ©ei- 
fteg  aber  xv>\xt>  eö  fein,  tt>enn  nun  bie  gefrf)erften  <5iljöir- 
tuofen,  üon  9'ieib  über  ben  (Srfolg  i^rer  gipfernen  Kol- 
legen erfüllt,  ben  le^tcrn  inö  5)anbn>er!  pfufd)en,  ftc^ 
in  ihren  roten  "^räcfen  in  bie  9^arrenbruft  merfen,  mar-- 
tialifd)e  @efid)ter  fd)neiben  tt)ie  ein  ö^ed)ter  üon  'Bolo- 
gna unb  bie  t^auft  ert)eben  n)ie  ein  ^atriard),  ber  feinen 
Sol)n  t)erflud)t.  ^Qlud)  baö  fommt  t>or  unb  erregt  natür- 
lid)  einen  n)al)nfinnigen  93eifall^fturm. 


Sö  ift  in  t)er  t»eutfd)en  '>2ifti)etif  t>on  jet)er  oiel  t>on  ^e- 
recl)tigung  ober  9^id)tbcred)tigung  ber  '^lüegorie  l)ic9\et)c 
geipefen.  hierüber  fint)  t)ie  '*2lnfid)ten  t)erfd)iet)en,  unb 
meine  ^^lnftct)ten  t)erfd)iet>en  öon  t)en  übrigen.  3n  ber 
'Ausübung  t)at  jid)  mittlerweile  bie  6ac^e  fo  geftaltet, 
i)a%  bie  ^lüegorie  ba,  n)o  fic  ^inget)ört,  nämtirf)  in  bie 
Äunft  beg  ©ebanfens,  n)ie  ein  Sforpion  geflot)en,  t)in= 
gegen  t>a,  too  jxe  am  njenigften  taugt,  nämlid)  in  ber  bil» 
benben  ^unft,  n>ie  ein  Sd)a^  t)erliebt  oon  ©efd)ted)t  ^u 
@efc^led)t  tt)eitergefd)leppt  n^irb.  3d)  bin  ber  le^te,  ber 
bilbenben  ^unft  bies  Q3orred)t  ju  mißgönnen,  nur  meine 
id),  fie  foüte  bie  i)er!ömmlic^en  allegorifc^en  9}Zotit)e  je= 
ipeilen  auf  it)re  ^raud)bar(eit  nät)er  anfe(}en  unb  über» 
f)aupt  bie  ard)äologi[d)e  ßrbfd)aft  bloB  sub  beneficio 
inventarii  antreten. 

Unter  ben  überlieferten  "Allegorien  aber  ift  eine,  beren 
oolfötümlid)e"2lllertt)eltßbeliebtl)eitimfd)roffften©egen= 
fa^  5u  iljrem  Qä>ert,  ja  ju  il)rer  (Srträglicbfeit  ftel)t:  ic^ 
meine  ben  "2Imor  alä^uben,  mit  ober  o^ne  '53ogen, 
3^lügel  unb  ^afd)entud). 

3cf)  ben!e,  über  bie  ©runbfä^e,  nad)  n)eld)en  ber  QSert 
einer  beftimmteu  -Allegorie  für  bie  bilbenbe  ^unft  §u  be= 
urteilen  fei  (wenn  n)ir  bie  Allegorie  im  allgemeinen  ju- 
laffen  ,  ift  man  einig.  Sß  ^anbclt  fid)  nid)t  barum,  ob 
ber  ©ebanfe,  n)eld)er  in  einem  befonberen  ^aU  öerfinn» 
bilblid)t  werben  will,  feinen  guten  9\eim  l)abe,  fonbern 
barum,  ob  hai^  ©leid)ni^,  t>a^  jum  Ausbrucf  bes  ©eban» 
hm  gemäl)lt  wirb,  oor  bem  fcf)auenben  Auge  befte{)e. 
9tun  ift  ja  ber  ©ebanfe,  ber  ben  bübifd)en  Amor  gejeugt, 
!lar  unb  einleuc^tenb,  erfd)recf enb  flar  unb  einleuc^tenb : 


110  'Qlmor 

Gd)önt)cit  gebiert  Ciebe,  folglid}  iff  t)er  l'iebesgott  ein 
8ot)n  t)er6d)önl)eit^güttin.  ®ic  6d)ön()eit£!göttin  tT)irt) 
fd^n^crlid)  eine  9)iatrone  fein,  fie  bet)arf  i)ielmet)r  te^ 
9\ei5eg  t)er  btüt)enben  3ugen£) ;  eine  blutjunge  ©ötfin 
!ann  aber  unmöglid)  einen  ertt)ad)[cnen  6ot)n  befi^cn, 
fotglid)  ift  ^Imor  ein  5?nabe;  fertig,  ©ie  Ciebe  ift  ferner 
blinb ;  geben  mv  atfo  t)em  Q3uben  eine  '53int)e,  tüie  t)er 
Suftitia.  ®ie  Siebe  ^at  befannttid)  l^aunen,  9?curfen  unb 
dürfen;  n\d)tß  leid)ter  alö  bas :  'Qlmor  befommt  ein  fdjel« 
mifd)C0  ©rübd)en  unb  ein  fd)al!f)Q[te^  Cäd)eln.  <3)ie  ßiebe 
oeriDunbet  unb  fd)mer3t,  fie  trifft  oft  plö^tid)  unb  it)rc 
Q5?unben  fjeiten  fd)ir>er:  eine  5tinberci  für  einen  gefc^ul» 
ten  ^IHegorifer;  ein  '^ogen,  ein  5löd)er  unb  ein  Q3ünbel 
Pfeile  mit  9Biber{)a!en,  n)er  fönnte  t)ai^  nid)t  üerftet)en? 
®aö  alleö  ift  ebenfo  matt)ematifd)  einfad),  als  feid)t 
unb  nüd)tern;  gu  einer  r:^etorif(^en  Sd)muc!figur  reid^t 
e^  eben  f)in,  unb  eine  attegorifd)e  ®id)tfunft  mag  meinet- 
tvegen  mit  bem  ratten!a{)len  ©tcic^niß  ujeiter  tpirtfd)af' 
ten,  roenn  fie  fid)  bamit  begnügen  tt>iH,  abgegriffene 
Sc^eibemünge  abzugeben,  "hinein  bie  93caterei!  QKa^ 
bietet  bie  9}^aterei  bem  *33efd)auer,  inbem  fie  jene  bünnen 
abftra!ten  ©ebanfenfäben  al«  jufammengenjicfetten 
^t'näuel  förperlic^  üor  klugen  fteüt?  0a^  3d)eu§Ud)fte, 
n)a0  auöget)ec!t  n)erben  f ann :  einen  'S  u  b  e  n  a l  ^  5? u p  p  -- 
ter,  unb  gtt)ar  n)ol)lt)erftanben,  atö  einen  S^uppter,  ber 
genau  tt>ei^,  tt)orum  es  ftd)  t)anbelt;  t>a^  bejeugt  feine 
fofettierenbe  ÄaUung,  feine  üerfd)ämte  9Dcicnc  unb  fein 
t)erfd)mit)tee:  i^äd)eln.  ©ibt  eß  nun  im  ganjcn  ©ebiet 
ber  i?icberlid)feit  etwa^  Sfcll)aftercö,  atß  fold)  ein  9)tü- 
fterd)en  t>on  einem  ad}tjäl)rigen  6d)lingel?  ein  aö^t- 
jäl)riger  5\'uppler,  "Oaii  ift  nid)t  h\o%  unnatürlid),  fonbern 
gerabe^^u  unmbglid>.  Unb  bcrglcid)en  füt)rt  man  un^  feit 


Specf  111 

3af)rl)unt)erten  mit  überjeugter  ^nt)ad)t  ju  ©eftd)t,  in 
"^Bil^fäuten,  ©emälbcn  unt)  Stichen;  unb  jedermann 
nimmt  cö  aU  t)ie  i)armtofefte,  fclbftt)erftänt)lict)fte  Sac^e 
gläubig  t)in. 

®en  ©ipfct  t)er  Ciebenön)ürt)ig!eit  erreicht  ber  inter-- 
effante  3unge,  tüenn  er  ange[id)t^  eines  na{)ent)en  Cieb- 
t)aberö  feiner  9i)^ama  mit  pfiffigem  2äd)etn  bie  le^tc 
ÄüUe  oom  ßeibe  ^ie^t  QSa^  für  eine  nette  ©emütg- 
befd)affen{)eit,  QSelterfat)rung  unb  9}^enfd)enfenntni« 
fe^t  t>a^  bei  bem  tjolben  'tyrüd)tlein  oorauS !  unb  wa^ 
für  eine  abgelebte  '33lafiertf)eit  obenbrein ! 

hierüber  QBorte  ju  verlieren,  ift  bod)  n?of)l  t)offent-- 
lid)  unnötig;  id)  ben!e,  eS  genügt,  auf  ben  fc^auertic^en 
QKiberftreit  5tt>ifd)en  Sinn  unb  Q3erfinnbilbtic^ung  f)in-- 
gett)icfen  gu  f)aben.  "Sie  geet)rten  Äerren  ^ünftler  aber 
möd)te  id^  im  9iamen  be^  93erffanbc^  unb  be^  @c-- 
fd)macfe^  flet)entlid)  bitten,  un^  ^infort  mit  bem  faulen 
^uppelbuben  gütigft  ju  »erfdjonen. 


QCßirftid)  6ped,im  eigentlic|)ften  bud)ftäblid)ften  6inne 
be^  QSorte^  Sperf.  3d)^ann'^  nid)t  anber^  nennen.  9tur 
nic^t  6d)tt)einefpe(l,  fonbern  9}Zenfd)enfpecf.  91ämlic^ 
<33ubenfpe(f,  S^inberfpecf,  Säuglingöfperf. 

0a^  gilt  je^t  unferem  budmäuferifd)en  Seitalter, 
tpelc^e^  über  einen  fc^önen  nacften  '33ufen  6ittio  fc^reit, 
für  ben  Inbegriff  bes  6ittlid)en.  QOßa^  fage  ic^?  für 
eine  ^uranftalt  gegen  bie  llnfittlid)feit. 

Qßer  i)at  fie  nic^t  im  ©ebäd)tniS,  bie  f)olben  '^uben 
unb  Säuglinge,  n)ie  fie  unö  in  ben  "Jöinitienäeitungen, 


112  6pcct 

in  l)cn  6d)aulät)en  t)er  ^t)otograpt)en  unt)  ^unfti)änbler 
mit  fofcttcm  ©rinfen  it)re  llnauöfpred)Ud)ftcn  entgegen- 
ftrecfen,  oft  <S)ut5ent>e  gugleid)  in  t>en  unanftänbigften 
6teHungen? 

Qßaß  foü  t)aö?  n)a^  bebeutet  t)a3? 

0as  bet)eutet  eine  fd)mät)lid)e  Sl^onjeffion  an  öen 
9lmmeninftinft  beö  QSeibcö.  9Jieinettt)egen ;  xvaü  get)t 
mid)  t)aö  an?  id)  bin  md)t  'iZlmme;  ic^  brauche  alfo 
einfad;)  öie  ^2Iugen  abäun)ent)en. 

"iHltcin  n)cnn  man  mir  nun  t)crgteict)en  at^  über  t)ie 
9?ta^en  fittfam  öerfaufen  tt)iü,  fo  entgegne  id):  ®er 
^2Immeninftinft  t)e^  Qffieibeö,  alfo  in  unferm  ^yaü  bag 
lüftcrne  QSotjlgefaUen  am  S\int)erfpecf,  get)ört  genau 
in  biefelbe  9\ubri!  n?ie  bie  übrigen  3nftinfte,  tT)eld)e  t)ie 
tyortbauer  be^  9}ienfd)engefd)(ed)teß  jum  Siel  l)aben. 
llnb  ob  ein  Snftinft  t)öi)^v  ftänbe  al^  ein  anberer,  t>ai^ 
ift  noc^  eine  ^rage. 


9(Jlufif 


6ct)ubcrt^  S?(at)ierfonaten 

\\vex  'Vorurteile  fmt)  es!,  tt>eld)e  mand)em 
t)ie0d)ubertfd)en  S^laoierfonaten  verlei- 
ben. 3unäd)ff  t)aben  tuir  alle  6d)ubert 
fäuberlid)  atö  CieberJomponiften  »er- 
^e\d)mt,  unb  füt)ten  un^  bemgemä^  in 
unfercm  Orbnung^finn  beleibigt,  tx)enn  ber  Sänger  ber 
9}^üllerlieber  fid)  in  0inge  mifd)t,  bie  it)n  nid)t^  an- 
geben. ,,3d)  fd)ä^e  unb  t)eret)re  Sd)ubert  ungemein,  aber 
l)auptfäd)Iid>  in  feinen  fiebern."  <cyerner  ift  un^  ein  ©e= 
rüd)f  äu  Öftren  gekommen,  Schubert  ftänbe  im  fcbled)- 
teften  93erbättniö  mit  ber  6onatenform.  ,,3a,  feine  flei- 
neren  5t(at»ierfad)en,  bie  mag  id)  ganj  gern."  —  Q3or= 
urteile  bireft  ju  bekämpfen,  unternimmt  fein  (Srfat)rener. 
3d)  mli  mid)  bal)er  begnügen,  inbem  id)  bie  QSorjüge 
unb  9)Zängel  ober,  beffer  gefagt,  bie  ßigentümlid)feiten 
ber  Sd)uberffd)en  6onatcn  beteud)te,  meinerfeite  ol)ne 
Q5orurteile  ju  QSerte  gel)en. 

ßö  brandet  feine  befonbere  ^einfüt)ligfeit,  um  fofort 
einen  burc^greifenben  ynterfd)ieb  jn)ifd)en  ben  6d)u= 
bertfd)en  Gonaten  unb  benjenigen  ber  fogenannten  5tlaf- 
fifer  ju  fpüren.  hiermit  ift  jebod)  nicbt  gegeben,  t><i^ 
bie  erfteren  minbernjertig  feien;  nod)  weniger  barf  man 
l)ierau^  auf  i^re  llnregelmä^igfeit  fd)lie^en.  Statt  in 
ber  »ermeinttid)en  5.lnförmlid)!eit  liegt  t>ielmet)r  it)r 
Äauptfebler,  tt)enn  überbauet  t)kx  t)on  'tyeblern  bie 
9\ebe  fein  fann,  in  einer  altju  fteifen  '5örmtid)feit.  ©a- 
mit  frcilid)  9\egelmä^igfeit  in  Gteifbeit  ausarte,  bebarf 
eö  bcfonberer  ungünftiger  "^Bebingungen.  ©iefe  93e' 
bingungcn  erblicfc  id)  5unäd)ft  in  ber  Selbftänbigfeit 
unb  "^lußfül^rlid^feit  ber  ^bcmcn,  namentlid)  beö  erftea 


6d)ubertö  S^lamerfonaten  115 

unter  i^ncn.  ^^ä{)renb  bie  fogenonntcn  ^(affifer  t>er 
Sonate  ba^  erfte  ^^ema,  um  e^  bequem  f)ant)^aben  ju 
fönneu,  mügUd)ft  fur§  f äffen,  tt)äf)renb  tt)ot)(  gar  ber 
eine  ober  ber  anbere  fid)  mit  einer  an  ficf)  ganj  unbe= 
beutenben  rf)ptf)mifc^en  '^artifet  für  t>a§  ^^ema  be- 
gnügt, i)cht  Schubert  gteid)  mit  einer  Ujunberbaren,  in 
jeber  ^eäie()ung  öoüenbeten  mufifatifd)en  'pf)rafe  an, 
n)elcf)e  burd)frf)nitttid)  ein  flaffifd)e^  ^f)ema  um  t>a^ 
®reifacf)e,  n^enn  nid)t  ha§  Secf)öfac^e  an  2änge  über= 
ragt.  Hnb  äf)nlirf)  ge^t  eö  burd)  ben  gangen  erften  ^eil 
weiter.  "^In  eine  9)cuttiplifation  burd)  t^ematifd)e  Q3er- 
arbcitung  ift  unter  fold)en  Hmftänben  natürlid)  nid)t 
ju  benfen.  Sd)ubert  befc^ränft  fic^  benn  aud)  auf  bie 
^bbition;  allein  felbft  bann  nod)  ergibt  fid)  unoermeib= 
lid)  bie  berüchtigte  „t)immlifci)e  £änge",  nx&^t  etwa  n)eit 
Scf)ubert  tt)iKfürIicf)  ober  epifobifci)  ju  ^erfe  ginge, 
njag  burcl)au^  nicl)t  ber  S^alt  ift,  fonbern  n)eil  brei  ^{)e= 
men,  bie  an  fiel)  um  ba^  doppelte  ju  lang  finb,  um  t>a^ 
®u^enbfad)e  gu  lang  ttjerben,  wenn  man  jebe^  t)on 
it)nen  regelrei^t  mef)rmatß  n>iebert)olt 

^ie  9luöfüf)rlid)!eit  ber  ^^emen  beeinflußt  übrigen^ 
ben  "Sau  ber  Sonate  nod)  in  meit  empfinblicf)erer  QKeife 
auf  anberem  QSege  aU  burd^  bie  bloße  ^u^bel)nung. 
Snbem  nämlici)  Scf)ubert  gleicl)  oon  ^^nfang  an  fertige, 
abgerunbete  ^erioben  bilbet,  erreicl)t  er  jwar  3unäcl)ft 
einen  großen  Q3orteil  gegenüber  ben  i^laffifern,  hü%t 
jebocl)  fpäter,  bei  ber  legten  QSieberl)olung,  wo  eö  gilt, 
gleid)5eitig  burcf)  Proportion  unb  burcf)  Hberrafc^ungen 
ju  entlüden,  üiel  mel)r  ein,  al^  er  anfänglid)  gewonnen 
t)atte.  ®enn  bie  oon  Anbeginn  Wunberbar  oollenbeten 
^erioben  f  önnen  gegen  ben  Scl)luß  l)in  nid^t  met)r  über« 
trumpft  Werben  (man  t>erseil)e  mir  biefen  niebrigen  aber 


116  0d)ubert^  5?lat)ierfonaten 

be^cic^nent)cn  *t2Iu^t)ruc!) ;  fic  finb  bei  bev  QKieberboIung 
bto^  unanfef)ntid)er  Q3eränt>crungen,  feiner  t)urci)fd)ta- 
gcnt)cn,  überrafd)ent)en  9^euerungcn  met)r  fäbig.  0e^- 
tjalb  t>crfpürt  ber  Äöver,  nad)t>em  er  über  ba^  93^ittel- 
ftüc!  t)i«öuögelangt  ift  unb  nun  ben  ganjen  erften  ^cil 
fd)onung^lo^  in  ber  urfprünglid)en  ©effatt  jurürfer- 
n^arten  mu^,  llngebulb  ober,  mit  einem  anbern  QBort, 
i^angenjeile.  ^lö  unöermeiblic^c  <5olge  berfetben  Ux-- 
fad)en  ergibt  [id)  ferner  bie  fompofxtorifd)e  QSernac^- 
läffigung  ber  tbematifd)en  Aufarbeitung  (nad)  bem 
9Siebert)otungöäeic^en  be^  erften  ßatjes),  alfo  ber  ^av-- 
binalftetle  ber  Sonate.  Äier  tt)cic^t  Sd)ubert  ber  "Sluf- 
gabe  einfad)  au^.  3tt)ar  bihiuUt  aud)  bei  i^m  nod)  jene 
Gtette  ben  ^D^ittelpunft  ber  6d)önl)eit,  nid)t  aber  ben 
9[RitteIpunft  ber  Spannung.  Oibt  e^  übert)aupt  in  ben 
Sd)ubertfd)en  Sonaten  eine  Spannung?  3nt  einzelnen 
ja,  bod)  im  altgemeinen  fc^tt)erlic^.  <Die  9'xiefenpropor-- 
tionen  X)ert)inbern  bie  Überfid)t  unb  ftumpfen  t>a^  Ortö- 
bett)uMßin  ab,  um  fo  met)r  aU  nod>  gnjei  anbere  llmftänbc 
ben  Äörer  beöorientieren:  bie  gteid)mä^ige  Sü^igfeit 
ber  5baupt-  unb  9^ebenmotit)e  unb  ber  9?^angel an  ^empo. 
Sd)ubcrt  befi^t  eine  Starte,  n)ic  au^er  '33eett)OOen  fein 
anberer,  aber  njenig  Temperament ;  er  fcbknfert  gerne, 
fc^täft  auc^  tt)ot)t  mitten  in  einem  feiner  fogenannten 
■^lllegro  ein,  um  ju  träumen. 

^eit  unbeben!lid)er  al^  bie  9\egelmä§ig!eiten  er- 
fc^einen  mir  bie  5rcit)eiten  Sd)ubert^.  QBenn  er  jum 
'33eifpiel  auf  einen  Sa^  in  b  einen  jn^eitcn  in  cis-moll 
unb  üietteic^t  einen  britten  in  c-moll  folgen  lä^t,  fo 
fd)eint  mir  ber  Sd)aben  gering,  bagegen  ber  ©en>inn, 
nämlic^  bie  prac^tüoUe  t5^ärbung,  unerfe^lid).  3d)  fomme 
bal>cr  nod)mal0  auf  meinen  Sbauptfa^jurüc!:  nid)t  QtÖill-- 


Gc^ubcrtö  Älaüierfonatcn  117 

!ür,  fonbern  übelangebrad)te  ©ctt>iffenf)aftig!eit  ift  t>a^ 
9}Zcr!mal  ber  Sd)ubertf(i)en  Sonaten  in  formeller  Äin» 
fid)t  3d)ubert  möd)fc  mittel«  93lumen  einen  O^iefenbau 
geometrifd)  genau  l)erfteHen ;  ju  biefem  ßnbc  ftecft  er 
ßineale  burd)  bie  ©irlanben,  mi§t  bie  Sträuße  mit 
bem  QBinfelma^  unb  ()eftet  bie  dränge  mit  ^ol§en  ju 
oierecfigen  'Jiguren  feft.  „QSarum  alfo  burd)au^  bie 
6onatcnform  tt)ät)len?"  QKcil  bie  Gonatenform  befon- 
bere,  t>ornel)me  Scf)önl)eiten  öeranla^t,  für  n?etd)e  au^er« 
i)alb  berfelben  nirgenbö  ein  3tt)ec!  unb  eine  Stelle  in  ber 
QÖßelt  ift.  Sd)ubert  aber  öerfpürte  £uft  unb  ^raft  nad) 
jenen  befonberen,  oorneljmen  <B6)öni)e\Un,  unb  barum 
l)atte  er  tro^  allem  red)t,  bie  Sonatenform  ju  njä^len. 

S^  foftet  mid)  !cine  geringe  llbern)inbung,  nid)t  au^ 
bem  Umfang  in^  Snnere  ju  fteigen  unb  nad)  ber  t5^orm 
ba^  Qßefen,  nämlid)  bie  mufifalifd^en  €igentümlid)!eiten 
ber  einzelnen  ©rupfen,  ju  fd)ilbern.  allein  t>a^  ^a% 
eine^  "^luffa^eö  ift  leiber  noc^  unerbittlid)er  als  ba^jenige 
einer  Sonate,  unb  id)  barf  mir  nic^t  meinerfeitö  ^imm» 
lifc^e  Gänge  erlauben.  (Jine^  aber  f(^ulbe  id)  jebenfall^ 
meinem  ^l)ema  unb  meinem  Cefer:  bie  Äinn)eifung  auf 
bie  unbeftreitbaren,  ftral)lenben,  unt)ergleic^lid)en  unb 
unglaublid)en  QSorjüge.  ®iefe  finb  nad)  beiben  ent» 
gegengefe^ten  9?ic^tungen  in  oerf(^n)enberifd)er  "^yüUe 
ju  finben,  nad)  ber  'xRid)tung  ber  ^raft  fonjo^l,  alö  ber 
3artt)eit. 

QCßcnn  tt)ir  Schubert  5n)ifc^cn  <33lumen  im  ©rafe  liegen 
fe^en  —  unb  bieö  ift  feine  genjö^nlic^c  Stellung  — ,  ftnb 
wxv  geneigt,  i^n  alö  l)armlofen  Sd)äfer  unb  Sd)läfer 
ju  betrachten.  QUi)t  er  aber  einmal  auf,  fo  erftaunen 
n)ir  über  feinen  9^iefenn)ud)^,  über  tk  9}Jajeftät  feiner 
Bewegungen,  über  bie  l)er!ulif cb e ^raft  feiner  2eiftungen . 


118  3d)ubert0  Älaöierfonatcn 

6tat)lfci)arf  fd)neit)ent)e  «SiiTonanjen,  barunter  nament- 
lich Getunbeninterüalte,  finb  feine  Cuft,  mit  'Se^agen 
n>e^t  er  bie  6for5atofd)läge  in  ©egenbeivegung,  6pn« 
fopcn  fint)  it)m  ein  '5eft[d)mau0.  C^r  bebarf  pompöfer 
Oftaoen,  um  feinet  ßebcnö  frot)  ju  tüerben;  (ann  er 
biefe  nid)t  at^  feurigen  '^egafuö  gebraud)en,  fo  muffen 
fie  ibm  njenigffenö  jum  ()oIperigen  6tecfenpferb  bienen ; 
fie  äu  cntbei)ren  vermag  er  nie.  Über  alles  f)ivvli6)  fmb 
feine  eni)armonifd)en  9}Zobulationen  unb  d)romatifd)en 
Koloraturen ;  bie  l)ämmert  er  5u  feftem  93cetall,  t)a% 
el)erne  ^li^e  l)ert)orfprül)en  (g.  ^.  a-dur  [poftf)um] 
I.  Bai^.  I.^eil  nad)  ber  .^antilene,  einetl)ematifd)eÄette, 
n)eld)e,  beiläufig  gefagt,  jeber  anbere  S^omponift  in  bae 
"S^^ittelftücf  tt)ürbe  verlegt  l)aben).  <S)cr  titanifd)e  3orn 
ber  leibenfd)aftlid)en  Sejtengänge  im  op.  143  (I.  *3a^, 
^t)emagruppe)  unb  tvieberum  bie  !öniglid)e  93ornel)m- 
^eit  bes  9\l)ptt)mu^  in  ben  Übergängen  beß  legten  Sa^eö 
ber  c-moll-6onate  (3.  ^.  au^  bem  es-moll-  in  t>a^  es- 
dur-Stücf)  würben  für  fid)  allein  l)inreid)en,  um  Sd^ubert 
al^  ben  näd>ften  Q3ertt>anbten  'Seett)ot)en0  erfennen  ju 
laffen. 

Äinfid)tlicb  beö  Sd)mel5e0  fpotten  6d)ubert^  Gonaten 
nid)t  blo^  ber  93ergleid)ung,  fonbern  fogar  ber  '!2lt)nung, 
®a  ereignen  fic^  Sauberfünfte  unb  Ä)alblid)teffeifte,  t>or 
beren  3cjrtl)eit  bie  ^t)antafie  ben  ^tem  jurürf t)ält.  hier- 
bei benfe  id)  an  t)unberterlei  Stellen;  am  n^enigften  an 
bie  furzen,  mitunter  ettt>a0  überlabenen  unb  gequetfd)-- 
ten  Ciebt;)eifcn  ber  '■einbaute,  am  meiften  an  bie  9}^ittel- 
ffürfe  ber  crften  6äl)e.  ^att^  \vk  tia^  d-moll-9}^otit)  in 
ber'^2lu3n)eid)ungber(poftt)umen)b-dur-Sonate(I.6atj) 
ober  bie  c-dur-©ruppe  beß  'Qlnbante  in  op.  147  ober  t>ai 
pp.  t>on  as-moll  biß  e-moll  im  6d)er50  t>on  op.  42,  t>or 


3ur  ^ft^ctif  bc«  ^empo^  1 1 9 

allem  aber  bie  ganje  gro§e  9?^ittclpartic  (c-dur  ufnj.) 
im  I.  (Ba^  ber  a-dur-6onate  (pofti).)  muffen  fetbft  t)em 
nüd)tcrnen  Q3erftant)e  atö  ©rü§c  au^  bem  '^arabiefe 
gelten.  'Sa  fd)mU^t  jeber  ^on  ^u  fd)(acfenlofer  6d)ön- 
]^eit,  t>a  „riecht''  eö  nic^t  bIo§  ,,nad)  9i)^uftf',  e^  buftet 
banad).  ^a^  ift  baö  reine,  ftiüe  Seelenglücf ,  in  ^Ccufi! 
umgefe^t;  mit  einem  tRert»  im  tiefften  3nnern,  burcf) 
h)eld)en  n)e{)mütige  !o^mifd)e  'i2lt)nungen  gittern. 

Unb  bergleid)en  i)ätt^  Sd)ubert  unterbrücf en  follen  ? 
(5ämttid)e  Günben  Sd^ubert«  gegen  bie  "Jorm  taufen 
fd)lie^lid)  auf  eine  gIorreid)e  ^ugenb  f)inau^ :  ben  un-- 
auf^altfamen  Strom  feiner  f)immtifd)en  Snfpircitionen. 
€^c  er  nur  jur  ^^Hrbeit  fd)ritt,  ftanb  fd)on  ein  9}Zotiö  oon 
überirbifd)er  Sd)önt)eit  üor  feinen  ^li(fen.  QSergebenö 
raunte  it)m  bie  93ernunft  ju,  eö  ju  ermorben,  umfonft 
surfte  fein  QSitte  ben  6tat)t;  iia^  9}^äbd)en  flehte  i^n  an 
aug  feinen  n)unberbaren  klugen,  unb  er  tat,  n)ie  ber 
Säger  mit  bem  Srf)neett)ittc^en  getan :  er  tie#  e^  leben, 
^n)eit  e^  fo  fc^ön  n)ar". 

€in  ^rop()et  Samuel  mag  il)n  bafür  üerbammen;  id) 
bin  nic^t  Samuel. 


3ur  ^ftf)etif  be^  5empo^ 

3c^  mag  mir  noc^  fo  eifrig  t>a^  ©egenteil  gureben, 
fo  oft  id)  t>ai  ß;f)ampagnertieb  im  <5)on  Suan  f)öre, 
brängt  ftrf)  mir  jebeömat  ha^  nämtid)e  Urteil  auf:  t>a^ 
£ieb  fliegt  nid)t,  fonbern  ftürjt,  e^  l)at  nid)t  ^euer, 
fonbern  Äaft.  ^t)nlid)e  ^eifpicle  eine^  über^e^ten  ^om- 
pofition^tempoö,  tüeld)e^  an  bem  ioörer  oorüberjagt, 
ol)ne  il)n  mitjurei^en,  liefen  fid)  in  9}^enge  finben,  am 


120  3ur  ^^iifthctif  ^c»!^  ^^'cmpovü 

l)äufiiifiou  in  ^ol•  oe^a  ^cl•  inftnuncntalen  finale,  warn 
bor  5\\Mnponift  nad)  Oifdü>v|iiiui  famtlid>cv  9?iit(el  bc- 
t)uf»S  ciiicv^  Icntcn  ^lll^1)fct)laiU'"^en  ^'ffcftctf  fein  X^cil 
im  l>icfto  fiicl)t.  3rt>  u>aiic  cüI,  ^.  ^.  ^a*  as-dur-"prcfto 
im  ;vinalc  tcr  "»IppaffionvUa  lm^  ^ov^  ^d)lufiproftiffinu> 
im  ?uMl^o  ^cl•  c-dur-vronatc  op.  5>3  bieibcr  ^u  ,v"il)lcn, 
iibcvbaupt  bic  mcifton  l>voftif)lmoiS,  U'cld)c  böd)ft  [cUcn 
onoiduMi,  um\S  fio  cifticbcn,  luimoutlid)  batin  nid)t,  uhmiii 
fu*  cinfad;  ein  beieito  lU^obeneo  nWotiv  be[d)leuniiien. 
<5>enn  '^^efd)leimiiunui  bebeutet  virile,  nicbt  v^d)neUiiifeit. 
"ilMe  iium  ein  Trefto  ^uv  uoUen  ^^empou>iirunii  bviniU, 
ba\>  empfiinb  jener  ^A'eifter  nm  fidu'rfien,  nH'ld)em  eine 
rinbifdk*  vraiie  aUi>äteilid)e  ^^^'bvibiiifeit  nvid)vebet : 
.Vaübn.   ^rin  ibm  ifi  bac^  T^refto  sn  fiubieren. 

C>d)  bvibe  ba  eine  td>u>ieriiie  ;viMiie  iUifiU'UHnfen  in\b 
mafu*  mir  nid)t  vin,  fie  einiiieimaf;cn  binveid)enb  311  bc« 
antUHM'ten.  ^Paci  "ilH'nijie  iebod),  unio  id)  iiefunben  ober 
iieabnt  •^u  baben  i^Umbe,  iiefuitte  id>  mir  mit^iteilen,  in 
ber  befd)eibenen  9?ieimnui ,  bierjnit  eine  ^^Inreiinnii  ui 
bieten. 

^Piiv^  fLMnpofttiMifd^e  vveuer  be\>  .iempciiS  fetu  ok< 
erfte  vH'bini^nni^  lunauiiS,  bvif;  ber  -iaft  iieünirt  uu'rbe, 
innerbvilb  befTen  (id)  ber  ?\bDtbnui»>  beUH\"it.  ^^er  ^aft 
aber  be^^iebt  feine  "ilMrlfamfeit  iUiv>  bem  "J>ult>fd)laii  bet^ 
OA'enfdHMi.  ^11h1\\  baber  ben  T^ulC'fd^Uui  iinb  biermit  bie 
9ien>en  vinreat.  bvu^  unrlt  anfeuernb :  baiS  0.\iUfd)tenuH\ 
ber  \janvbutbmiuv  ber  o\ilopp  ber  vred)i^ad)teltaft, 
bie  ininfiierte  OiOte,  bie  \i  riolenfi^uiren  ,  bie  fpannenbe 
Vaufe  ber  v>H\u'nrbbtbmnvV  bie  vH'tonunii  bev^  fd>led>ten 
vJartteiK<  bie  Tu>rfct)liiiK  ber  <^eiileitinui  i>cr  ^ciiinn 
bev<  ^benuiv  unb  äbnlidH'ii, 

3uHMtci\v>  fent  ronUHMltorifcbei!'  {vcuer  voriUuv   bvT§ 


3ur  9iftt)etif  bc^  ^cmpo«  121 

t)er  5aft  bie  gefamte  "Partitur  mitreise,  nid)t  etwa  blo% 
eine  einzelne  6timme.  -2lu(^  bic  größte  Sc^neüigfeit 
einer  einjetnen  Stimme  befc^leuuigt  ja  t^aß  ^cmpo  nic^t 
um  ben  {leinftcn  "Pulsttjert,  n?ie  n>ir  au^  ben  64ftet 
^affagen  eineö  '^Ibagio,  ober  au5  ben  ^raoourfiguren 
ber  ^Variationen  entnei)men  fönnen.  3«.  bie  rafenbften 
Käufer  fönnen  fogar  einem  Ovutjepunft  §ufaüen,  unb 
äipar  obne  \i)n  ^u  beeinträd)tigen;  im  ©egenteil,  ftc 
marfieren  fogar  bie  ©efamtrut)e  nod)  beutUc^er.  Hm- 
gefef)rt  fann  eine  getragene  fc^roerfäliige  Obermelobie 
t>\e  @efd)tt)inbigfeit  eine»  Sturmes  erreid)en,  n?enn  bie 
©efamtpartitur,  n?elcl^e  bie  Oberftimme  trägt,  leiben-- 
fc^aftlid)  aufgen)üt)lt  wirb.  So  5.  ^.  t>a^  9iationanieb 
am  Sd)lu|  ber  3ubelout?ertüre. 

<S)rittenß  fommt  in  ^etrad)t,  ob  ic^  bie  9coten  ei- 
neö  tOcOtioö  al^  Q3icrtel  ober  *2ld)tel  ober  Secf)5e^ntel 
empfinbe:  alla  breve  ober  alla  grande.  (Sagt  man  üb- 
rigen^ alla  grande?)  €^  nü^t  nic^tß,  ha^  ber  ^ompo« 
nift  ein  ^refto  in  Q3iertetn  fc^reibt,  wenn  ber  Äörer 
in  feiner  (Jmpfinbung  bie  Giertet  in  ^^Ic^tel  i^albkvt; 
benn  bamit  {)albiert  er  aud)  fofort  t)aB  ^empo,  wo- 
burd)  }iatt  Spannung  ber  Sd)neafraft  ©emütlid^feit 
entftet)t. 

Unter  tt>eld)en  Umftänben  aber  empfinbet  ber  Äörer 
ein  ^empo  alla  grande  unb  unter  n)eld)en  Umftänben  alla 
breve?  9ceben  bem  ^a!t  ber  93egleitung  !ommt  ^ier« 
für  of)ne  Stveifel  aud)  ber  C{)arafter  beö  ^()emaö  in 
^rage.  S0  gibt,  n)ie  jebermann  njei§,  feurige  unb  fc^läf= 
rige  5:f)emen.  "i^llein  es  gibt  aud)  ^f)emen,  bie  feurig  fein 
möchten,  aber  tro^  aller  Äaft  unb  llnru{)e  nic^t  jünben. 
<^a^  gefd)ie{)t  j.  ^.  bann,  tt)enn  t)a§  5f)ema  ftd)  auf  ben 
Snteroatlen  bes  gebrod)enen  ^2lf!orbes  bewegt,  mit  an- 


122  Hnfere  Sommcnnufif 

bercn  QOßortcn,  n^enn  es  fic^  nid)t  genügent)  biatonifc^ 
fd)l5ngelt.  93ariationcn  über  ben  gebrod)enen  *i2lf!orb 
fönnen  unmöglid)  "Jeuer  fd)tagen,  mögen  aud)  ^ompo- 
nift  unb  6änger  ober  Gpieler  nod)  fo  leibenfrf)aftUc^c 
©ebärben  auöfüt)ren.  <S)a^  '5:t)ema  be^  Ct)ampagner- 
liebcö  aber  ift  ber  gebrochene  *t2lf!orb,  barum  tt>irb  eö 
tro^  allem  "^Btafen  niemals  brennen. 


ilnfere  Sommermufif 

(J^  mu^  n)of)l  feine  Heine 'SHnftrengung  f offen,  ficf>  einen 
95>inter  über  europäifd)  gu  betragen.  3u  biefer  ^nftd)t 
lüerbe  ic^  ge§n?ungen,inbem  id)  beobad)f  e,  tvie  bie^Dtenfc^« 
i^eit  beö  Gommer^  mit  fteberf)after  9lngft  §u  ben  Sie- 
gen unb  ^üt)en  flüd^tet  unb  t>or  jebem  gangen  Überrocf, 
t)or  jebem  guten  'Sud),  üor  jeber  eblen  9)^ufif  einen  ner- 
ööfen  ^bfd)eu  befunbet.  „Um  ©otteö  tt)illen,  nur  je^t 
nid)t^  met)r  bat)on!  n)ir  n)olIen  ung  ert)oIen!"  Sin  'Se« 
bürfni^,  fx(^  üon  ber  Siöitifation  gu  erf)oten,  flingt  mir 
tttva^  oerbäd)tig.  <5)od)  id)  üerftet)e:  bie  ^irmften  ftnb 
überfättigt.  „3anjot)l  überfättigt!  überjättigt  bi^  gum 
Überbru^,  biö  jum  (^fel!"  S^all^  id^  mir  aber  im  QSin- 
ter  ben  befd)eibenen  9xat  erlaube,  man  möge  fid)  bod) 
nic^tfo  unbarmi)er5ig  überfättigen,  fo  {)ei^e  id)  ein  Bar- 
bar. <S)emnad)  fd)eint  eö  jur  5?ultur  ju  gef)ören,  n)äf)- 
renb  ber  einen  Äälfte  beö  3at)re^  ftc^  bie  6eete  ju  übcr- 
laben,  um  bann  n)ä^renb  ber  anberen  Äälfte  '53red)mit- 
tel  bagegen  gu  gebraud)en,  bie  man  mit  bem  9camen 
^9^atur"  überjurfert. 

QBie  bem  übrigenö  fei,  bie  jämmerliche  '^rüt)jal)rö- 
ftimmung  erflärt  mir  bie  'Programme  unferer  fommer» 


Xlnfcrc  Sommermufif  123 

ttd)cn  ©arten-,  ^abe»  unt)  ^romcnabcn!on§erte;  tie- 
fe foßen  einen  muftfalifd)en  Äering^fatat  bcbeuten,  in 
n>etd)em  jebe^  Äärffel  tuiUfommen  gef)ei^en  roirb,  oor* 
öusgefe^t,  ba^  ee  übel  ried)e.  llnb  man  barf  in  ber  ^at 
unfern  ©artenmufüjettetn  ben  9\ut)m  taffen,  t)a%  fie 
bicfe  "^lufgabe  teiblicb  erfüllen.  Sel)en  tt)ir  un^  einmal 
t>a^  9\egept  berfelben  an: 

93or  allem  la^  eine  trompete  au^  8ärfingen  !ommen, 
öerftecfe  fie  ungefäl)r  fünfunb^roan^ig  Sd)ritt  öom  übri- 
gen Ord)efter  entfernt  in  ein  ©ebüfd)  unb  überlaffe  fie 
il)rem  Sd)irffal,  bi^  fte  öor  Ä>eimtt)et)  erbarmungsnjürbig 
gu  flagen  beginnt.  —  <£>aneben  l)alte  eine  ^löte  in<23ereit- 
fd)aft,  um  mit  it)r  ben  Äimmel  ju  ftürmen  unb  eine 
Klarinette,  für  ben  <5all,  t>a%  fx6)  QBeltfd)mer5  einftel- 
len  foUte.  —  ©änjlid)  unentbe^rlid)  finb  natürlid)  einige 
^otpourriö,  üon  tüeld^en  bie  n)ot)lfeilften  ftd)  gen>öl)n-- 
Ixd)  als  bie  taugtirf)ften  ernjeifen  n)erben.  —  Äierauf 
nimm  eine  Äanböotl  muftfalifd)er  9^ülpfer,  bei  jebem 
KapeUmeifter  billig  cr^älttid)  (unter  bem  9^amcn  t)on 
,,(5d)ü$enmarfcl)",  „Sängermarfd)",  „^urnermarfrf>", 
„^eftgatopp'',  „0tubentengalopp",  „Äufarengalopp", 
„^malienpolfa",  „ßlifenpolfa",  „9)Zatl)ilbenpolf a"  ober 
aud)  „Äarleünpolfa"  ^u  »erlangen),  unb  tt>irf  fie  in 
t>a^  Programm,  je  met)r  befto  beffer.  —  £»aft  bu  t)a^ 
getan,  fo  preffe  ein  l)alb  <5)u^enb  gef(i)n)ellte  Kuf)reigen, 
gebämpfte  „Q^eöerieä",  im  QBaffer  abge!od)te  „Souöe- 
nir^  be  ^epli^"  unb  eingen)eicl)te  ^olfölieber,  üon  xt>d- 
d)en  jeber  ffet^  einen  großen  93orrat  l)aben  foEte,  unb 
brücfe  unb  quetfd)e  fie  fo  lange,  bi^  Krofobilötränen 
herausfliegen.  9\ül)re  biefelben  tücbtig  um.  —  93ift  bu 
bamit  fertig,  fo  f(i)neibe  ben  ^eig  mit  bem  9Dceffer  in 
gnjei  gleid)e  ^eile  unb  ftecfe  in  jebe  Äälfte  eine  Ouoer- 


124  ilnferc  Sommcrmufif 

türe,  um  bem  5lud)en  einen  Sbalt  unb  ein  9lnfet)en  511 
geben,  unt)  bu  f)aft  ein  Programm,  mit  n)etd)em  t)u  t)id> 
t)or  feiner  @efeUfd)aft  ju  fürd)ten  braud)ft. 

«JJagegen  t)abe  id)  nur  eine  einjige  (iintuenbung  ju 
eri)eben.  €^  taffen  fid)  immer{)in  9)^enfd)en  benfen,  iroel- 
c^e  it)ren  @efd)mad  nid)t  au^  t)em  ^atenber  be5iet)en, 
fonbern  im  3uli  eine  inftrumentale  'Seleibigung  ebenfo 
empörenb  finben,  tt)ie  im  (Dezember.  3ft  e^  nun  billig, 
biefe,  tx)ie  n)enig  sat)lreid)  fie  aud)  fein  mögen,  auö 
bem  fd)önen  grünen  ©arten  {)inauö5uj'd)ämen?  Goüte 
man  il;nen,  bie  bod)  nic^t0t)er[d)ulbet  t)aben,  nid)t  gleid> 
ben  anberen  i^r  ^lä^c^en  im  "freien  gönnen?  3d)  I)egc 
fo  oiel  Sutrauen  ^u  bem  QBo()ltätigfeitßfinn  ber  9}^en- 
fd)en,  t)a%  x6)  überzeugt  bin,  unfere  Sommerfonjert* 
birigenten  tt)ürben  'Programmen,  tt>cld)e  gleichermaßen 
bcn  mufi!alifd)en  tt)ie  hm  unmufifalifc^en  '5eil  ber  3u- 
l)örer  befriebigten,  bereitwillig  il)re  Suftimmung  gett>äl)- 
ren,  tpofern  man  il)nen  nur  eine  "iHnbeutung  geben  fönnte, 
n)tc  t>a^  ju  erreid)en  fei.  —  3ft  ba^  aber  ttJirflid)  fo 
fd)n?ierig?  3d)  glaube:  nein,  ^'ö  bebarf  nur  ber  (Ermit- 
telung beffen,  tt>aö  jebe  ber  beiben  fd)einbar  fo  oerfcbie- 
benartigen  ©ruppen  be^  ^ublifum^  begel)re  unb  »er- 
abfd)eue.  <S)er  \t)af)rl;aft  muftf alifd)e  9}^enfd)  fuc^t  in  ber 
^uft!  t)a^  6d)öne,  gleid)t>iel  in  tt>ctd)cr  ^orm  ober  6til- 
art  ober  @efüt)l0fpl)äre  baßfelbe  erfd)eine  unb  n)elc^en 
9^amen  eö  trage;  umgefel)rt  t)erabfd)eut  er  leibenfd)aft' 
lid)  allee  Ääßlic^e,  9:)iittelmäßige  unb  'platte,  f)anble 
es  ftcf)  nun  um  eine  ^lattl)eit  in  dur,  t)aß  l)ei§t  ^red)- 
l)eit,  ober  um  eine  ^lattl)eit  in  moll,  t>a^  ^e\%t  9vül)r- 
feligfeit.  '5)er  unmuftfalifd)e  9}^enfd)  bagegen  betüegt 
ftd)  mit  feiner  6pmpatl)ie  unb  9lntipatl)ic  au%evi)alb  ber 
äftl)etifd)en  Spl)äre;  nid)t  bieQ3egriffe  „fc^ön"  unb  „un- 


ilnfere  Sommer mufi!  125 

fd>ön",  ober  „ebel"  unb  „gemein"  bienen  if)m  jum  Urteil, 
fonbern  t)ie  unbeftimmten  ßinbrücfe  be^  „©efälligen" 
unt)  be^  „£angtx>eiligen".  ^amit  it)m  aber  ein  Gtücf 
,;gefalle",  mu|  ba^felbe  neben  bem  mufifalifd)en  Qffiert, 
ben  er  ja  nic^t  ju  oerfpüren  »ermag,  noct)  eine  birefterc 
93eäie^ung  ju  feiner  '^erfönlid)!  eit  ent{)aUen,  fonft  „lang- 
weilt" eö  il)n.  €ine  folc^e  93ejief)ung  !ann  auf  boppel- 
tem  ^ege  ftattfinben.  (Snttpeber  bie  9}^ufif  fpric^t  it)m 
an  t>a^  „®emüt",  mit  anberen  QBorten,  fie  fül)rt  bic 
©ebärben  einer  9}^elobie  au^,  einerlei,  ob  einer  abfct)eu-- 
licf)en  ober  einer  rounberbaren,  —  ober  fie  padt  i^n  an 
ben  9tert)en,  t>a^  l)ei^t,  fte  mad)t  il)n  burd)  aufregenbc 
9^1)t)tl)men  jucfen,  gleid)gültig,  ob  ^immlifc^e^  ^euer 
ben  9^1)9tt)mu^  befeele  ober  ob  Raufen  unb  trompeten 
in  rot)efter  Qßeife  ben  ^a!t  »erüben. 

9tun  liegt  an  unb  für  ftc^  n>eber  eine  rü^renbe  9}^e- 
lobie  nod)  ein  parfenber  9^1)^tl)mu«  au^erf)alb  be^  ©e- 
bieteg  ber  Sd)öni)eit;  e5  lie^e  fic^  bai)er  benfcn,  ba§  nac^ 
beiben  Seiten  ^in  eine  "Vermittlung  auf  bie  einfad>ftc 
QSeife,  nämlid)  burc^  bie  blo^e  <52lu^n>al)l  ber  einzelnen 
Stücfe  innerl)alb  ber  Gc^ranfen  be^  Sd)önen  mit  ßeic^- 
tigfeit  gefunben  »erben  fönnte.  ^^lllein  in  ber  QSirflid)- 
feit  ernjeift  fid)  bie  ^^orberung  „rül)renber"  9D^elobien 
al^  eine  ^öc^ft  bebenilicl)e,  tt>eil  fid)  nirgenb^  in  ber  ^unft 
bie  öorne^me  ©efmnung  öon  ber  gemeinen  unoerföi)n» 
lieber  fd)eibet,  alö  in  Sad)en  be^  „©emüt^".  (Sin  tri- 
üialeg,  gebunfenee,  §ubringlid)e^  9?ül)rftü(f  ift  jebergeit 
eineö  (auö  bem  ©efü^l  ftammenben)  begeifterten  93ei' 
faflö  ber  9}^el)rl)eit  fieser,  n)äl)renb  bie  mufi!alifd)e9}iin-- 
bert)eit  ÄöHenpein  babei  au2ftel)t.  Äier  ift  alfo  bie  äu- 
^erfte  Q3orftc^t  ein  ©ebot  ber  9^äd>ftenliebe. 

©ünftiger  i:)erl)ält  e^  fic^  t)infic^tlic^  be^  9^1)ptl)muö. 


126  y ufere  6ommermuftf 

Äier  laffcn  fid)  of)ne  JJlü^i  Äunberte  t)on  9?cufifffüc!en 
finden,  n)etd)e  nic^t  minber  ben  naioffen  3ut)örer,  alö 
ben  gebilbetften  9?^ufi!cr  entpcf en :  id)  meine  bie  ed)» 
tcn,  d)ara!tenftifd)en  ^änje  unb  9)^ärfcf)e,  mögen  biefe 
nun  einen  gefeUfd)aftlid)en  ober  nationalen  Hrfprung 
i)aben,  mögen  fic  auö  !taffifd)en  ^ompofitionen  ober 
aus  bem  „'^olf",  t>a^  f)ei^t  üon  unbefannten  Q3erf affern 
ftammen.  Sine  Tarantella,  ein  ßjarba^,  ein  Bolero, 
eine  ©uarracf)e,  eine  ecl)te  ^olfa  ober  tD^ajurfa,  ein 
ungarifd)er  xO^arfrf),  eine  ^otonaife,  ein  9?^enuett  ober 
eine  ©aootte  ufn?.  finb  üon  ber  einfältigen  llnrul)e  im 
Stoei-  unb  ©reioierteltaft,  bie  xvxv  mit  bem  9'Jamen 
„^anj"  unb  „93tarfd)"  beel)ren,  n?efenttid)  öerfd)ieben. 
3ene  enthalten  tt>al)re  Offenbarungen  ber  ßd)önt)eit, 
biefe  —  ni(i)t.  9Ka^  für  t)errticf)e  Programme  liefen  fid> 
ganj  allein  aus  bem  genannten  9}^aterial  l)erftetlen! 
Über  bie  ^ol!a  unb  "^D^asur^a  im  befonberen  follte  ein« 
mal  ein  einbringlid)e^  Qßort  gefprod)en  njerben.  ßs  ift 
ein  Sammer,  n)ie  jene  fcl)n)ungt)ollen  ^änje  in  5?om- 
pofition  unb  Gpiel  mi§f)anbelt  n?erben.  QOßarum  nimmt 
man  nid)t  bie  flaffifc^en  95orbilber  au«  bem  „Ceben  für 
ben  3aren"  jum  93cufter  ?  QBarum  öor  allem  lä^t  man 
fte  nid)t  l)ören?  QSir  n^ürben  baburd)  tt)at)rfd)einlid)  ber 
6intf[ut  ber  öertt)äfferten  Rolfen  unb  "SOZajurfen  lebig, 
unb  unfere  5?laöierfpieler  n>ürben  üielleic^t  G^opin  un- 
mittelbarer, inftinftiüer  faffen. 

??cein  Q3orfc^lag  tvxü  bto^  einen  QSerfuc^  bebeuten. 
©ie  0ringlic^!eit  aber  begel)re  id)  für  meinen  im  9^amen 
aller  murtfalifd)en  93^enfd)en  geftellten  Eintrag,  man 
möge  bod)  in  ben  fommerlid)en  ©artenfonjerten  bem 
©efd)marf  ber  9}cinorität  einige  9\ürffic^t  tragen.  '5)ie 
l)eutige  9\egel  lautet:  oiel  ©emeineß  —  für  ba^  „OSolf", 


/,'5röt)licö  fei  mein  "^bcnbenen"  127 

t)ajtt)ifd)en  einige«  €t)le  —  für  t)ie  tt>enigen.  <5)iefe  9\egel 
jet)od)  ift  feig  unb  graufam.  3d)  fd)lage  eine  ant)ere  ooc: 
Cuftige^,  cyri3t)lid)e^,  Äeitereö,  fo  oiel  man  will,  aber 
unter  feinen  Umftänt)en  etwa«  ©emeinee,  fei  eg  fred) 
ot)er  rüt)rent).  QBir  t)ult)en  nid)t,  t>a%  man  t>ic  93änfc 
befutle;  mv  braud)en  es  aud)  nic^t  ^u  leiben,  t>a%  un^ 
au^  einem  i)eimtücfifd)en  Äioö!  mufifalifd)er  Unrat  in 
bie  0{)ren  geworfen  werbe. 


„^vöi)l\d}  fei  mein  'Jlbenbeffen" 

6ö  war  nad)  ber  *2luffüt)rung  t>on  Sobom^  €nbe,  al^ 
id)  in  einer  QSirtfd)aft,  bie  ftd)  refpeftiert,  ein  9}^ännlein, 
t>a^  ftd)  nic^t  refpeftiert,  im  ^one  be^  Sefaiaß  gegen  ©i- 
reftion  unb  Äommiffion  wettern  t)örte,  weil  fie  e2  wag» 
ten,  einem  el)rfamen  ^ublif  um  Stüde  ^u  bieten,  in  weld)e 
man  ftd)  fcf)ämen  mü^te,  feine  "S^rau  mit5unef)men.  3c^ 
war  tief  erfd)üttert,  unb  trug  mid)  ernftlicf)  mit  bem  ©e» 
banfen,  einer  löblid)en  gr§iet)ung0bireftion  einen  @e= 
banfenfd)a$  über  bie  ^ebeutung  ber  6d)aubü^ne  al^ 
einer  moralifd)en  (fr5iel)ungöanftalt  ^u  fd)en!en,  frei 
nad)  Sd)iUer;  ba  mu^te  id)  legten  9?^ontag  ben  Sd)mer§ 
erleben,  'Oa'5  nämlid)e  xO^ännlein  nid)t  nur  mit  feiner 
*5rau,  fonbern  obenbrein  noc^  mit  brei  blül)enben  ^öc^" 
tern  im  <S)on  3ucin  tl)ronen  gu  fel)en,  bie  @eftd)ter  öor 
*i21nbad)t  ftral)lenb,  wie  in  einer  Ofterprebigt,  ®a^  baß, 
beffen  blo^e  ^nbeutung  il)n  in  Gobomß  Snbe  big  ju  ftt» 
ten--reformatorifcr)en  ^nwanblungen  empörte,  il)m  je^t 
nid)t  weniger  al^  oiermal  beinahe  auf  offener  Ggene 
bargeftellt  würbe,  fd)ien  Weber  il)n  noc^  feine  "Jräulein 
im  minbeftengu  genieren.  ®ergleid)en  9^ätfel  ber  menfc^- 


128  „^röt)Ud)  fei  mein  9Ibcnt)effen" 

lid)en  ?catur  oermögen  aber  [elbft  bie  flarftc  Qßeltan- 
fc^auung  ^u  t>ertt>irren,  ic^  fanb  eg  ba^cr  einftiDcilcn  für 
bringenber,  ben  Urfadjcn  nad)gufpüren,  tvarum  t^a^  näm* 
lid)e  Q3or!ommni0  »erlebt  tuenn  eg  einmal,  bagegen  er- 
baut, njenn  e^  viermal  bargefteüt  toirb.  @en?öt)nt  man 
ftd)  öieneid)t  baran?  Ober  liegt  eö  an  bem  llnterfc^ieb 
ber  3ot)re^seit?  fo  t)Ci%  ^a^  fittlid)e  @efül)l  im  Oftober 
empfinblid)er  reagiert  als  im  S^nuar?  Ober  n)ol)nt  ctn)a 
ber  9?^ufi(  bie^raft  inne,  Cafter  in  '^^ugenb  unb  Sfanbal 
in  (Erbauung  ju  öermanbeln?  S:>cit  bod)  fc^on  ^eaumar- 
d)ai^  bet)auptet:  „QSae  ju  unmoralifd)  ift,  um  gefagt^u 
tüerben,  baö  fingt  man."  Ober  lautet  t)a^  QBort  nid)t  f o  ? 
<5)oc^  baß  beiläufig.  Äeute  möd)te  icb  einmal  abfd)üt- 
teln,  roaß  mir  fd)on  lange  auf  bem  Äerjen  liegt,  „xyröl)* 
licl)  fei  mein  "^Ibenbeffen",  fagt  ©on  3uan  au^brücflic^ 
im  legten  Qlft.  5)iefe  QBorte  laffen  an  5)eutlid)feit  nicf)t^ 
ju  njünfc^en  übrig;  ebenfowenig  tt)ieba^  Orcbefter,  ta^ 
er  ftd)  5ur  ^afelmufi!  l)erbeftellt  t)at  unb  üon  bem  mir 
bic  luftigften  QÖßeifen  i)ernel)men.  "Slber  tva^  fe^en  n)ir  ? 
3n  einem  ^räd)tigen  maurifd)en  Saale,  in  tt)eld)em  Äun' 
berte  oon  ©äften  bequem  ^la^  fänben,  fi()t  ber  93ebau- 
ern^njerte  einfam  unb  verloren  neben  jtt>ei  magern  fpin* 
belbürren  (Il)oriffinnen,  meiere  üor  93erlegeni)eit  nicbt 
njiffen,  imaß  fie  mit  it)rer  ^Perfon  anfangen  follen,  unb 
fneipt  im  get)eimen  Gl)ampagner,  n)ie  ein  burd)gebrann-- 
ter  9^eifenber  in  fpanifc{)en  QBeinen,  ber  am  ber  gcftob* 
lenen  ^affe  feines  ^rin^ipalö  fid)  jujei  ^eiblein  in  t>a^ 
5binterftübd)en  eines  93aUfaaleö  gct)olt  l)at.  <5olgerid)tig 
mü^te  t)a^  ©efpenft  it)m  fein  6ünbenregifter  burcb  t><x^ 
©ucflod)  einer  fpanifd)cn  Qöanb  oorfmgen.  QBabrlid), 
n)enn  t>a^  ein  fröl)lid)eö  '^Ibenbeffen  fein  foU,  bann  ift 
0on  3uan  nid)t  anfprud)^ooUI    9^atürlic^  bcfinbet  fid) 


„^vö^üd}  fei  mein  *i2lbent)effcn"  129 

t»ie  ?\egie  in  gewaltiger  ^^erlegent)eit,  vok  fte  t>ie  beiben 
©ämc^en  im  ungeeigneten  xOtoment  mieber  t)erfd)tt)int)en 
laffen  folt.  (XntiDeber  bie  Unglücflid)en  rennen  beim  Qln- 
blicf  ber  Gloira  fofort  baoon,  n)ie  ©efpenfter  beim  Ä»at)- 
nenfc^rci;  al^  ob  jematö  ein  weiblic^e^  QBefen  einer 
9iebenbuf)lerin  ben  ^ta^  räumte  I  ober  ®on  3uan  be- 
fomplimentierf  fte  eigent)änbig  jur  5;ür  ()inaug  (nad)bem 
er  fie  jum  ^^Ibenbeffen  eingelaben!),  n)ie  id)  es  t>on  einem 
berüf)mten  «Son-Suan-^arftelter  gefe^en  f)abe.  QSenn 
aber  ®on  3uan  nid)t  galanter  ift  al^  fo,  bann  glaube 
id)  il)m  t)on  feinen  taufenbunbbrei  Eroberungen  nid)t 
eine  einzige.  QBer  n>eift  jemals  einer  ®ame  bie^ür? 
Sine  fonberbare  93^arotte  ferner  oon  einer  (Btatm,  bd 
il)rem  refpeftablen  5?örpergett)icf)t  fxc^  öom  5?ircl)^of  l)er 
tt)egen  oier  '^erfonen  bie  treppe  {)eraufäubemül)en.  (^ö 
gibt  feine  QBunber  in  ^rioatgirfeln ;  metapl)^ftfcf)e  Äerr» 
fd)aften  finb,  tt)ie  jebermann  n)ei§,  geijig  mit  il)rer  Er- 
fd)einung  unb  n)äl)len  ^ier^u  einen  ^2lnla^,  tt)0  fie  mit 
il)rem  auftreten  eincg  fenfationellen  (5rf olge^  ftc^er  ftnb. 
Steinerne  ©aftfpieter  lieben  fo  wenig  wie  anbere  leere 
Ääufer.  Sin  jüngfteö  ©eric^t,  t>a^  einem  einzelnen  auf 
bie  ^ube  fteigt,  t>a^  l)ci^t  Sparen  mit  Kanonen  tot- 
fd)ie^en. 

QKenn  bann  oollenb^,  wie  cg  neuUd»  bei  ung  gefc^a^, 
ba^  ©efpenft  frifd)  unb  fro^  auf  ben  oon  ber  9?egie  an» 
gewiefenen  ^la^  neben  ber  Ä^uliffe  ^inüberbeinelt,  um 
fid)  bort  mit  abgewanbtem  'iHntli^  bel)aglid)  oom  ele!- 
trifct)en  £id)t  beftrat)ten  ju  laffen,  wie  ein  ^äfer  oom 
Sonnenfc^ein,  wo  nel)me  id)  bann  t>a^  93angen  t)er? 

®ie  S jene  ^at  t)ielmet)r  ju  »erlaufen,  wie  fte  auf  ^aupt- 
ftäbtifc^en  ^l)eatern  jur  £eltenl)eit  etwa  gefet)en  wirb: 
®on  3"on,  cilö  geborener  ©ranbfeigneur  unb  erblicfier 


130  „^T'6i)\xd)  fei  mein  9lbent)effen" 

G  d)lo§t)eiT,  l)at  eine  5ai)Ii-eid)e  glänjenbe  ^^allgefellfc^aft 
»erfammelt,  Die  ganje  ö^ene  üoü.  93^itten  im  fröi)lid)ften 
*5eftjubet  unt>  ^an^  crfd)eint  Sbira  gleich  einer  ^at)n-- 
ftnnigcn,  um  il)ren  ©reioiertelfaft  abjufingen.  ®ie  ©e- 
feUfc^aft,  erftaunt,  aber  mit  ^öflid)er  Surürf ()altung,  lä^t 
fie  gen)äl)ren  unt)  fingen,  5ifd)elt  tt)oi)l  aud)  ein  iüenig, 
um  t)em  ^ublüum  t>ie  9?Züt)e  abjunet)men.  0on  3uan 
labt  Sloira  mit  überlegener  ironifd^er  Ceben^art  ad)-- 
tungöOoU  äum  3if5en  ein,  tr>aö  fie  au6fd)lägt;  ivonac^ 
fie  in  Q^erblüffung  über  bie  fatfd)e  Gituation,  in  n>eld)e 
fte  fid)  gebrad)t,  befd)ämt  flüd)tet.  <5)ie  peinlid)e  Gjene 
^interlä^t  einige  '^efangen{)eit,  n?eld)e  jebod)  ben  er» 
munternben  QS>infen  «S^on  3uan^,  ben  Q3all  fortjufe^en, 
tt)eid)t.  6päter  fpiegelt  fic^  ber  0d)recf  Ceporeüoe  auf 
ben  ®efi(^tern  ber  Q3erfammlung  tt)ieber;  bem  ©aft- 
geber  folgen  Äerren  unb  ©amen,  um  nad)5ufet)en,  tt>a0 
e0  gibt,  ßine  grauenvolle  Q3ern)irrung  folgt,  unb  beim 
•^Inblicf  beö  n)ir!lid)en  ©efpenftes  ftiebt  allerg  mit  ©efd)rei 
au^einanber,  burd)  ^üren  unb  ^enfter  flüd)tenb.  (S0  gälte 
fogar  ben  93erfud),  einen  ^eil  ber  ©äfte  jurücf bleiben  ju 
laffen.  93^it  biefer  Giebenmeilenftimme  fingt  bod)  ein 
©efpenft  nur,  tt)enn  fid^  bie  93^ül)e  lol)nt;  üor  ©on  ^uan 
allein  fönnte  ber  5?omtur  fein  ©efc^äft  pizzicantando 
abnjicfeln.  Qßir  {)aben  fo  oft  banad)  geforfd)t,  ivie  bie 
*2llten  it)ren  (il)or  gebrauchten ;  beuten  tuir  auc^  einmal 
barüber  nad),  ttjoju  Joir  il)n  benu^en  !önnen.  QOßenn  man 
mir  aber  eintoenben  toollte,  bie  "^epttreue  »erbiete  bie 
einfübrung  beö  6l)or0  in  i>Ci^  finale  bes  jtveiten  ^Jlfte^, 
fo  antujorte  id}:  mit  tt)eld)em  9\ed)t  lä^t  man  il)n  benn 
im  'Spinale  bes  erften  'Elftes  bet)arrcn,  tväbvenb  it)n  boc^ 
93Zoaartt>erfd)tx)inbenl)ei^t?  Q3}a^  aber  bem  einen  "finale 
red)t  ift,  ift  bem  anbcrn  billig. 


dlatuv  unb  ^pva^e 


3eremia^  im  ©avten 

,,e^  töbeUt" 
^u  t)aft  oicUeid^t  ein  ©arteten,  bu  bcgibft 
bid)  5um  ©ärtuer,  um  ein  f)übfd)c^ 
.^räutlein  au^julefen.  ^ovt  evblicfft  bu 
einen  tt)unberfamen  93ufrf)  üom  präd)- 
tigften  ©rün,  teud)tenb  n)ic  ein  tt)ot)lgc- 
pflegter  Olafen,  t)olI  unb  fd)lan!  unb  runb  n?ie  ein  f)alb- 
tt)üct>ftger  C^ngel;  t>a^  ©anjc  ein  Q3ilb  jubelnben  ^ro^« 
fxnns,  t>a^  beinern  ©arteten  einen  unerfet5lici^en  faftigen 
^arbenton  geben  tt)irb,  einen  ^on  —  tt>ie  befcl)reibe  id> 
i^n  nur?  ftnb  Sie  farbenblinb?  (Bfi)at)e,  fonft  \)ixtU  ic^ 
gefagt:  {)immelgrün.  9tun,  fagen  njir  traumgrün  ober 
feifenblafengrün.  Äurg,  t>a^  ift'^,  t>aß  bir  t>orfd}n)ebte, 
baß  leudjtet  bir  ein,  t>a^  beget)rft  bu,  „Qßie  ^ei|t  ber 
^ufd)?"  Cupressus  viridis  stricta.  ,,QSa^  !oftet  er?" 
„— ?  — "  „©ut,  fe^en  6ie  mir  ben  morgen  in  mein 
©ärtd)en/'  ^od)  fxei)e  ba,  ber  ©ärtner  fc^neibet  ein  be- 
ben!lid)Cß  ©efid)t  unb  fra^t  fiel)  t)inter  ben  9()ren.  „3" 
ben  ©arten?  eine  Stricta  viridis?  eine  Viridis  stricta 
in  ben  ©arten?  ^aß  gilt  boc^  t)auptfäd)lid)  meiftenö  für 
gett)öt)ntid)  me{)r  nur  für  eine  "tyneb^ofpftanje." 

3c^  fpa^iere  am  Sonntag  mit  einem  '23e!annten,  n>ir 
reben  üon  biefem  unb  jenem,  t>a  n>irb  mein9cad)bar  jer- 
ftteut,  rümpft  bie  9cafe  unb  fd)aut  fid)  unbe{)aglic^  um. 
„(^0  töbelet."  Q©o  töbelet'^  ?  Q3ergebenö  fpä{)e  id)  nac^ 
einer  toten  9}ku^.  (Sine  Q3uc^^t)erfe  mar  e^,  bie  in  ber 
^f^afe  meinet  Begleiter«  „töbelte". 

^ine  0ame  beipunbert  einen  ^arf.  '^lö^lic^  i)ä\t  fie 
abmel)renb  bie  Äänbe  t>or  bie  'klugen,  „^ut),  baö  fiet)t  ja 
OU0  mie  in  einem  Ä^ird)()of,"  ©ieömal  mar  e^  ein  {)arm- 
lofer  Säulentapu^,  ber  ben  ^obeefdjrecfen  oerurfac^te» 


Sercmia«  im  ©arten  133 

QSas  töbeletnic^taüe^?  unb  roa^  tobelct  benn  fct)lieB- 
Ixd}  nid)t?  ^ir  tDoUen  t)oc^  einmal  eine  fleine  Cifte  ber 
töbelnben  ^^flan^en  auf5äf)len;  of)ne  jeben  ^Infprud)  auf 
Q3onftänbigfei(,  nur  xvai  mir  gerabe  im  '^lugenblicf  auö 
bem  ©ebäc^tni^  in  bie  tyeber  fliegt 

(iß  töbeln :  fämtlid)e^f)u^a  unb  Ceben^baumj^preffen, 
tvaß  an  jtd)  fd)on  met)r  al^  bie  Äätfte  aller  3ierfträud)er 
auömad)t;  ferner  3uniperu^,  ^ajuö,  Q3ud>^,  6te(i)patme, 
'iHucuba,  Lorbeer,  3ntmergrün,  (Soon^mu^,  (ir^ptome- 
rien  unb  S^preffen;  ferner:  biemeiften  ^almen,  d^ca^ 
natürlich  boran;  ferner:  tt?ei^e  9^ofen,  Cilien,  Sa^min 
ufu).  "^üeß  ttyaß  tt)ol;trie^t,  o^m  gu  blüt)en,  ober  xt>d% 
hlüf)t  ober  immergrüne  ober  glänjenbe  Blätter  tjaf,  ober 
fleibfame  Umrahmungen  bon  ^ränjen  unb  Sträußen 
liefert  ober  augteid)  unbefannt  unb  fc^ön  ift,  „töbelet". 
(gin  ftattlid)er  Snbej,  ber  fo  jiemtid)  alle  bornel)meren 
Sierpflan^en  oerbammt.  QSa^  bleibt  benn  fd)lie^lic^  noc^ 
übrig?  ßrfter  ©runbfa^:  voaß  ftd)  in  bie  Suppe  fc^nit» 
aeln  ober  auf  bem  '^^^arfte  mit  "Profit  berfaufen  lä^t, 
töbelet  niemals.  9Ilfo  ©emüfe,  ba^  n)äre  t>aß  Sbeat  eine^ 
leben^frol)en  ©artens. 

9}Zan  glaube  übrigen^  nic^t,  ba§  e^  fid)  beim  Pöbeln 
um  blo§e  Snterjeftionen  ol)ne  weitere  folgen  l)anbelt. 
(Srfunbigen  Sie  ftc^  bei  ben  ©ärtnern:  bie  Sd)eu  bor  ben 
bermeintlid)en  ©räberpflanjen  fü^rt  gu  tatfäcl)lid)er  ^2lb' 
tel)nung  berf  elben,  ja  erreicht  bie  ©ett)alt  eineö  ängftlid)en 
•Slberglauben^.  ©emiffe  Sträucl)er  bleiben  ben  ©ärfnern 
unöerfäuflic^  auf  £ager,  fall^  fid)  it)nen  feine  ©elegen- 
^eit  bietet,  fte  auf  bem  '5riebl)of  §u  bern)cnben.  llnb  gar 
nic^t  fo  feiten  trifft  man  Ceute,  bie  eine  ÄöHenangft  oor 
S^preffen  ober  einem  Säulentaju^  be!unben.  „Um  alte^ 
in  ber  QBelt  möd)te  ic^  ^aß  nid)t  in  meinem  ©arten  t)aben/' 


134  3ercmia^  im  ©arten 

9iun  ücrmag  id)  ja  gar  teid)t  fott)ot)l  t)ie  atlcgorifdje 
ilmbcutung  immergrüner  Sträud)er  nad)gufüt)len  aU 
aud)  bie  unangenehme  3t>eent>erbint)ung,  t)ie  fid)  bei  bem- 
jenigen  einftellt,  n)eld)er  ein  beftimmtc^  ^latt  ober  einen 
gemiffen  ©erud)  t)auptfäd)Iid)  ober  au0fd)Ue§li(^  bei  ne= 
froIogifd)en  'Qlnläfyen  tt)a{)rgenommen  ^atte.  '5)ie  9Reben- 
umftänbe  rufen  eben  bie  Äauptfjene  in^  @ebäd)tni^  ju» 
rücf,  folglid)  bie  <3argblumen  unb  ^riebI)ofbüfd)e  ben 
5:ob.  S»enn  ba^  ber  @räbergefd)mac!  einer  ^flanje  fei- 
nesipegs  einen  bireften  ^nt)alt  in  i.Sren  Sigenfc^aften 
i)at,  atfo  ettüa  in  i^rer  ^arbe  ober  xi)vem  ©erud),  fon- 
bern  t>a%  er  gang  aUein  öon  au^en  burd)  unfere  (Jrinne» 
rungöoorftellungen  f)in§ugetragen  mirb,  barüber  finb 
n)ir  bod)  einig?  Ober  etn)a  nid)t?  9iun  bann  wollte  ic^ 
6ie  fofort  überjeugen.  Pöbelet  etn)a  einem  t>on  unö  ber 
'3}^ofd)u0gerud)?  3m  ©egenteil:  er  bemimonbelet,  er 
renbe;\-n)ufelet.  fragen  Giebagegen  einen  3nbienfat)rer; 
ber  »erfpürt  beim  93^ofd)u^gerud)  bie  "Jauft  be^  ^obe^ 
im  9^acf en.  ^Jolglid) :  nid)t  bie  befonbere  ©erud)öempfin- 
bung  an  fid)  beftimmt  bie  QSorfteUung,  fonbern  bie  ju- 
fällig  fid)  bamit  oerbinbenben  ©ebäd)tni0bilber.  'iHlfo, 
ber  fleinc  ©efüf)löd)OC,  ber  fid)  einftetlt,  menn  ber  Pu- 
blic! ober  ber  ©erud)  einer  gen>iffen  ^flanje  bie  Srinne» 
rung  an  il)re  Q3ern>enbung  bei  ^obesfällen  n>ad)ruft, 
ift  er!(ärlid)  unb  öerftänblid),  ja  in  befd)ränftem  Sinn 
fogar  »erftänbig,  nämlic^  naio-oerftänbig,  finbtid).  '3)ce^r 
ober  lüeniger  üerfpürt  jeber  auf  feine  QSeife  einen  fol- 
d)en  univiüfommenen  Srinnerungöeinbrurf,  nur  txx^  if)n 
bei  t)erfd)iebenen  9?cenfd)en  anbere  ©egenftänbe  erzeu- 
gen. ?D^ir  5.  ^^.  töbelet'e,  tpenn  id)  einen  3cif)nar3t  ried)e 
ober  einen  (i()irurgen  fel)e  ober  oon  einer  glänjenb  ge- 
lungenen Operation  lefc.  ^er  iyel)ler  beginnt,  n?enn  bicfer 


3ercmia^  im  ©arten  135 

naioe  C^inbrucf,  ftatt  t»urd)  t)en  nachfolgenden  tjernünf- 
tigen  ©et»an!en,  t»en  ©ebanfen,  t)a^  bie  begleitenden 
ilmftänbe  an  bem  traurigen  ßreigniö  unfct)ult)ig  fint), 
korrigiert  ju  roertien,  t)ie  Äanblungsnjeife  bef)errfd)t, 
n?enn  eine  fogenannte  ©räberpflanje  im  ©arten  gemie-- 
t)en  n)irt»,  ober  njaö  ba^felbe  ift,  wenn  ein  ©efunber  üor 
bem  ^^Inblicf  eineö  (if)irurgen  bie  5lucf)t  ergreift.  0ann 
toirb  bie  ©efcbicf)te  einfad)  bumm.  Ober  ift  e^  nid)t 
bumm,  t}ex^lid}  bumm,  beeba^^  auf  ^i^  fd)önften  ©ar« 
tenpftanjen  ju  oer3id)ten,  weil  n)ir  rid)tigertt)eife  bie 
fd)önften  ©artenpflan^en  auf  bie  ©ruber  fe^en?  Q3}ar-- 
um  fe^en  mv  fie  benn  auf  bie  ©räber?  ©amit  bie  ©rä-- 
ber,  ]tatt  einen  troftlofen  ^2lnbticf  gu  gett)äbren,  t>aß  ^ilb 
blübenben  Gebens  erbalten.  Hnb  nun  foUen  bie  nämlid)en 
©ett)äd)fe  auf  bem  tyriebbof  lebein,  bi^Ö'^G^"  i"^  ®^^-' 
ten  töbeln?  Hnb  au^  5urd)t  oor  bem  Pöbeln  muffen  un- 
fere  ©arten  einen  möglicbft  norbifd)en,  froftigen,  fauer- 
töpfifcben  Stil  bekommen?  "^Ocir  fd)eint,  n?enn  etrr>ai 
tobelet,  fo  ift  e^  t>ielmebr  t)a^, 

9iid)t^  geeigneter,  uns  öon  ben  ©rabesoorurteilen 
gegen  beftimmte  Sträud)er  grünblid)  ju  beilen,  als  eine 
9^eifc  öon  9^orbeuropa  nac^  Sübeuropa.  0a  lernen  n)ir 
erfennen,  t>a%  jebe  ^flange  an  ber  nörblid)ften  ©renje 
ibre»  freien  QSorfommenö  §um  S^^ircbbofgemäd)«  einge- 
fcbränft  n)irb.  90'^it  anberen  95>ortcn :  jeber  Ort  f^at  bie 
©artenpflan^en  feinet  füblid)en  ^ad^bavß  al«  ©räber-- 
pflanjen.  Ober,  umgefebrt  ausgebrücft,  n)ag  i)kv  für 
©räberpflanjcn  gilt,  tias  feben  wir,  wenn  wir  unö  um 
eine  Ocummer  weiter  nad)  Süben  begeben,  in  ben  ©ar- 
ten. 9tod)  bem  Slfäffer  töbelt  ber  '53ud)^,  aber  nicbt  mebr 
bem  Sd)Wei§er ;  bie  2ebenßbaum§t)preffe  töbelt  bem  fer- 
ner, nict)t  mebr  bem  ßu^erner;  bem  Su^erner  töbelt  ber 


13(1  oeremiaä  im  ©arten 

3äulentarus,  nid)t  metjr  t)cm  ^efftner;  bem  '^effmer 
unl)  tcihvcife  aud)  t)em  l^ombarben  töbelt  t)ie  Sppreffe, 
ober  nid)t  me{)r  t)cm  ^osfaner.  9}tit  inei)r  'Dvcd)t  unt) 
Q3erftanb  als  „C0  töt»elt"  follteu  tvir  baf)er  beim  'iJInblicf e 
folc^er  0inge  im  ©arten  rufen  ,,e0  tüärmelet"  ober  „e^ 
fübelet".  ibätten  unfere  Äirc^{)ofempfinbungen,  t)ätten 
unfere  abergläubifd)en  Q3orurteile  aud)  nur  ben  minbe- 
ften  ©runb  unb  '21n{)alt,  fo  müßten  ja  ©enua  unb  ^yto- 
rcnj  längft  auögeftorben  fein,  fo  müßten  Cugano  unb 
6omo  ben  Sinbrucf  trauernber  ^otenftäbte  mad)en.  ^ia- 
eben  fie  einen  fold^en  ßinbruc!?  ^^arum  aber  mad)en 
fxe  i^n  nict>t?  Qßeit  unfere  unf)eimlic^en  Jbeenüerbin- 
bungen  fofort  fröt)lid)eren  ben  ^la^  räumen,  fobalb 
xviv  ben  '^nla^  baju  erhalten,  txxi  i)(t\%t  fobalb  mir  un- 
fere ^ird)l)of pflanzen  überall  maffenf)aft  in  ben  Cuftgär-- 
tcn  crblicfen.  Qßaö  ift  mithin  t>a^  9}Zittel,  ben  anrüd)igen 
^obeggefd)marf  unferer  eblen  immergrünen  ^üfd)e  unb 
93äume  abjuftreifen  V  Sie  in  unfere  ©arten  ju  fc^en. 
©aburd)  tüerben  neue  Sbeenoerbinbungen,  neue  Q3or-- 
ftellungen,  neue  Srinnerung^bilber  gefd)affen,  bie  ben 
alten  bie  Q[öage  l)alten,  biö  fte  enblid)  übermiegen.  QOßar- 
um  töbelt  un^  ber  Q3uc^ä  nic^t  tt)ie  unfcren  nörblid)en 
9^ad)barn?  meil  mir  bei  feinem  ©erud)  junäc^ft  an 
93auerngärtd)en  unb  6ommermirtfd)aften  beuten,  ^ax- 
um  nid)t  bie  9?ofe,  obfd)on  mir  fie  auf  5^irc^l)öfe  pflan- 
zen? Q[ßeil  mir  fie  im  ©arten  l)aben,  meil  tvir  fte  fogar 
im  'Sallfaal  antreffen.  Qä^arum  nid)t  ber  3ii?ilftanb«' 
beamte,  obgleid)  er  bod)  bei  ^obeöfällcn  unüermciblic^ 
ift?  IBeil  er  ebenfaüg  heiraten  fcblie^t  unb  ©eburten 
öerjeic^net. 

Qtßer  alfo  bem^^orurteiltro^enb  eine5\^ird)l)ofpf]iau3e, 
fagen  mir  ,5.  ^.  einen  Säulentayuö  (Fastigiata)  ober. 


3eremia^  im  ©arten  137 

tt>o  e^  ba^  Älima  erlaubt,  eine  Sppreffe  in  feinen  ©ar- 
ten  fe^t,  tut  t)iermit  ein  t)ert)ienftlirf)eö  953er!,  inl)em  er 
einmal  feine  ?Ccitmenfc^en  ermutigt  unt)  ;^ugleid)  eine 
üerfe^mte,  fc^öne  ^flanje  entfüljnt.  (S^  braucht  nic^t 
einmal  einen  fonberlic^en  Opfermut  baju,  fonbern  blo§ 
cttüa^  Q3erftant>.  <S)enn  fo  gefäl)rlid),  n)ie  man  ftd)  baß 
öorftellt,  ift  es  nic^t.  Qßo^l  möglid),  t>a%  einer  t>ietleirf)t 
t>a^  3al)r  barauf  ftirbt.  9lHein  ftirbt  man  etwa  bei  Sa- 
lat unb  Sd)nittlaud)  nid)t?  obfd)on  biefe  nic^t  im  min» 
beften  töbeln. 

„Trauer--..." 
^ä^renb  eö  mit  bem  „Pöbeln"  eine  §mar  unöerftän-- 
bige,  boc^  immerbin  rül)renbe,  faft  ef)rtt)ürbig  unöer-- 
ftänbige  ^emanbtnis  l)at,  öermag  ic^  bem  fentimenfalen 
Trauer--  unb  ^ränenfatalog  unferer  ©artenbotani!  nid)tß 
als  ungemifd)ten  (5fel  entgegenzubringen,  „^rauer- 
n>eibe",,,^rauer3ppreffe",„^raueräeber",„^rauerrofe'', 
„^ränenüefer"  unb  l)unbert  äl)nlid)e  elegifd)e  9^amen 
einer  monbfüd)tigen  ^flanjenlprif  —  t>a^  l)eult  nur  fo 
in  ben  9?cgiftern.  QBae  ba  öon  ber  9^atur  n)eid)en  Q[öud)S 
unb  fd)tt>ere  ^fte  ^at,  folglicf)  t)ängenbeö  ©e§tt)eig,  mud)- 
tige  ©ruppierung  unb  6(i)teppe  bitbet,  ta^  mu^  fid) 
einen  rt)einerli(^en  9'Jamen  gefallen  laffen.  Sobalb  aber 
einmal  ein  ^^ame  bagu  fommt,  bann  mirb  e^  fc^on  fef>r 
fc^ttjierig,  fid)  bie  unnü^en  n)itl!ürlicf)en  9cebent>or-- 
ftellungen  öom  ibalfe  ^n  l)alten.  (Ss  ift  bal)er  ebenfo  üer-- 
jeiljtirf),  menn  einer  eine  „^ränenüefer"  ober  „^rauer- 
tt)cibe"  nid)t  in  feinem  t)ellen  ©arten  fef)en  mag,  als  e^ 
unö  erteil)  lid)  mar,  eine  befonbers  langl)aarige^iefer  ober 
eine  üppig  t)ängenbe  QBeibe  burd)  romanl)afte  9Ramen 
ber  ^adfifc^fentimentalität  ju  benungieren  unb  t)iermit 


138  3crcmta^  im  ©arten 

§u  t>egvat)ieren.  ©enn  an  fict>  ift  ja  fd)on  jet)e  6t)mbo= 
lificrung  einer  ^flanje  eine  (Srniet>rigung  berfelbcn. 
0ie  ^flanje  f)at  einen  t)öt)eren  3tr>ed  in  t)er  9catur, 
al^  irgent)tt)ie  get)eutet  ju  njerben,  nämtid)  Selbftjnjecf. 
3t)re  n)at)re  '53et)eutung  ift  ßeben,  unt)  Ceben  ift  ernft. 
gine  fpmbolifd)e  Umt)eutung  t)urd)  ben  9[Renfd)en  i)at 
neben  bem  Cebensernft  ber  ^flange  nur  ben  ^ert  einer 
^änbelei.  ilnb  nun  gar  fold)  eine  läppifd)eUmbeutung, 
tt)elct>e  einfach  unb  plump  ben  Sinn  ber  gebeugten  Äal= 
tungeine^trauernben93cenfd)enaufbie^f[anjef)inüber- 
trägt.  0a«  ift  nid)t  xm\)x  bio%  "^^änbclei,  fonbern  abge-- 
fd)macfte  ^änbelei.  9^ic^t  auf  ben  fonfufen  „Cfinbruc!", 
fonbern  auf  ben  ^usbrucf  einer  ^flanje  fommt  es  an, 
maö  fie  bebeute.  Sine  langt)aarige  S^ief  er  bebeutet  üppige, 
tt>eic^e  Straft,  f eine^meg^  ^^rauer.  (Sine  ^flanje  trauert, 
menn  fie  bie  Spi^e  »erliert  ober  fonftmie  t>erfümmert. 

Sine  t)eitere  6t)mboUf,  Jüenn  aüe^,  ma^  in  ber  QBelt 
gufäUig  abfd)üffig  ift,  tüenn  jeber  9^ain,  jeber  9}^antel, 
jebe  6d)leppe  Trauer  bebeuten  mü§te!  Q3ebeuten  üiel-- 
teic^t  bie  9\örfe  unferer  ®amen,  bie  6d)leppen  if)rer 
'^aUfleiber,  au^  Trauer,  weil  fxe  abn)ärt6  fallen?  Qä}ie 
möd)te  man  benn,  t)a^  fie  ftänben,  bamit  fie  9Diunterfeit 
bebeuteten?  llnb  unferenorbifd)enÄau0bäd)er,  baöfinb 
n)al)rfd)einlid)  ^rauerbäd)er  ?  Hnb  ber  'Sart  eine^  ^om-- 
pierö,  t)a^  @eniel)aar  eines  ©ciger^,  t)a^  finb  oermut- 
lid)  ^ränenmäl)nen,  tveil  fie  nid)t  in  bie  Äöt)e  ftel)en? 
^pa%  beifeite,  id>  fel)e  nid)t  ein,  tviefo  baö  ungereim- 
ter n)äre  al^  „^rauertveibe"  unb  „^ränenfiefer". 

3d)  möd)te  bal)er  hk  Äerren  ©ärtner  befc^cibcnt» 
lid)  anregen,  "Oaü  i()rige  beigutragen,  um  ber  albernen 
©olbfc^nittfpmbolif,  bie  fid)  aus  bem  5\^ommiffionst>er- 
lag  in  bie  ^otani!  t)inübergefd)lid)en  i)at,  ju  fteuern. 


^0  ift  t)ie  ^interlant)fd)aft  ju  fud)en?       139 

tOZit  flaren  QBorten:  l£^o  e«  je^t  in  ben  S^atalogen  ne- 
ben t)er  Iatcinifd)en  n)iffenfd)aftlid)en  ^ejeic^nung  unb 
neben  bem  beutfd)en  ?camen  ^ma  nod)  lautet:  „ober 
-Trauer-",  „ober  5:ränen-",  t)a  möd)ten  fie,  flet)e  id), 
bod)  um  beß  öffentlid)en  ®efd)macfe^  tDiücn  ben  fenti-- 
mentalen  3d)impfnamen  einfad)  roeglaffen,  bamit  er, 
fo  ©Ott  mü,  cnblid)  bie  »erbiente  ^ergeffent)eit  finbe. 


QBo  ift  bie  *lßinter(anbfd)aft  ju  fachen? 

9te{)men  tüir  an,  ein  QSefteuropäer,  üerfe^en  mit  ben 
"klugen  eines  9}^aler^  ober  eines  naturfinnigen  Dilet- 
tanten, reife  anfangt  tyebruar,  too  im  9^orben  ftrenge 
Äälte  unb  faft  beftänbiger  6onnenfc^ein  l)errfd)t,  gegen 
ben  60.  ^reitengrab  ober  barüber  l)inau^  unb  präge  fid> 
bie  bortige  QSinterlanbfc^aft  ein. 

0a  wirb  il)m  5unäd)ft  gegenüber  ben  l)eimifd)en  Er- 
innerungen bie  *Släffe  unb  ßintönigfeit  ber  ^arbc  auf- 
fallen. 0er  Äimmet  jeigt  fid)  beim  ^ellften  Sonnen» 
fd)ein  nid)t  blau,  fonbern  n)eiBlid),  n)ie  mit  9^ebel  bt' 
becft,  fo  ba§  e^  oft  fd)tt)er  i)ält  §u  unterfd)eiben,  ob  eine 
freie  ober  eine  umwölfte  QItmofpl)äre  vorliegt.  Unten 
auf  ber  (5rbe  ift  alleS  ununterbrod)en  toei^,  oon  ber 
Sonne  tjerglaftet,  aber  nid)t  gemalt.  0a  gibt  eö  fein 
^ledc^en  braunen '^cferö  ober  gelben  QBege^,  feine  Saat, 
fein  bürreö  'Slatt,  feinen  fprubelnben  Brunnen,  feinen 
laufenben  tylu^;  fogar  ber  '^öalb  färbt  nic^t,  fonbern 
liefert  nur  bunf  le^^lecf  en ;  ein^üfd)el  £lnf  raut  amOSegeg- 
ranbe  tt)ürbe  tt)ie  eine  ©arteninfel  fel)nfüd)tig  beftaunt 
werben.  —  Qlu^er  ber  ^arbe  wirb  ferner  unferem  93e= 
obad)ter  it)^)a^  fel)len,  wooon  er  fid)  §unäd)ft  faum  9^e- 


140       g©o  ift  bie  QOßinfcrlanbfc^aft  ju  fud)cn? 

d)eni"d)aft  geben  tt>irb,  xva^  i^m  aber,  fobalb  er  es  in^ 
^ciPu^tfcin  gefaxt,  für  fid)  allein  fc^on  bie  ßanbfc^aft 
verleiben  mu^:  c^  gibt  im  norbifd)en  Qtöinter  feine  bcut- 
lid)en  6d)atten,  t>or  allem  feine  Sc^lagfd)atfen.  ^eim 
glei§enbften  Sonnenfc^ein  njanbeln  bie  9?cenfd)en  um- 
^er  tt)ie  bie  ^eter  6d)lemit)l,  inbem  il)re  ©id)tigfcit  auf 
bem  6c^nee  blot  ^^^ß  t)eltgraue,  faum  merflicl)e  unb 
fd)led)t  abgegrenzte  Trübung  ^interlä^t;  ein  gleid)mä- 
|igc^  'Stenblid)t  umfpielt  bie  ©egenftänbe  runb  l)erum. 
9}^eine  '33eobad)tungen  in  biefer  ^Sejie^ung  f^nb  mir 
t)on  einem  l)eröorragenben  ^l)pftfer  n)iffenfd)aftlid)  be- 
[tätigt  unb  erflärt  roorben;  t>a^  jerftreute  £id)t  fo  lau- 
tete feine  (Srflärung,  bie  xd)  l)ier  einfad)  tt)iebergebe, 
erreid)e  im  9^orben  gegenüber  bem  bireften  Sonnen- 
licht eine  übern>iegenbc  ^ebeutung.  QBa^  für  einen  93er- 
luft  aber  ta^  t)ei§en  will,  eine  £anbfd)aft  o^nc  marfige 
(BdyatUn,  errät  jeber  9caturfreunb. 

Snbeffen,  t)aben  tt)ir  e^  überhaupt  mit  Canbfd)aften 
gu  tun?  6elbft  ta^  lie^e  fxd)  für  einen  großen  ^eil  beö 
9torbenö,  nämlid^  für  bie  farmatifd)e  Sbene  beftrciten. 
Ot)ne  un^  in  eine  (SriJrterung  beö  fc^txjierigen  Q3egriff^ 
einer  Canbfc^aft  im  äftl)etifd)en  Ginn  be^  Qßorte^  ein- 
julaffen,  bürfen  bod)  ©ruppierung  unb  £int)eitlic^fcit 
alö  ttjefentlid^e  ©runbbebingungen  einer  „2anbfd)aft'' 
gelten,  ©aüon  fann  jcboc^  in  t>ollfommen  flachen  6tri- 
d)cn,  jumal  bei  unorbentlid)er  "^bgrenjung  t>on  *5elb 
unb  QSalb  nur  au0nat)mött>eife  bie  9^ebe  fein.  Unb  jmar 
n?erben  bie  *t2lu0nat)men  am  et)eften  im  Sommer  \tatt- 
finben,  tvo  'Jarben  unb  <5)üfte  fd)eiben  unb  vereinigen, 
unb  t)Qi^  mannigfad)e  Äimmelsbilb  mit  ben  irbifct)en 
^läd)en  unb  Quellen  Gtimmung0Oertt)anbtfd)aften  ein- 
gel)t.    Gelbft  bie  "pocfie  it)intcrlid)er  ßinfamfeit  unb 


QBo  ift  bic  ^inferlant)fd)aft  ^u  fud)en?       141 

^rübfeligfeit  »erlangt  t)ie  "-^Innjefenöeit  irgendeinem 
wärmeren  xütotiüeö,  ba^  toxv  in  füblic^en  Scf)neetant)- 
fc^aften  auf  6d)ritt  unb  ^ritt,  in  nörblic^en  nur  au^- 
nat)m6tt)eife  finben.  —  Snblid)  iä%t  aud)  norf)  bie  3eic^- 
nung  ber  (Xin5et()eiten  ju  n?ünfc^en  übrig.  Unfere  win- 
terlichen Q5>älber  bieten  unö,  abgefe^en  öon  it)rer  ^ar- 
benprac^t,  fd)on  burd)  bie  blo^e  ^orm  il)rer  entlaubten 
'2ifte  eine  t5^ülle  oon  ^crrlid)en  '^btt)ed)ftungen.  'Die  ge- 
waltigen t^ic^ten  unb  (Sbeltanncn,  bie  fc^lanten  Rap- 
peln, t)ie  mächtigen  Gtämme  ber  (Sid)en  unb  'Sud)en, 
bann  wieber  bie  unenblid)  t)erfd)iebenen  'formen  ber 
Obftbäume,  ha^  allem  eri"d)eint  b^mjenigen,  ber  oon 
9^orben  fommt,  mitten  im  hinter  wie  ein  ^arabieö. 
0ort  beftimmen  nur  jwei  ewig  wieber!ef)renbc  Äaupt- 
geftalten  ben  QBalb :  bie  traurige  "Sirfe,  beren  weiter 
Stamm  in  ber  allgemeinen  "^Bläffe  ber  Umgebung  natür- 
lid)  nid)t  jene  prächtige  Äontraftwirfung  t)ert) orbringt, 
wie  in  unferen  mitternäcf)tigen  Fortgängen,  unb  bie 
kümmerliche  fibirifcl)c  ^anne,  beren  ^rmfeligfeit  fc^on 
aum  ber  norbifc^en  9\ebcnmart  t)ert)orget)t,  ba^  Pannen» 
wälber  feinen  Schatten  gäben,  .liefern,  benen  man  auf 
fanbigem  "^Boben  am  et)eften  in  ber  tRäl)e  üonQSol)nungen 
begegnet,  finb  fc^on  erfreulicf)e  Oafen,  unb  ein  entlaub- 
ter "-Apfelbaum  mutet  unm  wie  eine  Sierpflanje  an. 

Unb  nun  tjergleic^e  man  bamit  unfcre  mitteleuropä- 
ifc^e  Sc^neelanbfc^aft,  jumal  in  ® ebirgögegenben !  ® er 
Schnee  mag  noc^  fo  tief  liegen,  an  ben  'iHb^ängen  ber 
Äügel  unb  ^erge  leuchtet  eg  üon  ben  ^liefern  in  allen 
^i5nen  bem  'Sraun  bis  jum  ©elb  unb  Gc^warj,  grüne 
Saaten  blitf en  ^eroor,  bie  <33uc^en-  unb  Sic^enwälber 
prangen  im  wunberbarften  9^ot,  ein  azurblauer  Äimmcl 
fc^aut  auf  unm  l)erab,  blau  fprubeln  bie  Quellen  unb  rin- 


142       Qä)o  ift  t»ic  Q5^interlant)fd)aft  ju  fud)en? 

nen  bic  ^ylüffe,  n)ä()rent)  trägere  QÖJafj'er  in  taufcnt)  ijerr- 
Ud)en93^otioen,  unter  tt»etd)cn  ein  plö^lid)  erftarrter  9Baf- 
ferfaü  mit  feinen  9^at)eln  unt>  Sapfen  tt)ot)l  t)aö  entjü!» 
f enbfte  fein  mag,  für  einige  6tunt>en  ober  ^agc  ^rürfen 
bilt)en.®ieimgrimmigftenQD5intcrnod)!räftige93cittag' 
fonne  malt  bie  2anbfd)aft  mit  6ilber  unb  (3olb  unb  tufd)t 
bie  Gc^atten  mit  famtenem  6d)n)arj;  fie;erit)eift  fid)  ftarf 
genug,  nad)  ben  ftrengften  9^äd)ten  bie  oberften  6d)nee' 
becfen  ju  fd)mel5en  unb  üon  ben  ftattlic^en  Cinben  unb 
'33uc^en  ben  friftaüenen  Sc^neebuft  n)ie  ^lütenregen  f)er-- 
unterjufegen,  unterraifd)t  mit  n)ud)tigen  Befeuerungen, 
bie  unö  oft  plö^Ud)*öon  fämtlic^en  3it)eigen  glcid)5eitig 
3ugebad)t  tt)erben,  ben  9ltem  üor  !üi)ler  QOBonne  unb  bia- 
mantenem  ©lanj  benet)menb.  <S)a§u  enblic^  nod)  ber  maje- 
ftätifd)e  Äintergrunb  ber  '^llpen  unb  t>ciß  naffifd)e  Profil 
ber  gunäd)ftgelegenen  ÄügeWette,  bie  burd)  ben  6d)nee 
ftd)  nod)  gett)altiger  ju  ert)eben  fd)eint. 

93on  bem  9^eid)tum  anSd)ön{)eiten,  tt)eld)e  eine6d)nee-- 
lanbfd)aft  in  ben  öfterreid)ifd)en  ober  fd>n>ei5erifd)en 
93oralpen  bem  '^luge  bietet,  t)at  ber  9^orblänber  feine'^l^- 
nung,  ber  9^ortt)eger  nid)t  aufgenommen.  QSer  beötjalb 
batjon  träumt,  einen  QSinter  im  9^orben  jujubringen, 
möge  eö  eiUgfttun,  bamiterbieunabfet)barenäft{)etifc^en 
©enüffe  unfereö  ^inter^  fd)ä^en  lerne:  e^  fei  benn,  ba§ 
er  im  9^orben  ba^jenigc  antreffe,  tt>a^  groar  in  QSirflid)-- 
!eit  nic^t  bort  ift,  tt>a^  jebod)  fein  ©taube  mit  t)ingebrad)t 
t)at:  ein  feine^tüeg«  fd)tt)ierige^,  fonbern  red)t  gemö^n- 
lic^e^  ^unftftürf.  <5)er  äftf)etifct)e  ©enu^  einer  QBinter- 
lanbfd)aft,  fo  lautet  alfo  meine  Überzeugung,  gerät  am 
t)i>d)ften  anber  füblid)en  Gd^neegrcnje,  in  ben  bett)ot)nten 
Qllpcn. 


93on  ber  „fingenben"  ^u^fprad)e 

Q3or  allem  ift  flar^ufteHen,  t>a^  ba^  „Gingen"  t)er 
9\et)e  mit  t)em  mufi(ali[d)en  6ingen  nid)t  t)aö  mint)eftc 
ju  tun  f)at,  aud)  nid)t  fo  t)iel,  t)a§  etnja  mufitalifd)  »er» 
anlagte  Q3öl(er  ober  ??tenfd)en  eine  größere  9ceigung 
t)erfpürten,  in  ber  9^ebe  gu  „fingen",  ©anj  im  ©egen- 
teil:  eö  „fingen"  am  el)eften  biejenigen,  bie  nid)t  fingen 
!önnen.  'S)ie  3taliener  „fingen"  nid)t  QBenn  ^atti neben 
it)rer  ©efang^partie  ein  paar  QKorte  ^u  fpred)en  i)at,  fo 
fpric^t  fie  biefe  Qßorte  überaus  !alt  unb  nüd)tern. 

ßg  tt)irb  benn  aud)  baö  „Singen"  ber  9^ebe  nirgenb« 
als  ein  QSorgug,  fonbern  überall  al«  ein  ^^e^ler  betxa6)tit, 
toesljalb  jebe  ^rot^inj  mit  93orliebe  bem  9cad)barn  „Sin- 
gen" 5uf(i)reibt,  feine  fid)  felber  bagu  benennt. 

QOßa^  t)erftet)t  man  nun  aber  eigentlid)  unter  ,,fingen-- 
ber"  '21u^fprac^e  ober  genauer  unter  fingenbem  ^on= 
faU? 

Singen  ^ei^t  nic^t  etwa  bie  ^lunt  be^  ^one^,  alfo  bie 
matt)ematifd)  genaue  ^eobad)tung  einer  gemiffen  ^on- 
t)öl)e;  auc^  nid)t  ber  jäf)e  QOßed)fel  5n)ifd)en  l)0^en  unb 
tiefen  ^önen;  aud)  nid)t  bie  ^onfolge  im  0reiflang. 

®aö  aEeg  ift  nicbt  Singen;  e§  ift  fogar  t>a^  ©egenteil 
be^  Singend.  'S)er  Slape,  ber  balb  in  ben  l)öd)ften  t5^iftet-- 
tönen,  balb  im  tiefen  '^Brummba^  rebet  unb  gan^e  Sä^e 
auf  eine  einzige  9^oteftimmt, fingt  nid)t.®  er  Sübbeutfd)e 
unb  S  c^n)ei5er  bagegen,  tt)enn  er  fid)  aud)  nod)  fo  monoton 
5tt)ifd)en  gtt)ei  nal)eliegenben  3ntert>allen  bewegt,  fingt. 
9^ämlid)  unter  Singen  t)erftel)t  man  tai  Sc^wanfen  ber 
^onl)öl)e  innerl)alb  eineö  einzigen  Q3o!alö  unb  wäre  bie 
Sd)tt>an!ung  nod)  fo  gering.  Solc^  eineSc^wanfung  ent- 
ftel)t  aber,  wenn  ber  Sprec^enbe  einen  ©efü^lsau^brucf 


144  Q3on  bcr  „ftngenben"  '^lu0fprarf)c 

in  t>cn  Q>ofal  legen  tt>iU,  in  ter  Qßeife,  t)a^  er  burd)  oer« 
fd)ict)ene  5:onftufen  baß  ©efüt)l  üerfinnbilblic^en  möd)te. 
Sin  freubigee  3a,  ein  ärgerlid)e£i  9^ein  burd}läuft  bei 
bem  6übbcut[cf)en  eine  gan^e  ^onffala,  tvas  einem  9\o- 
manen,  einem  Glaoen  niemals  n)iberfäl)rf .  Qßas  tun  benn 
biefe  in  t?ortiegenbem  "Jall  ?  6ie  oernjenben  \)aü  ^empo, 
bie  ^^onftävfe  unb  bic  ^ont)öt)e,  fie  fügen  erflärenbe  ^^Ib« 
jeffioa  l)in3u,  aber  unter  feinen  llmftänben  n?erben  fie 
oon  bcr  einmal  angefc^lagenen  ^onl)öl)e  innerl)alb  be^ 
nämlid)en  Q5ofal0  hinauf-  ober  t)inabgleiten.  9cie  »erben 
iS  ie  auö  italienifd)em9}^unbe  ein  No  in  fo  auebrucf  sooUer 
QScife  t)ernel)men,  n)ie  unfer  ,,9^ein'' ;  es  bleibt  bei  einem 
feftcn  No.  6ie  f  önnen  ben  Untcrfd)ieb  innert)alb  be^  ®  eut« 
fd)en  felbft  n)at)rne^men :  fd)ilbert  einer  feine  überffan« 
benen  furchtbaren  3at)nfd)mer§en  berart,  t>a%  er  burc^ 
bie  ^önc,  bie  er  in  t)a^  a  unb  u  be^  Qßorte^  „furchtbar'' 
legt,  Sinbruc!  ju  machen  üerfud)t,  bann  fingt  er.  ©er  an- 
bere,  nid)t  Singenbe,  oerlegt  ju  bemfelben  3tt)ecf  ^a^ 
gange  QBort  „furchtbar"  in  t>k  l)öc^ftc  ^iftelregion. 

'^em  Singenben  tt)irb  feine  '5Hu^fprad)e  „gemütvoll", 
bie  entgegengefe^te  rufenbe  9^ebett>eife  eiftg-falt  erfc^ei- 
nen.  Unb  fo  ber^ält  e^  fid)  auc^  in  ber  ^at  9^ic^t0befto- 
njeniger  bebeutet  t>a^  rufenbe  Sagen  eine  l)ö()ere  Gtufe, 
tt)eil  eö  neben  Stimmfeftigfeit  größeres  elbftbet)errfd)ung 
unb  Objeftioität  öorausfe^t,  toeil  es  ferner  bem  3tt)ecf  ber 
Hmgangsfprac^e,  hai  t)ei^t  bcrQ3erftänbigung,  angemef- 
fener  ift.  QSir  t)aben  ja  bie  9^ebe  nic^t,  um  ©efü^le  nac^- 
5ual)men,  fonbern  um  ©ebanfen  ausjubrücfen.  Sprad)- 
maiereien  unb  'fd)aufpielereien  fmb  allemal  primitive, 
naioe  llnternet)mungen.  ©aju  fommt  noc^,  ba^  ber  le^tc 
©runb  bes  Singend  aus  einer  genjiffen  Sd)n)erfälligfeit 
ber  ©ebanfen  ober  ber  3unge  ftammt;  man  mxU  burc^ 


3ur  xyrembrobrtcrfragc  145 

ben  ^on,  tDeil  t)as  bequemer  ift,  al^  bas  ©efüi)l  mittele 
crgänjenberOSorteau^jubrücfen.  ©emgemä^  eignet  ba^ 
Gingen  ben  gemütlid)en,  ^tma^  mautfaulen  ^roüin^be- 
n)of)nern,  mä^rcnb  bie  rebegemanbten  Äauptftäbte  unb 
bie  uralten  Kultur fpr ad) en  t>as  !üt)tere,  aber  öornel)mcre 
Gagen,  9\ufen  unb  ^lüftern  pflegen. 

3ur  (Erlernung  frember  Sprad)en  ift  ein  fingenber  ^on» 
fall  ber  9Diutterfprac^c  eincö  ber  allergrößten  Äinberniffe. 


3ur  S^rembtt)örterfrage 

Q2ßic  begannt,  ift  in  ©eutf(f)tanb  feit  Sauren  eine  '^Be» 
tt)cgung  jur  ^Reinigung  ber  beutfd)en  Sprad)e  öon  über- 
flüffigen  ^rembwijrtern  im  ©ange;  eine  eigene  93erbin= 
bung  t)at  ftd)  ^u  biefem  3n?ecfe  gebilbet,  eine  regelmäßig 
erf(i)einenbe  3eitfd)rift  fuci)t  bie  (Ba6)e  bem  Q3ol!e  an^ 
Äer§  5U  legen;  bie  Obrigfeit  teil)t  if)r  il)re  ©unft  unb 
ftar!e  9}Zitl)ilfe,  fo  ta%  gegennjärtig  n)ol)l  faum  ein  ^a6) 
ober  ein  ©eifte^gebiet  gänstid)  t>on  biefem  nationalen 
6treben  unberül)rt  geblieben  ift. 

GteHen  toir  xinß  nun  auf  ben  unparteiifd^en  Stanb» 
punft  eine^  ^eobad)terß,  ben  bie  ^a6)^  praftifc^  gar 
nicl)tö  anginge,  fo  ttjerben  tt)ir  n)ol)l  faum  jaubern,  bie 
^eftrebungen  ber  beutfd)en  Sprad)reiniger  im  großen 
unb  gangen  gut  unb  vernünftig  gu  Reißen.  0enn  ein 
93efen  tat  ttjeiß  ©ott  not,  t>a^  tt)irb  jeber  beftätigen,  ber 
bie  norbbeutfd)e  Hmgang0fprad)e  an  ber  Quelle  §u  So- 
ften ©elegent)eit  i)atte,  unb  ber  fic^  barüber  flar  genjor- 
ben  ift,  aus  tx)eld)en  ^emeggrünben  t>h  ^efd)erung 
ftammte.  ®ie  9?te^rjal)l  ber  xyrenibn)örter  üerbanft  ja 
i^re  'iHufent^altgbenjilligung  in  ber  beutfc^en  (Bpva6)t 


146  3ur  ^remt)n>örterfragc 

feincötpcgö,  mc  t)ic  ©egner  glauben  macl)en  ir>oUen,  ei- 
nem logifd)en^et)ürfni^,  einer '^egriff^not,  einer  QBort- 
armut,  fonbcrn  t>ielmet)r  ber  fd)mä(;lid)en,  abgefrf)macf- 
tcn  ''Prat)lfud)t.  ©ciuiffe  Stände  t)ün(en  fid)  t)ornet)m, 
njenn  fte  franjöfifd^e,  andere,  wenn  fie  lateinij'd)e  trof- 
fen jum  beften  geben;  nid)t  um  ein  feinere^  Q3erftänt)- 
niß  äu  »ermitteln,  fonbern  im  ©egenteit,  um  njomöglid) 
gor  nid)t  üerftanben  ^u  u^erben,  rebcn  fie  in  Sungen; 
t)enn  nid)t  öerftanbcn  iDerben,  t)alten  fte  für  gteic^be- 
beutent)  mit  einer  '2lu^5eid)nung.  ©ie  Übergebung,  mit 
n)eld)er  andere  Q3öl!er  t)em  ^rcmben  begegnen,  übt  t)er 
®eutfd)e  an  feinen  Q3olfß-  unt)  Sprad)genoffen;  ba^  ge» 
t)ört  5u  feinem  9^ationabergnügen.  ®er  9\uffe  ift  ftolj 
barauf,  t>a^  einzig  er  bie  lateinifd)en  ^bftratttt)orte,  i)a^ 
©emeingut  ber  übrigen,  europäifd)en  Q3öl!er,  nic^t 
braud)t,  n)eil  er  bie  jarteften  'Segriffe  au^  eigenen  fta- 
t)if(i)en  OKurjeln  gu  bilben  t)erftei)t;  ber  ^ranjofe  t)er- 
lei^t  jebem  *5rembn?ort,  tici^  nid)t  ber  tateinifd)en93^ut- 
ter-  ober  ber  gried)ifc^en  ^antenfprad)e  entftammt,  eine 
t)eräd)tlid)e  9^ebenbebeutung;  ber  ®eutfd)e  umgefef)rt 
t)ält  ta^  geliei)ene  '^ßort  ftet^  für  ba^  oorne^mere.  0ie 
»erbiente  Strafe  für  eine  fotc^e  ©efinnung  liefert  ber 
Äumor  ber  QBeltorbnung,  inbem  er  bie  gelel)rttuerifd)c 
^ral)lerei  ber  Unn)iffent)cit  überfütjrt  unb  ber  £äd)er= 
lid)feit  überanttt)ortet.  S)enn  ol)ne  bie  plumpften  "Je^ler 
l)infid)tlid>  ber^etonung,  ber  'i2Iu^fprad)e  unb  ber6prad)- 
regeln  ge^t  eö  an  benjenigcn  Orten,  n?o  'Jrembnjörter 
al0  13cr5ierungen  hQtva6)Ut  tt)erben,  niemals  ah,  gumal 
wenn  e«  fid)  um  fran5Öfifd)e  93rocfen  {)anbelt.  ®er  ber- 
liner Ooifier  unb  ^ortiö,  ber  beutfd)e  3al)löng,  bie 
Ct)anfonettc  {]taU  6t)anteufe),  bie  Q3aaettcufe  (ftatt  "^aU 
lerinc),  bie  table  d'eau  unb  un5äl)lige  anbcre  93eifpiele 


our  [yrembtvörf erfrage  147 

geben  t)afür  Seugnis.  3et)eö  fran5üfi[d)e  Qßort  mu§ 
fc^on  be^toegen  o^ne  ^u^naf)me  unb  ot)ne  ©nabe  unl> 
'33arml)ergigfeit  au^  t)er  t)eut[d)en  Sprache  entfernt  njer- 
t)en,  n?eil  t)er  ©eutfd^e  unoermeiblid)  bei  biefem  91nla^ 
wenigftenö  einen,  metftenö  brei  S^et)ler  unt)  obenbrein 
allerlei  '^onabfc^eulic^feiten  beget)t. 

xDcit  ben  lateinifc^en  unb  gried)ifc^en  5rembtt)örtern 
X)ert)ält  e^  fid)  fd)einbar  beffer,  bod)  nur  beöl)alb,  weil 
bem  überlieferten  Sinn  unb  ber  einmal  angenommenen 
*2lu0fprac^e  fein  lebenbiges  9}^ufter  gegenüberftel)t.  ^er 
jebod)  barum  meinen  foüte,  bie  '23enü^ung  biefer  ^rof-- 
(en  l)äfte  nid)t^  auf  ftd),  bie  93erpi)nung  berfelben  ent-- 
fpringe  lebiglid)  einer  puriftifd)en  Sd)rulle,  bem  empfel)le 
ic^  jroar  nid)t  n)eitläufige  '2lb{)anblungen  §u  lefen,  tt)ol)l 
aber  jn^ei  'groben  an  fic^  felbft  angufteüen.  6d)reibt 
mein  2efer  felbft,  fo  oerfud)e  er  e^  einmal,  9ceugier  ^al= 
ber,  einen  feiner  rafc^  l)ingefd)riebenen  ^uffä^e  nad)= 
träglid)  oon  allen  ^yrembtPörtern  ftrengftenß  gu  reinigen. 
®aö  wirb  \\)n  getoi^  fauer  anfommen  unb  nid)t  überall 
tt)irb  e^  gelingen ;  allein  unter  jel)n  tyällen  gelingt  es 
fed)S  ober  fieben  ^laL  93ergleid)t  er  bann  ben  fold)er-- 
ma^en  t>eränberten  "^luffa^  mit  bem  frül)ern,  urfprüng= 
lid)en,  fo  wirb  er  gu  feiner  meljr  ober  weniger  großen 
ilberrafcl)ung  unfel)lbar  ben  (Sinbrucf  erl)alten,  ta^  ber 
le^tere  md)t  blo^  fauberer,  fonbern  jugleic^  oornel)mer, 
flarer  unb  eigentümlid)er,  id)  meine,  bie  'i2lnfid)ten  unb 
ben  (£l)ara!ter  be2  QSerfafferö  treuer  wiberfpiegelnb,  lau-- 
Ut  ®a^  fommt  bat)er,  ba^  bie  <5rembwörter  ©emein-- 
plä^efmb,  9?eben6arten,  aber  nic^t  ©ebanfen  bebeutenb 
unb  minbeften^  brei  bi^  oier  äl)nlic^e,  bod)  oerfd)iebene 
begriffe  »erfd)Wommen  be^eic^nenb.  "Sarum  eben  wirb 
un^  bie  Q3erbeutfd)ung  fo  fd)wer,  weil  fie  ben  ©eift  n'ö- 

10* 


148  3ur  Iyrcmt)tt)örterfragc 

tigt,  auö  t>em  t>erfd)tDomnienen  9iebel  t)en  genauen  ©e» 
banfcn  i^eraußjulefen,  tueil  fie  it)n  jur  QBat)l  5n)ifd)cn 
mcl^vcren  (i'rfal)n)örtern  jtDingf,  ix)eld)e  natürlid)  nie- 
ntalö  öoUftänt)ig  t)cm  5^remt)tPort  entfpred)en  fönnen, 
t>a  fid)  um  öae;  xyremönjort  "Oiixd)  ben  tägtid)en  ©ebraud) 
allerlei  unklare  ^egrifföbeimifd^ungen  angehäuft  f)aben. 
3d)  möd)te  t)a^  ^remi)ix)ort  mit  einer  9^iün5e  üerglei-- 
c^en,  bereu  3n[d)rift  niemanb  met)r  lieft,  an  bereu  jtpci-- 
fel^after  Überfruftung  jebod)  bie  Spuren  t>on  jeber-- 
mauuö  Äänben  n)al)rnel)mbar  bleiben.  Gin  fold)e^  ©elb 
mag  einem]burd)  @eit)o^nt)eit  vertraut  tverbeu,  basfelbe 
ift  aud>  ol)ne  Stoeifel  n)ol)lfeiler,  bequemer  unb  leid)ter 
crf)ältlid),  allein  bie3umutung  anben  Gc^riftfteller,  eb- 
le^  ©olb  auö^ugeben  unb  fein  eigene^  Q3ilb  beutlid)  bar- 
auf  3U  prägen,  ift  für  x\)n  ebenfo  et)rcnt>oll  tt)ie  Ijeilfam. 
Ginemit  vyrembmörtern  gefpicfte  Sc!^reibarttt)irbfd)n)er-- 
lid)  eigenartig  unb  urfprünglid)  fein. 

0ie^  ber  erfte  Q3erfud).  9cunmel)r  ber  jtDcite,  nod) 
cinfad)ere.  QKer  nid)t  felbft  fc^reibt,  ber  ne^me  auf  ©e- 
vaU\x>oi)l  einige  beutfdje  93üd)er  auö  ben  legten  3al)r' 
I)unberten  ober  aud)  3at)r5e^nten  t>or.  <3)abei  tüirb  er, 
n>enn  er  feine  Ginbrü(fe  aufmerffam  prüft,  folgcnbee; 
ßrgebni^  finben :  diejenigen  beutfd)en  Qä$orte,bie  ^eut- 
jutage  nid)t  met)r  gebräud)lid)  finb,  tuerben  it)n  mit- 
unter befremben,  anbere  93^ate  etwa-i  bäuerlid;)  an- 
muten, fo  ba^  er  über  fte  frcunblid)  lädjelt,  tr>ie  man 
über  bie  (Einfalt  eineö  ungelenken  5\1nbeö  läd)elt,  tDeit 
t)äufiger  jeboc^  iuerben  fic  feine  unmittelbare  Suftim- 
mung  getx)innen,  fo  t>a%  er  ben  alten  6d)riftftetler  bar- 
um  beneibet  unb  t)ielleid)t  gar  unben3u^tcrn?eife  fie  it)m 
ablernt.  0er  ©cfamteinbruc!  bes  au^er  ©ebraud^  ge- 
fegten beut[d)en  9;öortfd)a(3cö  bleibt  berjenige  ber  Straft 


3ur  ^rembtDörterfragc  149 

unb  llrfprünglid)feit,  ettt)a  einmal  auc^  ter  ilnbe()olfen- 
i)dt,  bod)  md)t  berjenige  bc^  ^lUv^  unb  be^  ^ober^. 
6obalb  bagegen  ein  folc^eö  tyr^"^^^ort,  baö  tt)ir  ^eut- 
jutage  nic^t  met)r  antt)enbcn,  auö  bem  6a^  ins  "^lugc 
ftid)t,  nimmt  fid)  biefeö  je$t  fo  über  bie  9}^a§en  tpun« 
berlid)  au^,  ba§  tt»ir  {)ell  auf(ad)en  muffen.  <S)a^  iff  nun 
3opf,  baö  ift  alt,  t>a^  ift  gefd)marfIoö.  QSoöenb^  ein  mit 
x^rembn)örternburc^fpicftcrStilauöfrüf)erer3eitfc^eint 
un^  in  t>a^  fernfte  rof)e  9}^ittetaltcr  gu  »erfe^en,  obn)of)t 
baö  ^uc^  üieKeid)t  nid)t  ^unbert  3at)re  att  ift.  xO^an 
t)ergleicf)e  nur  Äaller^  93rieftt»e(i)fel  mit  bemjenigen 
Ceffing^:  Äatler  fd)eint  au^  fernen  3ö^i^t)unberten  gu 
un^  SU  fpred)en,  n)ä()renb  ßeffmg  fid)  fo  frifd)  aufnimmt' 
al^  ()ättc  er  geftern  gefd)rieben.  Qlud)  £utf)erö  ^ibet- 
überfe^ung  üerbanft  if)re  unt)ergängtid)e  Sugenb  nid)t 
jum  tpenigften  ber  !üf)nen  93erbeutfd)ung  be^  unmög-- 
lic^ften  ^of)Utt)abot)u;  an  93ered)tigung,  einige  3ef)n- 
taufcnb  t)ebräifd)e  6pra(i)bilbungen  ftef)en  gu  laffen, 
,,tt)eil  bie  Q3erbeutfd)ung  ben  Sinn  nid)t  öoUftänbig  tüie» 
berjugeben  vermöge",  i)ättQ  eö  if)m  n3af)rUd)  nid)t  ge- 
fet)tt.  Sine  jttJeite  Äauptnjat)r^eit  tautet  mithin  folgen- 
berma^en:  QSer  oi)ne  jebe^  93ebenfen  ober  gar  mit  ^e- 
^agen  t^rembnjörter  in  feinen  Stil  fät,  n)irb  jtüar  bei 
feinen  9}^ittebenben  möglid)ern)eife  ben  Sd)ein  ^erüor- 
ragenber  Srf)ulbilbung  gettjinnen,  bafür  aber  of)ne  i^t>ex\ 
Streifet  bei  ber  9^ad)n)elt  t>a^  ilrteilber  93aroc!^eit  ein- 
taufd)en.  llnb  jtpar,  n)o{)loerftanben,  bereite  bei  ber  näc^- 
ften  9tad)tt>ett,  benn  ^rembtüörter  veralten  unglaublid) 
rafrf),  faum  tt)eniger  rafc^  alö  bie  9)Zobe,  tüeil  an  bie 
Stelle  ber  einftigen  Lieblinge  anbere  gefegt  njerben. 


g^remfename  unb  Övt()ograp()ie 

QlVnn  irf)  im  3ta(ienifd)en  5?ofobril  ftaft  5\ro!ot)it, 
^oUteama  ftatt  '^olptl^eama  alö  9veget  ju  9vcd)t  befielen 
fci)e,  n>cnn  ic^  '•^lmf;tt)cater  für  9lmpt)itt)eater  fpred)en 
^örc,  fo  überfommt  mic^  eine  barbarifd)e,  aber  innige 
GcUgJeit.  <S)a  ift  nun  ein  Q3otf,  t)aö  fpftematifd)  aüe 
gried)i[d)en  th  unt)  ph,  beren  Q3crnad)läfftgung  unö  in 
t>cr  6d)ute  tt>ie  eine  ^^obfünbe  gegen  ben  {)eiUgen  ©eift 
bcr  Kultur  bargefteüt  tt>urt)e,  einfach  in  t  unb  f  verein- 
facht, llnb  biefeö  QSoIf  ift  ba^felbe,  \veld)i§  um  ben 
©eift  ber  antifen  5^ultur  n)iebergefc^en!t  i)at  (v^  fc^eint 
alfo,  ba§  bie  pünfttid)e  9^ad^fc^reibung  griec^ifd)er  Fla- 
men unb  grierf)ifc^er  ©eift  bod)  cttva^  töeiter  üonein- 
anber  entfernt  ift,  at^  unfere  t)umaniftifd)e  6d)otard)ie 
auö  britter  Äanb  meint.  <5)ie  <5e{)ter  einer  ©eneration 
toerben  ju  9^egetn  für  bie  9^ad)!ommen:  tuir  ftrafen 
ben  ©pmnafialf(^üler,  tt)eld)er  ,,9:er5eö"  ober  ,,9lt)a^- 
öeru^"  unricl)tig  fd)reibt,  n)äf)renb  biefe  QBorte  bod) 
i^rerfeit^  ni^t^  anbere^  finb  atö  griec^ifc^e  unb  latei- 
nifc^e  93erbaüt)ornungen  perfxfc^er  g'Jamen.  3n  griec^i- 
fd)em  ©eift  ^anbelt  ber,  n)eld)er  fid)  um  bie  9?ed}tfpre-- 
cbung  unb  9^ed)tfd)reibung  frember  9tamen  einen  ^urfucf 
tümmert. 

(Jö  ftänbe  beffer  um  unfere  beutfd)e  Sprad)c,  tvenn 
ftc  tt?ieber  wie  e^ebem  unb  toie  t)a^  3talienifc!^e  t)on  t)eute 
ben  ^üt  unb  bie  ^raft  befä^e,  unbefümmcrt  um  bie 
©elet)rtt)eit,  bie  ^rembtuörter  barbarifc^,  aber  munb- 
gerecht  5ured}tauftu^en.  6d)reibe  id)bagegen  „'^acd)u^" 
unb  „(B>a\>p\)o" ,  nac^bem  bie  beutfd)C  6prad)e  fc^on  glürf- 
lid)  über  bicfe  alpl)abetifc^en  llngef)cucr  tveggefc^ritten, 
fo  mad}e  id)  mid)  einfad)  be^  ©üntelß  fd)ulbig.    „Set)t 


^rcmbname  unb  Ort^ograpt)ic  151 

c^  unb  f)ört  c^,  '^i)v  Q3ölfer,  id>  tuci^,  t>a%  im  ©ricc^i- 
fc^en  nod)  ein  !  üor  bem  d)  unt)  ein  p  üor  bem  pt)  ge^ 
ftanben  hat.''  ^ine  n)ic^tige  Qßei^^eit !  unb  eine  feine 
liberlcgen()eit!  <3)a  tut  mir  bie  italicnifd)e  „Sinfonie" 
in  ber  Geele  n)of)l,  i»eld)e  jn)ar  5n>ei  fd)auerlid)e  ort^o-- 
grapf)ifd)e  Sd)ni^er  entf)ält,  aber  ber  QSett  bie  Snftru^ 
mentatmufif  gefd)enft  ^at. 


^oH  unb  Smenfi^ 


©ie  ^evfönUd)feit  be^  ®id)ter^ 

(Q3orfrag) 

)ic  5bod)fd)ä^ung  t)cr  bid)tenfc^en  unb 
üinftterifc^cn  ^erfönlid)feit,  bie  faft 
felbftüerftänt)tid)  fd)eint,  ift  gleic^tt)ot)l 
t)aö  ^robuft  einer  raffinierten  Kultur. 
<5)er  naiöe'TOtenfd)  genickt  ein  S^unfttver! 
tüie  einen  Slud)en :  er  tä^t  fid)'0  fd)mecf en,  o!)ne  fid)  im 
minbeffen  um  ben  T^erfertiger  ju  fümmcrn,  ja  oI)nc  nur 
nad)  feinem  ?^amen  gu  fragen. 

60  tut  baö  ^inb  mit  feinen  93ilberbüd)ern,  bcm  c^  ooU- 
ftänbig  einerlei  ift,  ob  fie  oon  9?ceggenborfer  ober  ^linger 
ober  tt)em  fonft  t)errüf)ren.  60  tut  ber  Cet)rjunge,  tt)eld)er 
eine  Opernmelobie  pfeift,  beren  Äerf  unft  ju  erfat)ren  i{)n 
nid)t  flimmert.  So  tun  unfere  €)ienftmäbd)en,  bienjirin^ 
^^eater  fd^icf en,  inbem  fie  nad)f)er  jtoar  genau  ben  Her- 
gang beö  Stücfeö  gu  cr3ät)len,  aber  gett?i^  nid)t  ben  9ca- 
men  beö  Q3erfaffer^  ju  nennen  tüiffen.  So  tat  jener  Sc^ut- 
le{)rer,  üon  n)elc^em  unö  cr5ät)tttt)irb,  t>a%  er  auf  bie  ^yragc 
nad)  ber  93ebeutung  ber  ^orte  lltjlanb  unb  Sd)itter  in 
einem  @ebid)tbud)  bie  'ilntwort  erteilte,  t>a^  wären  ge» 
t)eime  ted)nifc^e  Qßin!e  für  ben  Se^cr. 

3n  untitcrarifd)en  Seitaltern  t)erfäl)rt  eine  ganjc  9Za- 
tion  mit  ber  nämlichen  9^ad)täffigfeit,  fo  t)a%  fogar  um- 
fangreid)e  unb  fd)önf)eit^gemaltige  9\iefenttjerfe  ol)nc 
93erfaffernamen  auf  un^  gekommen  finb,  fo  j.  93.  bie 
I)omerifd)en  ©ebici^tc  unb  bie  9^ibelungen.  ®ann  nennt 
man'^  93olf^poefie;  einen  ^itel,  ber  einen  t)erl)ängniö- 
öoüen  3rrtum  einfd)lie^t.  Qßa^  man  Q3olföpoefte  nennt, 
ift  im  ©runbe  einfad)  anonyme  ^ocfte,  'iHuf  tt)eld)e  QBeifc 
aber  bie  ^Inonpmität  entftanb  unb  noc^  l)eute  entftet)t,  ba« 


«Sic  ^erfönlic^fcit  bc^  <5)id)ter6  155 

fönncn  6ie  aUtägliri)  fonfroHicren,  t>a  je^t  tt)ic  üor  jujei- 
taufent)  3at)rcn  ber  naiöc  9?ten[d),  mit  anbern  Qßorten 
baö  93olf,jet)eö  5tunfttt)er!  anonpm  geniest,  anont)mn)ci-- 
tergibt  unb  t)iermit  binnen  furjer  Seit  anonpmiftert. 
©ef)en  3ie  in  bie  'S)örfer  unb  fragen  Sie  bie  ßeute,  bie 
bcn  „guten  Slameraben"  ober  „3«^  tt>ei§  nid)t,  tr)a§  fott 
€3  bebeuten"  fingen,  naä)  ben  Q3erfaffern;  fie  f)ahtn  bie 
9camen  in  ber  Sd)ulc  gelernt,  aber  nad)f)er  tüieber  üer- 
geffen ;  ejiftierte  nic^t  eine  QSiffenfd)aft  ber  Citeratur- 
gefci^ic^te,  fo  h)ären  fie  balb  für  bie  gange  QBcItüergeffen. 
QBie  benn  in  ber  ^at  populäre  ©ebid^te  fotd)er9}^änner, 
h)etd)e  bie  ßiteraturgef  d)i^te  ju  ern)ät)nen  nid)t  ber  9}Zü()e 
tt)ert  t)ätt,  in  jtvei  (Generationen  fd)on  faft  gänjlid)  ano- 
n^mifiert  erfd)einen,  aud)  tt)enn  man  urfprünglid)  ben 
93erfaffer  gar  n)of)l  fannte  unb  nannte.  So  erging  c^ 
bcm  Q3erelilieb,  bem  'Softor  Sifenbart,  bem  lieben  *^u-- 
guftin  unb  ben  fämttid)en  patriotifd)en  9^ationalf)^mnen. 
®ie  ©elet)rten  fennen  ben  Q3erfaffer  nod),  t>a^  Q3oI!  i)cit 
it)n  bereite  oergeffen.  Suttjeilen  gelingt  es  ber  ©elet)rfam» 
feit,  eine  bereite  im  Q3ertöfd)en  begriffene  3bentität  in 
elfter  Stunbe  fünftlid)  tt)ieber  aufaufrifd)en,  mie  j.  93. 
für  bie  Qßad)t  am  9\l)ein  unb  ben  Strutüttjelpeter. 

QSie  unbefangen,  id)  möd)te  faft  fagen,  tt)ie  breift  ftcö 
t>a^  Q3olf  alte«  unb  jebe^,  toa§  urfprünglid)  perfönlic^ 
ttjar,  al^  fein  eigene^  nationale^  ^robuft  aneignet,  ^a^ 
f  önnen  Sie  am  beften  beurteilen,  tt>enn  Sie  nad)  ber  jeit» 
liefen  Entfernung  auc^  bie  räumlid)e  befragen,  inbem  Sie 
fid^  einfach  über  bie  ©renje  bemül)en.  QSa^  biesfeit^  nod) 
al^  ba^  Erjeugni^  eineö  beffimmten  Q3erfafferö  gilt,^ei^t 
jenfeit^fd)on  QSolf^poefte.  Äeineö  allbekannte^, l)unberf-- 
mal  gebrurfte^  2ieb  öon  ben  fcbönften  'iHugen  tüurbe  mir 
in  9?u^lanb  ganj  frö^lid)  alö  ruf jtfc^e^  Q3olf^lieb  ange- 


156  ®ic  ^crfönlid)feit  t)c^  ®id)tcr« 

boten.  Qä}a^  tt>ürt>en  Sic  abev  üoUenbö  baju  fagen,  tvenn 
ic^3{)"en  atö  möglid>  f)infteUte,  t)a^  ^eetl)oücnfd)c  So- 
naten einmal  al^  93olf0liet)er  aufmarfd)ierten  ?  9^un,  id> 
f)abe  eß  mit  eigenen  0()ren  unt)  ^ugcn  erlebt.  Sine  St- 
geunerbanöe  tünt)igte  eine  alte  äigeunij"d)e  93ol!2n)ei[e 
an  unb  fang  unter  biefem  ^itel :  ben  crften  Sa^  ber  So- 
nate pathetique  famt  ber  ^ntrobuftion  unb  ot)ne  bic 
Cäuferpaffagen  ju  üergefTen!  Solche  (Srfal)rungen  unb 
93eobad)tungen  finb  geeignet,  bei  ©enfenben  ben  lanb« 
läufigen  ^Begriff  oon  93ol!^poefte  ju  korrigieren.  9^äm- 
lid)  Q3ol!ßpoefie  ift  nid)t  unperfönlid)e  ^oefic,  nid)t  ^ro- 
buft  irgenbeiner  foUcftioen  Q3ol!^feele,  fonbern  einfach 
eine  nad)träglid)  anonpmifterte  "^Int^ologie  t>on  t)erfd)ie- 
benen  Q3erf affern  unb  jroar  meiften^  üon  gebilbeten  Di- 
lettanten, benen  auöna|)m^tt)eife  aug  yni;)orftd)tigfeit 
etnja^  ©elungene^  paffiertc.  Q5on  ben  großen  inbit>ibu- 
ellen  Stünftlcrn  juber  93ol!^poefie  f(ü(i)ten,  t)ei^t  einfacf) 
bie  tO^eifter  ber  ^unft  gegen  Sd)ullet)rer,  Pfarrer  unb 
Qlbüofaten  üertaufc^en. 

Qßcnn  nun  bergeftalt  haß  Q3olf,  alfo  ber  naiöc  9DZenfcl), 
ein  eingefleifd)ter  ^Inon^mifator  ift,  fo  fel)en  Sic  lcid)t 
ein,  ba^  öon  l)ier  biö  jum  mobernen  '^crfönlid)!eif  öfultu^ 
ein  unge{)eurer  QSeg  jurücfgelegt  n)erben  mu^te. 

Q3or  allem  mu^te  gelernt  tüerben,  ha^  t>aß  5tunfttt)er! 
einen  i  b  e  a  l  e  n  Qßert  üon  unerme§lid)er  Äi)t)e  repräfen-- 
tiert;  tüa«  befanntlid)  bem  naiöen  9}^enfd)en  nid;t^tx)e- 
niger  al^  leid)t  eingel)t.  <5)id)terprobu!te,  meldje  ber  mo- 
berne  '^ilbungsftaat  mit  @olb  aufn?ägt  unb  beren  5luf- 
finbung  bem  glüctlid)en  ©elet)rten  9\u^m,  ßl)ren,  Orben 
unb  ^enfionen  einbringt,  gibt  tiaß  93olf  al^  mertlofc 
Sc^nurrpfcifereien  öeräd)tlic^  oon  9D^unb  ju  9}^unb  unb 
oon  ©ro^mutter  ju  d'nfcl.  Qä}aß  für  eine  9^ül)e  l)atten 


0ie  ^erfönlid)feit  bce  ^idjtcre  157 

t)ie  Gammler,  t)ie  i)errlid)en  Q3ol!igepen  bcr  Serben  üor» 
getragen  ju  er()alten !  5)enn  bie  Gänger  fd)ämten  f\d)  bes 
,,!int)ifc^en  Seuges".  "•^it)nUd)  erging  es  ©rimm  bei  t)er 
Sammlung  ber  t)eutfct)en  93olf^märd)en.  Überaß  unb 
immer  gilt  bem  Hngebilbeten  bie  5lunft  für  ^anb  unb 
ber  ^ünftler  für  einen  ^änbler.  QBer  feine  5\;inbl)eit  im 
Q3ol!e  jugebrad)t  ^at,  x\>cx%  baüon  gu  erjäl)len. 

<3)ann  mu^te  man  barauf  aufmerffam  n)erben,  ba^  baö 
©ebiegene  in  ben  5?ünften  feltener  gefunben  mxt>  als 
im  Äanbttjerf,  t>a%  mel)rereö  ^üd)tige  au^  ber  nämli-- 
d)en  Quelle  gu  fliegen  pflegt,  t>a%  ^aufenbe  nic^t^, 
einer  unerme^lid)  üiel  6d)i5ne^  gu  leiften  oermag. 
®  a^  Srftaunen  l)ierüber  begrünbet  ben  populären  9\u^m, 
n)eld)er  nicf)t  fott)o()l  bemjenigen  guteil  njirb,  ber  ©ro^eö, 
als  bemjenigen,  ber  tüieberl)olt'i^uffällige^  leiftet.  0ann 
pflegt  tia^  93olf  aud),  nad)bem  eö  fid)  einmal  mül)fam 
einen  imponierenben  9tamen  gemerkt,  if)m  alle^  l)erren» 
unb  namenlofe  i^unftgut  gugufc^reiben,  njoöon  bie  ßite» 
raturgefd)id)te  ber  alten  93ölfer  üiele  '^Seifpiele  aufroeift. 
®enf en  Sic  an  bie  ^falmen  "Saoib^  unb  an  bie  Sprü(^e 
6alomo^,  t>on  n)eld)en  neun  3el)nteile  „unedE)t"  finb,  t>a^ 
l)ei§t  üon  anonpmifierten  Q3erfaffern  ftammen.  "iHlfo  ftatt 
„Sebem  bas  Seine"  urteilt  baß  93olf  in  Ä'unftfac^en: 
„Qßer  ba  Ijat,  bem  njirb  gegeben." 

Sin  n>eiterer  unb  fel)r  fc^mieriger  Sd)ritt  tt)ar  bie  ^e= 
obad)tung,  ba§  Q3ollfommene^  im  fleinen  ober  großen 
nur  öon  perf  önlid^  ©ro^en  gefd^affen  werben  fann. 
QOßie  ungemein  fd)tt)ierig  biefe  (Jrfenntni^  ift,  geigt  31)nen 
bie  6d)ar  ber  l9rifd)en  Dilettanten,  tt)eld)e  in  il)rem 
l)armlofen  ©emüt  feine  ^7li)nung  baüon  l)aben,  t>a^  aud) 
t>ai  fleinfte  Cieb  eine  l)ert»orragenbe  Originalität  be^ 
^ict)ter^  öorauefe^t,  fonbern  allen  Srnfteg  oon  irgenb- 


158  T^ic  "pcrfönlic^feit  t)cß  'Dic^terß 

njclc^cr  ^egcifterung  ©elingen  t)offcn.  „<S)ie  ©unft  ber 
3tunt>e/'  „<S>er  5^^u^  ber  xD^ufe."  Sd)ön  unt)  gut.  Ceiber 
geniest  t)iefe  ©unft  nur  derjenige,  ber  ot)nef)in  ©ünftling 
ift,  unt>  bie  9?cufe  !ü^t  nur  ©eficf)ter  mit fct)arf  ausgepräg- 
tem ^rofil.  3o  auöfd)laggebent)  ift  in  aller  5\unft  t>ie  ^er- 
fönlid)feit,  t)a^  felbftfd)affent)c  Ä'ünftler  au^  t)cr  gering- 
fügigsten ^robe  foforf  ju  entfd)eiben  vermögen,  ob  der- 
jenige, ber  biefe  einzige  Seite  gefd)rieben,  übert)aupt  ein 
berufener  ober  ein  Sd)n3äd)ling  ift. 

(So  t)at  alfo  bie  'Jrage  nac^  ber  literarifd)en  '^erfön- 
Ucf)!eit  be^  ®id)ter^  unb  5?ünftler^  if)xc  t)oi)e  'Serec^-- 
tigung;  ja  auf  fie  rebujiert  fid)  fd)lie^lid)  bie  n?af)rc 
Äunftfritü. 

^^Hein  biefe  "Jrage  !ann  auc^  ausarten  unb  fie  ift  aus- 
geartet. ©ieS  gefci^iet)t  aber,  fobalb  Uterarl)iftorifc^e 
Hbcrbilbung  t>a§  ^unftwer!  in  bie  stoeite  Cinie,  bie  '^er- 
fiJnUcl)feit  beS  ^ünftlerS  bagegen  in  bie  erfte  rücft.  Q3er-- 
fc^iebene  '^etijeggrünbe  Ijaben  unfere  ©eneration  t)ier5u 
oerfüt)rt:  '3395antinifd)eö  S^limbim,  id)  meine  ben  ©ö^en- 
bienft  unb  bie  Äeiligentegenben  um  unfere  S^laffifer 
t)erum,  ferner  anbäd)tige  romant)afte5?latfd)fud)t,n)eld)e 
nid)t  in  'Jrieben  fterben  !ann,  et)C  fie  jebem  Slünftler 
ein  £iebfd)äftd)en  angekuppelt  t)at  (benn  all  unfere  Slunft- 
nseisbeit  münbet  ja  fd)lic^lid)  in  cVrauengeftalten),  fer- 
ner allerlei  et{)ifd)er  ^bixm^,  n?ie  unb  roasma^en  beS 
ÄünftlerS  ^öd)fte0  ^unfttt)erf  fein  Geben  fein  foUe  (eine 
•Jorberung,  tt)cld)e  Sl)afefpeare  ju  einem  bebenflid)en 
'"pfufcbcr  erniebrigen  würbe)  unb  enblic^  bie  Äaupt- 
fad)e:  0ic  tpad)fenbe  llnfä^igfeit,  baö  i^unftwerf  auf- 
vxd)t\Q  5u  genießen.  ®e0l)alb  gibt  man  feine  95iftten- 
!arte  beim  Äünftler  ab. 


'Sie  'perfönlic^feit  t)eß  0ict)terß  159 

So  ift  ein  'S)ict)ter!uUuö  unt)  eine  ©eniefud)t  enbemifc^ 
geworben,  t)eren  [c^ät>lid)e  Q[öirfungen  auf  t)ie  Literatur 
id)  3t)nen  f)ier  in  t)er  ^ürje  natürlid)  nid)t  entlt>icfeln 
fann.  QBenn  Sie  jet)oc^  etn?a  oieUeid)t  glauben,  t>a% 
t)ergleid)en  t)en  'Patienten  angenet)m  fei,  fo  bitte  id)  um 
t)ie  ßrlaubniß,  t»a0  ©egenteil  bet)aupten  §u  dürfen.  3tt»ar 
nid)t  etwa,  alö  ob  eö  ben  ©efc^macf  ber  {)o{)en  Äerren 
beleibigte,  ba§  man  ein  gar  fo  übertriebene«  QSefen 
oon  it)nen  mad)te!  <2»enn  ber  ^ünftler  ober  Citerat,  wel- 
cher in  feinem  Äerjen  jugäbe,  ba^  man  it)n  überfc^ä^e, 
mu^  erft  nod)  geboren  njerben.  Sonbern  einfad),  weit 
bie  Sud)t  nad)  ber  ^erföntic^feit  beö  ^ünftterö  natur- 
gemäß i?on  fertigen  Q3orftelIungen,  atfo  oon  S^orberungen 
begleitet  ift,  welche  ber  berufene  unmögtid)  erfüllen 
!ann,  n)ät)renb  ber  gel)alt-  unb  l)altlofe  9^ad)a^mer  ftc^ 
il)nen  mit  £eid)tig!eit  anpaßt.  ®ann  ge^t  eö  mit  ben  ju-- 
gebad)ten  ßl)ren,  mie  wenn  Sie  ben  'iHmfeln  '33rot  ftreuen : 
bie  Sperlinge  werben  baoon  fett;  bie 'iHmfeln  aber  frißt 
bie  ^a^e. 

9cämlic^  bie  ^orberungen  eineö  Scitalterß  an  be^ 
®id)terö  ^erfönlid)!eit  finb  unfel)lbar  ungereimt.  Sr- 
ften^  weil  fte  il)m  jumuten,  bem  retufd)ierten  ^ilb  ju 
gleid)en,  baö  öon  einem  Q3orf)ergegangenen  abftral)iert 
würbe;  gweiteng  weil  bie  ^^orberungen  alle  fünfsel)n 
3at)re  wed)feln  unb  überbieg  mit  Q3orliebe  einanber 
wibcrfprec^en,  fo  baß  ber  arme  xOtufenwurm,  um  ben 
populären  QKünfd)en  ju  genügen,  wenigfteng  oier  oer- 
fc^iebene  (Jl)ara!tere  befi^en  müßte;  brittens,  weil  bie 
<5orberungen  meiftenö  einen  kleinen  Stic^  in^  ^inbifc^e 
l)aben. 

®ie  ©efc^ic^te  ftel)t  mir  ^um  Seugen,  baß  id)  nic^t 
übertreibe.  (Sin  Sci^rge^nt  lang  wirb  als  unerläßliche 


160  <S>ie  ^crfbnUd)feit  t)C6  0id)terö 

'33cl>ingung  t>er  ^ner!cnnung  t)om  0id)ter  »erlangt, 
ba^  er  beftänt)ig  greine  unb  feufje.  Sin  anberee  ??cal 
foU  er  alö  Derrürfter  *^Pubel  mit  offenem  Äembenfragen 
unb  jerriffencm  ©emüte  eint)erftürmen  unb  jn)ifct>en 
jtt)ei  9\eimen  brei  Äerjen  !nidfen.  Qöieber  ein  anber- 
mal  foU  er  t)armonifd)  au^geglid)en  auf  ber  linf  en  3et)en- 
fpi^e  balancieren,  ben  fleinen  Ringer  jierlic^  an  ben 
9}Zunb  gebrücft  me  eine  ^erpficf)ore.  «Sann  plö^lic^ 
n)ieber  lautet bie  Carole:  9\u))pigfeit  unb  0truppigfeit. 
953er  feine  93orften  aufroeift,  n)er  fein  in  ber  QÖßolle  ge» 
färbter  ^l)ilifter,  fein  Srjpebant  ift,  bem  ti?irb  je^t  bie 
©ic^terqualität  abgefprod)en.  Unb  faum  tia%  man  fic^ 
etnja«  oon  bem  6d)recf en  erholt  ^at,  ftet)e  t>a :  nun  foH 
er  wieber  t>om  Sd)eitel  biö  jur  6ot)le  pft)d)opatl)ifc^ 
fein  tt)ie  eine  ftigmatifierte  9tonne. 

'Semerfen  6ie  tt)ol)l,  t>a%  für  alle  biefe  ^orberungen 
95eifpiele  au^  ©efd)id^te  unb  ©egentt>art  vorliegen,  unb 
ba^  jebeömal  bie  "Jorberung  als  unerlä^lid)  get)anbl)abt 
n?irb. 

Qßag  finb  nun  bemgegenüber  bie  tt)irflid)en  gemein» 
famen  9D^er!male  ber  bid)terifd)en  ^rit)atperfönlid)f eit  ? 
Q§  »erlangt  ja  nad)  il)nen  nicl)t  blo^  bie  fürmi^ige  9teu- 
gier,  fonbern  aud)  jenes  eble  ®anfgefül)l,  t)aQ  uns  auf-- 
forbert,  bemjenigen,  beffen  Qßer!  un^  ©enüffe  intimfter 
9lrt  gefd)enft,  nä^er  ju  treten,  '^^lu^erbem  t)at  bie  ^yrage 
einen  pf^d)ologifcl)en,  ic^  möd)te  fagen:  naturn^iffen-- 
fd)aftlid)en  Q^ei^. 

3d)  t)offe  nun,  6ie  njerben  es  mir  nic^t  als  mepf)ifto- 
pt)elifc^e  ^enfungöart  auslegen,  menn  id)  S^n^n  int 
folgenben  ben  6a$  ju  bett)eifen  fud^e,  t>a%  bie  näl)ere 
'^etanntfd)aft  mit  ber  ^rit)atperfbnlid)feit  be^  ®id)ters 
in  ben  meiften  ^yällen  fein  ©eminn  t)ei§en  barf,  fonbern 


®ie  ^crfönUd)fcit  bc^  '5)id)ter0  161 

t>a%  man  fic^  oietmei)r  ju  feiner  räumlirf)en  ober  jeit- 
lid)en  Entfernung  ©lücf  n)ünfd)en  fotl.  9lx6)t  al^  ob  id) 
meinte,  bie  Q3ßertfd)ä^ung  oerlöre  burd)  bie  <33e!annt- 
fd)aft.  ©leid)  3t)nen  bin  id)  baüon  überzeugt,  t)a%  bie 
Q^orjüge  bie  '5el)ler  unb  Sd)tt)äd)en  überiuiegen.  '^Illein 
bie  Q3oräüge  liegen  nid)t  für  jeben  auf  ber  Äanb,  n)ä{)-- 
renb  bie  tyet)ler  berart  finb,  t>a%  fie  ben  gefeüigen  93er' 
fet)r  beeinträchtigen,  tt>enn  nid)t  gar  in  93erbru^  t)er-- 
tDanbetn.  Gd)on  au0  einem  einzigen  flü^tigen  93efu^ 
ertt)äd)ft  in  oielen  fällen  baö  ©efüi)l  ber  (Snttäufd)ung, 
n)eld)eö  nid)t  immer  blo^  in  finbtic^en  Q3orauöfe^ungcn 
bes  93efud^er^  feinen  ©runb  i)at  93eben!lid)er  noc^ 
n)irb  ber  t>ermeinttid)e  QSerluft  burd)  {)äufigeren  Umgang. 
©a  pflegt  ber  mitgebrad)te  9'Jimbuö  gänjlid)  ^u  ver- 
fliegen. Öfterer  93er!ef)r,  tt>enn  er  oberfläd)lid)  bleibt, 
ift  fogar  ba^  fid)erfte  93iittel,  einen  l)eroorragenben 
"^CRann  ju  unterfd)ä^en.  ©eiftreid^  fagt  "Oa^  2a  93rupere ; 
„QSßer  fennt  einen  großen  93^ann  am  tt)enigften  ?  6eine 
93e!annten."  ßrft  bie  ^reunbfd)aft  unb  bie  Ciebe  finbet 
ben  perfönlid^en  QSert  be^  ^riüatd)arafter^  unter  ben 
jal)lreid)en  0d)tt)äd)en  l)erau^  unb  felbft  baju  bebarf 
e^  eine^  milben  unb  großen  Äerjenß.  ©enn  aud)  ba 
t)anbelt  eö  fid)  nid)t  fott)ol)l  um  ©enie^en  unb  ^ettjun-- 
bern,  al2  um  Ertragen  unb  Entfc^ulbigen.  ^Hlö  ber  fd)n)e- 
bifd)e  Äönig  Äarl  XIII.  ber  9ßittt>e  bes  berül)mten  ®ic^» 
ter^  '^Bellmann  bagu  gratulierte,  einen  fo  großen  tOtann 
jum  ©emat)l  gel)abt  ju  ^aben,  feufgte  fte :  „^Id)  ©Ott, 
•^tRajeftät,  tt)enn  6ie  nur  raupten,  tt>ie  unau0ftel)lid)  er 
tuar!"  <S)er  ©runb  ber  llnau0ftef)lid)!eit  ober  fagen  mv 
richtiger  unb  gered)ter:  ber  £lnerfprie^tid)feit  beö  bid)- 
terifd)en  '^rioatc^arafterä  berul)t  nun  nid)t  ettt>a  in 
^lein^eit,  bie  ben  ©egenfa^  jur  fünftlerifd)en  ©rö^e  bit- 
Spitteler,  ea^enbe  QQßa^r^cttcn  11 


162  ^ic  ^erfönlic^feit  t)eö  0id)tcr^ 

bete,  tt)ie  t)cr  '^ci'O  bcr  9}^ittclmä§igcn  t)a^  Q3er^ältni^ 
barftcücn  möcf)tc,  fonbcrn  t)ie  llnerquicfUc^feit  i[t  eine 
unoermeil)Iid)e  paft)ologifd)e  "Jolge  feinet  6d)affen^, 
alfo  eine  'Beruf0franff)eit.  Qßät)renl)  ahev  anbere  ^e- 
rufsarten  nur  ben  Störper  tvanfi)aft  beeinfluffen,  äiel)t 
bie  fortbauernbe  probuffioe  ^t)antafiearbeit  aud)  noc^ 
t>a^  Temperament  unb  mitunter  fogar  ben  (St)arafter 
in  9}^itleibenfd)aft. 

93on  bcn  enormen  ^nforberungen,  n)eld)e  ber  ©id)- 
terbcruf,  menn  er  mit  (f ruft  unb  ©rö^e  aufgefaßt  n)irb, 
an  ben  9}^enfd)en  ffeüt,  t>on  ben  peintid)en  ©emiffenö- 
forgen  unb  Seelenängften,  njelcbe  ber  eigentlid)en  "^Ir- 
beit  t)orangel)en,  mad)t  man  ftd)  nämlid)  !aum  eine 
af)nenbe  93orfteüung.  €ö  iff  nid)tö  ttjeniger  al^  ta^ 
Opfer  eineö  gangen  Ceben^,  täglid^  t)on  neuem  bärge» 
bracht.  <5)ie  93^ufe  „befud)t"  nid)t  it)ren  9luöern)ät)lten, 
fonbern  fie  t^rannifiert  if)n  fcbonung^Io«  t)on  früf)efter 
Sugenb  biö  jum  legten  ^Itemjuge. 

QÖJenn  6ie  bie  ^iograpt)ien  auöge5eid)neter  '5)id)ter 
lefen,  fo  tt>erben  6ie  finben,  t>af^  meiften^  fd)on  t>a^ 
^inbeöalter  einen  forttt)ät)renben  Slrieg  bilbete,  inbem 
biejenige  ^igenfd)aft,  n)eld)e  id)  ben  5?eim  qüq^  ^a(en= 
teö  nennen  möchte,  nämlid)  bie  Q[ßa^rt)aftiglfeit  gegen 
fid)  felbft,  in  Ä'onflüt  mit  ber  <2Iutorität,  ba^  i)e\%t  mit 
ber  Äonoention  geriet.  3tt)ietracf)t  mit  Altern  ober  £c^- 
rern  ftnb  t>a  i)a^  aHergen)öl)nli(^fte. 

®ie  fogenannte  ßntn)ic!lungöperiobe  gel)t  meift  unter 
ent[e^Iid)en  Geelenftürmen  öor  fid),  n)eld)e  t)art  am 
©rabe  t>orbeifüt)ren,  tt)äf)renb  cbenbiefetben  ©emitter 
t>a^  Äerj  mit  benjenigen  Q3Ii^fun!en  laben,  au^  tt>ct- 
d)en  fpätcr  bei  reifem  Spönnen  bie  großen  QBerfc  gc= 
mac^t  ivevben. 


0ic  l>crfönUc^feit  bee  ^id)ter^  163 

<lnlä§tid)  bicfer  3ugcnt)ffürme  bemerfen  tt)ir  folgende 
auffällige  unb  betjersigen^merte  '5:affad)e.  ^nffatt  t>a% 
t)ie  Spiegelung  t)cr  'i2lu^cnn)elt  bann  am  reinffen  gc- 
fd)äl)c,  ttjenn  bie  Geele  am  rul)igften  ift,  n)te  eß  ba^ 
©leid)ni^  t>om  QBaffer  tt)ünfd)t  unb  bic  lanbläufige  '^O^ei- 
nung  behauptet,  geben  gerabe  biejenigen  <S)icl)ter,  tt)elc^c 
bie  tiefften  6eelenftürme  erlebten,  bie  beften  '33eoba(i)- 
ter.  ^ie  berüt)mte  '33eobad)tung^gabe  großer  ©id)teir 
beftel)t  nämlic^  nic^t  in  einer  bewußten  "^lufmerffamfeit 
auf  t)ai,  toa^  au^er  i^nen  öorge^t;  oollenb^  t>a^  6tu» 
bienfammeln  unb  'S)ofumentenfd)nöbern  ift  ein  untrüg- 
licher Äeimatfc^ein  ber  Stümperei.  Q3iclmel)r  t)erl)ält 
fic^  bie  Sacf)e  fo :  ®ie  ^ufmerffamfeit  ift  nac^  innen 
gerid)tet;  n)äl)renbbeffen  läuft  aber  allerlei  ^iu^erlid)e^, 
Xlnertüünfc^te^  bem  ^ünftler  üor  taß  '33eobad)tung^- 
glaö,  n)ie  bie  S^liege  über  ta^  ^eleffop.  ®iefe^  Qlu^er- 
lirf)e  mirb  mit  bem  QSillen  befeitigt,  bleibt  aber,  n)ie 
überl)aupt  alles  unb  jebeö  unbett)u^t  im  @ebäcf)tni^  l)af- 
ten  unb  finbet  ftc^  bort  öor,  fallö  ber  ®id)ter  e^  fpäter 
SU  irgenbeinem  Swecfe  braud)t. 

9'Zun  befte^t  aber  t>a^  9}^er!n>ürbige  barin,  ba%  bie 
^äl)ig!eit  gu  folc^er  unben)u^ter  @ebäd)tniöaufnat)mc 
um  fo  großer  ift,  je  bemegter,  je  erfüllter  bie  Seele  fid^ 
in  bem  betreffenben  9}Zoment  befinbet,  ein  ©efe^,  beffen 
9ßal)rf)eit  Sie  im  £eben  an  fid)  felbft  erproben  fönnen. 
Q2Belcf)e  9}tenfcl)cn,  n)eld)e  9^aturf§enen,  n?elc^e  Örtlich- 
feiten  l)aftcn  am  lebt)afteften  in  3t)rer  Erinnerung  ?  (Sttt)a 
jene,  bie  Sie  abficf)tlicl)  beobad)ten?  §.  '33.  bie  Stäbte, 
bie  9)Zenfc^en,  bie  ©egenben,  bie  Sie  al^  müßige  ^ou- 
riften  in  *i2lugenfd)cin  nal)men?  @ett)i§  nicf)t,  fonbern 
im  ©egenteil,  jene,  an  tt)elcl)en  Sie  mit  teilnal)mötofem 
^Killen  vorbeigingen,  tt)äl)renb  3^r  ©emüt  öon  einem 

11* 


hU  <S)ie  '^erfi3nlicl)feif  De«  'Sicttere 

iüid^tigen  (Sreigniß  aufgerüt)i*t  XDav.  ^a«  mv  3.  ^.  auf 
einem  t)ui:cl)gel;ent)en  ^fevbe,  t)en  ^oS)  uoc  'ilugen, 
ii>al)rne^men,  bae  luirt)  t>om  ©et)äd>tmi3  big  in  t)ie  un- 
beDeutenöfte  (i'in5elt)eit  aufgefcl)rieben.  "^Itjnlid)  bei  ei- 
nem großen  6c^merje,  alfo  etn)a  bei  einem  Ceiögange, 
obcv  bei  einev  großen  '5reui)e.  Hnb  immer  lautet  ba^J 
©efet)  fo:  je  öoüftänbiger  bie  Seele  aufgerüttelt  unt) 
öer  ©eift  abforbiert  ift,  befto  fct)ärfer  tvirb  baß  3ufäl- 
lige  univillfürlic^  beobad)tet.  ®ie  Beobachtungsgabe 
beß  ®id)teri5  berut)t  alfo  gerabe  in  feiner  ^bU\)v  oon 
ber  9[ßirfUd)feit,  uerbunben  mit  feinem  ftarfen  3nnen- 
leben.  3ct5t  werben  fie  n)ol)l  aud)  begreifen,  i^arum 
t)en  profeffioneüen  9taturaliften  bie  6c^ilberung  ber 
QCßirflic^Ceit  fo  unenblid)  fc^toer  loirb,  unb  warum  ge- 
rabe  ben  3t>ealiffen  bie  geioaltigften  realiftifc^en  Qjßerfe 
gelingen,  roooon  S^nen  unter  anberm  ber  <5)äne  ^alu= 
ban  93^üller  ein  Beifpiel  gibt.  Um  ein  großer  9\ealift 
äu  werben,  mu^  einer  tief  nac^  innen  geblicft  t)aben- 
90^it  bem  lieblid)en  Bilbe  unferer  9;)^ufenalmanad)e, 
t)a^  unß  ben  5)id)tei;  barftellt,  wie  er  au0  olt)mpifd)en 
S^riftallaugen  bie  9catur  mit  überlegener  objeftioer  9\ul)e 
auffangt,  ift  eß  alfo  nid;ti^. 

Unter  wac^fenben  ©emütöor!anen  brid)t  fid)  enblic^ 
ein  ^rftlingöwerf  mit  Dulfanifc^er  ©ewalt  'Sa^n,  beffen 
(Erfolg  ober  93ZiBerfolg  nid^t  feiten  bie  ©efüt)li^[pl)ärc 
für  ta'6  gan^e  übrige  Ceben  beftimmt.  9)^i^erfolg  erzeugt 
entweber  (Entmutigung  ober,  \v>(i^  bei  ben  Sd^ten  bau» 
figer  oorfommt,  Q3erbitterung.  <S)aß  Selbftbewu§tfein, 
burd)  bie ^2lble^nung  mäd;tig  gefteigert,  fe^t  fid)  in  Oppo- 
fition,  unb  jcbe  '^iu^erung  erl)ält  fortan  einen  Beige= 
fd)macf  uon  ßeber.  Gelbft  Gt)araftergrö§c  fd)üt5t  nic^t 
baoor,  fallö  fid)  ber  ?D^i^evfolg  öftere  wieberl)olt,  wie 


1)16  ^crfönUd)!cit  ^C2!  5)irf)ferg  165 

mv  an  bcm  <53ctfpict  eine^  ber  ©rotten,  nämlic^  ©rill- 
par§cr^,  lernen.  QSer  ftd)  aber  barüber  auff)atfen  möc^» 
te,  ba^  ber  ?Oii^erf olg  eine  [otd)e  oerberbIid)c  9\ücfn>ir' 
!ung  bat,  anftatt  ba§  man  einfad)  mit  frof)em  ^Ü^ut 
n)eiterarbeitefe,  ber  »ergibt,  i>a%  ber  ^idjter  in  fein 
QSerf,  namentlid)  in  fein  ^rftling^mcr!,  feine  ganje  See- 
le ()ineinlegt,  n)e^l)alb  beffen  (5d)icffal  i^n  inö  Äerj 
trifft. 

93on  biefer  »erbitterten,  oerfannten  G^ejie^  brau(i)e 
id)  3f)nen  nic^t  n>eiter  ^u  reben,  benn  jebermann  gibt 
ju,  t>a%  nic!)t  leicht  eine  unumgänglid)ere,  unerquicf  lid)ere 
9?^enfct)enflaffe  gefunben  ttjerben  fann,  al^  ber  ücrfannte 
ober  ber  fid)  t>er!annt  gtaubenbe  ^oet. 

S^at  umge!et)rt  Erfolg  ftattgefunben,  bann  ertt>artet 
t>aß  ^ublifum  einfach  bie  <3^ortfe^ung  unb  njirb  irre, 
wenn  fie  ausbleibt.  6ie  bleibt  aber  meiffen^  jal)retang 
aug  unb  mu^  e^  bleiben,  n^eil  §n?ifd)en  inftinftiüer 
eruptioer  (Sinmalfd)öpfung  unb  bett)u^tem  ftätigem 
5?unftn)irfen  ein  gett)altiger  ilnterfd)ieb  unb  eine  tüeitc 
.^luft  beftet)t.  3e^t  t)ei^t  eö  erft  feften  ^u§  in  ber  ^unft 
faffen,  fic^  in  allen  'formen  umfet)en  unb  ba^jenige  @e- 
biet  finben,  in  n)elc^em  bie  gegebene  Snbioibualität  t><x^ 
5böd)fte  leiften  n)irb.  (Jine  fd)n)ere  imb  bange  "Aufgabe, 
bie  nur  mittele  *5^el)lt>erfuc^en  unb  unermüblic^er  Q5>il- 
len^fraft  gelöft  n>irb.  Sin  ^albe^,  oft  ein  gonget  3«^r-- 
5et)nt  !ann  barüber  l)ingel)cn. 

S^at  enblid)  ber  einzelne  basjenigc  ^clb  crfannt  unb 
erobert,  auf  n)eld)em  er  fortan  alö  iberr  unb  93^eiftcr 
fc^alten  tt)irb,  bann  beginnt  erft  red)t  t>xe  *21rbeit.  Sine  fe- 
iige, beneibenön)erte  *52lrbeit,  tt)eil  (Srntearbeit,  aber  eine 
Qlrbeit  bon  einer  3ntenftt>ität  tt)ie  feine  anbere.  llnb  tt)ot)l- 
üerftanben :  t)or  jebem  neuen  QKer!  mu^  n)ieber  t)on  t)orne 


166  ^ic  ^crfönlid)feit  t)e0  0id)terö 

angefangen  unt)  um  bie  ^yorm  gerungen  tt>ert)en.  €^ 
gibt  feine  9?teifter  im  populären  Ginn,  fo  nämlic^,  ba^ 
einer  feine  5lunft  ein  für  aUemal  im  reinen  i)citU. 
Gelbft  ein  Sd)iUer  5n)ang  jebe^  feiner  '5)ramen  nur  mit 
^üt)  unt)  6orgen.  llnb  Ijinfort  wirb  biö  jum  testen 
"•^Itemjug  bie  *2lrbeit  nid)t  met)r  rut)en.  <5)enn  tr>en  un- 
fterbUd)e  9?^otiDc  i)cimfud)en,  bem  ftet)t  e^  nid)t  frei, 
fic  anjunc^men  ober  fie  abjule^nen  ober  aud)  nur  fic 
auf5ufcl)ieben.  £r  mu§  fie  in^  QBerf  fe^en,  unb  ob  t>a' 
bei  fein  arme^  £eben  jugrunbe  ginge,  ^ei  fold)en 
5?ünfttern,  beren  Q3egabung  eine  reidje  ift,  it)irb  beöl)alb 
ber  ^robuttionötrieb,  njenn  einmal  bic  entfpred)cnbe 
5tunft  ber  ^Jlu0füt)rung  ern>orben  ift,  ein  gerabeju  fie- 
berl)after. 

'iHlfo  eine  rut)elofe,  menn  auc^  feineötvegö  freubenlofe 
*2lrbcit  t)on  beifpiellofer  "iHnfpannung  bi^  jur  Q3efeffen' 
l)eit,  t>a^  ift  bie  '53ebingung  be^  5?ünftler^  unb  0id)ter^ 
großen  (BüU.  (Jntweber  Offupation  ober  ^räoffupa- 
tion,  niemals  üöUige  ^aufe.  Slönnen  6ie  nun  hoffen, 
mit  einem  berart  in  fein  ßebenömerf  gefangenen  '^Im- 
fd^en  gebcil)lid)en  Umgang  ^u  pflegen?  mit  it)m  su 
„fd)n)ärmen"  ober  il)m  überf)aupt  nur  für  irgenb  ettva^ 
anberee  ein  tiefere^  3ntereffe  einzuflößen  ?  Unmöglid). 
0^ücffid)tßloö  n)irb  er  entfernen,  ja  nötigenfalls  ä^rftö- 
rcn,  tt)aS  it)n  ^emmt:  9D^enfd)cn  unb  Q3ert)ältniffe.  Unb 
mit  9\ed)t.  CDenn  93cenfd)en  unb  93ert)ältniffe  t>ergef)en, 
fein  Q53erf  aber  foU  bleiben,  ©aburd)  !ommt  er  frei-- 
1x6)  in  ben  9^uf  beS  (JgoiömuS,  wk  übrigen^  jeber 
fleißige  9?ienfd).  Äätten  tt)ir  nur  t>iel  oon  bemjenigcn 
(Egoismus,  ber  fid)  einem  ibealen  Qßerf  opfert!  ^Ü^it 
n)eld)er  9^aturgen)alt  aber  bei  encrgifd^  probuftiuen 
^ünftlcrn  baS  jeweilige  '^lrbeitStl)ema  ben  9}^enfd)en 


•Sic  ^ecfönlid)feit  t>e^  «Siebter»  167 

gefangen  nimmt  unt)  für  alieQ  andere  oerftocft  unl)  t>er- 
btcnt)et,  t>afür  bcfi^en  xt>\v  einen  t)übfcfeen  ^Hu0t)ru(f  üon 
93alaac.  *2Il^  i^m  einmal  ein  ^yreunt)  wichtige  9cad)nd)- 
ten  brarf)te,  unterbrach  er  it)n ;  ,,6pred}en  mx  lieber  V)on 
ber  QSir!lic^!eit",  fagte  er  unb  fing  an  t>on  einer  feiner 
9?omanfiguren  ju  reben.  <S)a^  trifft  ben  9Zagel  auf  ben 
Äopf :  bem  ^ünftter  unb  •5)irf)ter  großen  Sc^lage^  ift  fein 
QKerf  Q[ßir!tid)!eit,  ade^  anbere  t)er{)ängt  ein  6d)teier. 
9^id)t  ettua  tt)egen  „*33egeifterung";  benn  ein  großer 
©eift  ift  nie  ,,begeiftert",  fonbern  wegen  ^flid^tgefüt)! 
ober  rid)tiger  tvegen  beö  '33en)u^tfeinö  beffen,  wa^  er 
tun  fann  unb  be^^alb  tun  mu^. 

Snbem  icf)  bem  ©id)ter  *33egeifterung  abfprec^e,  mu^ 
id)  njo^l  biefe^  ^arabojon  etnjaö  erftären.  €rf)ebung 
unb  gtüar  i)ot)e  Srt)ebung  finbet  gett)i^  ftatt,  ja,  fte  bit- 
tet bie  ©runbbebingung  beö  Sd^affenö,  allein  nur  in 
ber  allcrerften  Seit  tt>irb  biefe  al^  Sjaltation  empfun- 
ben,  fpäter  lebt  ber  probuftitje  Äünftler  berma^en  mit 
ber  ^t)antafie  beftänbig  in  ber  Äöl)enluft,  t>ci%  eine 
6teigung  öon  it)m  felber  nid)t  met)r  n)at)rgenommen 
n)irb.  Selbft  bie  Q3ifton  ober  ^onjeption  ober  toic  man 
ben  plö$lid)en  ^eimpro^e^  ber  geiftigen  6d)öpfung 
fonft  nennen  toill,  ftetlt  ftd)  n\6)t  mel)r  unter  grfd^ütte' 
rungen  be^  ganzen  '5D^enfd)en  ein,  n)ie  in  ber  erften  3u- 
gcnb,  fonbern  nur  unter  feelifd)em  '33ilbglan5,  burd^ 
tt)elcl)en  eine  tiefe  Traurigkeit  gittert  ©enn  alle  QSal)r-- 
^eit,  oon  ber  Äöf)e  be^  Ceben^  gefcl)aut,  ift  traurig,  unb 
bie  Q3ifionen,  t>k  f\6)  bem  ertt)ac^fenen  <5)id)ter  aufbrän» 
gen,  tragen  t)a^  ^otenl)emb  begrabener  Hoffnungen. 
Gid)  innerlich  auf3ufd)tt>ingen,  um  in  ben  ßüften  nad) 
Einfällen  ju  jagen,  t>a^  fällt  feinem  9i)Zeifter  ein;  ber  i)at 
genug  ju  tun,  bie  oon  felbft  auferfte^enbcn  ^oten  teil^ 


168  0ie  l>crfönlid)feit  beß  <S)id)fer^ 

ju  bannen,  teil^  ju  befriebigen.  QBic  sDbpffeus  in  t>er 
Äöf>lc,  (ilß  bie  6d)atfen  if)n  beftürmfen,  um  Ceib  unb 
^ebcn  betfelnb,  fo  t)a%  er  fid)  i{)rer  mit  bem  3d)tt)ertc 
crmct)ren  mu§fe.  ©ie  meiften  Sd)atten  laffen  [ic^  ah' 
n)et)ren,  einige  üon  i{)nen  aber  tverben  fo  jubringlid^, 
fo  läftig,  fo  brol;enb,  tta^  i()re  tyorberung  bett)inigt  wer- 
ben mu§.  ©aö  finb  bie  6toffe,  X>k  man  tt)irflic^  au^- 
fü^rt,  t>a&  n?erben  bie  9?üd)er,  bie  man  fc^reibt.  "^luc^ 
n?ä{)renb  ber  "'^lu^füf)rung  üerfagt  fid)  ber  9)^eifter  ben 
©enu§  ber  ^egeifterung  an  ben  eigenen  Silbern.  6toff 
unb  ^^Irbeit,  Aufgabe  unb  Cöfung,  \)a^  ftnb  feine  Kate- 
gorien; rid)tig  unb  genau  ju  ootlfertigen,  n^a^  bie  Äon» 
jeption  er^eifd)t,  ift  feine  bange  Sorge.  QBa^  an  Sc^ön- 
f)eit  babei  abfällt,  {)eimft  er  eifrig  ein,  aber  oi)m  fx6) 
babei  aufauljalten,  oi)ne  e^  auf^ufoften,  n?ie  eg  ber  9ln- 
fänger  tut,  unb  n)ie  e^  fpäter  ber  ©enie^enbe  tun  tt>irb 
unb  tun  fotl  unb  barf ;  n^eil  aller  '5ortfd)ritt  barauf  be- 
rut)t,  t>a%  t)a§  (grftaunlid)e  at^  felbftoerftänblid)  emp- 
funben  njerbe.  <S)aö  ganje  93erl)ältni^,  ic^  meine  ben 
ilnterfd)ieb  3n)ifd)en  ber  poetifd)en  0d)n)ärmerei  beö 
^Infängerö  unb  ber  S^altbtütigfeit  beö  93^eifterö  ange- 
fic^t^  ber  entjücfenbften  93ifionen  i)at  Ca  'Bru^ere  fe^r 
fd)ön  in  folgcnbem  ^arabofon  auögebrücft :  „0er  lln- 
terfd)ieb  jtoifc^en  einem  ©enie  unb  einem  ^fufc^cr," 
fagt  er,  befte^e  barin,  „t)a%  ber  ^fufd)er  fid)  bemül)t,  er- 
l)abcn  5u  fein,  n)äl)renb  t>a^  ©enie  fid)  bamit  begnügt, 
ejaft  fein  ju  tootlen."  3d)  möchte  3l)nen  nod)  folgenbeö 
erflärenbe  'Sitb  empfef)ten :  ber  0id)ter,  ber  fid)  begei- 
ftert,  mal)nt  mic^  an  ben  Stnaben,  ber  an  ber  9}^auer 
einc^  QSeinbcrge^  bie  öerätDeifeltften  Gprüngc  au^fül)rt, 
um  töomöglid)  zufällig  eine  Traube  l)erunterjurei§en ; 
toer  bagegen  gro§  genug  ift,  um  an  bie  9\ebftöcfe  l)inan= 


®ic  <^erföntid)!cit  t)c^  ©ic^terö  169 

jureid)en,  t>er  iPäljlt  fid)  feftcn  Stanbe^  mit  fc^arfem 
'2luge  t)ie  fc^önften  ^luitaUUev,  unb  feine  Sorge  ift 
t)auptfäd)lid)  darauf  geri(i)tet,  t)a§  beim  ^flücfen  feine 
beeren  verloren  gefjen. 

xO^it  einem  fold)en  ru()etofen  QBeben  unb  Sd)affen  in 
ber  Spt)äre  be^  ©emüt^  unb  ber  '^f)anfafie  fmb  aber 
fd)tt)ere  Störungen  beö  Temperamente  unb  be^  9^er- 
oenfpftem^  gan^  unoermeiblic^.  ©a^  fann  nur  ber  be- 
streiten, ber  nid)t  tt>ei§,  n?a0  ^f)antafiearbeit  f)ei^t,  ober 
ber  ftd)  in  eine  entgegengefe^te  ^t)eorie  öerrannt  f)at. 

^u^  mi^oerftanbenen  Q3eifpieten  f)at  man  nämtic^ 
t)erfud)t,  ein  ßoangelium  ber  @efunbf)eit  unb  ^raft  mit 
obligatorifc^er  Äpgiene  für  ben  ^xd)Uv  gu  öerfaffen. 
^xt  @efunbt)eit  unb  ^raft  ber  Ä'unft  erflärt  ficf)  tvot^i 
jeber  einöerftanben.  9iber  robufte  ^ünftler  unb  ®id)ter 
mit  Äausfned)tenerüen,  ift  ein  ©ing  ber  Unmöglid)!eit 
<5)amit  mad)t  bie  9tatur  einen  ^ompier  ober  Kanonier, 
aber  nic^t  einmal  einen  großen  Kapitän,  ^lejanber, 
9^apoteon  unb  t^^riebrid)  ber  ©ro^e  geigen  ebenfalls 
nerüöö-fentimcntale  ®t)mptome.  Solange  bie  Qßelt 
ftel)t,  tt>erben^{)antafiemenfd)en  fd)n)ere  neuraftl)enifc{)e 
Störungen  aufnjeifen.  S^  tut  mir  leib,  t>a%  eö  fo  ift, 
aber  e«  ift  fo.  Hnb  niemanb  foU  mir  einn)erfen,  ta%  ba^ 
bei  ben  ganj  ©ro^en  anberö  n)äre.  ©ante  ift  tt)ot)l  mei- 
net QBiffeng  aud)  ein  gang  ©ro^er;  aud)  tt)irb  fc^tDer- 
lid)  jemanb  feine  Äunft  eine  ungefunbe  nennen.  9^id)tö= 
beftott)emger  njürbe  er  ^eutjutage  nad)  ber  mobernen 
@efunbf)eit0tl)eorie  toegen  feiner  Äallujinationen  unb 
feiner  Ol)nmad)ten  ein  „erbärmlid)er  Sc^n)äd)ling"  t)ei- 
^en  unb  energifd)  mit  Äalttt>affer  bel)anbelt  n)erben. 
6^afefpeare,beffen^unftbod),n)ieid)oernomment)abe, 


170  ®tc  ^crfönlic^teit  bc^  «Sic^tcr^ 

cbcnfo  fräftig  al^  gefunt)  ift,  tuurbe  iüegen  feiner  per- 
fönlid)en  ,,Gü^lid)feit"  öerfpotfet.  ^em  tpürben  unfere 
Äraftfritifer  unfe()lbar  ÄoIjfpaUen  üerorbnet  t)aben. 

©ie  mint)efte  (Sinfid)t  in  t)en  men[d)lic^en  Organi^* 
mug  reicht  übrigen^  t)in,  um  ju  erraten,  t)a^  bem  aud) 
gar  nic^t  anber^  fein  !ann,  "Oaf^  fortgefe^te  fonjentrierte 
^^antaftetätigfeit,  überbieö  mit  ©emütgaffeften  tom- 
plijiert,  unöermeiblid)  pat^ologifc^  ftimmen  mu^.  6d)on 
angeftrengte  ©eifte^arbeit  fte^t  ja  bei  ben  'llr^ten  in 
fatalem  ^rebit;  unb  ein  ferngefunbeö  9^ert>enf^ffem, 
tt>ie  man  e^  bem  Äünftler  gumuten  möd)te,  i)at  übcr-- 
t)aupt  blo^  ber  9}^uöfetarbeiter.  9?^et)rere  bebeutenbe 
©enfer,  barunter  ber  ^t)ilofopi)  Co^e,  ^aben  außge« 
fproc^en,  t>a%  üom  fanitarifc^en  Gtanbpunftc  au^  ber 
©eift  al^  ein  unnü^er,  n?enn  nid)t  fc^äblid)er  6d)ma- 
ro^er  be^  ^örper^  hitvaö^Ut  tt>erben  muffe. 

Q3on  ber  ^t)antafte  aber  gilt  t>a^  in  ungleid)  t)öt)erem 
©rabe:  red)net  bod)  einer  ber  berüf)mteffen  franjöfi- 
fc^en  ^fpc^iater,  nämlich  9Jiorau  t>on  ^our^,  jebe 
^^antaftetätigteit  fd)on  unter  bie  franfi)aften  fcelifd)en 
Suftänbe.  00  er3ät)lt  er  oon  einem  ^ranft)eit^faa,  in 
n)eld)em  ber  Patient  abtx)efenbe  ^erfonen  nac^  93elie- 
ben  fic^  i)ah^  üorftelten  fijnnen,  mit  allen  ßin5elf)eiten 
ber  ©efic^töjüge.  ^Ifo  ^ai  einfädle  (Srinnerungööer- 
mögen  tt)irb  oon  bem  Äerrn  ^o!tor  fd)on  al^  Geelen« 
ftörung  aufgefaßt.  <5)a§  einem  bie  ©eliebte  in  rofigem 
Gewimmer  unb  golbenem  6d)ein  ftra{)lt,  jät)It  er  unter 
eine  beftimmte  9^ubrif  ber  ©eifteöfran!l)eiten :  unter  bie 
(Erotomanie.  QBie  übertrieben  unb  abertt>i^ig  eine  folc^e 
p^pd)iatrifd)e  ©enbarmenfritif  fein  mag,  fo  ^eigt  fie  un0 
boc^  ben  Qißeg,  auf  tt)elc^em  n)ir  tuanbeln :  xoo  immer 
ein  9}^enfd)  üoraug^meife  ein  ^bantafieteben  ^tatt  ein 


0ic  ^erfönUrf)fcit  be^  '5)id)ter0  171 

nad)  au^en  gerid)tete^  fü{)rt,  ba  bctoegt  er  fid)  fd)on  in 
ber  9\id)tung  jur  5^ranf()eit;  einftn^eilen  ^a^it  er  ber 
9^curafti)enie  mit  aüen  ii)ren  tyolgen  einen  reid)en  Tri- 
but. (Sin  5Cünftler  unb  met)r  nod)  ein  <5)ic^ter,  toä^renb 
er  mit  einem  großen  QSer!  befct)äftigt  ift,  ftet)t  unter 
ben  93ebingungen  jener  ©eifte^fran!en,  tt)etd)e  ein  foge- 
nannteö  Doppelleben  füt)ren.  £ange  3eit  mag  ber  93er- 
fto^  gegen  bie  9^atur  ungeftraft  bleiben,  e^  genügt  aber 
oft  eine  Kleinigkeit,  ein  äußerer  Sc^irffalöfc^lag  ober 
ein  beprimierenber  ©emütöaffeft,  um  plö^lic^  bie  ©ei- 
fteöftörung  öffentlid)  gu  bofumentieren.  <3)ie  Citeratur-- 
gefd)ic^te  gibt  unö  leiber  nur  allju  l)äufige  ^en>eife 
()ierfür.  ©od)  mu^  man  fid)  ja  x>ov  einer  Q3ern?erf)felung 
l)üten :  ©enie  an  unb  für  ftd)  ift  nid)t  Q[ßaf)nfmn,  fon- 
bern  im  ©egenteil  au^erorbenttic^er  ^ieffinn  unb  Gc^arf- 
finn,  tt)ie  benn  bie  großen  '5)id)ter  immer  §ugleic^  bie 
beften  sS)en!er  gettjefen  finb.  -21ber  bie  Betätigungen  be^ 
©enieö,  biefe  unau^gefe^te  ^räoüupation,  biefeß  an- 
gefpannte  '^l)antafieleben,  biefe  angeftrengte  Q^iefen- 
arbeit  füt)rt  burc^  bie  Stationen  ber  9teuraftl)enie  unb 
Äpfteric  leicht  jur  Störung  beg  geiftigen  ©leic^gen?id)tcö. 

QBenn  Sie  einem,  ber  bie  oerf<i)iebenften  ©eifte^ar- 
beiten  üerfud)t  unb  öerglic^en  t)at,  ein  Urteil  au^  feiner 
eigenen  (Srfa^rung  erlauben  looUen,  fo  geftatte  id)  mir 
bie  Bemerfung,  t>af^  bie  !leinfte  bid)terifd)e  ^robuftion, 
unb  flöffe  fie  auc^  nod)  fo  leicht  unb  fc^nell  unb  fc^ein- 
bar  ot)ne  ©emüt^affeftionen,  bie  9^eroen  met)r  erfc^öpft 
al^  tagelange  fon^entrierte  Denfarbeit. 

Seber  ®id)ter  tt)irb  alfo,  oorau^gefe^t,  t>a%  er  ener- 
gifc^  mit  großen  'planen  umgebt,  me^r  ober  weniger 
bie  Symptome  eineö  9^ert>en!ranfen  auftt)eifen.  <S)arau^ 
er!lären  fid)  feine  berüt)mten  „unbegreiflichen"  Sd)toä- 


172  ^ie  ^crfönlic^feit  t»e^  ©ic^ter« 

d)en.  3^m  biefelben  jum  93orn)urf  ^^u  mad)en,  iff  fo  gc- 
fd)eit,  al^  n>cnn  man  einen  Golbatcn,  t)er  eine  QSunbe 
inö  'i^ein  erf)atfen  ^at,  barum  tabeln  tvoUte,  ba^  er 
fd)tt>anft. 

"JreiUd)  eine  Quelle  be^  ©enuffeö  für  bie  9^ebenmen- 
fd)en  ift  biefe  !ran(^afte  9^eijbar!eit  !eine^tt)egö,  eben- 
fon)enig  tt)ie  ber  Umgang  mit  einer  t)i)fferifd)en  'Jrau. 

3d)  \)cibe^  mid)  nun  oft  gefragt,  ob  bie  9\eijbarfeit 
be^  ^ünftler^  irgenbmelc^e  fpe5ififd)e  9)^er!male  trage, 
bie  oon  ber  allgemeinen  nert>öfen  O^eigbarfeit  ftc^  un« 
terfd)eiben.  Q?ietleic^t  fönnen  mir  ein  fold)eö  fpe§ififd)e^ 
^erfmal  in  ber  9?ca^tofigfcit  unb  9^ad)l)altig!eit  ber 
9\eaftion  auf  äußere  (Jinbrürfe  erblicfen.  C^in  ^abet, 
eine  unmill!ürlid)e  93ernad)läffigung  mirb  at^  töblid)e 
Q3eleibigung  empfunben,  ein  fdjnöbe^  QS^ort  milt  nid)t 
au^  bem  ©ebäd)tni^  meid)en,  mo  e^  t)ielmel)r  t)on  ^ag 
ju  "^ag  größere  ^ro^?ortionen  annimmt.  Hnb  ät)nlid)e^ 
met)r,  ja  hiß  jum  Q3erfolgungön>al)nftnn ;  mie  mir  e^  in 
©oetl)e^  ^affo  tefen  unb  in  ber  Qßir!lid)!eit  erleben. 

®ie  pfpd)ologifd)e  (?r!tärung  f)ierfür  ift  teid)t  ju  fin- 
ben.  (SmpfinbfamiEeit  fann  nid)t  ol)ne  Smpfinblid)!eit 
bcftc^en;  haß  ©emüt  beö  0ic^ter^  t)at  haften,  tt)eld)e 
leid)ter  anfd)lagen,  unb  Gaiten,  metd)e  länger  nad)!lingen 
at^  t>a&  beim  9^ormalmenfd)en  ber  ^all  ift.  9lud)  mu^ 
berjenige,  beffen  Ol)r  gemol)nt  ift,  ben  ©efpräc^en  t>on 
^f)antaftegeftalten  ju  laufd)en,  bie  mirflid)e  materielle 
9\ebe  be^  9^ebenmenfd)en  alß  einen  gemaltfamen  Sin- 
griff mat)rnet)men.  Sr  mirb  fid)  auf  6d)ritt  imb  ^ritt 
beleibigt  mäl)nen  unb,  inbem  er  feinerfeits  gegen  Der- 
meintlid)c0  ÜbelmoUen  reagiert,  üielleid^t  ungerecht  mer- 
ben.  Äier  l)aben  Sie  ein  '^eifpiel,  mo  bie  9^euraftt)enie 
ben  Cl)arafter  alteriert. 


©ie  ^crfönlid)feit  bc«  ®ici)terÄ  173 

^(9d)ologifd)  intereffant,  tveil  auf  t)eu  evften  ^ixd 
unbegreiflid),  ift  t)ie  Hinneigung  jur  ^aftlofigfeit,  üon 
n)eld)er  n>ir  feit  öimonibe«  über  Oöit)  biö  9\ouffeau 
unt)  in  unfere  '5:age  merfn)ürt)ige  ^eifpiele  t)aben.  93tan 
foüte  meinen,  t)a§  t>er  feinfinnigften,  vpeiblid^ften  '3}^än- 
nerflaffe  nid}t«  fo  fern  liegen  foUte  alg  ^aftlofigfeit. 
^lüein  ebenfofet)r  tt)ie  ©efü{)l2Sptumpt)eit  fann  @efüt)l^= 
raffiniertt)eit  ^^aftlofigfeit  erzeugen,  tpeil  "^att  t)ie  Über- 
einftimmung  einer  ^u§erung  mit  t)em  mittleren  tem» 
perierten  ©efül)l  t)e^  normalen  9^ebenmenfd)en  bet)eu-- 
tet  QÖßeffen  eigene«  @efül)l  oon  t)iefer  mittleren  ^em-- 
peratur  abweidet,  fei  es  nun  nad)  oben  ober  nad)  unten, 
ber  wirb  ben  jetpeiligen  ©efül)löäuftanb  bes  9ieben- 
menfd)en  nid)t  erraten  unb  fid)  bemjufolge  unange» 
meffen  äußern.  <S>e0l)alb  ift  mit  (Sinfamfeit  faft  immer 
einige  ^aftlofigfeit  oerbunben. 

Q3on  Äünftlern  unb  <5)id)tern  ju  reben,  ol)ne  il)re 
fprid)n)i5rtlid)e  (Sitelfeit  ju  erwähnen,  möd)te  manchem 
al^  ein  grobes  Q3erfäumms  oortommen.  3cl)  geftef)e  in- 
beffen,  i^a}^  ic^  biefe  Ccigenfd)aft  bei  ©roBen  nid)t  l)abe 
beobachten  !önnen  unb  t)alte  ben  Q3orn3urf  öielme^r 
für  einen  ^usflu^  t)on  '5}^i^t)erftänbniffen  unb  aud)  ein 
tpenig  oon  Q3osl)eit. 

QKa^  ift  €itelfeit?  (Sin  6id)=jugute--tun  auf  feine  ^ri» 
öatperfon.  9^un  tt)iberfpric^t  fd)on  bie  ^atfact>e,  t>a% 
gro^e  ^ünftler  fic^  in  t)xt  ßinfamfeit  gurücf jiel)en,  ber 
ßitelfeit  ©enn  eitle  93^enfc^en  brauchen  ©efelligteit, 
um  fid)  berounbern  ju  laffen. 

QSßill  man  aber  mit  bem  93orn)urf  ber  (Sitelfeit  ^u 
oerfteben  geben,  t>a%  Tutoren  gerne  oon  il)ren  QBerfen 
rcben,  ba^  t>(i^  £ob  berfelben  il)nen  tt)ol)ltut,  bie  QSer= 
werfung  berfelben  fte  fd)merät,  t>a}}  fie  fid)  überl)aupt 


174  «Sic  ^erfönlid)feit  bcß  '5)id)tcr0 

angclegcntlid)  um  t)ie  Q©ertfd)ä^ung  i^rer  Cciftungen 
t)ur6  bic  9^^itn)elt  fümmern,  fo  tt>irt)  jtDar  bic  "5:atfad)c 
jutreffen,  nid)t  aber  ber  93ortt)urf.  ''2lbgcfct)en  baoon 
nämlic^,  ba^  6elbftben)u^tfein  über  eine  brabe,  trjxd)- 
tige  unb  mü{)fam  gefc^affene  ßeiftung  nirf)tö  (Sitle^,  fon- 
bern  t>ielmef)r  ettvaß  9}^ann{)afte^  ift,  fo  befunbet  bie 
£uft,  t)on  bcm  ju  reben,  xoai  einem  ba^  '3Bid)tigfte  ift, 
h)aö  bie  ©ebanfen  erfüllt,  einfad)  9caioität.  <5)er  ©icf)- 
ter  rebet  gerne  t)on  bem  9[9er!e,  baß  i^n  eben  befc^äf= 
tigt,  mic  eine  9?cutter  oon  einem  ^inbe,  t>aß  \i)v  Gorge 
mad)t. 

9?Zit  ber  angelegentlichen  Q3eforgniö  um  ben  9^u^m 
ber  QBerfe  aber  i)at  eö  eine  fef)r  ernfte  '53etr>anbtni^. 
9?ergeffen  Sie  nid)t,  ttaf^  jeber  5\ünftler  unb  <S)ic^ter 
Grandissimo  gegen  Nullissimo  fpielt  Sntweber  er  ift 
aüeö,  ober  er  ift  gar  nid)tö;  benn  ein  ^cittlere^  gibt  e^ 
^ier  nid)t.  9^un  ift  niemanb  feiner  felbft  unb  be^  QSer- 
teö  feiner  ßeiftungen  fo  fid)er,  t>c%  er  nid)t  Stunben 
fd)n)eren  Sweifelö  ober  felbft  ber  Q3erjtt)eif(ung  !often 
mü^te.  S:)at  bod)  felbft  ^eetl)0t»en  Seiten  gel)abt,  in 
welchen  er  feinen  anbern  ^roft  fanb  al^  ben,  tfa%  xt)m 
ein  ^ta^  in  ber  ^[Rufügcfc^id^te  njerbe  muffen  einge- 
räumt n)erben.  Um  baljer  ber  bangen  3vt)eifel  auf  im-- 
mer  tebig  n)erben  gu  fönnen,  bebarf  jeber,  t>a%  ber  6prud) 
feinet  6elbftben)u^tfein0  t)on  feinen  Seitgcnoffen  un- 
terfc^rieben  tt)erbe.  ©arum  aud)  bic  fürd)terlic^e  9\ücf-- 
tüirfung  ber  9'Jid)tanerfennung.  <S)enn  in  biefem  ^aU^ 
fann  ber  ©laube  an  fict>  felbft  nur  um  ben  fd)tt)eren 
^reiß  ber  'tOtenfd)ent)erad)tung  aufred)ter^alten  xvex- 
ben.  9D^an  fei  bal)er  mit  bem  Q3orn?urf  ber  (Jitelfeit 
etxva^  t?orftd)tiger.  Übrigen^  berul)t  nad)  meiner  9[)cei- 
nung  bie  Popularität  biefeö  Q3orttJurf^  einfad)  auf  ei- 


^ic  ^erfönlid)fcit  be^  ®id)ter^  175 

ner  Q3ertt)ec^felung.  9tämlid)  nid)t  t)ic  Äünftler  unt)  <5) ic^- 
ter  jtnt)  eitel,  fcnbern  getpiffe  .klaffen,  bie  burc^  perfön- 
lic^e  QSorftcüung  xvxxUn  unt)  bie  ba«  Q3otf  irrtümlich 
„Äünftler"  nennt:  Sd)aufpieter,  Opernfänger  unb  3ir- 
fueleute,  überbie^  —  unb  nid)t  am  tpenigften:  bie  f)o6)' 
geei)rtcu  ^Derren  Dilettanten. 

•"^luc^  t>om  9^eib  mu^  ic^  t)k  'S)ic^ter  freifpred)en. 
^enn  mir  jemanb  oon  einem  bebeutenben  "Tlutor  be- 
richtet, ta%  er  einen  anbern  beneibe,  fo  fage  \6)  unbe= 
benflic^ :  „^a^  ift  nicf)t  n)al)r",  and)  n)enn  i6)  il)n  gar 
nicf)t  fenne.  Denn  tt)0  tt)af)re^  Talent  tt?altet,  ba  ift  auct) 
bie  QSertfc^ä^ung  frember  Ceiftung  fo  mäcf)tig,  t>a%  tia^ 
©efül)t  für  il)ren  93erfaffer  baöjenige  ber  '!ncl)tung  unb 
ber  ^reunb'fcfjaft  fein  mu§.  Q3er^e^en  fann  man  freiließ 
burc^  fünfte  ber  Sntrigen  unb  ber  parteiifcl)en  Unge» 
recf)tigfeit  einen  gegen  ben  anbern,  n)ie  man  "^Q^enbelö- 
fof)n  unb  Scl)umann  t>erf)e^t  f)at,  allein  and)  bann 
fommt  e^  blo^  5U  einer  gctpiffen  'iHnimofität,  bie  fo- 
gteic^  fcf>n)inbet,  njenn  bie  l)e^enbe  9}^eute  nacl)lä§t, 
njenn  bie  beiben  '^Betreffenben  fiel)  allein  gegenüberftet)en. 
Die  ©efcf)ic^te  ber  ^unft  unb  Literatur  legt  t)on  großer 
Kollegialität  glänjenbe  Seugniffe  ah.  93ergleict)en  Sic 
g.  'S.  bie  93^aler  unb  Dichter  ber  "xRenaiffance  mit  ben 
Äumaniften,  fo  tt)erben  6ie  finben,  t)a%  cg  nic^t  bie 
.^ünftler  unb  Dicl)ter  ftnb,  bie  fic^  l)affen,  beneiben  unb 
fcbäbigen,  fonbern  eine  anbere  ftaatlict)  beoorjugtere 
9}cenfci^enflaffe. 

Hnenblid)  öiele^  get)örte  noc^  üon  wegen  be^  ^f)emag 
{)ierl)er.  3-  'S.  bie  Erörterung,  tt)arum  mv  bei  Künft- 
lern  unb  Dicl)tern  fo  l)äufig  bie  fogenannte  Sinnlichkeit 
(ricl)tiger  bie  ^l)antaftebetörung  burc^  Scl)önl)eit  ber 


176  0ic  l>erfönlic^fcit  beö  0id)tere 

iveiblid^en  ^orm)  treffen,  eine  ^ragc,  n)etd)e  uns  auf 
ben  oufamment)ang  ber  ^{)Qnfafte  mit  bem  erotifdien 
9iert)enfpftem  füt)ren  tDüröe  unb  tt)eld)e  oon  9cie^fc^e 
ebenfo  bünbig  at^  rid)tig  beanttvortet  tüorben  ift. 

9lüein  meine  ^rift  ift  um.  iD()ne!)in  fann  t>aQ  ©efagte 
genügen,  um  3^nen  anjubeutcn,  luarum  id)  ben  i)ah\tu- 
eilen  Umgang  mit  t)ert>orragenben  0td)tern  md)t  für  ein 
93ergnügen,  fonbern  für  eine  fd)tt>ere9lufgabcf)alte.  3u- 
gleich  aber  au6)  für  eine  ernfte.  ®enn  man  fann  tief  »er- 
le^en  unb  llnerfe^tid)e^  gerftören.  Schonung  ift  uncrtä^- 
tid).  9}Zanfd)ulbetfie5tt)arnid)t.  0enn  ben  Slünftlernatu- 
ren  ^uönat)möred)te  5U5ugeftef)en,  ^a^  gäbe  eine  faubere 
©eniett)irtf^aft!  QSo  aber  einem  ®id)ter  au^  freien 
6tücfen  Sd)onung  juteit  tvirb,  fei  es  t>on  feiten  eineö 
licbenben  QSeibe^  ober  eines  t)od)finnigen  9)^aecena^ 
ober  einer  gro^t)er3igen  9Zafion  ober  ©eneration  {mc 
fie  ^ranfreid)  mit  9\ouffeau  übte),  t)a  toei^t  ben  eblen 
nad)fid)tigcn  '^Befc^ü^ern  bie  ©efc^id)te  ii)ren  fc^önften 
Gegen.  <2ßer  aber  nic^t  oom  Sd)idfal  ben  'Seruf  erf)alten 
f)nt,  fid)  mit  biefer  9?cenfd)enf laffe  abzugeben,  ber  bleibe 
beffer  ferne,  eingeben!  be^  tveifen  6prid)n?orte^  unferer 
9^ad)barn :  n?eit  oom  ©'fd)ü^  gibt  alte  S^rieg^leut.  9^äm' 
lid)  nid)t  blo^  Sd)onung  bebürfen  bieCiteraten;  fonbern 
CS  ift  i()nen  au(^  ^ebürfni^,  anberc  nid)t  ju  fd)onen.  9}Zit 
beutlid)en  QBorten:  fie  n)erben  manchmal  red)t  grob. 

ßine  '2lußnat)me  nur  mad;e  id):  bie  Äerren  Ä'oüegen. 
®icfc  tuerben  burd)  ben  Umgang,  fei  er  nun  oorüberge- 
^enb  ober  bauernb,  Unerfetjlid^eö  gewinnen,  burd)  gegen« 
feitige  91'^itteilung,  'Selet)rung  unb  Ermutigung.  0en  üb- 
rigen fmb  Unter{)altungcnmit  titerarifd)en  Q?erü()mt{)ei- 
ten  gänjlid)  unerfprie^tid).  (Jntmeber  ber  5berr  rcbetun^ 
üom  QBetter  ober  t>on  ber  Salatfultur  ]tatt  oon  ©oett)e 


©ro^ftabt  unt)  ©ropäbter  177 

unt)  öd)iUcr,  ot)er  er  mv\t  einem  tec^nifc^e  93clet)rungen 
an  ben  5l'opf,t>ie  i^n  gerate  intereffteren,  aber  un^  nid)f ; 
in  feinem  ^yaü^  tt)irb  er  baä  tun,  lüaö  tt)ir  oon  it)m  be- 
get)ren,  nämlid)  poetifd)  tt)ert»en.  S"in  echter  "Sid^ter  wirb 
übert)aupt  nie  poetifc^.  ©ergleid^en  muffen  Sie  fid)  oon 
gebilbeten  Äauefreunben  beforgen  laffen. 

Unb  nun  jum  "2lbfd)ieb,  bamit  ic^  (Bi^  mit  einer  ert)e" 
bcnberen  93orfteltung0reit)e  entlaffe,bicblo§e9^ennung 
ber  beiben  perfönlid)en  ^arbinaloor^üge  beö  ed)ten  'S)ic^- 
terö :  fie  {)ei^en  (vbelmut unb  6eelengri3§e.  <S)ie  fd) werften 
^ugenben  ftnb  it)m  gerabe  bie  leid)teften :  Eingabe  eine^ 
ganjen  Ceben«  an  einen  ibealen  3tt>ecf,  ot)ne  £of)n  unb 
oft  aud)  ot)ne  Hoffnung,  Q3ersid)t  unb  Q3eraeif)ung,  unb 
bie  legenbäre  Q3ergeltung  be^  'Böfen  mit  bem  ©uten. 

®a»  alle»  fliegt  ii)m  fo  natürlid)  auö  bem  (I{)arafter 
wie  aus  bem  Brunnen  ber  Quell.  Sr  fann  gar  nic^t 
anber«. 

QäJenn  Sie  aber  finben  foUten,  ba^  bie  einzige  ^ugenb 
ber  @ro§mut  einen  gangen  9\ofen!ranj  öon  entfteüenben 
8d)n)äd)en  vd^U  mact)e,  fo  tverbe  id)3t)nenttic^t  tuiber- 
fprec^en. 


©ro^ftabt  unb  ©ro^ftäbter 

^ei  einer  „©ro^ftabt",  ein  QBort,  t>aii  beiläufig  gefagt, 
nic^t  gleic^bebeutenb  mit  einer  großen  (Btat>t  ift,  txx  j.  'S. 
£pon  unb  "^Borbeauf  tro^  xi)xex  falben  9}ZiUion  €intt)ot)- 
ner  ed)te  ^rot)in;%ftäbte  üorftellcn,  bei  einer  rid)tigen 
©ro^ftabt  mu^  bae  Stammbürgertum  oon  ber  nationa- 
len unb  internationalen  €inn)o^nerfd)aft  unterfc^ieben 
unb  auggefd)ieben  werben,  ©as  Stammbürgertum  ift 
epiffelcr,  Cac^enöe  ^a^r^eifen  12 


1 78  ©ro^ftabt  unb  ©ro^ftäbter 

fclbft  in  ben  erften  Stäbten  Suropa^  fo  fpic^bürc^ erlief 
als:  nur  möglid),  fpie^bürgerlic^er  at^  im  tteinften  S^rät)- 
tt»infetftäbtd)en,  t>a  e^  ben  3ufamment)ang  mit  ber  9^0* 
tur  unb  ben  bürgerlid)cn  (i'rnft  tjcrtoren  t)af.  9cirgenb^ 
ift  ber  Äorijont  fo  eng,  ber  ©ciff  fo  befd)räntf,  bic  <5)en- 
fungöart  üeinlic^er  unb  bie  ^latfd)furf)t  größer  al^  bei 
bem  „rirf)tigen  geborenen"  ©ro^ftäbter.  QSie  geläufig 
er  auc^  reben,  roie  t>iele  Q?3i^c  er  au^framen  mag,  e^ 
ift  alles  bon  au^en  angeflogen,  e^  ift  ein  Äarleün» 
gett)anb  t>on  *!2lbenuetrit)ialitäten,  t)inter  ttJelchem  eine 
9^uH  in  Siffern  fterft,  »erblaßtes  'l>biliftertum,  bem  fo- 
gar  bie  fomifc^-originellen  3üge  ber  fleinen  9'iefter  ah' 
t)anben  gefommen  fmb. 

3n  jeber  unferer  9}^illionenftäbte  ftecftfolc^  ein  tauber 
^l)ilifterfern,  t)a^  entgeiftete  Überblcibfel  einftiger  ftäb- 
tifd)er  Snbibibualität.  <5)a  biefe  9?cenfc^enflaffe  überbie^ 
ein  anfet)nlic^e^  ©rö^enbetuu^tfein  mitfic^  t)erumfpajie' 
ren  fül)rt,  t>ci^  fie  bon  ben9)Zonumenten  bejieljt,  an  tt)eld)en 
fie  täglid)  oorüberftreift,  \vex%  fte  fid)  auf  fommerlic^cn 
93ölfertt)anberungen  beträd)tlic^  unleiblid)  ju  mad)en. 
^aö  ift  feineßwegg  etwa  ein  Q3orred)t  bee:  „rict)tigen 
geborenen  Berliners" ;  ber  ec^te  ^arifer  Q3ourgeoiö, 
ber  "Petersburger  unb  QBiener  Slleinbürger  geben  it)m 
l)ierin  nid)ts  nad),  nur  reifen  fie  weniger,  tveil  fie  i^ren 
^eimif c^en  ©r o^ftabtflatfd)  felbft nid)t  für  einige  Q[ißod)cn 
ju  miffen  oermögen. 

9ceben  unb  über  biefem  gottbegnabeten  '^t)iliftertum 
befinbct  fid)  t>a^  erfte  d)ara!teriftifd)e  Clement  ber  ©ro^« 
\tat>t:  bie  „©efeUfd)aft"  im  böd)ften  6inn:  le  monde. 
Äiftorifd)  betva(i)m  ift  biefe  eine  -^epenben^  bee  Äofe^, 
n)ie  benn  i{)re  Sitten  urfprünglid)  böfifd)  (fpäter  „t)öf' 
lic^")/  unb  il)re  5:räger  ber  Äofabel  nmren.  La  cour  et 


©ro^ftabt  unt)  ©ro^ftäbter  179 

la  ville  \)k%  e^  früf)er,  in  bem  Ginne,  t>a%  ber  Äof  ben 
*5:on  angab,  bic  Äauptffabt  i()n  nad)at)mte.  Sm^ofleben 
früherer  3a{)rt)unberte  n?aren  nun  fd)on  bie  tt)i(f)tigften 
(Slcmcnfc  einer  „©efeUfd)aft"  im  t)eutigen  Ginne  be^ 
QBorfe^  enf i)alten,  nämtid)  eine  gewiffe  9Rit)elIierung  ber 
Gtänbe  oor  ber  "Perfon  bes  9}Zonarc^en  unb  oor  aüem 
bie  5)offäi)ig!eit  beö  ©eifte^.  ßängff  oor  ber  fran^öfi» 
fd)en9^et>oIutionerfannfe  man  eine  noblesse  del'esprit 
tatfäc^lic^  an,  im  fleinen  an  ben  Äijfen  ber  itatienifd)cn 
9^enaiffance,  im  großen  beibenfrangöfifc^en  ^ourbonen. 
€nbUd)  tt>av  ba^tt)ic^tigfte  Clement  ber  „©efellfc^aft" 
am  franjöftfd)en  Äofe  fc^on  feit  bem  17.  3at)rf)unbert 
gegeben:  biemoberne©alanterie  ober  bie  Q3or{)errfd)aft 
ber  tvrauen.  Solange  freitid)  ber  Äof  ben  'JJlittilpunft 
bilbete,  um  roelcben  fid)  bie  ©efellfc^aft  gruppierte,  ent-- 
be^rte  bie  le^tere  ber  90cerfmale  beö  ©ro^ftäbtif4>en ; 
man  \)atti  ben  Äofflatfd)  neben  bem  Gtabtflatfd)  unb 
meiften^  beibee  gufammen.  ^enn  n>ir  bie  frangöftfcl)en 
9}^emoiren  beö  17.  unb  18. 3af)rt)unbert0  lefen,  fo  erftau» 
ncn  wxv  über  bie  oirtuofe  ^ä\)\QUxt,  aüe^  unb  jebe^,  fclbft 
bie  fragen  ber  europäifc^en  "^oliti!  unter  bem  ©ejic^t^- 
punfte  bes  Matfd)e^  gu  bet)anbeln.  €^  !am  jebod)  ein 
9}^oment,  t>a  bie  ©efetlfc^aft  fic^  geiftig  »om  Äofe  eman- 
zipierte, it)rc  ©efe^e  au^  fic^  felbft  bejog  unb  ben  ^t)ron 
fritifierte.  Qßenn  mv  bie  9!)^arfd)atlin  oon  Curemburg 
ben  5?önig  ©uftaü  oon  ®d)tt?eben  t)eräd)tlic^  einen  „'^rc* 
t>in§iaten"  b.  b-  einen  ^leinftäbter  nennen  i)ören,  tt>eil  er 
fid)  nic^t  richtig  ju  fleiben  üerftanb,  b.  t).  UJeil  er  rofa- 
feibene  'Bänber  trug,  wenn  n)ir  bie  «Samen  beö  fran^ö-- 
fifd)en  ^t>eU  fic^  banad)  erfunbigen  fet)en,  ob  ber  et)r- 
tt)ürbige  römifc^e  Ä'aifer  beutfd)er  9Zation  Sofef  II.  fid) 
3u  benet)men  t)erftet)e,  fo  f)aben  tt>ir  fc^on  bie  moberne 

12* 


180  ©rofeftaM  unt)  ©roMtäMcr 

,,©efcUfd)aft"  >le  monde«,  obj"d)on  noc^  md)t  oöüig  t)ic 
gro^ftäbtifc^e. 

<S»ie  gro§ftät)tifd)c  ©efell[d)aft  bebarf  nämlic^  nod> 
eine^  n?eitern  G^arafterjugö:  ber  93ort)errfc^aft  ber 
9}Zaffe  über  bic  ßlite.  6ie  t)at  ftc^  in  biefem  3a^rf)un- 
bert  oollaogen.  'idlxt  einer  genjiffen  Q3et)öl!erung^ja^t, 
ober  rid)tiger  mit  einem  geroiffen  <33et)öWerungöüberge' 
tt>ic^t  fd)tt)inbet  bie  '5ä{)igfeit  ber  geiftigen  ober  abeligcn 
ßlite,  einer  Stabt  bic  ©efe^e  ber  ©efeüfc^aft  ju  biftie» 
ren,  ee  finbet  t>ielmet)r  eine  Snüafion  oon  unten  ftatt:  t>a^ 
93oulet)arb  fiegt  über  t>a^  "Jaubourg,  bie  Äofotte  über 
bie  ®ame,  ber  ^flaftertreter  über  ben  ßbelmann ;  ^wi- 
fd)en  biefen  beibcn  ©ewalten  t)0Ü5iet)t  fic^  fd)lie§lic^ 
eine  forttoäf)renbe  9lu^gleic^ung,  bie  wcfentUd)  für  ben 
(It)arafter  ber  ©ro^ftäbte  ift,  tt)ä^renb  txxii  Sopfbürger- 
tum  immer  t>a^  nämlid)e  bleibt.  3n  ber  ^rioatgefeU-- 
fct)aft  ftreng  gefonbert,  finben  fic^  beiberlei  gro^^äbti- 
fd^e  Elemente  in  ber  Öffentlid)!eit  jufammen,  auf  ber 
6tra^e,  an^^eften,  im  ^t)eater.  6ie  ne{)men  oonein- 
anber  an;  ber  Q3ornet)me  liebt  ftd)  ju  „enfanaillieren", 
ber  ßmporfömmlung  fud)t  fic^  in  feinen  93tanieren  ber 
guten  ©efellfc^aft  angupaffen :  bem  Äleinftäbter  begcg» 
nen  fie  gemeinfd)aftlid)  mit  fpöttifc^er  ©eringfcbä^ung. 
„5\'anaiUe"  gilt  für  ein  bered)tigte^  ©enre,  prooinjieH 
niemals.  Sin  ^rinj  barf  mit  einem  6tall!nec^t,  nic^t 
aber  mit  einem  bürgerlid)en  ^rofeffor  fraternifteren. 
*5)iefe  fufionierte  gro^ftäbtifd)e  ^et>bl(erung  geigt  nun 
gang  eigentümliche  QSeranlagungen,  bic  fic^  überall 
unb  in  jebcm  3abrf)unbcrt  unter  äl)nlicbcn  93cbin- 
gungen  faft  genau  micberljolcn :  in  9ltl)en  gur  Seit  be^ 
9ii(ia^,  in  Oxom  in  ben  cäfarifc^en  3at)rbunbertcn,  im 
mobernen  ^ariß  unb  ^etereburg  ufm.  '^2lud)  t>ci&  alte 


©ropabf  unb  ©roMtäbter  181 

G^rafu^  jur  Seit  ber  Äieronen  tüeift  gro^ftäbtifd)e 
©puren. 

93or  atlem  gibt  e0  nun  I)icr,  tt>a^  c^  in  Stlcinffäbten 
nic^t  gibt:  eine  ed)tc  ©efeUigfcit,  t>a^  t)ei§t,  täglid)e  pri-- 
t>atc3ufammenfünftc  oon  9}^enfd)cn  beiberlci  ©efc^lec^-- 
te^,  bcren  ^U0tt)at)l  nid)t  nad)  bem  Gtanbe^-  ober  Ka- 
minen- ober  QBeruf^prinjip,  fonbern  nad)  it)rer  Unter- 
^altung^fä{)ig!eit  gefc^ief)t.  ©agu  gct)ört  unbebingt  bie 
93ür^errfc^aft  ber  <5rauen;  tDO  bie  "Jrou  nic^t  ben  ^on 
ongibt,  t>a  tjaben  tt)ir  tt)eber  ©efetlfd)aft  noct)  ©ro^ftabt. 

®a^  ber  ßinflu^  ber  "grauen  auf  bie  ©efeUfc^aft  ein 
fegen^reic^er  ift  braucht  nic^t  erft  gefagt  ober  benjiefen 
ju  tocrben.  €r  ift  ein  ^uUurfaiftor  allererften  9?angeö. 
9^et)men  tt)ir  ba^  gtänjenbe  9?efrutierungöfpftem  t)inju, 
mittele  beffen  eine  ©ro^ftabt  neben  anberen  ^eüöHc- 
rungöftaffen  auc^  bie  (ilxte  ber  9^ation  öerfammelt,  er- 
innern n>ir  unö  enblic^  ber  t)eitfamen  QSecbfeleinflüffc 
beß  Sufammenfeinö  ^oc^gebilbeter  9}^enf(^en,  alfo  be^ 
täglichen  QBettftreiteö  in  ben  garteften  ©ebieten  be^ 
©eifteö-  unb  Stttenleben^ ,  fo  ift  t>a^  Srgebni^  leid)t 
t)orau^3ubered)nen ,  n)etd)e^  mv  tatfäc^Uc^  fet)en:  bie 
©ro^ftäbte  tt)erben  bie  6ammelpunfte  ber  i^ultur;  fie 
erzeugen  überbieö  noc^  oon  fic^  <xnß  ©eift,  einen  ober- 
fläc^tici^en  ©eift  jn)ar,  immeri)in  ©eift.  '^Benjeglic^feit 
unb  Sd)netlfertig!eit  finb  einige  ber  tt>id)tigften  9}^er!- 
male  beö  gro^ftäbtifd)en  ©eifte^;  überbieg  ©utartig- 
feit.  «Ser  ©eift  ift  fd)arf,  fpotttuftig,  aber  feiten  giftig ; 
!ommt  man  aug  ©ro^ftäbten  in  eine  ^teinftabt  ju  tt)ot)- 
nen,  fo  fällt  einem  oor  allem  bie  ^ö^artigfeit  be^  Ur- 
teilt über  ben  9cebenmenfd)en  in  ber  le^teren  auf. 

<S)er  ©ro^ftäbter  !ennt  alleö  unb  t)eraeil)t  alles;  er 
berfpottet,  aber  er  oerbammt  nid)t.  6eine  ©utl)eraigfeit 


1S2  (^>l•oMta^t  unb  ©ro^ftäbter 

in  ^cjie^ung  auf  Gpcnben  ift  mit  9\ec^t  fpric^ttjörtlic^ ; 
er  \vc\%  5U  geben,  ol)ne  ben  (Smpfänger  ju  evniebrigen, 
ein  "^lalent,  t>a^  ben  Offio^ltätigfeitöbejcugungen  kleine- 
rer ötäbte  nur  gar  ^u  oft  abget)t.  ©er  ©eift  ift  nid)t 
eben  männlid),  oielmef)r  finbifd),  ja  er  jeigt  fogar  eine 
mertlid)e  Hinneigung  jur  ^21lbernt)eit,  mit  tt)eld)er  er 
gerne  fofettiert,  tt)eld)e  aber  ja  nid)t  mit  <S)ummt)eit  ober 
borniert t)eit  t»ertt)ed)felt  tverben  barf.  Q3om  S^inbe  i)at 
er  bie  Mnftätigfeit  unb  ©utartigfeit,  oom  QBeibe  bie 
^lafti^ität  unb  bie  8c^ärfe;  oon  bciben  bie  Unfelbftän- 
bigfeit,  ^^lüein  uerfte^t  ber  ©ro^ftäbter  nic^t  ju  benfcn; 
er  mu^  ©efetlfc^aft  ba^u  Ijaben.  3n  5\Ieinftäbtc  oerfe^t, 
benimmt  er  fid)  tt>ie  ein  oerfd^mac^tenber  "^ifc^;  in  ber 
freien  ©ottesnatur  wie  ein  oerirrte^  ibut)n. 

Q3orurteilölofig!cit  ift  eine  Äauptjierbe  ber  ®ro^- 
ftäbte;  bat)er  lebt  fid)'^  in  it)nen  leidster  unb  freier. 
(Smpfänglic^feit  für  aüeg  unb  ietxi^  iä%t  fic^  ber  gro^- 
ftäbtifd)en  93et)(5l!erung  ebenfalls  nac^rül)men,  ^mp- 
fänglic^feit  für  t>a^  Äöd)fte  tt>ie  für  t>a^  £äd)erlid)fte ; 
bie  €mpfänglid)!eit  aber  entfpringt  einem  bringenben 
93ebürfni0,  bem  ^ebürfni^,  ©eiftee-  unb  ©efpräd)2iftoff 
?iU  gett)innen.  QLßomit  t>aii  gefd)el)e,  ift  unttjefentlid),  nur 
ja  immer  ^txrya^,  t>a^  gur  gemeinfamen  llntert)altung 
biene.  0enn  ber  ©roMtäbter  fü^lt  immer  fotleftio  unb 
al«  S^vecf  alles!  ©efd)el)enß  gilt  t>a^,  ttja«  ben  n?id)tig' 
ften  5)ebel  ber  ©efelligfeit  bilbet :  t>aii  ©efpräd). 

®ie  Spottluft  beö  ©ro^ftäbterö  ift  nid)t^  anbere«, 
als  eine  Q3etätigung  feiner  geiftigen  S^reifmnigfeit,  benn 
ber  Q[Öi^  erl)ellt,  ber  3pott  befreit.  <S)iefe  ^reifinnig- 
feit  get)t  fo  ttjeit,  t>a^  t>ci§,  tva^  ben  gen)öl)nlic^en  5Jien- 
fd)en  am  meiften  aufbringt,  bie  Q3erfpottung  feiner  felbft 
(n)ol)loerftanben:  oon  anberen  oerübt)  bem  ©roMtöbter 


Ouo^ftabt  unb  Coro^ftäDter  183 

93crgnügen  mad)t.  Hnb  jtuar  unbäntJigee  Q3ergnügen. 
QQßcr  innert)alb  einer  ©ro^ftabt  t)en  ©ro^ftäbter  auf 
bie  unbarmt)er;iigfte  ^eife  t>ert)öt)nt,  tuirb,  tt)enn  es  nur 
mit  ©eift  unb  Q[öi^  gefc^iet)t,  unfet)lbar  ber  populärftc 
<^^ann. 

®er  ©roMtäbter  ift  nid)t  blo§  elegant,  fonbcrn  n)ot)l» 
gebaut  unb  njag  man  nid)t  glauben  foUte,  burc^fd)nitt- 
lic^  gefunb,  ta  er  oiel  gef)t  unb  fportet  reinlich  ift  unb 
meiftens  leiblid)  mä^ig  lebt.  Q3er!retinierte,  oerfumpf-- 
te,  t>erfct)mu^te,  t>ertt)act)fene,  oertrunfene  ©efamtein» 
mol)nerfc^aften  gibt  es  tia  nid>t.  <S)er  ©ro^ftäbtev  bocft 
eben  nicbt.  51ber  bie  ©efunbt)eit  fteigert  fid)  !aum  §ur 
eigentUd)en  Cebengtuft,  jur  !räftigen9}^u0felfröf)tic^feit, 
5um  ©lücfögefüt)L  ^aß  fc^öne  {)eitere  naioe  2ac^en  unb 
£äd)etn  beö  £anbbett>ot)ner^  roirb  man  t>a  !aum  finben. 
lim  feinem  ßebeng  einigermaßen  frol)  gu  werben,  muß 
ber  ©roßffäbter  erft  Toilette  gemad)t  l)aben.  Sl)e  ba^ 
gefc^el)en  ift,  bebauert  er  taß  ^afein  im  allgemeinen 
unb  fein  £o^  im  befonberen.  '5)e0  xO^orgenö  beim  Sr= 
tt>ad)en  ert)ebt  fid)  unfel)lbar  ein  näglid)eß  ©eft5f)n  au^ 
allen  '^Setten;  benn  mit  feinem  9?iagen  lebt  ber  ©roß- 
ftäbter  auf  gefpanntem  {yuß.  '^^Iber  gegen  "^benb  tt)irb 
ber  £cbengüberbrüfftge  merfmürbig  munter.  Unb  nac^t^, 
ju  ber  3^it,  t)a  ber  ^leinftäbter  l)inter  bem  ©lafe  melan= 
d)olifc^  mirb ,  beginnt  ber  ©roßftäbter  feine  S^alauer. 
®ie  Äalouer  aber  ftimmen  it)n  über  hie  9}Zaßen  fro^, 
id)  meine  jeben  feine  eigenen  Kalauer. 

©ie  ^unft  nun  finbet  auf  biefem  ^oben  ein  (Entgegen  - 
fommen,  t>as  auf  ben  erften  ^licf  lauter  ©ett)inn  oer- 
fpric^t  6ie  finbet  oor  allem  ben  9^ut)m,  ber  gegentpär-- 
tig  oon  ben  Äauptftäbten  ganjlid)  in  ^arf)t  genommen 
ift.  ®er  l)auptftäbtifc^e  9\u^m  ift  oer^ältniemäßig  neib^ 


184  ©rofiftabt  unb  ©rofjftäbtcr 

lo^  unt)  namentlid)  gci^loö,  ja  fogar  t)erfct)n)cnt)crifd). 
Q.Oer  t>a  l^at,  bcm  tt)irt)  üiel  gegeben.  Ccben  tveil  bcr 
empfänglic^ftc  5;eil  ber  ^D^enfc^tjeit,  bie  fd)öne  QOßclt, 
it)n  »erteilt  ^er  t)auptftäbtifc^e  0\uf)m  ift  auc^  füfeer, 
alö  jeber  anbere,  tt)eil  feine  3infen  t>on  einer  feinfüi)li' 
gen  @ej"ellfd)aft  au^ge5at)lt  tt>erben.  ©arum  ftet)t  man 
bic  5?ünftler  unb  <5)td)fer  fo  gerne  in  bie  Äauptftäbtc 
überftebetn.  Q3eim  nät)eren  3ufef)en  jeigen  jid)  bic  93er' 
t)ältniffe  aUerbing^  tt>eniger  günftig.  ^6)  mÜ  nic^t  ba- 
t)on  reben,  t)a%  bie  berüt)mten  ßeute  „t>ertt>öt)nt"  ober 
„oerborben"  merben;  ei)er  fd)on  baoon,  t>a%  bie  Unrut)e, 
ber  Strubel  be^  fc^nefleren  2eben^  ungünftigere  ^^e- 
bingungcn  ber  ^robuftion  fd)Qfft  tt)ie  benn  aucb  oft 
genug  bic  93eobac^tung  gemact)t  n?orben  ift,  i)a%  bie 
©ro^ftäbtc  t)ert)ältni^mä^ig  tt)enige  probuftiöc  ©eiftcr 
erzeugen. 

•^Im  t)ert)ängniöt>ollften  erfc^eint  mir  ber  llmftanb, 
t)C[%  ber  gro^ftäbtifd)e  ©efc^marf  ben  Slünften  inbireft 
ta^  @efe^  öorfc^reibt  ober  roenigften^  benjenigen  S^ünft* 
ler,  ber  nid^t  oöllig  c^arafterfeft  ift,  oerfütjrt  <5!^iefer 
@efd>mac!  ift,  im  llnterfct)ieb  jur  cl)emaligen  l)öfifd)en 
©cfellfct)aft,  nicl)t  n?äf)lerifc^  unb  nid)t  fein,  fonbern  fa- 
gen  mir'ö  gerabe  beraub,  t)erjlid)  rot),  ^a^  9luffälligc, 
tici^  6d)reienbe  unb,  xva^  in  biefelbe  S^ategoric  get)ört, 
t>a^  9\affinierte,  wirb  üorge^ogen.  ^^  nnrb  auc^  über- 
haupt nid)t  inbimbuell  geurteilt,  fonbern  flaffcn-,  ban- 
ben-  ober  fliquenmeife.  Q3}a0  Erfolg  \)cit,  tt)irb  alfobalb 
aud)  9}iobe  unb  fortan  fritidoß  angebetet,  bi^  man  eö 
eines  trüben  ^D^orgen^  unter  ba^  alte  (5ifen  mirft.  'S^ie- 
jenigen  5Vunftgenüffe,  bic  einfam  genoffen  mcrben  moUcn, 
^.  03.  .sbau^mufif  unb  2^ud),  treten  mcit  in  ben  iointer- 
grunb,  bagegen  t)erfd)lingen  bic  Slolleftioanftaltcn  ba« 


©roMtabt  unb  ©roMtäbter  185 

g^an^e  Sntercffc,  Äonjertc,  'Jeftc  unb  namentlich  t>a^ 
^f)eaUv  in  jeber  ^orm,  fei  eö  nun  ©labiatorenfpiel  unb 
^ierfampf  tt>ie  im  alten  ?\om,  ober  Oper  unb  0rama 
me  in  ber  ©egenwart.  3<i)  bin  !ein  tyeinb  oon  Oper 
unb  <5)rama;  bagegen  fann  id)  mid)  ber  (Srfafjrung  nicbt 
üerfc^ liefen,  i>a%  jebe^mal  bann,  n^enn  eine  ?cation  fic^ 
einem  unbefc^ränften  ^t)eatertultu«  ergab,  i^re  gro^e 
Literatur  ein  €nbe  hatte.  So  unbebenflid)  ift  alfo  bie 
(5rfd)einung  nic^t.  3mmerl)in,  tDenn  nur  tt>enigftens  im 
^f)eater  bie  Äunft  nid)t  ber  9}Zaffeninftinft  be^  gro^- 
ftäbtifd)en  ^ublüum^  regiert.  ©efd)iebt  t>a^  le^tere,  fo 
erleben  mv,  t>a%  berjenige,  ber  entroeber  bie  raffinier- 
teften  (gffefte  aueflügelt  ober  bie  fonfequenteften  9}Zc- 
t^oben  erfinbet,  alle  anbern  auö  bem  tyetbe  fd)lägt. 

^er  gro^ftäbtifd)e  ©efd)macf  bewegt  ftd)  in  ©egen- 
fä^en  fort,  'Oa^  Bewegungsorgan  aber  ift  ber  Sfel  oor 
fid)  felber.  ^Ue  10  Sabre  wirb  »erbammt  unb  in  ben 
Äot  getreten,  was  man  10  3abre  lang  bewunbert  \)aüe. 
Unb  wenn  eine  ©ro^ftabt  alleö  üerfucbt  unb  jeben  Gfet 
burd)gefoftet  \)at,  bann  oerfäüt  fte  auf^  .^inbifd)e;  tta- 
mit  f)offt  fte  bie  9^atur  wieber^ufinben. 

So  frei  ber  ©ro^ftäbter  in  geiftiger  '33esief)ung  ift, 
fold)  ein  S!Iat>e  ift  er  an  e{)arafter.  QBcr  im  t)öd)ften 
©rabe  gefeüig  lebt,  foüeftio  benft  unb  f)erbenweife  fü{)tt, 
fann  unmöglid)  inbioibueU  unb  unab{)ängig  fein.  Q3er-- 
langen  Sie  jeben  9}^ut,  jebeö  Opfer  oon  it)m,  nur  nid)t, 
t>a%  er  eine  Krawatte  trage,  bie  öerpönt  ift,  t>Q%  er  ftc^ 
au  einer  '21nftd)t  befenne,  bie  für  täd)erli(^  gilt.  Äein 
anatifcber  <S)efpot  tpranniftert  feine  Untertanen  wiber- 
ftanb^lofer  al^  bie  ©ebote  ber  ©efeüfd)aft  ben  ©ro^- 
ftäbter.  0a  nun  aber  ^unft,  Literatur  unb  ^t)eater  un» 
ter  bie  ©ebote  ber  ©efeUfc^aft  fallen,  fo  ift  ber  ©roB- 


18(3  i^'^vo^ftattt  unt)  ©ro^ftät»tei* 

ftöDter  in  5^*unftfact)en  t)a0  folgfamfte,  mUenlofefte,  un= 
fclbftänbigfte  >bert)entier.  '5)a^  6c^lagn?ort  peitfc^t  \\)n 
nad)  belieben  linfßijin  oöer  red)t0t)in  tt)ie  t)er  Ql^inö 
t)ie  QKolfc.  llnt)  ob  er  noc^  fo  fpotte,  er  bcmcgt  ftd)  nict)t 
nac^  Der  9\id)tung  feine«  Gpotteä,  fonöern  nac^  t)em 
0c^lagn)ort,  über  n)eld)eö  er  fpottet.  ^eßi)alb  tt)irtt 
felbft  Der  gebildete  ©ro§ftät)ter  in  5^'unftfad)en  aU  ^ij- 
bet.  Gc^on  barum,  tveil  er  fid)  t)en  literarifc^en  6toff, 
über  n)eld)en  er  ^tvar  oft  überrafd)ent)  gefd)eit  urteilt, 
oon  ber  9}Zot)e  üorfd)reiben  lä^t.  ©er  ©ro^ftäbter  n)irö 
ein  Q3ud),  bae  93cot)e  ift,  möglid)ern)eife  oert)iJt)nen, 
aber  fcbtperlid)  ungelefen  laffen. 

©ie  tieffte  erbarmungstvürbigfte  6flat)erci  aber  er-- 
leibet  ber  ^ett)ot)ner  einer  fold)en  Äauptftabt,  bie  ©ro§- 
}ta'ot  fein  möchte,  ot)ne  es  nod)  oöUig  ju  fein.  5)er  mu^ 
nac^  <3[Relobien  gigerln,  bie  er  nid)t  t)ört,  ©efe^e  befol- 
gen, bie  er  nic^t  fennt,  eine  6prac^e  reben,  bie  er  nic^t 
t)erftet)t;  er  mu^,  mit  einem  QSort,  ber  ^rembe  bienen. 
®enn  nur  bie  allererften  ©ro^ftäbte  ^aben  t)a&  e^r-- 
tt)ürbige  Q3orred)t,  9^arrt)citen  auß  fid)  felbft  ju  ge- 
bären; bie  anbcrn  Äauptftäbte  begießen  fxe  au«  bem 
^U6lanbe,  t)ornet)mlid)  aue  ^ari«.  Unb  ^xvav  meift  md)t 
bireft  öon  ber  Öuelle,  fonbern  burc^  ben  3wifc^en^an- 
bel.  ®a«  ift  ein  müt)felige0  ^jerjieren  nad)  unfic^tbaren 
Cffergiermeiftern,  wie  ix>ir  eö  feit  brei  3al)r5el)nten, 
nämlid)  feit  Berlin  unb  93<ünd)en  fid)  auf  ben  3el)en 
ftrecfen,  um  gro^ftäbtifd)  ju  fc^einen,  in  ber  beutfd)en 
iil'unft  unb  Literatur  beobachten. 

^a  feigen  mx  j.  03.,  tvenn  '^aris  in  feinem  blaficrten 
©algenmi^  mit  fin  de  siecle  unb  decadents  fofettie- 
renb  fpielt,  eine  leiblich  gefunbe  militärtauglic^e  Sugenb 
in  'Berlin,  QBien  unb  9?cünc^en  fiel)  literarifd;  faulftcUen, 


©roMtabt  unb  ©ro^ftäbter  187 

um  nur  ja  für  gro^ftäbtifc^  §u  gelten,  ©aß  t)ci^t  alfo : 
weil  ber  9cad)bar  franf  ift  ober  fxd)  wenigfteng  fran! 
fteHt  (benn  ^ariö  überftet)t  ja  alle  ^or^eiten  fpurlo^ 
wie  Äinber!ran(l)eiten)  fc^minft  man  fid)  Eiterbeulen 
auf  bie  QÖßangen.  <S)er  Äumor  baoon  aber  ift,  t)a%  man 
auf  biefe  Qßeife,  weil  ^ariö  ftc^  rafc^er  bret)t,  immer 
um  einen  ober  §wei— ismu^  ju  fpät  fommt.  Äaum  t)a% 
93erlin  ben  9\caliömu^  au«  ^ariß  importiert  f)at,  fo 
ift  er  bort  fc^on  oeraltet  unb  t>a^  Schlagwort  lautet 
9taturali^muö.  ^at  man  t)a^  einjufe^en  begonnen,  fiet)e 
t>a,  ift  in  ^ari«  ber  9caturalismu0  überwunben  unb  bie 
Cofung  ^ei§t  Symbolismus,  '^räraffaelismus,  ^ri» 
mitioi^muö.  ^as  mu^  man  je^t  felbftoerftänblic^  fc^leu= 
nigft  wieber  nad)^olen,  fo  gut  man'^  »erfte^t  9}Zan  üer- 
fte^tö  aber  meiftens  nic^t  fo  gut  ^urj,  e^  ift  eine  atem» 
lofe  Äaft  unb  eine  l)eillofe  ^onfufion.  ®oc^  ba^  fc^abet 
nic^t^,  man  füt)lt  fid)  babei  bod)  wenigftenß  als  ©ro^- 
ftäbter. 


9Zeuere  2lup^e 


^brunbung 

et)t  e^  3t)nen  nid)t  aud)  tt)ic  mir?  3c^ 
mu^  immer  crft  eine  gett)iffe  ^Ibneigung 
übertt)int)en,  um  folc^e  '^bt)anbtungen, 
t)ie  erft  gefprod)en  roorben  tt)aren,  alfo 
5.  93.  tt)iffenfd)aftlic^e  ober  äftt)etifc^e 
93orträge,  gebrucft  ju  lefen. 

S^  fct)It  mir  t)a  nämlic^  nic^t  bto§  etiüaö  (olfo  bie 
^erfönlid)feit  bie  Gtimme  bcö  9?ebnerö),  fonbern  e^ 
ftört  mic^  ettua^.  QSa^  ftört  mid)  ?  0ie  Subereitung, 
bie  ber  perfönlic^e  Q3ortrag  ert)eifc^t  unb  bie  ba^er  je- 
bcr  met)r  ober  tveniger,  ben)u|t  ober  unbett)u^t,  gen^ä^rt. 
3unäd)ft  bie  Sutaten :  bie  (Einleitung  unb  ber  6d)Iu^, 
jtüei  ®inge,  bie  nic^t^  QBefentlic^e^  ober  tt>enigften^ 
md)t^  Unentbet)rlici^eg  jur  (Baä)^  beifragen,  fonbern 
i^ren  ©afein^grunb  au^  ber  ^fpd)oIogie  ber  Q3er- 
fammlung  beäief)en.  <5)ie  Einleitung  fd)meic^elt  bie  Q3er- 
fammlung  mit  [anftcn  logifc^en  Girieren  an  ta^  ^t)ema 
^eran,  ber  Gc^Iu^  n>ärmt  fie  mit  mutigen  ©ebanfenbe- 
wegungen  tüieber  t>on  ber  (BUU^.  ©a^  ift  ja  nun  nid)t^ 
^öfe^,  allein  eö  iftetnja^  facblic^  Überflüffige^,  t>a^  beim 
Ccfen  muffig  tt>irft. 

3ene  Einleitungen  unb  6d)lüffe,  bie  oon  t>ornl)erein 
für  ein  ^ud)  gefd)rieben  h)urben,  tönen  ganj  anber^, 
gebanfengenauer,  fad)lid)er.  'Qlbgefel)en  bat>on,  t)a% 
fet)r  ernftc,  id^  meine  n?a^rl)eit^ernfte  5)en!er,  bie  oiet 
^id)tigeö  ju  fagen  l)aben,  aud)  im  ^u6)  Einleitung  unb 
6d)lu§  i)erabfd>cuen.  <5)enn  Einleitung  unb  Gc^lu^  »er- 
allgemeinem,  alle^  Q35iffenön)erte  aber  ift  etxr>ai  <33e- 
ftimmteö,  ^efonbcreö.  5)arum  für^t,  tt)cr  etXDaü  9\ed)- 
te^  ju  fagen  l)at,  aud)  im  93ud)  bie  Einleitung  unb  bcn 


^^Ibrunbung  191 


6d)lu§,  ot>er  lä^t  gar  beibcö  einfach  »cg.  Sc^cn  6ic, 
tt)ic  ;5.  ^.  3öfob  '53urfi)art)t  ungetulbig  in  t)ie  90^atcnc 
t)ineingerät. 

kompliziert  wirb  t>er  Übelffanb  ber  Einleitung  unb 
be0  3d)tuiTe^,  n>enn  ber  9\ebner  am  gebitbeten  ©rün^ 
ben  nod)  t>crfud)t,  beibe^  übereinjuflängeln,  im  6cl)lu^ 
auf  bie  Einleitung  jurücfjufommen  unb  ä^nlic^ee,  ein 
fel)r  tt)irffame^  rt)etorifd)e^  9l^ept,  ja  fogar,  tt>ie  mand)e 
urteilen,  ein  Erforberni^  aüer  9?ebe!unft;  n)ie  benn  5.  ^. 
bie  firc^lic^e  ^rebigt  burc^au^  nac^  biefem  Schema  ju 
»erlaufen  pflegt 

QBorauf  berut)t  bie  gro^e,  faft  unfel)lbare  QSirfung 
bes  Surücf greifend  mit  bem  Sd)lu§  auf  bie  Einleitung  ? 
•tHuf  äftljetif^en  ^Q^omenten,  nämlid)  auf  ben  ©efe^en 
ber  Proportion  unb  ber  "-^Ibrunbung.  0ie  Q[ßat)rt)eit 
ift  aber  nic^t  runb,  fonbern  fd)arf,  nic^t  freunblid),  fon-- 
bern  raut).  5)arum  unfer  llnbet)agen,  t^enn  tt?ir  einen 
{)armonifc^en  <S)en!er  an  ber  QBat)rl)eit  l)erumölcnfe^eu; 
fei  e«  nun  au^  rbetorifct)en  ober  foemifc^en  ©rünben. 

^a^u  fommen  bann  nod)  anbere  Übelftänbe:  bie  ge- 
fällige ©ruppierung ;  bie  6treifung,  ^tatt  be^  refoluten 
^nfaffen^,  bie  ^opularifterung  unb  ber  unoermeiblic^e 
Optimismuß  (benn  fein  9\ebner  barf  ja  boc^  feine  Su- 
^örer  mit  trüben  ^Borftellungen  entlaffen). 

Ä'urs,  in  einer  meifterl)aft  abgerunbeten  münblic^en 
'2lbl)anblung  fommt  fo  oiel  ^oc^funft  jur  Q3ertt)enbung, 
ba^  man  nac^^er  beim  Cefen  ^üt)e  l)at,  ba^  rein  (Bad)- 
lic^e  au^  bem  fc^ma(fl)aftcn  ^ubbing  tx>ieber  losjU' 
präparieren. 


Q3on  t)er  Originalität 

Äein  9CiPiffcnt)after  3c^riftfteüer  ftrebt  jemal«  nac^ 
Originalität.  Äat  einer  eine  bebeutent)e  ^erfönlicl)feit, 
fo  wirb  er  fd)on  t)on  felber  origineller  geraten,  al0  i^m 
unb  feinen  i^efern  lieb  ift.  QBo  nid)t,  fo  gibt  ee  feinen 
befferen  QSeg  ju  einer  gefunben  Originalität,  alfo  ju 
einer  befonberen  Eigenart,  als  jett)eilen  feine  6ac^e  rec^t 
ju  tnad)en.  QSer  nur  immer  t>aQ  tut,  alfo  3.  ^.  in  ^rofa 
©ernünftig  unb  fc^lic^t  fd^reibt,  unterfd)eibet  fic^  fc^on 
gett)altig  üon  ber  großen  93tel)räal)l,  benn  eö  gibt  ja 
mct)t0  Geltenereg  ale  t>a^  einfad)  9\id)tige. 


Q3om  ße^rgebic^t 

<3)a^  £et)rgebid)t  fpielt,  n)ie  man  wei^,  in  ber  QBelt- 
literatur  eine  gans  bebeutenbe  9\oHe,  unb  groar,  njo^t 
ju  beachten,  bei  ben  poefiebegabteften  Q3ölfern  in  il)rer 
allerbeften  Seit,  hierfür  finb  bie  '33eifpiele  fo  maffen- 
^aft  oorbanben  unb  jebem  gegenn?ärtig,  t>a%  id)  auf 
beren  9cennung  öergic^ten  fann.  'Sei  unö  ftebt  i><x^  £e^r» 
gebid)t  in  S^lud)  unb  93ann,  metjr  nod) :  eä!  i)evx^(i)t  eine 
^rt  abergläubifcber  fyurd)t  baoor,  ettt)a  fo,  alö  ob  man 
beforgte,  t>a^  Cet)rgebic^t  möd)te  bie  übrige  '^oefie  in« 
fixieren,  gleid)fam  mit  einem  linearförmigen,  lebernen 
^rofabajillu^. 

Qä^ie  aber  follen  mv  un^  ben  9\ei§  erklären,  ben  t>a^ 
£ebrgebid)t  auena^rngweife  aud)  auf  einen  roirflic^en 
5)ic^ter  au^juüben  oermag?  ''2lntt)cfenbeit^gefübl  über- 
fc^üffiger  Gprad)--  unb  'Jormoirtuofität  bei  augenblic!- 
lict)er  ''2lbtt)efent)eit  ber  3nfpirotion.  ^2llfo  ber  nämliche 


Äonfequcna  unb  feftc  "Jü^rung  193 

9\cij,  bcr  ©oetf)e  jur  Q3crftft!ation  bc^  9?cinecfc  "Juc^^ 
antrieb.  3"  einer  anberen  *iHtmofpt)äre  aufgett)ad>fen, 
hJürbe  ©oett)c  feine  'iyarbenlet)re  jum  £et)rgebic^f  er- 
lauben i)aben,  tt)ie  ba^  ber  in  franjöftfc^er  "Sltmcfp^ärc 
aufgettjac^fene  Äaller  mit  feinen  „'21l^en"  getan  \)at 
9carf)  meiner  'iHnftd)t  würbe  ©oet()e^  '5arbenlet)re  burc^ 
ben  Q3erö  gewonnen  ^aben. 


Äonfequenj  unb  fefte  ^ü^rung 

0er  Sd)affenbe  jagt  n)o{)(  ^ttva,  auö  bcr  erftcn, 
oberften  93ifion,  bie  ein  QBer!  entfte^en  lie^,  fämtUci)e 
^onfequenjen  nad)  alten  Seiten  ju  aiel)en,  befonber^ 
wenn  i^m  fein  Qßer!  at^  ein  rein  fubjeftit>eö,  bem  all- 
gemeinen Sntereffe  entlegene^  bewußt  ift.  ®ie  ^onfc- 
quenjen  brängen  il)n  aber  weiter,  al^  er  urfprünglic^ 
a^nte  unb  wollte,  unb  wie  follte  er  l)offen  bürfen,  bie 
^eitna^me  be^  £eferö  für  ®inge  jweiter  Orbnung  ju 
erhalten,  wenn  fcbon  baß  Oberjielbeö  ^er!eö  xi)n  wal)r- 
fc^einlid)  tni)l  laffen  wirb  ? 

^er  fo  benft,  unterfd)ä$t  junäd)ft  bie  <23ereitwillig- 
feit  ber  ^Ocenfc^en,  in  bie  QSorauöfe^ung  eineö  ^unft- 
werfes  einzutreten.  <S)er  @enie§enbe,  wofern  er  nur 
nid)t  in  irgenbeine  äft^etifd)e  'Sogmatif  t)erbot)rt  ift, 
folgt  gerne  jebem  Stoff  unb  jeber  füt)renben  Äanb,  un- 
ter ber  einzigen  ^ebingung,  t>a%  er  eine  fi(f)ere  Äanb 
fpüre.  '5el)ltbiefe  ^ebingung,  fo  meutert  felbft  ber  beft- 
willigfte  £efer.  9Zatürlid),  benn  ob  er  aud)  willenö  war, 
fid)  in  jebe  QBelt  beö  ®id)ter^  ju  oerfe^en,  fo  mu^  e^ 
boc^  eine  rec^tfd)affene  ^elt  fein,  mit  beutlict)en  Um- 
tiffen  unb  feften  ©efe^en ;  wa^  bagegen  ber  93orftellung 
©pitfclcr,  Cad^enbe  '3Bo^rt)eifen  13 


UU  ^xonfcqucn^  unt)  feftc  iyüt)rung 

nid)t  ^yorm  unt)  6tant)  i;ätf,  t>ai  lof)nt  auc^  nid)t  bcö 
<5)en!cnö.  ^ln[id)cr()eit  erad)te  id)  ba^er  für  ben  uni)eil- 
üoUftcn  aller  ^e^Uv,  für  t)en  Gclbftmort)  cine^  QBerfc^. 

<S)ann  ift  t)cr  0d)lu^,  „menn  bie  ®runt»it)cc  bem  Ccfer 
ferne  liegt  uftt)/',  burc^aue:  irrig.  3nt  ©egenteil,  t>ie  folge- 
ricl)tige  ®urc^fül)rung  oermag  t)aö  abtoefenbe  Snter- 
cffe  an  t)cm  ibaupttl)ema  nad)träglid)  t)erbci3u§tt?ingen. 
6ei  e^  burd)  übern)ältigenbe  6c^önt)eiten,  bie  fid^  bar- 
au^  ergeben,  fei  e^  burd>  bie  <eyreubc  am  Ä^önnen  be^ 
5f  ünftlerö,  an  feiner  90^eifterfd)aft.  €^  ftänbe  fd)limm 
mit  ber  ^ortbauer  ber  5?unfttx)er!e,  trenn  ^a^  Sntereffe 
an  il)nen  t)on  bcm  3ntereffe  an  il)rem  Äaupttf)ema  ab- 
t)inge.  Sämtliche  ^unftn)erfe  »ergangener  Seiten  t)abcn 
ja  bcn  '5:f)ematt)crt  für  un^  üertoren  unb  fönnen  un^ 
nur  burd)  bie  5?unft  ber  'Se{)anblung  unb  bie  6d)ön- 
l;eit  beö  "iHnlaffe^  feffeln.  ßnblid) :  eö  finb  gerabc  bie 
fubjeftiüften  ^ünftler  unb  tDiUfürlid^ften  Qßerfe,  n)elc^e, 
tt)enn  fie  nur  rücfftd)tölofe  S^onfcquenj  auftt)eifen,  bie 
QBelt  unteriod)en,  obfc^on  feiten  bie  9)tittt)elt,  bod)  im- 
mer bie9^ad)n)elt  6ubje!tit>ität  nämtic^,  bie  anfänglich 
t)a^  3ntereffe  läl)mt  unb  crfältet,  wirft  auf  bie  Cänge 
aU  ^n^ie^ung^fraft.  9tid)t^  eitler  al^  bie  ^vop^^d' 
ung,  ber  ober  t>a&  fönne  niemals  populär  werben,  nie- 
mals in«  Q3olf  fommcn.  3nö  93olf  t)ielleid)t  nic^t,  aber 
um  fo  el)er  in  bie  Q3ölfer.  QBir  bret)en  un«  eben  auf 
einer  frummen  Srbe,  wo  ftar!c  ^atfad)en  9}^a^  unb 
9?ed)t  beftimmen  unb  bie  ©emüter  umftimmen.  Sin  ber 
Gubjeftioität  entfproffene«,  ftc^er  in  fid>  felbft  rut)enbeö, 
folgerid)tig  auögearbeiteteä;  S'^unftwerf  gel)ört  aber  ju 
ben  ftarfen  '5atfad)en. 

'2[n^  allcbem  folgt,  t>Q^  man  t)or  feiner  nod)  fo  un- 
wiüfommenenSlonfequenä  feine«  ^tjema«  umbiegen  barf» 


Entmannte  Spnd)tt)örtcr  195 

93et)cn(en,  Stveifcl,  Sögen  gehören  öor  t)en  (fntfd)lu^, 
naä)  bcm  6ntfd)Ui^  bleibt  feine  anbere  9^ettung  mei)r, 
al^  tt)a^  man  tut,  gang  au  tun.  (5in  ^ünftler  mu^  muffen 
fönncn. 


Sntmannte  6pri(^tt)örter 

SOcoralifxercnbe :  )?äbagogifd)e  unb  anbragogif^c 
Q©ci^t)eit  !ann  ben  fräftigen  Cebenötüi^  ber  gefunben 
93ot!^feele  nid)t  tjertragen;  fie  biegt  bem  Sprichwort 
bie  Sden  um,  ober  t)erfet)rt  gar  ben  Ginn  inö  ©egenteil, 
bamit  er  ja  nic^t  ittva  ergieljungönjibrig  njirfe.  «Sie  mei- 
ften  unferer  Spricf)tt)örter,  bie  ein  „nid)t"  ent()alten,  tau-- 
teten  urfprünglid)  pofitiö.  ®a^  ,,nid)t"  n)urbe  erft  nad)- 
träglid)  in  abfrf)njäd)enber  9)Zeinung,  auö  93orfic^t,  ein= 
gefc^altet.  „"iHufgefc^oben  ift  nid)t  aufget)oben/'  Solc^ 
eine  ^infentt)a()r^eit  öerfünbet  fein  6pric^n>ort.  „*2luf= 
gefc^oben,  aufget)oben",  t>a^  ift  eine  £eben^n)at)rt)eit,  ein 
ed)ter,  au^  (^rfat)rung  getüonnener,  n?arnenber  9}olU- 
fprud).  „QBagen  genjinnt,  wagen  öerliert",  ift  €unuct)cn= 
n)ei^t)eit ;  um  biefe  ju  f  ennen,  brauchen  wir  feinen  Sprud^. 
0ie  natürtid)c  Hnentfd)loffenf)eit  be^  wiflentofen  9}^en- 
fc^en  rei(i)t  t)in.  „Wie  waagt,  die  wint"  (wer  wagt,  ber 
gewinnt),  fagt  ber  Äoüänber,  unb  fo  fagte  of)ne  Sweifet 
cinft  auc^  ber  <5)eutfd)e.  9J?it  ber  teibigen  €tf)notogie  unb 
9}^oral'Sd)ulmeifterei  t)ängt  e^  aud)  jufammen,  txif^  wir 
gegenwärtig  im  ©eutfc^en  fo  wenig  fröblid)e,  mutige 
6prid)Wörter  befi^en.  QBie  t)iibfd)  tröftet  in  ÄoKänbifd)= 
3nbien  ben  llngtücf liefen  t>ci^  Sprichwort:  „3n  Snbien 
enbigt  alleö  gut."  Unb  wie  fonnig  flingt  ber  italienifcfee 
93olf2fpru  c^:  „Einern  fröf)licl)en  ^enfcf)en  t)ilft  ©Ott." 

13* 


^a^e  unb  Qdjvantm  ber  ^t)antafie 

3ebermann  !ennt  ba^  nait>c  ßrftaunen  be^  ßanb» 
t)olfeö  barübcr,  t»a§  bcr  ertvartete  Äönig,  tt>enn  er  cnb- 
Itc^  crfc^eint,  nic^t  „größer"  ift,  aU  anbcrc  ^Dxenfc^cn. 
0aö  betäd^eln  xviv,  inbcffcn  tun  tvir  gang  basfetbc  an 
einem  anberen  Orte,  nämlic^  im  ^t)eater,  mo  tt)ir  einen 
fleinen  Sdjocf  üerfpüren,  menn  £ear  ober  Äamlet  jum 
erften  -fflaU  auftreten,  '^^lud)  n)ir  t)atten  unö  ^ear  in  bcr 
^^antajie  im  93ert)ältniö  jur  Umgebung  untt)iü!ürUci^ 
größer  gebarf)t.  <5)a  fommen  n?ir  einem  9iaturgefe^  ber 
^^antafte  auf  bic  Spur.  Q3erfoIgen  n)ir  bie  6pur.  '^eim 
Cefen  eine«  Spoö  iff  eö  rein  unmögtid),  ftd)  bie  £anbfd>aft 
5u  ben  ^anbelnben  ^erfonen  in  ben  rid^tigen  @rö§en- 
üert)ältniffen  »orjufteKen.  ®ie  9}Zauern,  bie  Stäbte,  bic 
Q3erge,  bie  Kälber,  aUe^  burft  fic^  nieber,  ber  9}Zenfc^ 
bagegen  n)äc^ft  empor.  Q3erfu(i)e  man  nur  einmal,  ^^ld)it- 
leö  mit  ber  ^I)antafte  burc^  eine  Äau^tür  ju  beförbern. 
€^  ge^t  einfad)  nic^t,  entmeber  ift  cö  nid)t  mef)r  '2i(i)iöcö, 
fonbern  ein  gried)ifd)er  Gotbat,  ober  bie  Äau^tür  t)er' 
buftet,  ober  ^d^ille^  bleibt  baoor  ftet)en. 

Hnb  fo  tDeiter  in  taufenb  ^eifpielen.  ^2[n6)  ber  nüc^- 
ternfte  9]^enfc^  !ann  feine  9\aum'  unb  Seitabfc^nitte  in 
ber  ginnerung  faffen.  0er  blo^e  feelifc^e  ^inbrurf  für 
fic^  allein,  o^ne  9iacl)t)ilfe,  »ermag  nicf)t  t>on  geftern  auf 
I)eute  ju  entfcf)eiben,  n)el(i)er  Tunnel  ber  längere,  n>elc^er 
Äird)tum,  n?eld)er  ^erg  ber  l)öt)ere  n>ar.  <5erner:  .^cine 
^t)antarie,  feine  Erinnerung  »ermag  ftetig  fort5ufd)rei- 
ten,  fte  ben)egt  fic^  in  Sprüngen,  t»on  ^ilb  ju  ^ilb,  unb 
jebeö^^ilb  l)at einen feften^^lugenpunft.  ferner:  einOSor- 
tragenber,  ein  0id)ter  fc^ilbert  un0  mit  genauen  ??ca§en 
unb  L'inien  eine  5;?anbfd)aft,  ein  ©efic^t.  ©anj  umfonft. 


9Laioität  197 


t>ie  ^t)antafie  fann  t)a^  niemals  {)altcn,  gcfd)tt>cigc  bcnn 
fummiercn.  ^antee  Äölle  ift  gcometrifc^  fo  genau  ge» 
jeic^net,  t>a%  man  topograp^ifc^c  harten  baüon  ange- 
fertigt i)at;  aber  tt)er  !ann  <5)ante^  ÄöUe  in  t)er  ^f)antafie 
bilbflar  nac^fd)auen?  Gc^lie^lic^  noc^  ein  93eifpiel,  ttjet» 
c^c0  beroeift,  t)a^  t)ie  '^^antafte  ftc^  »eigert,  t)urd)  eine 
anbere  ^ür  einzutreten  al^  burrf)  bie  Äerjfammertür. 
^er  !ennt  nic^t  9^om  unb  9}^ontecitorio,  mit  bem  ^ar-- 
lament^gebäube?  QSer  fann  jtc^  ta^  nid)t  Ieid)t  in  ber 
Erinnerung  oorftetten  ?  @ut.  "iHber  n)enn  tt)ir  nun  in  ber 
Seitung  unter  ben  '5)epefd)en  lefen:  „9\om  20.  ©ejem» 
ber:  3m  Parlamente  bracf)te  f)eute  ber "^Icf erbauminifter 

eine  QSortage  ein  ufm." »er  oon  ben  ßefern 

fiel)t  bei  biefen  Seilen  9?om  »irflic^  oor  *21ugen,  ba^ 
fteinerne  9^om  mit  S^arbe,  £id)t  unb  Schatten  ?  9^iemanb. 
Äier  begnügen  mir  une  mit  bem  geograp()ij'c^en  <53egriff 
9?om,  bem  £anb!artenrom ;  ba^  leibhaftige  9^om  erf  d)eint 
oor  ber  Erinnerung  bto§,  menn  eine  ©emüt^fct)mingung 
t>a^  Q3ilb  et)rerbietig  einläbt. 

©enug.  '•2lu0  allen  Erforfd)ungen  ert)ellt,  t>a%  ^l)an' 
tafie  unb  Erinnerung  bie  natürlichen  mir!lid)en  ©rö^en- 
t)erl)ältniffe  beftreiten.  <3taU  ber  9^aumma^e  gelten  ^ier 
^ert=  unb  Qßic^tigteitsma^e;  t)inter  einen  inö  Äeroifd)e 
vergrößerten  9[Renfc^enleib  mirb  bie  gefamtc  QCßclt  in 
ben  Äintergrunb  gebrückt  unb  bort  oerfürgt,  oerttjifc^t 
unb  öerfcf)rumpft.  0a^  ^eilt  fein  ©oftor. 


dlamtät 

^Zaiöität  ift  üielleid)t  t^a^,  maö  unferer  äeitgenöffifd)en 
l^iteratur  am  meiften  gebricht  3cl)  meine  9^aiüität  be^ 


19«  9uiiüität 


Gc^affenö.  9^ait)  fc^afft,  tt)er  unbefümmert  um  aüc^  an« 
berc,  um  Q3orbitber,  äft()ctifd)c  ©cbote  unb  Q3crbotc, 
um  QBei0f)ett  unb  Urteil  ber  Seitgcnoffen,  einfach  fein 
3iel  auf  gerabem  QBege  üerfolgenb,  bie  ^^ufgaben,  bie 
tf)m  3nfpiration  unb  ^t)cma  gefegt  f)aben,  gu  löfen  fuc^t. 
Ob  nun  feine  Unbefümmertt)eit  auö  Unfenntni^  ober  ab- 
fic^ttid)er9'tid)tbeobad)fungftammen,  ift  gleid)gültig.  S^ 
fann  einer  bie  t)öc^fte  '53ilbung,  bie  umfaffenbften  ^ennt- 
niffe  befi^en,  ja  fogar  raffinierte  fopt)iftifd)e  ©eifte^be- 
f(^affent)eit  aufweifen,  unb  bod)  nait)  fd)affen.  €ntfd)ei- 
benb  ift,  t)ai;  feine  anberen  9^üc!fid)ten,  feine  anberen 
©efe^e  gefannt  ober  anerfannt  tperben,  aU  SttJerf  unb 
5tt)ecfbienlid)e  xO^ittel.  epigonifd)e  9}Jutlofigfeit,  Über- 
bru^,  Übertefenf)eit  ber  jagt)afte  ©ebanfe  an  unerreich- 
bare Q3orbilber  unb  bergteic^en  me^r  ^emmen,  t)inbern, 
ftören  t>k  'i^lnberen,  lät)men  if)ren  QCßillen,  verleiten  fic 
ju  llmtt)egen  auf  Seitenpfabcn,  um  ben  ausgetretenen 
©eleifen  ju  enttt)eid)en.  <S)er  9^ait)e  fagt  ftd) :  tt)aS  ge^t 
mic^  t)a^  an  ?  gr  tut  unbefangen,  \va^  ju  tun  ift,  get)t 
bie  taufenbmal  begangenen  QCßege  gum  taufenbunberften 
9)^ale,  fd)reibt  eine  ^lxa§  nad)  Äomer,  tt>ofern  if)n  txi^ 
Äerj  baju  jttJingt,  ober,  n)enn  baS  ^eifpiet  beffer  munbet, 
eine  9\omeo  unb  3ulie  („auf  bem  Canbe")  nac^  6t)a!c' 
fpcarc,  reimt  Äerj  auf  Sd)mer5,  unb  Gönne  auf  QBonnc, 
tt>ofern  eS  ber  Sinn  »erlangt  —  unb  fiet)e  "öa,  bie  ab- 
gebrofd)enften  ©arben  geben  it)m  neue  Qßeijenförner, 
unb  bie  Ä^reujnjegc  blühen  unter  feinen  Sd)ritten,  alS 
ob  gerabe  t)ier  ber  S^rüt)Iing  feinen  l^iebling^^fi^  auf- 
ge[d)lagen  f)ätte.  (Dotiere,  betoeife,  Joarum  bieS  unb  t>a^ 
gerabe,5u  unmöglid^  fei,  ber  9Zaioe  tut'0  unb  fie^e  ba : 
eei  rvav  möglid)  unb  Ieid)t. 
93orauSfe^ung  ber  9^aioität  beö  Schaffens;  ift  9^cic^- 


®a^  6c^limmfte  199 


tum  t)cr  <23cgabung.  ®ie  ooUe  Hnbcbcnflic^fcit  gegen- 
über Äemmung^grünben  (njie  8d)tt)iengfeit  be^  ^b^° 
ma^,  ©efabren  bee  Srrtumö  ufro.)  lä^t  fic^  nämtic^ 
md)f  burd)  .^enntnißloftgfeit  ober  abfic^tUc^e  Ignorie- 
rung gett)innen,  tt)eilin  jebem  6toffe9ceftert>on6d)n?ie- 
rigfeiten  fterfen,  biebem6d)affenbenunüerfel)enßinben 
Qßeg  fallen,  fo  t>a%  er  ftcnjobl  ober  übet  gen^abren  mu^. 
^i^f)alh  teile  id)  benn  and)  feineöttjegö  bie  9;)^einung, 
alö  böte  fic^  9^ait)ität  in  genjiffen  9cature^oct)en  üon 
felber  bar.  9^ein,  fonbern  cingig  bann  gerät  9^aioität, 
tt)enn  bie  pottx^d)en  "^Silber  fo  reid)  unb  leu(^tenb  ben 
©eift be^6d)affenben  erfüllen,  ba^  fte  unbebingte'^lllein- 
berrfc^aft  erringen,  ^ann,  aber  nur  bann,  fd)tt)eigen  alle 
^ebenten,  fliegen  alle  <S)rad)en  unb  fpringen  alle  ^orc. 
^bertt>i$  unb  ^llltagöftaub  gab  eö  ju  allen  Seiten,  im 
(©genannten  ^inbesatter  ber  9)knfd)beit  nic^t  minber 
tt)ie  beute,  aber  eine  gute  93lume  ioäd)ft  einfad)  binburc^ 
unb  blübt. 


®a^  Sct)Ummfte 


6^  wirb  in  guten  freuen  t>iet  gerebet  unb  üicl  gefc^a» 
bet  *2lber  ein^  ift  unöerantwortlii^,  eins  barf  man  fid) 
nic^t  ju  Sd)ulben  f ommen  taffen :  e^  foU  fein  Q3ater, 
fein  Cebrer  ju  einem  Äinbe  fagen :  „So  boc^  tt>ie  biefer 
ober  jener  wirft  ^u'ö  freiließ  nie  bringen",  unb  eö  foU 
fein  G^riftfteller  ju  feiner  9^ation  fagen:  „"^unftum, 
fertig,  ^üre  gu ;  bie  gro§e  Seit  ber  Literatur  ift  oorüber, 
eg  wirb  nie  mebr  einen  ©oett)e  ober  Sdjiller  geben." 

®a0  ift  erften^  eine  ^orbeit,  benn  bie  Sufunft  wei^ 
man  erftnad)ber,  unb  bie9tatur  liefert  feine 'Programme. 


200       Irin  iuid)tiger  9ieben^n>ec!  t>cr  Direftcn  9\ebc  2C. 

Saat  man  etxoa  "^Inno  1740  proptjejeit:  ©ebt  ac^t,  ftäubt 
ab,  aief)t  cuc^  fonntäglid)  an,  benn  jc^t  fängt  näd)fteng 
bie  f  lafftfd)e  Literatur  an,  je^t  tt>irb  balb  bcr  grofee  ©oet^c 
geboren?  Ober  ^at  jemals  ein 6d)ullet)rer  einen  93uben 
mit  ben  OKorten  ber  klaffe  oorgcfteüt :  „©ef)tmir  fäuber- 
lic^  mit  bem  t)a  um,  bcnn  t>a^  gibt  einmal  t>ai  gro^c 
tt)eltberüt)mte  ©enie  St  ?"  9^ein,  fonbern  er  ^at  ju  aüen 
Seiten  ben  ©eniebuben  einen  6fel  genannt 

3tveiten!^  ift  e^  eine  '^Inma^ung ;  benn  anbere  {)erab- 
brücfen,  t)ei^t  nid)t  be[d)eiben  fein,  fonbern  unoerfc^ämt. 

©ritten^  ift  e0  eine  gen?iffenlofe,  fc^tec^te  Äanblung. 
9^iemanb  i)at  ha^  9\ec^t,  bem  f)erantt)ac^fenben  ©efc^lec^t 
ben  9}^ut  totjufc^lagen  unb  bem  nac^fommenben  ©e- 
fc^lecbt  3um  üorauö  in  bie  junge  t)eilige  Hoffnung  ju 
fpurfen.  0a^  ift  betf)let)emitifci^er  Ä^inberfeelenmorb. 


(Sin  tt)id)tiger  SZebenstPed  ber  bireften 
9?et)e  in  ber  ^oefte 

Q3on  ben  beiben  Äauptbeftanbteilen  jebe^  größeren 
©ebid)te^,  Äanblung  unb  9^ebe,  ift  e^  tt>o^l  immer  bie 
Äanblung,  toelc^e  ben  ©enie^enben,  fei  er  Cefer  ober 
Äi5rer,  interefftert.  QBenigften^  ben  mobernen,  benn  bei 
ben  ©ried)en  unb  9^ömern,  gemä§  it)rer  bialeftifc^en 
©eifteöbitbung,  fc^eint  t>a^  £lmgefet)rte  ber  ^aU  gen^e- 
fen  5u  fein,  n)ie  ja  auc^  ber  moberne  "Jranjofe,  bei  n>el- 
ci)em  bie  t)ö()ere  Q3ilbung  noc^  in  ber  9\cnaiffance-*2In- 
tife  njurjclt,  jebe^  ©efc^et)en  al^  ^2lnla^  ju  einem  QBort 
etracf)tet. 

^'äu^  bem  übernjiegcnben  3ntereffe  be^  ©enie^enben 
für  ben  Äanblungsbeftanbteil  \)<it  man  nun  auc^  auf 


Gin  n)id)tigcr  O^cbenjttjecf  t)er  bireftcn  9\et)e  2C.       201 

einen  inneren  Q3ortt)ert  t)er  Äant>Iung  fd)lie§en  wollen, 
worauf  t)ann  im  0rama  t)urd)  möglic^fte  Q3erfüraung 
t)er  9^et)en  t)er  berüchtigte  £aubefd)e  ^elegrammftil  er- 
tt)uc^^.  <5)iej"e  ^^lu^fc^reitung  barf  l)eut3utage,  t)ornet)m- 
lic^  t)urc^  t)a^  Q3ert)ienft  t)er  9Realiften,  fürüberrounben 
gelten ;  nid)t  jebod)  bie  9^eigung  jur  Äintanfe^ung  t)er 
Q^eben  übert)aupt,  fo  bal?  ein  QEßort  hierüber  fc^tt)erlic^ 
überflüfftg  fein  wirb. 

Hntcr  benmannigfad)en  ©rünben,  warum  ber  bireften 
9?cbe,  tro^bem  fte  bod)  entfd)ieben  weniger  interefftert, 
in  jebem  größeren  @ebid)t  gleic^wol)l  ein  ganj  beträcht- 
licher 9\anm  mu^  Qc^tattet  werben,  ift  einer,  ber  nac^ 
meinem  dafürhalten  nocl)  nic^t  genügenbe  93eac^tung 
gcfunbcn  t)at.  0ie  birefte  9^ebe  befx^t  unter  anberem 
auct)  "^O^ä^igung^wert,  fie  sä^mt,  inbem  jte  bie^l)anta- 
fie  bei  einer  gegebenen  Sjene  ju  oerweilen  jwingt,  bic 
bcm  ©ic^ter  unwillfommene,  un!ünftlerifct)e,  rein  fac^- 
lic^e  9^eugier,  unb  jwar  fommt  t)ierbei  gerabe  bie  räum- 
liche *iHu0be^nung  ber  9?ebe,  il)r  Seitwert,  \i)V  äu^erc^ 
^roportionaloerl)ältni^  jur  ^u^bet)nung  ber  Äanb- 
lungöelemente  in  '^etxa6)t  Gin  ®rama,  in  welchem  bic 
birefte  9Rebe  räumlich  ber  Äanblung  nic^t  tai  ©egen- 
gewic^t  l)ält,  gerät  barbarifc^,  ein  ßpo^  p^antaftifc^. 

^eim  Spo^  ert)ö^t  au^crbem  bie  birefte  9?ebe  bic 
<3öat)rfc^  einlief  feit  ber  €rsäl)lung;  benn  bie  SHujton 
einer  ^erfon,  bie  in  birefter  9^ebe  meine  Sprache  fpric^t 
unb  meine  Cogif  benft,  ift  ftärfer  al^  bie  Sllufion  einer 
'^Perfon,  oon  ber  nur  eine  Äanblung  er5ät)lt  ober  nur  ber 
ungcfäl)re  Äauptint)alt  il)rer  ^orte  in  inbirefter  9<et>e 
mitgeteilt  wirb.  Ob  freilict)  t>a^  gewaltige  Übergewict)t, 
welcl)eö  Äomer  ber  bireften  "xRebe  gegenüber  ber  Äanb- 
lung  gijnnt  (fo  gewaltig,  t>a%  bei  i^m  öftere  bie  Äanb» 


202  eine  äftf)etifd)c  Hnrct)lid)!ctf 

lung  nur  als  (Einleitung  ober  9cacl)fd)lag  t)cr  9^et)en 
^lai}  findet),  ob  fold)  ein  Übergeroidjt  aU  cmxQ  öor« 
bilt)lid)  gelten  t)ürfe,  fc^eint  mir  jtt>eifel^aft.  0a0  mu§ 
H)ot)l  ben  nationalen  eigentümlid)feiten  3uge5äl)lt  wer- 
ben, tt)ie  bie  9\eben  beö  ^t)ufpbibe^. 

Unö  Oteuen  aber  fönnte  ein  menig  oon  biefer  9?cbc- 
5uc^t  in  ber  ^oefte  md)t  fd)aben. 


gine  äftt)etifd)e  ynreb(ict)feit 

"^lUtäglic^  unb  überall  begegnen  tt>ir  in  belletriftifc^en 
Qßerfen  unb  Qßcrflein  biö  ^inab  in  bie  fleinfte  "Jeuille- 
tonftij^e  unb  t)inauf  in  bie  5)ic^tung  unb  bie  Q[ßiffen- 
fc^aft  folgenbem  93etrügd)cn.  ©er  93erfaffer  l)ebt  mit 
einer  lebl)aften  Gjene  in  tebenbiger  Situation  an,  um 
bem  Cefer  oorjutäuj'd)en,  er  fül)re  il)n  in  medias  res. 
©arauf,  nad)  6c^lu^  ber  ^nfangöfjene,  anftatt,  n)ic  er- 
toartet  ioirb,  bie(5rääl)lung  in  bemfelben  0til  unb  ^ernpo 
fortäufüt)ren,  fte^e  ta,  je^t  l)olt  er  ben  9}caifc^,  ben  ^a^ 
milienbrei,  t)a^  ftatiftifd)e  9\egifter  besi  Äelben,  bercn 
man  überl)oben  ju  fein  fic^  beglücfnjünfc^te,  einfach  nad), 
mit  aller  '33ef)aglid)feit  unb  ©efd)n)ä^igfeit,  nur  im 
^lusquamperfeftum  ^tatt  im  3tnperfeftum.  „9^.  9^. 
t)atte  fd)on  frül)3eitig  . . .  6ein  93ater  . . .  6eine  9}Zutter 

. . .  Seine  93ilbung  ufn) "  0a^  l)alte  ic^  nid)t  für  rec^t. 

entioeber  tt>enn  einer  ben  Cefer  nic^t  in  medias  res  ju 
füt)ren  oerftel)t  —  unb  e^  gehört  allerbing^  mitunter 
naml)afte  SlHnift  baju  — ,  fo  gebe  er  ftd)  nid)t  ben  9ln- 
fd)ein,  cß  ^u  fönnen,  fonbern  beginne  fc^lid)t  unb  et)r- 
lid)  mit  bem  'Einfang,  nämlid)  mit  ben  93orbebingungen 
unb  Q3ort>erl)ältniffen  ber  erääl)lung.  Ober  aber,  menn 


93on  bei-  ©laubt)afttgfcit  203 

er  öermcint  c^  ju  fönnen,  tt)enn  er  tt>agt  unb  oerfud)t, 
ben  i?e[er  in  medias  res  511  führen,  fo  foü  er  auc^  fein 
Q3erfprecf)en,  ha^  er  mit  bem  *2Infangöfapitel  t>or  bem 
ßefer  übernommen,  getrculid)  t)alten.  0a^  fd)eint  mir 
ein  einfad)eg!  ©ebot  bcr  9^eblid)feit.  ^ie  nennt  man 
benn  i)a^  Q3erfat)ren  eineö  Obftf)änbler^,  ber  eine  gro^e 
^pfelftne  obenauf  legt,  unb  bie  fleinen  barunter  »er» 
ftecft?  9^un,  genau  fo  nenne  id)  t>a^  Q3erfat)ren  eine^ 
Srgä^lerö,  ber  mir  ju  "Anfang  eine  fpannenbe  Ggene 
üorfpiegelt,  unb  mir  bann  ^intert)er  bie  nid^tö  n?eniger 
alö  fpannenben  biograp^ifc^en  unb  genealogifd^en  9^0- 
tijen  auftifc^t. 


Q3on  ber  ©taubf)aftigfeit 

QBarum  arbeiten  njir  gebrängt,  gefd()loffen,  gefügt, 
mitT-^al!en?  Um  Gpannung  unb  ®ip feiung  ju  genuin» 
nen  ?  <5)iefe  ßrflärung  möd)te  jur  9^ot  für  txx^  ®rama 
gelten  unb  genügen.  ^IHein  gefc^loffene  „bramatifc^e" 
5)anblungöfül)rung  ift  \a  burd)au^  nid)t  eine  Sigentüm- 
lid)!eit  bramatifc^er  'iHrbeit,  fte  fommt  ebenfofet)r  ber 
9lot>iüe,  bem  9^oman,  bem  ^po^  äugute.  Sielt  bod)  j.  93. 
bie  Ob^ffee  nic^t  minber  al^  9}^acbett)  ober  OßaHenftein 
t)om  erften  Qßorte  nad)  bem  (5nbe. 

^er  Äauptoorjug  einer  gefd)loffenen  ^ü^rung  beruht 
üielme^r  barauf,  t>a%  fte  bie  ©laubl)aftig!eit  eine^  QCßcr- 
feö  erl)öl)t.  3c^  meine  natürlid)  nid)t  bie  bäurifci)e 
©taubl)aftigfeit,  tt)eld)e  ein  QBer!  auf  feine  QSirHic^' 
feit^fäl)ig!eit  prüft,  fonbern  bie  poetifd)e  @laubt)aftig' 
feit,  mit  anberen  QKortcn:  bie  9)Zöglid)f eit ,  t>a%  ein 
vernünftiger  £efcr  fid)  toiiixQ  mit  Äerj  unb  Seele  in 


204  'i^on  ber  ®laub{)aftigfcit 

bie  QöJclt  t)e^  ©ic^ters;  oerfe^e,  fei  nun  beffcn  ^cU  ein 
"Qlbbilt»  t)er  Qißirnict)feit  ober  eine  geträumte.  <S>iefc 
©laubtjaftigfeit  Witt)  alfo  t)urc^  gefd)lofi"ene  Sbanblung^» 
fül)rung  gefeftigt  unb  jroar  auf  met)rfac^e  QiÖeife. 

0ie  93ora{)nung  eines  3icl^  t)erleit)t  bem  Qißeg  3^ec( 
unb  Sinn,  ben  3tt>ifc^enftationen  patf)etif(i)e  "^Bebeu- 
tung,  unterftreid)t  jebe^  einzelne  ^reigni^moment,  jebe^ 
geringfte  QBort,  inbem  aüe^  unb  jebeö  neben  feinem 
unmittelbaren  Sreigniö«  ober  0?ebeget)alt  obenbrein 
nod)  (Srflärungs--  ober  Gpmbolroert  für  bie  aufgefparte 
Äauptfjene  befi^t.  ^a,  fogar  bie  blo^e  QSitterung  ei* 
ner  *inbric^tlid)feit  jwingt  un^  fc^on  jum  engeren  'Qln- 
fd)lu^  an  tai^  Qßerf.  Sin  Äunftt? orteil,  ben  nad)  Schiller 
am  öfteften  unb  ben)u§teften  G.  <5.  9}^  e  p  e  r  au^genü^t 
f)at,  inbem  er  bem  Cefcr  bie  '2ibfic^tlic^!eit  b.  \),  bie  jiel- 
ftrcbenbc  9^ebenbebeutung  ber  Qlnfangöereigniffe  unb 
O^eben  fo  ftarf  oerrät,  t>a%  feiner  fie  überfein  fann.  3c^ 
möchte  faft  fagen,  er  reibt  fte  bem  Cefer  unter  bie  9^afe. 

Sobann  —  unb  bieö  fc^eint  mir  ba^  Q3ßi(i)tigfte  — 
crjeugt  gefc^loffene  '5ül)rung  eine  ilnmenge  t)on  'Se- 
5iet)ungen,  nic^t  blo§  bie  fd)on  ern?ä^nten  ^e3iet)ungen 
jroifc^en  ben  teilen  eine^  QSerfe^,  alfo  3tt)ifc^en*2lnfang 
unb  (Snbe  unb  5n)ifd)en  ben  Unterabteilungen,  fonbern 
auc^  '33ejiel)ungen  fämtlid)er  gefc^ilberten  ^erfonen  ju- 
einanber.  3e  met)r  Qßed)felbe3iet)ungen  aber  ein  Qßerf 
innerl)alb  feinet  <S)arftellung^freife^  entt)ält,  einerlei  n>el- 
c^er  ^rt  bie  ^ejieljungen  feien,  befto  glaubl)after  tt)irb 
62,  befto  ftärfer  5n)ingt  e^  ungi  in  feinen  'Sann,  befto 
unau0löfd)tic^er  bel)arrt  e^  in  unferer  Geele,  3c^  glaube 
nämlic^  bem  <3)ic^ter  inniger  eine  fold)e  ©eftalt,  an 
n)eld)e  eine  5n>eite  ^erfon  be^  ©ebic^te^  glaubt,  al^ 
eine  nod)   fo  treu  gefd)ilberte  ^erfon  für  fic^  allein, 


^ocnc  unb  ©cift  205 


ober  in  (ofcr  QScrbinbung  mit  anbeten.  Q3on  allen  'Se* 
tt)eifen  beö  roed^felfeitigen  ©laubenö  aneinanber  ift  aber 
ber  überjeugenbftc  bie  ftetige  ^eeinfluffung  be0  einen 
burc^  ben  anberen,  n>ie  fie  bei  gefc^toffener  5banbtung^= 
»eife  ftattfinbet.  €>iefem  ^ejie^ungggefe^e  entfpringt 
unter  anberm  auc^  bie  üon  6d)iüer  bemerfte  ^atfac^c, 
ba^  t>a§  ftd)erfte  9}^ittcl,  un«  eine  ^erfon  fpmpatt)ifc^ 
bar^ufteüen,  barin  befte^t,  anzeigen,  tt)ie  fxe  auf  anbere 
fpmpatl)ifcb  njirft. 

Hnb  bie  pfpc^ologifd)e  €r!tärung  be«  '33ejiet)ungöge-- 
fe^es  ?  Sie  lautet :  QSir  er!ennen  aüe  Gräfte  ber  Srbe, 
alfo  aud)  t>k  93tenf(^enfeele,  nur  an  i^ren  QKirfungcn. 


^oefie  unb  ©eift 

(5^  ift  rid)tig,  ba^  ©eift  nic^t  '^oefte  ift,  noc^  ^oefte 
öerbürgt,  nod)  ^oefie  erfe^t.  (So  ift  gleicbfatls  richtig, 
t>a%  man  ftd)  eine  ^ocfte,  bie  be^  ©eifte^  unb  be^  @e-- 
banfen^  entbet)rt  üorftelten  !ann,  alfo  j.  ^.  @efü{)lß' 
unb  Stimmungspoefte.  (£^  ift  tt)ieberum  richtig,  t><i% 
oberfläc^lid)  fpietenber,  alfo  friooter  ©eift  bem  ®id)ter 
unb  feinem  ^erf  nic^t  tt)0^l  bekommt,  n)orin  e^  5.  '33. 
QBielanb  übel  »erfab.  €^  ift  enblic^  mel)r  al^  ricf)tig, 
eö  ift  eine  tiefe  '5ßat)rl)eit,  ba^  fd)einbare  ^orljeit,  bem 
naioen  finblid)en  ©emüt  entfprie^enb ,  eine  ber  föft» 
lic^ften  €rfd)einung6formen  ber  t)eiligen  6eele  finb.  ©er 
reine  ^or,  ber  träumerifd)  burd)  bie  frembe  ^elt  in^ 
©lü(f  tappenbe  jüngfte  6ol)n  be^  beutfc^en  9}tärd)en6, 
gcf)ören  gu  ben  tieffinnigften  (Srfinbungen  ber  ©id)tung, 
bie  für  ficb  allein  fc^on  bie  erftaunlid)e  poetifc^e  93ega= 
bung  ber  ©ermanen  ben)eifen  tt>ürben. 


206  ^oeftc  unt)  ©cift 


dagegen  ift  nic^t  minder  xt>a\)v,  t)a%  t)ie  obcrftcn 
größten  Q^ormen  t)er  5?unftpoefie  ©eiff  nic^t  blo§  t)ul« 
ben,  fonbern  ftrcngftenö  erfordern,  unt)  jnjar  ©eift  in 
ber  t)i5d)ften  Q3oHcnt)ung.  9Zur  ein  ©eift  erften  9?angeg 
!ann  ein  0id)ter  erften  9?ange^  fein;  n)ie  benn  ju  aüen 
Seiten  bie  großen  <S)id)ter  jugleict)  bie  großen  <S)enfer 
waren. 

tyerner :  ob  aud)  bie  Heinen  tVormen,  alfo  ettt)a  bie 
liebmä^ige  Cprif,  t()coretifd)  ber  ^ei^ilfe  üon  ©eift  unb 
©ebanfen  nid)t  bebürfen,  fo  gelingen  felbft  biefc  erfah- 
rungsgemäß nur  bem  geiftig  Äod)ftef)enben.  Q.^  braucht 
einen  ©oet^e  ober  ibeine  ober  H^lanb,  um  bie  einfache, 
bef(i)eibene  l?iebform  fid)er  gu  bei)errfd)cn,  obtt)ot)l  ta^ 
£icb  fc^einbar  mit  bem  ©ebanfen  nid)t^  ju  tun  t)at.  (^^ 
ift  f^njer  ^u  fagen,  n)arum  es  fo  ift;  aber  eö  ift  fo. 

^u^  93erfet)en  freilief)  !ann  in  einer  fc^tt?ad^en  Stunbe 
njot)t  aud)  einem  mittelmäßigen  ©eift,  felbft  einem  ®i-- 
lettanten,  ein  einjelneö,  leiblidjeö  £ieb  gelingen,  boc^ 
lüä^renb  feinet  ganzen  ßebenö  feine  jn^ei  ober  mef)r. 
6old)e  auö  Q3erfe^en  gelungene  ßinmalfleinigfciten 
mittelmäßiger  ©eifter  unb  fd)n)acl)er  ^ünftler  nennt  bie 
Literatur  93olf^tieber. 

QSarum  fallen  benn  neun  Sebntel  aU  ber  t>ielcn  Äun- 
berte  t>on  glänjenben  Talenten,  bie  alljät)rlic^  (namcnt- 
lief)  um  Q3}eil)nae^ten  berum)  ber  9Zation  entbccft  tt>er- 
ben,  fpäter  in  bie  93ergeffenl)eit  jurücf  ? 

QBarum  galten  bie  üielt)erfprecf)enbften,  begabteftcn 
Süngtinge  al^  9^tänner  fo  n)enig  ? 

QBeil  e^  i^nen  entnjeber  an  Gbarafter  ober  an  ©eift 
feblt,  ober  an  beibem  jugleiet). 

Q©a^  fobann  unfern  QS^ibernjitlen  gegen  ©ebanfen- 
poefie  unb  bie  logifct)  gefcf)ärfte  ©iftion  betrifft,  fo  liegt 


l>oerte  unt)  ©eift  207 


f)ier  ein  nationaler  ©efd)macfßbilbung0fet)ter  t>or,  bcr 
forrigiert  fein  tt>iU.  (5r  beruf)t  auf  unooUfommener  ßnt- 
n?icflungt)e^6prad)gefüt)löunbunau^gegUd)ener  Übung 
t)er  ^enffätig!eit.  ^ie  übrigen  9^ationen  fd)ä^en  ben 
©ebanfen  innert)alb  ber  T!)oefie  ^öf)er,  fc^leifen  bemge- 
mä^  bie  poetifd)e  ©iftion  logifd)  fc^ärfer.  ^enfen  Gic 
j.  93.  an  bie  fop{)iftifc^e  <S)ialefti!  ber  att) enif(i)en,  bic 
•iHntitfjefcn  ber  franjöfifd)en  ^ragöbie  ober,  tt)enn  3{)nen 
taß  näf)er  liegt,  an  bie  Spi^finbig!eiten  6^a!efpeareg. 

9cunmef)r  ber  ©eiftesübermut  unb  «Überfluß  ober,  wie 
man  fid)  woi)i  üeräd)tlid)  ausbrücft,  bie  ©eiftreic^l)eit. 
3a,  geiftreid)  fein  ift  nic^t  fo  iDol)lfeit,  tt)ie  man  fid)'g 
etroa  üorfteUt  ®a^  ift  tt)eber  eine  angeborne  ®ahe^  ber 
9^atur,  nod)  ein  lernbare^  ©eban!en-^afd)enfpieter- 
!unftftiicfd)en.  9^ein,  e^  ift  t>ie  reblid)  erttjorbene  tyruc^t 
tebenslänglicben  el)rtid)en  0en!en^.  (xrftc  Q3orauö- 
fe^ung,  um  geiftreid)  ju  fein,  ift,  ba^  einer  jetpeiten 
bie  Suftimmung  ber  ernften  Q5>a^rl)eit  i)abe.  S:)at  er  bie 
nid)t,  fo  !ann  er  ^wat  ein  Qßi^bolb,  nimmermel)r  jeboc^ 
geiftreid)  fein.  QSarum  aber  —  möchte  man  öiellei^t 
fragen  —  gibt  einer  nic^t  lieber  bie  ernfte  Qö3al)rl)eit 
einfad)  unb  ernft,  aU  fpielenb?  9cun,  au^  bemfetben 
©runbe,  warum  ber  ®id)ter  nic^t  einfach  feine  Sä^e  in 
ernfter,  nüd)terner  ^rofa  auef priest,  fonbern  in  flingen- 
ben  9\l)t)tl)men  unb  fpielenben9?eimen;  mit  einem  Qßort: 
au^  6tilgefül)l.  9^id)t  um  bie  £efer  ju  untert)atten,  fpric^t 
ja  ber  5)id)ter  in  93erfen,  fonbern  tt>eil  er  feinetttJegen 
md)t  anbers  !ann  unb  barf;  nid)t,  um  jemanb  gu  be- 
luftigen, h>enbet  ber  ©eiftreic^e  bie  9ßabrl)eit,  hk  et 
bietet,  auf  bie  glänjenbe  6eite,  fonbern  njeil  er  fi^'^ 
felber  fc^ulbig  ift. 

^^  ift  n)ie  bie  natürliche,  fc^öne  Bewegung  einer  fei- 


208  93om  O^catftil 


ncn,  fcelifc^cn  Äanb.  9}^an  fönntc  ja  gcttJt^  ben  näm- 
lichen ©egcnftanb  ptump  mit  grober  S^auft  ^inmerfen, 
bie  ®ahe:  bliebe  bie  nämliche,  ^ie  feine  Äanb  jeboc^ 
fann  nic^f  anber^,  at^  fie  anmutig  überreid^en. 

Gc^tie^Iid^  n)iU  ic^  ^t}mn  geigen,  t)a%  t)öd)fter  ©eift 
mit  ber  größten  ^ort)eit  (^ort)cit  im  poeti[d)--patt)etifcf)en 
Ginne)  gar  tt)o^l  in  bem  nämlichen  9}^cnfd^en  oereint 
fein  !ann. 

€^  braud)t  nur  einer  feinen  Seitgenoffen  geiftig  über- 
legen §u  fein,  fo  ift  er  fc^on  ber  reinfte  ^or. 


95om  9^eatftil 

1901 

<5)er  Oveatffit  an  feinem  rid)tigen  ^la^e,  njenn  er  mit 
Hberjeugung  unb  ©ewiffen  get)anb^abt  n)irb,  ift  nicl)t 
etvoa  eine  mobifd)e  Q3erirrung,  über  n>eld^c  man  »er- 
äc^ttid)  ()inn:)egfet)en  bürfte,  fonbern  eine  ernfttjafte  "^lu^- 
brucföform  be^  fünftterifd)en  ©eifteö,  meld)c  geprüft 
unb  öerfuc^t  fein  tvxU,  n)obei  man  finben  njirb,  h(i%  e^ 
gar  nic^t  fo  leidet  ift,  bie  9^atur  ^ü  pb^tograp^ieren. 
6ein  Ceitftern  ift,  mie  6ie  ix)iffen,  bie  rücf  fici)t^tofe  QSir!- 
lic^!eitött)at)r^eit.  9Birflid)!eit^tt)at)r^eit  aber,  n)enn  fie 
aud)  nic^t  ber  poetif4)en  QiÖat)rt)eit  ebenbürtig  ift,  i)at 
immert)in  i^ren  QS>ert.  ßebrnjert,  Stubientt>ert,  ja,  un- 
ter Umftänben5>eil^n)ert.  6ie  liefert 'S)  o!umente,  Gfijsen 
unb  9}cobetle  unb  f  ann  bei  d)ronifd)er  literarifd)er  ^ran!- 
^eit  eine^  Seitalterö  b^itfam  tt)irfen,  inbem  fte  ben  Srnft 
in  bie  Citeratur  jurücffübrt.  <5)enn  alle  ^sabrb^^^  if^ 
crnft.  ^^it  feinem  ßrnft  fcblägt  ber  ed^te  9^ealftil  bie 
Q3crirrungen  im  Sü^lic^e  ober  ^atte,  5\^nüentionelle 


a^om  O^calftil  209 


ober  ^fcubo  •  3^e<Jle  ftcgreic^  am  bem  ^etbc.  ®enn 
^al)xf)e\t,  fclbft  bie  blo^c  Q33irflid)feitßit3at)rt)eit,  ift 
immer  eines  9?cannc^  ©ebanfen  tuert,  tt)ät)renb  Äirn« 
gefpinffc  mittelmäßiger  5\!öpfe,  atfo  3. 93.  fonoentionelle 
Cprif  ober  [c^ablonenmäßige  9\omane  unb  Dramen 
nic^t  benfensttjert  ftnb.  <S)er  5)urd)fd)nittörealift  ift  bem 
®urd)fc^nitt0ibealiften  tx)eit  überlegen, 

Sebeö  ^ud),  baö  im  ed)ten  9\ealftit,  i(^  meine  mit 
et)rlid)er,  felbftocrgeffener  Q[ßirfUd)feit^treue  gefd)rie-- 
ben  ift,  fann  man  tcfen.  3<i)  geftet)e  fogar,  baß  id)  per» 
fönlid)  im  ©ebiete  ber  profaifc^en  (^rsäf)lung  nid^tö  an= 
bereö  lefen  mag. 

Sd)  fage :  ber  profaifd)en  €rgäf)(ung.  ®enn  naturge- 
mäß befc^ränft  fid)  ber  9^ealftil,  n?eil  er  ^irnid)feit^' 
ftil  ift,  auf  bie  '^rofa  unb  fann  in  ber  ^oefie  nur  epi- 
fobifd)  oernjertet  n> erben. 

9'Zun  5um  9?ealiömu^  ober  9^aturaliömu^. 

QBer  im  9^ealftil  fcf)reibt,  ift  be0tt)egen  nod)  !cin  9?e= 
atift,  fo  n>enig  tt)ie  einer,  n)eit  er  ©emüfe  ißt,  barum  fd)on 
Q3egetarianer  ift.  Sonbern  93egetarianer  ift,  mer  nid)t^ 
olö  ©emüfe  ju  effen  ertaubt;  9^ealift,  n)er  feinen  an-- 
bern  Stil  aU  ben  realiftifd)en  anerkennt,  n)er  i^n  al^ 
Uniüerfalmittel  ber  gefamten  Citeratur  aufbrängen 
möchte,  hiermit  beginnt  ber  llnfinn. 

'5)en  9^ealftil  in  ^onfurrens  mit  ber  "^oefxe  fe^en 
ober  gar  mit  il)m  bie  ^oefie  öerbrängen  ^u  n^ollen  al^ 
eine  'iHrt  '^anrealiemu^  ift  eine  llngel)euerlid)!eit,  beren 
fid)  bloß  93efd)ränftl)eit  ober  Hnel)rlid)feit  ober  beibe^ 
bereinigt  fc^ulbig  machen  fann.  9^attonale  93efc^rän!t-- 
^eit  ober  perfönlid^e.  9^ational,  mit  bem  9^i^ili^mu^ 
t)ertt)anbt,  bei  9?uffen  unb  6fanbinat>iern,  perfönlid)  bei 
ben  ©oncourt  unb  Sola  unb  it)ren  Trommlern.  Qßo  toir 

6  p  i  f  t  c  l  c  r ,  Coc^enbe  "Söa^r^citcn  14 


210  9?om  9\ealftil 


^e[ct)ränftt)cit  ^aben,  f)abcn  voir  nafürtid)  auc^  ben 
^anatiömu^. 

0rauent)aftere  ^cbantcn  i)at  bie  Q5>elt  nic^t  gcfc^cn, 
aH  bie  9caturaUftcn. 

3m  bcutfd)en  ^anreali^mu^  t)abcn  tt>ir  tt)cuiger 
ein  ©ebilbe  ber  '53e[d)räntt^cit  ale  bcr  6trcbcrci  öor 
un^.  €^  gibt  in  ©cutfc^lanb  faum  einen  eckten  9^ca- 
liffen  (imb  c^  !ann  auc^  nad)  @oetI)c  unb  Sd)iüer 
feine  foltben  geben),  nja^  ftrf)  fd)on  baburd)  tjerrät  t>a^ 
fie  alle  früher  ober  fpäter  öon  ibrem  fanatifd)  geprc- 
bigten  (5t>angetium  abfallen.  '5)er  beutfd)c  9\eali^mu^ 
tt)ar  nie  eine  Überzeugung,  fonbern  nur  eine  9?ca^fe, 
unter  n?elc^er  fid)  aUaß  möglid)e  ©ift,  üor  allem  ba^ 
©ift  gegen  Schiller  unb  bie  t)Ot)e,  ibeate  ^oefte  fam- 
melte  unb  oerbarg.  ©egenttJärtig  ift  er  terenbet.  €r  war 
bcn  beuten  ju  läftig  unb  gu  fd)n)ierig. 

QKcnn  ber  9\eali^muö  mit  9?ed)t  unb  mit  Erfolg  ben 
falfd)en  Sbealiömu^  befämpft,  fo  unterliegt  er  fd)mä^- 
lic^,  fobalb  er  ficf)  an  ben  ed)ten  ^beali^mu^,  alfo  bic 
^oefie  felbft,  n>agt.  QBie  t)immeIt)od)  ber  <i6)U  ^beali^- 
muö  bem  9^ealiömu^  überlegen  ift,  jeigt  am  beften  bie 
^atfad)e,  t>a%  öon  iet)er  bic  beften  reatiftifd)en  Q5Jer!c 
t>on  3bealiften  gefc^rieben  würben. 

Äein  <^rama  eine^  9\ealiften  erreid)t  an  realiftifc^er 
>^raft  unb  ©rö^e  „Kabale  unb  ßiebe"  be«  Sbealiften 
6d)iller. 

Ä'ein  9^oman  eine«  9?ealiften  erreid^t  bic  realiftifc^e 
9}^eiftcrfd>aft  ber  „9}Zabame  <^ooar^"  bc«  Sbealiftcn 
<5laubert. 

^Ifo  ber  3bealift  mu^  bem  9\ealiften  aeigen,  wie  man 
realiftifd^  fd)reibt. 

Uingcfehrt,  wenn  ein  9\ealift  }\d)  auf  t>a^  ibcaliftifc^c 


93om  Sbcalftil  211 


©cbiet  waQt,  fo  fe^t  e^  crbärmlid)e  '^fufd)ercicn  ah. 
er  platfc^t  in  bcn  näc^ffen  ^fut)l  bc^  Aberglauben«, 
njtrb  bigott  ober  fpiritiftifcf)  ober  fonftwie  närrifcb. 

<S)ie  .^unftformen  beö  3beaU^mu^  tt>agt  er  nid)t  ein- 
mal probe-  unb  t)ergleid)^tt)eife  ju  t)erfud)en,  fo  ftc^er 
füt)lt  er  ba^  fc^mä{)lid)e  tÜ^i^Iingen  öorau^. 

3mmer{)in  ift  ju  bemerfen,  ba^  ba,  tt)o  ber  9?eali*' 
muö  auf  nationaler  ©runblage  ru^t,  alfo  bei  9^uffen 
unb  6fanbinat)iern,  n)enn  auc^  nic^t  9}Zeiftertt)erfc  ber 
QBeltliteratur,  boc^  eine  ^yüUe  oon  ffijsent)aften  '33e- 
obac^tungen  unb  ^fpeftorationen  t)0{)en  ©ofumenten» 
tüerte^  entftel)cn.  ®ort,  bei  ben  @arfd)in  unb  ©orjü 
unb  Äamfun  mu§  man  ben  ed)ten  Q^ealftil  fucf)en. 

"dagegen  bei  ben  pebantifc^en  9?ealiften  ber  ^f)eoric 
innert)alb  ber  alten  mefteuropäifc^en  Citeraturnationen 
ift  njenig  ju  ^olen. 

3c^  refümiere :  (S^  foHte  jeber  0d)riftffeller  fid)  getc» 
gcntlid)  auc^  im  realiftif(i)en  Stil  t)erfud)en,  um  ju  er- 
fahren, tt)a«  baran  ift.  5)ie  ^Zation  aber,  n>enn  fie  über 
ba^  Q3erl)ältni^  t>on  Sbeali^mu«  unb  9^eali^mu«  in« 
reine  !ommen  xt>\\i,  tt)irb  beffer  baran  tun,  njenn  fie  fid^ 
bei  benen  erfunbigt,  bie  beibe«  f önnen,  al«  bei  jenen,  bie 
feins  t>on  beiben  fönnen. 


Q3om  Sbeatftit 


Strenggenommen  fprid)t  ja  jcbe  ^unft  unb  ^oefte 
ben  Sbealftil,  ta  eben  eine  jmeite,  l)öl)ere,  eblere  ^elt 
gcfd)affen  n)irb.  Aller  Q3öl!er,  aller  ^OZenfc^en  Se^nfud)t 
ruft  en)ig  „t)inau«  unb  hinauf!"  QBo  xt>\x  t>a^  ©egenteil 
antreffen,  ben  9^uf  „l)inein  in  t>a^  üolte  ßeben",  n)ie  j.  93. 

14» 


212  93om  3t>catftil 


neulid),  l^aben  mv  es  mit  einer  9\eaftion0erfd)einung  ju 
tun.  ^r  ertönt  nur  bann,  ttjenn  eine  93enrrung  in^  £eb- 
lofe,  alfo  ein  fatfd)er  3t)cali0mu^  öorangegangen  ttjar. 
©enau  fo  tt)ie  ber  9^uf  nac^  „9^atur"  eine  üorau^ge» 
gangene  Unnatur  »errät ,  ober  tt)ie  bie  6orge  um  bie 
©efunbt)eit,  ha^  .^raftbrü{)entrin!en,  t>a^  Sifenfc^tucfen 
bemeift,  t>af^  einer  franf  tt»ar  imb  noc^  ift.  €in  gefunber 
93Zenfd)  flimmert  jtd)  nicl)t  um  bie  ©efunb()eit ;  ein  na- 
türUd)eö  Seitalter  led)5t  nid)t  nad)  9'catur;  eine  lebenbigc 
Äunft  fd)reit  nid)t  nad)  bcm  öotlfciftigen  Ceben. 

9}cit  bem  eigenttid)en  3bealftil  innerl;alb  ber  'Poefie 
meint  jebod)  bie  Q3orfteUung  etn?aß  ^efonbereö,  nämlic^ 
einen  fold)en  Stit,  ber  in  betDu^ter  QSeife  bie  ^^bftreifung 
bes  ©emeinen  anftrebt;  ber  ben  9lbel  gum  3iet  erl)ebt 
unb  fic^  oon  if)m  bie  ©efe^e  [(^reiben  tä^t,  getüiUt,  bie 
abiigen  ©efe^c  ftrengftenö  bis  in  alle  €inäelf)eiten  ber 
•Jorm,  alfo  beö  6til^  unb  ber  6prad)e,  gu  befolgen. 
®er  3bealftil  ift  ber  ©entleman  in  ber  ^unft  unb  tt)irb 
bal)er  üon  pöbelf)aften  Seelen  gerabegu  Q^i)<i%t  So 
ift  ber  Stil  ber  gried)ifc^en  ^ilbl)auerfunft  barum  ein 
Sbealftil,  tt)eil  ber  ^ünftler  ben  ©öttertppu^  burd)  be- 
wußte QSereblung:  burd)  Kombination,  "^Ibftraftion, 
burd)  'i2lntitt)efe  au^  ber  gemeinen  93^enfd)engeftalt  ge- 
wann, inbem  er  j.  ^.  ben  t)tafenftirntt)in!el  be^  ©ötter- 
geftd)te^  au^trärtö  bog,  toeil  ein  gemeine^  ©eftc^t  ben 
QBinfel  nad)  innen  i)at. 

'S>er  3bealftil  i)at  tt)ie  jcber  Stil  feine  93orjüge  unb 
9iad)teile.  0er  Äauptnad)teil  beö  poetifd)en  3bealftil^ 
ift  ber  ^Iliangel  an  9}cut,  fon)ol)l  an  2eben0n)irflid)feit^- 
mut  tt)ie  an  ^()antafiemut.  '53egreifüd);  benn  ber  Sbeat- 
ftil  ift  ja  ein  3^lüd)tling.  ©anj  eminente  'S)id)ter  toerben 
fic^  t)ai)ix  beö  3bealftil0  (aum  bauernb  bcbienen.  *5)ante. 


93om  3t)ealftil  213 


txot)  feinem  ^^antafieit)eati^mu^,  fpric^t  !eineön)eg«  im 
Sbealftil. 

^uc^  mit  ber  '^erfönlid)!eit  »erträgt  fid)  ber  Sbeat- 
ftil  md)t  tt)ot)l. 

9^ait>e  perfönlid)e  ©rö§e  ft^t  tiefen  !eufc^en  6tit  mit 
if)rcm  bloßen  @etT)id)t  auöeinanber  njie  einen  gebred)-- 
lid)en  Stut)l.  9cur  foId)e  perfönlid)e  @rö§e,  n)eld)er  ©c- 
banfenfd)tt)ung  unb  9^f)etori!  9^atur  ift,  tt)ie  j.  'S.  '^^irgil, 
eorneiöe,  Gc^iüer,  fül)It  ftc^  im  Sbealftil  ficfjer  unb  tt)ot)l. 
*i21ber  aud)  nur  in  einem  kräftigen  3tealftil. 

9^un  bie  QSorgüge. 

€in  Äauptoorsug  beö  Sbealftit^  ift  bie  feelifc^e  9?ein- 
i)eit,  9^einf)eit  ber  93orfteHung,  ber  Stimmung,  be^  @e- 
ban!en^,  ber  6prad)e  unb  ber  tyorm.  Sß  ift  nic^tö  @c= 
ringet  um  einen  Stil,  ber  un^  verbürgt,  t)a%  wxv  oon 
ber  erften  bi^  ^ux  legten  Seile  of)ne  Unterbred)ung  Äö» 
l)enluft  atmen  bürfen.  Qißenn  mir  ba^  nid)t  fpüren,  fo 
fpüren  e^  eben  anberc. 

®er  tüic^tigfte  QSorjug  ift  aber  bie  QSirfung  auf  ta^ 
©emüt.  '^an  pflegt  gmar  bem  Sbealftil  im  ©egentcil 
gefül)llofe  ^älte  oor^iumerfen.  9cun  ja,  mit  ben  niebercn 
Stilformen  öergli(i)en  ift  jeber  l)ot)e  Stil  !alt,  t>a  eben 
bie  f)o^e  ^unft  nid)t  bireft  auf  ta^  ©emüt  abhielt.  <5)ie 
i)at  anbere  Sorgen.  <S)ie  gefül)lt)ollften  Cieber  merben 
ja  t>on  'S)id)tern  gmeiten  9^ange^  gefct)affen.  3ebcr 
'^l)ilifter  urteilt:  Hafftfd)c  9}^ufif,  ^ugen,  Sonaten, 
Sinfonien,  ift  nichts  für^  ©emüt.  QSa^  ift  benn  für^ 
©emüt? 

®aö  „Sarenlieb"  oon  ßor^ing  ober  „®er  tiroler  unb 
fein  ^inb" : 


„^cnn  ic^  ju  meinem  Äinbe  qeff\ 
3n  feinem  "Slug'  bie  93iufter  fe^'" 


214  ^erfcbrte  Q[ßelt 


0ie  t)0^e  Äunft  erflärt  ftc^  gegenüber  t)em  ©efüljl 
n)oI)ln>oüent)  neutral.  <5)a  jet)oc^  6d)önt)eit  oon  9tatur 
wegen,  ob  fie  tt>iü  ober  nid)t  \viU,  ©efüt)le  außlöft,  [o 
wirft  bie  t)ot)e  ^unft,  n?ä{)renb  fte  feine^roegß  auf  t)ai 
©emüt  äielt,  boc^  auf  t>aß  ©cmüt. 

(Sin  mufüalifc^er  ©reiflang  ift  regelmäßig,  mecl)anifc^, 
falt;  aber  er  tröftet  unb  erl)ebt  tro^bem  bie  mit  Trauer 
um{)üllte  Seele.  ^^Itle  Sc^ön^eit  \)erföl)nt  unb  erlöft. 

0a0  (3efüt)l  ber  Q3erfö^nung  unb  Srlöfung  nun,  wel« 
d)eö  jcbe  ^of)e  ^unft  bewirft,  bewirft  ber  3bcalftil  in 
üerftärftcm  9CRa§e.  Q.^  ift  ber  6til,  ber  ben  Eintreten- 
ben  mit  bem  ©ruße  fegnet:  „S^riebe  fei  mit  bir!"  3d) 
benfe,  c^  ift  wat)rlid)  aud)  ein  ©efü^l  (unb  feine«  üon 
ben  fälteften),  auö  ber  ©emein^eit  emporgejogen,  auö 
bem  '^öbell)aften  gerettet  gu  werben,  ben  Kummer,  ben 
Sammer,  ben  3anf  oergeffen  gu  bürfen,  6c^merj  unb 
Trauer  in  Sd)ön{)eit  fc^meljen  ju  fpüren.  9}Zan  berichtet 
»on  ''21frifaforfd)ern,  weld)e  nac^  ja{)relangen  kämpfen 
unb  ^lacfereien  in  ben  Urwälbern,  al^  fte  jum  erften 
9)Zale  wieber  ein  weißet  ©eftd>t  fat)en,  in  tränen  au^- 
brac^en. 

<Da^  weiße  ©efid)t  ift  ber  3t)ealftil. 

^a^ift^frifa? 


Q[Öerfen  wir  einen  ^licf  über  unfere  gefamte  l)eutigc 
^unftübung,  fo  finben  wir :  bie  9Qtalerei  unb  ^laftif 
ftrcbt  nac^  "^oefie,  infpiriert  ftc^  burc^  bie  'pi)antafie, 
füllt  fid)  mit  ©cbanfen,  fprid)t  fpmbotifc^,  mad)t  fid;  mit 
'3}^^tl)ologic,  l^erfonififation,  '2lUegorie  ju  fc^affen.  0ie 


Q>crfct)vtc  ^^clt !  215 


tDiufxf,  fooiel  fic  nur  irgent)  fann,  auc^;  ja  fogar  üiet 
mct)r,  alö  fic  nur  irgent>  fann.  ^Sagegen  t)ie  ^oeftc  fotl 
fxd)  einjig  unt)  allein  mit  t>cx  QSirf lic^feit  abgeben ;  foll 
nic^t  au^  l)cr  ©cgentDart,  nic^t  über  t>en  (^rbboben  i)xn- 
au0  türfen;  foll  il)rcm  natürlid)en  3nf)alt,  t>er  ^l)an- 
tafie  unt)  t)em  ©et)anfen,  unt)  i^rem  natürlid)cn  ^ue» 
t)rucf «mittel,  ber  rbptl)mifrf)enSpract)e,  entfagen.  ^rofa 
mit  aufgeblafenen  fi)mbolifd)en  Titeln,  t)ie  ^um  3nl)alte 
paffen  wie  t>ie  flagge  auf  ein  9}^ot)t)erfd)iff,  fei  i^r  Siel. 
'2llle  fünfte  mögen  unt)  bürfen  t>icf)ten,  einjig  t)ie  0id)t' 
fünft  foU  nid)t  t)id)ten. 

®ergleid)en  lä^t  mic^  an  ber  überlegenen  @efd)eit- 
^eit  unfereö  Seitalters  jtüeifeln,  tro^  —  ober  öielleic^t 
gerabe  «jcgen  feiner  ftupenben  literarifd)en  9Beis|)eit, 

9iun  möd)te  id)  beileibe  nic^t  meiner  lieben  ^reun« 
t>in,  t)er  9}^alerei,  t)a0  ©ic^ten  oerargen.  9'Jur  meine  ic^, 
t>ic  <^oefie,  t)ie  t)cn  9}^aler  fcl)mücft,  m5d)te  aud)  t)em 
©ict)ter  nid)t  fo  übel  anftel)en.  Unt)  tt>arum  t)ie  9}^alerei 
t)urcl)au0  ein  93^onopol  auf  Sentauren  t)aben  foHte,  X>ai 
»ermag  ic^  nic^t  einäufel)en.  Äat  fte  ettüa  ein  patent? 
S:>at  fte  t»ie  griec^ifd)e  5)Zt)tl)ologie  gepad)tet? 

^elc^er  Äunft  ift  t)enn  bie  freie  (Srfinbung  eigentüm- 
lich unt)  tt>efentlid)  ?  3c^  benf  e  ber  ©ic^tfunft.  ©ie  6prac^e 
fagt:  „tttr>a^  erbid)ten"  unb  nid)t:  „etn^ae  abbic^ten". 
dagegen  ber  xOcalerei  gel)ört  bie  freie  ßrfinbung  nur 
lei^tt)eife  an.  ®ie  Sprad)e  fagt  nic^t :  „cttt?a^  erjeic^- 
nen  unb  ermalen'',  fonbern  „Qtxt>ai  abjei(i)nen  unb  ab- 
malen". 


^a^  5?ntenum  ber  epifrf)eit 
Q^crantagung 

"•211^  Äenn^eic^cn  t)er  cpi[d)cn  Veranlagung  gelten 
mir :  bie  Äerjensluft  an  t>er  lyüHe  t)C2(  ©cfd)el)enö,  feien 
c^  nun  ^^atcn  ober  Sreigniffe,  bie  "^reubc  am  forbigen 
0\eid)tum  ber  Qöelt,  unb  jmar,  tt)ot)lbemerft,  9?eic^- 
tum  ber  äußeren  €rfd)einungen,  bie  6e^nfud)t  nac^ 
fernen  .sbori^onten,  ba^  burftige  Vebürfniß  nad)  Ä)öf)en-- 
luft,  n)eit  über  ben  ^lUtagöboben,  ja  über  bie  QSirflid)-- 
feit^grengen  unb  Q3ernunftfd)ranfen. 

QBer  bergteic^en  nid)t  erfel)nt,  ttjer  nic^t  mit  jungem 
9?^orgenmut  auf  S^lügeln  ber  ^fjantafie  in  bie  QS>elt 
^inauöfprengt,  neugierig,  ma^  \t)m  ^rau  ^^oentiureüber 
ben  Q^Cseg  jagen  tt)erbe,  ber  ift  !ein  geborener  Spifer. 

3ur  Kontrolle  üon  ber  ©egenfeite  l)er  bient  mir  al^ 
firf)ere^  Äennjeid)en  be^  9'Jid)tepi!er0 :  bie  £uft  an  ber 
(^^arafteriftif,  an  ber  0eelenanatp[e  (alfo  an  pfpd^olo- 
gifd)en  l>roblemen),  an  ber  fe"nttt)icflungögefd)id)te  be^ 
Äelben,  an  ber  tt)ol)tmotit>ierten  logifd) -vernünftigen 
€r3äl)lung.  S>er  ßpüer  fann  jmar  cbarafterifieren,  tuenn 
er  will,  aber  er  !ann  e^  nid)t  auf  bie  'Sauer  it>ollen,  tpeil 
er  auf  anbere  3iele,  bie  \i)m  midjtiger  fc^einen,  feinen 
^l\d  gerichtet  i)at  (5r  ttjirb  jtüar  gen)i§  nid^t  '^Inbro- 
mad)e  tt)üten  laffen  tt>ie  9ljar,  aber  er  ift  imftanbe,  eine 
ioauptfigur  burc{)au0  in  nebell)after,  fd)tüanfenber  ^er-- 
fönlic^feit  ju  liefern,  ol)ne  nur  einen  Q3crfuc^  ^ur  G^a» 
rafteriftif.  So  i)Qt  5.  ^.  Äomer  mit  ber  Sbelena  getan, 
t)on  ber  er  felber  nid)t  tvei^,  nod)  ;^u  tviffen  bcgeljrt,  ma« 
er  oon  il)r  l)ält  ober  mie  er  fte  auffaßt  Unbemu^t  unb 
ungenjoUt  cbaratteriflert  tt>o{)l  mitunter  aud)  ber  (i'pifer, 
mit  bcrfelben  9cottoenbigteit  tvic  ein  Äarmonifer,  wenn 


<5)a0  Kriterium  ber  epif(f)en  9?eranlagung      217 

er  einen  (£f)oraI  f omponierf,  einc9}^elot)ie burd)  bie  Stim- 
menfüt)rung  erzeugt,  ob  er  tt)itl  ober  nid)t  mü;  aber  bie 
Ct)arafteriftif  ift  \i)m  niemals  Äauptfarf)e,  ja  nid)t  einmal 
eine  tt)id)tige  (Ba6)e. 

©egen  ^ft)d)ologif  oerfpürt  ber  (Jpifer  met)r  als 
©leid)güttigfeit,  nämlic^  Q[ßibertt)iUen;  tt)eil  es  ja  ba^ 
oberfte  ©efe^  epifd)er  ^unft  ift,  Seelen^uffänbe  in  (^r» 
fd)einung  umjufe^en.  £lmftänblic^efeelifc^ex0^otit>ierung, 
t>on  innen  t)erauß  gefd)ilberf,  n)ürbe  alfo  jebeemal  in  ei» 
nem  epifd)en  ©ebid)te  einen  ^ef)ler  bebeufen.  dagegen 
fo(d)e  äußere  (Srfc^einungen  ^u  erfinben,  tt)eld)e  bie  feeti= 
fd)en  Q3orauöfe^ungen  im  fürjeften  unb  allgemeinoer- 
ftänblid)ften  95itbe  rücfn)ärt^  erraten  laffen,  ta^  ift  ber 
^riumpf)  ber  ^unft  in  ber  €pi!.  3n>ei  ^eifpiete:  Obt)ffeu^, 
tt)enn  er  befd)impft  tt)irb,  mad)t  nid)t  Seelen!ämpfe  üor 
ben  "^ugen  t>e^  Ceferö  burd),  fonbern  er  fd)üttelt  cinfad) 
t>a^  Äaupt  <S>aö  §njeite  ^eifpiel  möd)te  id)  gerabe^u 
al^  ^arabigma  epifcber  ^unft  ^infteüen :  '33ci  ben  ita= 
lienifc^en  9\olanbepen  fommt  e^  einmal  üor,  t>a%,  id) 
tt)ei§  nid)t  met)r  melc^er  5belb,  id)  glaube  9\inalbo,  nac^-- 
bem  er  jal)relang  ftc^  um  t>k  2icbc  einer  '5)amc  umfonft 
bemül)t,  fie  nid)t  me^r  liebt  unb  nun  öon  i^r,  bie  er  md)t 
mel)r  liebt,  geliebt  wirb.  (Sin  9^id)tepi!er,  alfo  5.  93.  ein 
9?omaner5äl)ler,  mürbe  ftd)  ge^mungen  glauben,  biefe 
^atfac^e  mi5glid)ft  glaubl)aft  feelifc^  ju  begrünben,  unb 
biefe  ^egrünbung  mürbe  ein  Äauptftücf  feiner  (Jr^äl)' 
ung  au^mad)en;  fte  mürbe  auc^  einen  großen  9xaum 
beanfpruc^en,  t>a  er  ja  t>a^  erfte  'i2luftaud)en  ber  öerän- 
berten  ©efinnung  oermerfen  mü^te,  l)ierauf  bie  3tt)eifel 
unb  Selbftfämpfe  fd)ilbern,  bi^  er  enblid)  ben  gemünfd)- 
ten  "2lbfd)eu  ftatt  ber  frül)eren  2iebe  gemonnen  ^at.  0a 
e0  fid)  ferner  um  ein  Umfe{)rungöpl)änomen  bei  §mei 


218     0a^  Kriterium  t)cr  epifc^en  Q^eranlagung 

xDienfd^en  Ijanbelt,  fo  mü^te  obent)vein  t)ie  ganjc  Ope- 
ration mit  2  multipliziert  tverben.  —  QBag  gäbe  Öa«  für 
eine  umftänt>lid)e  au0fü^rlid)e  93ourgetiererei!  llnt)  nun 
fet)en  6ie,  ix)ic  t)er  Spifer  t)ie  9lufgabe  löft:  ßr  ert)icl)tct 
eine  QBunberquelle,  iüelc^e  t)en  t>arau0  ^rinfcnben  jur 
Ciebe,  unb  eine  5tt)eite,  iDeld)e  t)en  barauß  *5:rin!ent)en 
jum  ^lbfd)eu  nötigt.  *!2llfo  ftatt  t)er  ^fV)cbologif  t)a^  t)en(= 
bar  fc^rofffte  ©egenteil  t)at)on,  t)ie  äu^erlid)fte,  untt>at)r' 
fd)einlid)fte,  unt>ernünftigftc  aller  'SDZotioierungen :  ein 
^runf  QBaffer.  ^ber  gerabe  ba^  ift  im  epifc^en  ©ebid)t 
t>er  ^riump^  ber  ^unft  unb  ber  golbenfte  6tral)l  bic^- 
terifc^er  6d)önl)eit.  Qä3er  fo  etwa^  erfinben  fann,  ber  ift 
ein  epifd)er  9}ieifter. 

Unb  nun  »ergteic^e  man  bamit  bie  ""^lufgaben unb 9}^a§- 
regeln  be^  9^omaneräät)ler^ !  <S)aö  ift  ja  nid)t  ettpa»  '•2il)n- 
lid)eö  auf  anberer  6tufe,  nein,  e^  ift  t)a^  fd)nurgerabe 
©egenteil  in  allem  unb  jebem.  ßin  folc^e^  ©egenteil,  t>a% 
fd)on  bie  blo^e^atfad)e,  t>a%  einer  9?omane  ju  fd)reiben 
pflegt,  mid)  oermuten  lä^t,  er  fei  fein  S pif er.  Q[ßa0  bleibt 
benn  fd)lie^lid)  ©emeinfameö  ?  ®ie  "Fortbewegung  ber 
©efd)id)te  auf  bem  Qüßege  ber  (Sr3äl)lung.  3a,  t>ai  ift 
eine  9il)nlid)feit  n)ie  5n)ifd)en  einer  6d)necfe  unb  einem 
Äufaren.  6ie  mögen  ftd)  allerbinge  beibe  auf  bemfelben 
^ege  betüegen,  allein,  beßn?egen  bie  6c^necf  e  einen  9?ei- 
ter  ju  nennen,  tt>ürbe  boc^  tt)ot)l  nid)t  rid)tig  fein.  Q3iel- 
mel)r  tvirb  rid)tig  fein,  au^  ber  ^atfad)e,  ba§  einer  mit 
Q3et)agen  auf  bem  Q3auc^e  friec^t,  ju  fc^lie^en,  t>a%  er 
tein  geborener  9^eiter  ift,  Unb  barum  it)iebert)ole  id; : 
ber  Oxomanerjäbler  ift  fein  ßpifer,  fonbern  txiß  ©egen- 
teil baoon. 


g[ßel^e  Qöerfe  fint)  tjerattet? 

Sine  fc^tt)ierige  ^rage;  »eil  literarl)iftonfc^e^  Snter- 
effc  tote  QBerfe  ju  galoanifieren  unt)  ^iennit  tt)nen  ein 
Gc^einleben  für  eine  geraume  Seit  ju  X)erleit)en  oermag. 
9^amentlic^  t)er  begriff  t)e^  9DZobernen,  fo  auffaüent) 
bo^  Hingt,  jielt  nad)  fünftUc^er  Q[ßiet)eraufertt)ecfung 
arc^iüarifc^en  6c^utteö.  93^it  anbern  QKorten ;  t)eiUo^ 
Q3erfd)immelte^  fann  ber  9tafe  eineö  blajierten  3eitge- 
fc^macf ö  mobifd)  riechen.  <5)ie  £ogif  lautet  l)ier  fo :  wxv 
fmb  mobern,  tt)ir  fxnb  faul ;  jene  ^Antiquität  riecht  oer- 
fault,  folglich  ift  fie  mobern.  9}Zeine  Überjeugung  in  ber 
•Jrage  lautet  !urj  unb  bünbig:  ein  QOßerf  ift  bann  enb- 
gültig  veraltet,  ttjenn  ein  9}Zeifter  eö  nic^t  me^r  jum 
93orbilb  nehmen  !ann  unb  mag. 

•iHnÄerrnSE^Sc^J^iftftellerinßn. 
Qßegen  Q^aummangel  ift  e^  un^  leiber  nic^t  möglich, 
S^ren  „9[Rerlin"  — 

•^^InÄerrn^rof.  Dr.  ^pfilon  in  (gm. 
31)rcn  t)oc^intereffanten  gebiegenen  *2Iuffa^  über  ein 
nac^gelaffene^  eigenl)änbigc^  Äonjept  ju  3?enö  „9?^er- 
lin"  nehmen  tt)ir  mit  bem  größten  <5)anfe  an  unb  bitten 
tt)ir  Sie,  un^  aud)  ferner  — 

Q3er^tec^mfc^e^ 

1.  6precf)en  Sie  einmal  natürlich,  fo  wie  Sie  immer 
fprec^en,  ben  Sa^  au^ :  „3(^  ^abe  mir  babei  oerfc^ie- 
bene  ©ebanfen  gemacht."  —  Äaben  Sie  nun  in  ben 


220  ein  93üfd)et  9lpt)orißmcn 

QKortcn :  ,,ocrfd)iet)cnc  ©ebanfcn"  me^r  al^  jnjci  "Be- 
tonungen üorgenommen?  9^ein,  0ic  \)abm  t)ie  93ofalc 
ie  unt)  a  betont  unt)  bie  übrigen  Gilben  gänjlid)  tonlos 
gelaffen. 

^o(gtid):  n)eg  mit  t)er  '33et)auptung,  eö  gebe  im 
®eutf(i)en  (eine  brei  unbetonten  Silben  nebeneinander. 

2.  Gprec^en  Sie  iüieberum  natürlid),  fo  tt)ie  Sie  im- 
mer fprec^en,  ben  Sa^  au^:  ,,(gr  ift  um  neun  H{)r  t)eute 
morgen  abgereift."  Äaben  Sie  n)ä{)renb  biefeö  Sa^e^ 
eine  9ltempaufe  üorgenommen  ?  ober  aud)  nur  t>a^  ^e- 
bürfni^  nad)  einer  folc^en  üerfpürt  ?  S^Zein.  *2Ufo  tt)eg 
mit  ber  <5orberung,  jeber  fed^öfü^ige  93er^  muffe  burc^- 
au^  eine  3äfur  t)aben. 

Sin  *33üf(^el  '2lp^ori^men 

1.  ^aö  ^ud)  beö  93errateö  beginnt  mit  ben  QCßorten: 
,,llnfere  Seit . .  ." 

2.  €ö  genügt  nid)t  immer,  blöbfinnig  ju  tun,  um  geift- 
reic^  5u  fein. 

3.  ©er  9?ea(i^mu^  ^at  je^t  i^ren  «Sienft  getan.  — 

4.  Seitgeift  gegoren :  ^^eaterbireftoren.  — 

5.  <S)ie  neue  3pt)igenie : 

„<5)aö  Canb  ber  S5ptt)en  mit  ber  Seele  fuc^enb."  — 

6.  einem  jungen  <S)ici^ter  in^  Stammbud) :  „Sd)tt)an, 
Heb  an."  — 

7.  ®u!   tDollen  wir  nid)t  aud^  jufammen   ein  ©enic 
grünben?  — 

8.  „<5)umm !  l)eute  tt>ill  mir  fein  anftänbiger  Q3er^  ge- 
lingen!" 

einfach,  mad)  eine  9^et)olution,  bie  Q3er^poefte  fei 
veraltet.  -  - 


(Jin  Q?üfd)el  ^2lpt)ori0men  221 

9.  '2lrd)imcbc^ :  ,,©cbt  mir  fec^s  cntfd)loffenc  ^anaiücn, 
fo  mü  id)  Europa  aug  t)cn  ^^Ingctn  tjebcn."  — 

10.  ^iogene«  (^Inno  1900):  „g^  ift  niemanb  ba."  — 

11.  ^m  trefffid)erften  tt>irb  bic  beutfc^e  Sprad)c  t>on 
Äaüatiercn  üerpöbelt  — 

12.  Äeilige  xOiuttcr  ©otteö  oon  ^ranffurt,  bitt  für  unö. 

13.  Qffiettliferatur  unb  ^Uerh)eltsUteratur  ift  jtüeicrlei. 

14.  ßin  Scitalter  !ommt  jur  9^ot  mit  brei  ©runbibeen 
au^.  ^ber  nur  unter  ber  93orauöfe^ung,  taf^  fie 
falfc^  ftnb. 

15.  (Sine  ©eneration,  bie  fid)  nid)t  um  bie  "^ugen  ber 
93ortt)elt  fümmert,  tt>irb  bübifd). 

16.  Citerarifd)e  Suftänbe  finb  immer  fd)ted)t,  je  „beffer", 
befto  fc^Iimmer.  S^  fottte  gar  feine  Iiterarifd)en  3u- 
ftänbe  geben. 

17.  QSa^  ift^ilbung? 

^itbung  ift  tai  ^lotionallafter  ber  ®eutfd)en. 

18.  'Sie  5)eutfd)en  f)aben  einen  f)eiligen  "^Berg,  namens 
Montmartre. 

19.  6in  S^anon  üon  öorn  unb  t)inten  ju  lefen  (beutfc^c^ 
6prad)fpield)en  für  gcfd)n>oEene  ^inber) :  0icf)ter- 
^önig,  ^önig-<S)id)ter,  2orb-®icf)ter,  ©ici)ter-2orb, 
6d)u^mad)er'^ic^ter  uftt). 

20.  9'Jod)  ein  Spield)en:  ®aö  'Scttetarmbanb.  Äette  ein 
©u^enb  t)iftorifrf)e  9^amen,  einerlei  n)eld)e,  mif^Sin- 
beftrid)en  jufammen  unb  f)änge  irgenbeinen  QBic^t 
baran,  einerlei  tt)elcf)en,  fo  fd)nent  ber  ^id^t  fofort 
in  ^iftorifd)e  Sbö{)e  empor,  tt)ie  an  einem  @Ietfd)er- 
feil,  ^eifpiel: 

^erüle^  —  ^{)uft)bibe^  —  "^Itejanber  —  Äannibat 
—  Säfar  —  9^affael  —  @oetf)e  —  ^cetf)00en  — 
9^embranbt  —  9\uben^  —  93^üüer.  Äaft  bu  gefe^en. 


222  (f  in  <33üfc^el  <^^ori«men 

tDOö  für  eine tt)cltt)iftonf d)e  ©rö^c  je^t bcr  9}^üncr  ift  ? 
21.  ©ne  muftfaUj"d)c  ©leic^ung:  93tan  i)at  einft  93eet' 
^oüen  unüerftänMic^  unt)  bizarr  genannt.  <S)en  <5)if- 
fonanjf^  nennt  man  ^eute  aud^  unüerftänbUc^  unb 
bijarr,  folglich  «©iffonanjfp  =  ^eet{)ot)en. 


<5    n 


?3 


2 


1.2 


C  ^'    s    = 


•s  Slillll-SitlS! 


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V      4» 

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5  S  5 

E  S  « 

§  S  t 

«  1 

i  9- 


33on  ber  £f)araftenftif 

fc^aut  ber  Uterarifc^  gcbilt)ete  2e[er  jucrft  auö;  jtc 
nimmt  t)er  ^ritifer  jum  ^rüfftein  über  ben  QScrt 
eineö  Qßerfe^,  fte  tt)irt>  t)em  ®id)ter  jur  ^flid)t  gemacht, 
unt)  jttjar  fo  ftrcnge,  t)a^  bie  93oraußfe^ung  für  felbft- 
ücrftänblid)  gilt,  jeber  ®id)ter  muffe  in  jebem  Q©er!e 
jebe  tyigur  c^arafterifieren.  Ober  attva  nic^t  ? 

@ut.  9^un  balten  3ie  einmal  fotgenbc  gnjei  ^at« 
facl)enrei{)en  einanber  gegenüber: 

SurCinfen.  3n  tjunbert  6täbten  'S>eutfd)lanb^ 
fc^ilbern  Äunbertc  oon  6d)riftfteUern  aüjäfjrlid)  Äun- 
berte  t)on  ßf)arafteren,  bie  einen  beffer,  bie  anbern 
fd)tec^ter;  feiten  t»erfel)len  fte  einen  Gl)arafter  gänjlid^, 
mciftenö  gelingt  eö  leiblid)  unb  in  einer  überrafd)enb 
großen  3cil)l  üon  <5ällen  fogar  glänjenb.  3n  aßen 
unferen  £iteraturberid)ten  finben  mv  auffallenb  oft 
tia^  2ob,  ha%  njenn  nid)t  alle,  boc^  biefer  ober  jener 
et)arafter  „meifterl)aft  burd)gefül)rt"  fei;  „präd^tigc 
©eftalten",  ,,l)errlirf)e  unt>erge^lid)e  Figuren"  ttjad^fcn 
in  unferen  (grsä^lungen  fo  ja^lreid)  tt>ie  Cött)en3al)n 
auf  ber  QCßicfe.  Selbft  n)enn  ber  S?ritifer  ein  QDßerf 
ücrbammt,  mu^  er  meiften^  für  bie  gelungene  (B6)\l- 
berung  irgenbeineö  Gt)arafter^  eine  ^^lu0nal)me  mqd)en. 
6e^en  mt  bann  nac^  fünf  3cil)ren  nacf),  tt)0  alle  biefe 
9}^illionen  meifterl)aft  gefd)ilberter  ß^arafterc  geblieben 
ftnb,  fo  finben  xvxv  fie  famt  bem  QSßerf,  barin  fte  ftanben, 
unb  bem  Q3erfaffer,  ber  fie  gefdjaffen,  im  Orfuö  ber 
Q3ergeffent)eit.  '2lngefid)t0  biefer  ^atfac^e  urteilt  meine 
Cogif :  tt)as  ein  Q3?ser!  nid)t  oor  bem  Untergang  fct)ü^t, 
alfo   bie  meiftevt)afte  (il)arafteriftif,   fann  nid)t   eine 


93on  t)cr  Sfjararferiftif  225 

Äauptfact)e,  nidjtö  für  bic  ^oefie  9Ö3efentli(i)e6  fein, 
©enn  »efcntUd^e  QSorjüge  retten  tro^  allen  übrigen 
tyet)lern. 

3ur9^ed)ten.  ®ie  ^oefie  ganjer  Q3öl!er  unb  Seit- 
alter  n>ei^  nid)ts  oon  t)em  Streben  nad)  ö:i)arafteriftif. 
3et)er  5)orffd)riftftetIer  rf)arafterifiert  beffer  alö  So- 
pl)c!les  unb  Äomer,  als  ß^orneiüe  unb  9\acine.  0em 
x)cibelungenlieb  meinte  ein  Sorban  bie  (il)araftere  nac^= 
beffern  ju  muffen.  Hnb  bie  93?ännerd)araftere  bei  @oetl)C 
unb  Heller?  ober  bie  ^rauengeftatten  bei  Sd)iller?  ^a^ 
mad)t  ja  jeber  ^en§  beffer.  ©ennod)  ift  <53en5  fein 
©ro^er,  aber  Sopf)o!le^  unb  Äomer,  Schiller  unb 
©oetl)e,  Corneille  unb  9\acine  fxnb  e^.  'ST^eine  2ogif 
fagt:  wa^  man  ol)ne  Scl)aben  oernacl>läffigen  ober  gar 
oerfel)len  fann,  ift  feine  Äauptfarf)e,  ift  nicl)tö  OSefent» 
lic^e^, 

<Zd}lu%.  5)ie  (il)ara!teriftif  ift  njeber  eine  centrale 
nod)  eine  obligatorifcbe  ^Tlufgabe  ber  ^oefie,  fonbern 
eine  9cebenaufgabe  an  einem  Seitenpta^.  3l)r  ^la^ 
ift  bie  ^rofa,  alfo  bie  Q©ir!li(^!eitöerjäl)lung  unb  "Oa^ 
realiftifcbe  ®rama,  ferner  ber  Äumor,  bie  Äomif,  bie 
Satire,  in  ber  l)ol)en  ^oefie  bie  Sd)ilberung  unter- 
georbneter  Figuren.  Hnfere  gefd)äftige  (il)arafterfabrif 
aber  ift  eine  ©ilettantenmüf)^. 


Spitfeter,  Coc^enbe  QSa^r^citen  15 


Sine  ©ermanität 

3mmer  t)on  neuem  fct)rt  in  beuffd^en  '^Befrachtungen 
t)er  alte  6prud)  tt?iet)er:  „QSJir  ©ermanen  tt>oUen  üom 
0id)ter  feine  ©eftalten  nic^t  at^  fertige  ©ebilt)e  einge- 
füt)rt  erftaltcn,  fonbern  unfre  Äauptluft  beftet)t  barin, 
t)er  (intn)icf lung  eine^  Gljarafterß  ju  folgen ;  liefen  €nt- 
n?icflungögang  foU  un^  t)eöl)alb  t>er  ©id^ter  geigen." 
3unäd)ft  ertaube  id)  mir  bie  ^atfad)e,  atfo  bie  eilige» 
meinl)eit  ber  Sntmicflungöforberung  ju  bcftreiten ;  ic^ 
bin  gum  ^eifpiel  aud)  ein  ©ermane  unb  i)ahe  nie  ein 
^ebürfni^  banad)  üerfpürt;  t)ielmet)r  3iel)e  id)  bie  reifen 
'5rüd)te  auf  ber  ^afel  ben  unreifen  t>or  unb  bie  fertigen 
9J^enfd)en  in  ber  ^oefie  ben  unfertigen.  Unb  n?ie  mir 
n)irb  e^  tx)ol)l  '^^aufenben  erget)en.  3d)  glaube  beöljalb, 
e^  l)anble  fic^  t)ier  nid)t  um  ein  t>ol!0tümlid)e^,  fonbent 
um  ein  ben  '^Büc^ern  üon  ber  Citeraturbogmatif  an- 
geäüd)tete^  p()rafeologifd)eö  93ebürfni0.  ^ber  felbft  an« 
genommen,  e^  tt)äre  ein  allgemeine^  germanifc^eß  ^e- 
bürfni^,  fo  ift  bamit  nod)  feineöttjegö  gefagt,  t>a%  eö  auc^ 
ein  poetifd)e^  "^Bebürfniö  fei ;  e^  fönnte  aud)  eine  natio- 
nale ^efd)ränftl)eit  vorliegen,  ein  Überbleibfet  fc^ola-- 
ftifd)cr  Ginneöart  aus  frül)eren  unpoetif  d)en  lcl)rtt)ütigcn 
3al)rl)unberten.  9Dcit  beutlid)en  Q^orten  auegefpro^cn: 
^6)  l)alte  bie  ßuft,  bie  ©eftalten  ber  ^oefie  ^tatt  fertig 
lieber  im  (Jnttt)icflung^5uftanb  t>orgefü^rt  ju  befommen, 
für  ein  6d)ulmeifteroergnügen. 


Q^on  ber  ©üte 

93Ja^  mirf)  an  ber  gegenwärtigen  £iteraturtätig!eit 
unb  \;!iteraturbetract)timg  immer  njieber  überrafd)t,  ift 
t)ie  "^lbn)efenf)eit  einer  (Sigenfdjaff,  bie  et)ematö  für  bic 
felbftoerftänblic^ffe  93oraußfe^ung  aller  Äunftübung 
unb  5\unftempfänglic^fcit  get)altentt)urbe:  berÄer^enö» 
gute.  ®iefe  galt  ju  ber  Seit,  alö  unfere  5?taffi!er  jung 
tDaren,  gerabeju  für  ben  ^rüfftein  ber  5tunftbegabung. 
(Sin  l)er3ensfalter  9}^enfd),  ein  unfünftlerifd)er  xO^enfd). 

dergleichen  fd)eint  unö  l)eute  oiel  gu  gering,  ^ir 
geben's  mit  'Sonner  unb  '53li^.  ^rometl)eifd)en  ^ro^, 
olpmpifc^e  Q3erad)tung,  nieber[d)metternbe  ^erfönlic^-- 
feit,  t>ai  ift  t)aQ  minbefte.  ^itanifcbe  9'caturen:  ^ifrf)t)- 
toö,  0ante,  9]cid)elangelo,  93eetl)ot)en,  "oai  laffen  n)ir 
uns  gefallen. 

Q©ot)l.  6el)en  tüir  unö  einmal  biefe  Titanen  nät)er 
an.  5bat  nid)t  <S)ante  neben  ber  Äölle  ein  'Fegefeuer  unb 
ein  ^arabieö  gefdjaffen?  ^O^id)elangelo  neben  bem 
xDtofes  eine  €t>a  ?  '53eetf)Oüen  neben  ber  .^'reu^erfonate 
eine  F-dur-93iolinfonate?  9'cun  mü  id)  gtDar  nic^t  be-- 
l)aupten,  bie  F-dur  ttjäre  bie  ^reu^erfonate  ttjert  (ob- 
fd)on  aud)  nid)t  bae  ©egenteil),  aber  id)  bel)aupte:  n)er 
md)t  eine  F-dur --6onate  fd)affen  fann,  fann  aud) 
md)t  eine  S^reu^erfonate  fd)affen,  id)  bel)aupte:  ot)nc 
®ante^  Äimmel  konnte  'Santeö  ÄöUe  nic^t  entftel)cn, 
ic^  bel)auptc:  wer  nid)t  reine  fonnige  0d)önt)eit  im 
guten  felbftüergeffenen  Äer^en  alö  ^riebfeber  ju  fpüren 
üermag,  wirb  niemals  tttrya^  ©ro^es  in  ber  ^unft 
leiften. 

Q3or  lauter  titantfd)en  ©rimaffen  ift  un^  fogar  txx^ 
93erftänbniö  ber  ed)ten  Titanen  abl)anben  gekommen. 

15* 


228  Q3on  bec  3ugent) 


(^in  '^ectf)ot>cn[d)c^  ^^Ibagio  tragen  mv  \vk  einen  feier- 
lichen ©otte^bienft  t)or  unb  cin'^nbanfe  njie  ein  9lbagio. 
Q3ernimmt  jemals  €iner  ein  unt>erfd)lepptee!  ^empo 
unb  einen  einfachen  natürlid^en  93ortrag,  fo  entfe^t  er 
fid)  tt)ic  öor  einem  Gafrilegium.  3ci,  meint  man  benn, 
93eett)Oüen  wollte  um  imponieren?  '^en?at)re,  im- 
ponieren njollen  un^  blo^  bie  ©ro^l)änfe;  bie  it)at)ren 
©ro^en  ftnb  baju  öiel  ^u  gut,  bie  roollten  njeiter  nid)t^ 
alö  unö  befeligen.  Ober  nein,  nid)t  einmal  tiaß,  fic 
tDollten  einfad)  \i)xe  6ac^e  red)t  mad)en.  Qßeil  fie  aber 
gut  unb  gro^  n^aren,  fam  babei  etn^a^  '^Befeligenbe^ 
f)erau^. 


33on  ber  Sugenb 

Oh  man  toill  ober  nid)ttt)ill,  man  n)irb  t>on  ber  9iöa^r= 
l)eit  ge^mungen,  bie  Sugenb  ber  6eele  t>on  ber  3ugenb 
beö  ^örperö  ju  unterfd}eiben.  Q3ringe  mir  l)unbert93e- 
tt>eife  für  bie  ^lbt)ängigfeit  ber  6eele  öom  S^örper,  beö 
©eiftes  oom  ©ef)irn,  einüerftanben,  allein  "^Ben^eife  flogen 
feine  ^atfad^en  um,  unb  eine  ^atfad)e  ift,  ha^  bie 
3at)re^5eiten  beö  5\örper^  unb  ber  Geete  in  entgegenge- 
fe^ter  O^idjtung  laufen.  9iämlid)  ber  Slörper  tvirb  mit 
jebem  ^a\)ve  älter,  bie  Seele  bagegen  je  länger  je  jünger. 
®a^  „S^inb"  ift  eine  (grbid)tung  ber  (Srtoad)fenen,  unb 
t>a^  "filtern  beö  3d}  ift  eine  Guggeftion  t)on  au^en. 
90^an  fül)tt  mit  jtoci  3ci()ren  greifent)after  alö  mit  fec^- 
jig  3<il)ten.  'Sarum  ioerben  aud)  bie  blül)enbften,  lebenö- 
fnfd)eftcn  ^unftmerfe  nid)t  t)on  3ünglingen  gefd^affen 
fonbern  oon  ^Iicännern  unb  ©reifen.  QBären  feelifd)c 
unb  leiblid)e  3ugenb  t>on  9^atur  wegen  beifammen,  fo 


^^on  t)er  3u9^»t)  229 


mü^te  ja  beftänbig  ^rüt)lingöluft  t>uxd)  bie  Citcratur 
t>ev  93ölfer  roe^en,  t>a  t>o6)  gottlob  niemals  9}^angel  an 
^uben  ifi,  oon  benen  fid)  aüjätjrlid)  eine  ftattlid)e  3at)t 
in  oerbanfen^njerter  QBeifc  t)er  ^oefte  an5une{)men 
pflegt  QLöir  l)ätten  bann  fo  eine9Irt9\e!rutenau^l)ebung 
ber  ©ic^ter  auf  ©runb  bes  ©eburt6fcl)eineß;  bev  jüngfte 
3al)rgang  bid)tet  allemal  bie  älteren  in  bie  O^eferöe,  unb 
t>a^  Problem  beö  ett)igen  ^rüt)ling^  ift  gelöft. 

®a^  biefer  fd)öne  Sbeal^uftanb  fid)  t>ertt)ir!lid^ett 
tonnte,  bie^  ju  l)offen  fällt  tt)ot)l  niemanb  ein.  hingegen 
fällt  t)on  Seit  ^u  Seit  einem  93ünbel  "xRefruten  ein,  ta^ 
e0  t>ielleid)t  leidster  tt)äre,  mit  ber  glatten  Äaut  ju  pral)len 
al^  mit  Werfen  ju  5al)len. 

'iHlfo!  QDöas  gaubert  il)r?  9}^unter!  «Sie  snjangig  3cil)rc 
jum  ^rinjip  ert)oben  unb  bie  neuen  3ünglingöt)ofen 
als  ßüangelium  ausgerufen!  Sine  '^ai)ne  üoran,  tt)or= 
auf  ha^  QBort  „3«genb"  ftel)t,  entbecfen  fie  ber  ftau» 
nenben  '5D^enfd)l)eit  jum  erftenmal  ba^  Q5)eib  unb  bie 
Ciebe,  unb  n?eil  fie  nid)ts  fijnnen,  nennen  fie'S  ©enie. 
©iefes  (Soangelium  fd)mecft ;  bie  3ungen  jungen  3ünger ; 
unb  ef)e  man  fid)'ö  oerfiel)t,  ift  t)ci^  erfte  9)^illiöncben 
erreid)t.  'S)er  ganje  9^ad)tt)ud)S  n?irb  flügg ;  „i)iivva !  ber 
^rü^ling  ift  haV'  e^  fingen  alle  ^üblein,  alle. 

ibierauf  gibt  e^  ein  paar  luftige  93^aifäfer-'5lugjcil)ve; 
t>a^  bauert,  f  otange  eö  bauert,  biö  eines  f  d)arfen  9D^orgen^ 
alle  miteinanber  am  ^oben  liegen. 

®eutfd)lanb  i)at  bas  ^l)änomen  einer  fold)en  '5at)nen- 
,,3ugenb"  bereits  met)rmalö  erlebt.  QSaö  ift  babei  für 
bie  Literatur  l)erausge!ommen  ?  (itwa  ein  poetifd)cr 
<5rül)ling?   Sel)n  n)ir  boc^  nad): 

©as  „junge  '5)eutfd)tanb"  ber  brei^iger  3o^re,  l)at  e^ 
etnja  bie  beutfc^e  Literatur  verjüngt?  6inb  hi^  ^erfc 


230  ^"on  ber  3u9cnt) 


bcr  ©ui^fotx)  unt)  2aubz  lebenäfrifd)  ?  (Srwcden  it)re 
9camen  t)ie  Q3orfteUung  oon  Saft  unt)  5traft?  Hnb 
tvieberum  unfere  ncuefte  „Sugent)",  jene  Sungen  t)cr 
beiden  legten  3cjf)räel)nte,  t>ic  xoxx  ^eute  noci^  ein  wenig 
nad)5ugenic^en  t)aö  Q3ergnügen  t)aben,  tt)aren  t)aö  t>iel- 
Ieid)t  i?enäe^()äuc^e,  tt)aö  fie  in  t>ie  Citeratuv  bliefen? 

Q3ergleid)en  Sie  nun  bamit  folgenbe^  <33ei[piet: 
9}^e^er  unt)  5\!ener  njaren  nid)t^  ttjeniger  aU  Jünglinge, 
al^  fie  am  t)eutfd)en  Äori^ont  auftaud)ten,  t)er  eine  n)ar 
met)r  at^  fünfjigjäijrig,  t)er  anbete  met)r  at^  fec^jig- 
jä{)rig;  t)aQ  \)at  m6)t  geljinbert,  ba^  i^re  £rfd)cinung 
wie  9?Zorgenröte  wirfte. 

9cein,  bid)tenbe  3üngling^regimenter  verjüngen  nid)t 
eine  Literatur;  fie  bewirken  ^öd)ften^,  t>(k%  fortan  t)üft 
gebic^tet  wirb,  wenn  man  früt)er  ^ott  bid)tete,  ober  um- 
ge!et)rt  t)ott  für  büft.  QS^aö  bie  Literatur  verjüngt,  ift 
bie  '^ln!unft  eine^  überwältigenben  9}^ eifter werfet  unb 
bat)inter  bie  ßrfd)einung  cineö  großen  ©eftc^teö.  ©ann, 
nur  bann  fommt  plö^Ud)  Sonnenfc^ein  unb  '5rüt)ling 
über  eine  Literatur. 

QBo  aber  i)at  ber  9[Reifter  in  feinem  QBerfe  ben  'Jrüt)- 
ling  t)er?  Q3on  einer  ewig  frifc^en  ÖueUe;  bie  liegt 
aber  tief  t>erftccf  t  im  ^oben,  unb  um  fte  gu  finben,  braucht 
c^  jemanb. 

^reilid),  e^  mu^  einen  '33erü{)rung0punft  jwifcben  ber 
förperUd)en  unb  ber  feelifc^en  3ugenb  geben,  fonft  wäre 
ja  bie  Q3erwed)flung  beiber  übert)aupt  unmöglid).  6ud)en 
wir  i^n: 

^in  gefunber  <S)urd)fd)nitt^  jüngling  trägt  neben  anbern 
Sigenfd)aften  einige  ^ugenben  mit  fid)  t)crum,  welche 
ber  JJlet)v^ai)\  ber  (frwad)fenen  ab^anben  gefommen 
ftnb:  9?^ut,  ©laube,  ^ät)igfeitäurücfi)attlofer  Q3egeifte- 


Q3on  t)er  3«0cnb  231 


rung  unt)  rüc!ficl)t0lofer  Q3ent»erfung.  3t)ealc  fd)aucn, 
einem  f)of)en  ßeben^jicl  felbftlo^  nac^ftreben,  t)a^  ge» 
^ört  5ur  9catur  t)er  männlid)cn  3ugent).  QBer  mit 
§tt)an5ig  3a^ren  t)aö  nid)t  vermag,  ift  ein  geiftigcr 
Krüppel. 

3nt)em  aber  bie  3ugent)  3t>ccilc  fc^aut  unb  fid)  t>ic 
t)öd)ften  'i^lufgaben  ftellt,  ift  fte  !eine^n?egö  unbefd)eit)cn. 
nnbefd)eit)ent)eit  ift  im  ©egenteil,  in  t)er  Literatur  auf» 
treten  gu  ttJoHen,  ot)ne  fid)  t)ie  Qlufgaben  ju  fteUcn. 

iVreilid)  ift  mit  aUebem  nod)  fein  unmittelbarer  ©e- 
mnn  ern?orben ;  benn  nid)t  ber  Q3lid  auf  ba^  3iet  tut 
eö,  fonbern  bie  (frreirf)ung  beö  3iel^.  3nitttcr{)in,  eine 
normale  Suö^nb  tritt  auf  ben  red)ten  ^fab,  ben  ^fab 
jur  Äöl)e;  unb  wenn  alle  Q[ßelt  in  ben  9Zieberungen 
voaUt,  fo  bebeutet  fd)on  allein  bie^etretung  be^  i"böl)en« 
tDegc^  eine  nationale  (frquicfung.  3"  ^^^  ^^t  tt>artet 
auf  bie  Sünglinge  ber  ©egenn)art  eine  ebenfo  fd)()ne 
n)ie  leid)te  9Zebenaufgabe,  bie  'Aufgabe,  ba^  Sbeal  unb 
ben  ©lauben,  ben  eine  ^abaoerjugenb  ber  9^ation  t)in- 
tt)eggel)öt)nt  t)at,  tt>ieber  tjer^uff eilen,  ^ut  bie  l)eran- 
tt)acl)fenbe  ©eneration  ba«,  bann  oerbient  fie  ben  9Za- 
men  einer  3ugenb  im  literarifc^en  Ginn,  ^ut  fie  jeboc!^ 
tiaß  ©egenteil,  begnügt  fie  fiel)  gleich  il)ren  QSorgängern 
bamit,  mit  il)rer  Pubertät  ^arabe  5U  gigerln,  fo  pxO' 
p^ejeie  x6)  \i)x  getroft  ben  S?el)ricl)t!orb,  fobalb  einmal 
eine  ecl)te  3ugenb  im  "Jelb  rücft. 


Sd)n)ei§eri[d)e^ 

I.  Q3on  t)en  Sd)riftfteUern 

®cr  ©runbjug  beö  fd)tt)C!3enfd)en  6d)nftfteaer^  ift 
t)aö  6c^amgefü{)l.  3unäd)ft  feeltfd)e0  6c^amgefüt)l,  fo 
t>a%  e^  t)en  einselnen  gro^c  ÜbertPinbung  foffet,  fein 
3nnereö  ber  ÖffcntUd)!eit  bto^julegen,  ba§  t)ie  unb  ta 
t)a^  ^feubom;m  al^  fc^ü^enber  6d)leicr  oorgelegt 
tt>ii'b,  taf^  bie  intimftcn  ßrlebniffe,  namentlid)  Äerjene-- 
angelegent)eiten,  unbenü^t,  bie  leibenfd)aftlid)ften,  te» 
benßblutigften  QBerte  ungefd)neben  bleiben,  "^ber  aud) 
bürgerlid)eö  6d)amgefüt)l.  3cl)  fage  ettt)a0  ©en^agtes, 
aber  tpage  etxva^  ©ewagteö  ju  fagen.  OBir  fd)ämen 
un^  alle  im  ©runbe  unfereö  ®i(i)ternamenö,  tt)ol)lt>er-- 
ftanben  nid)t  ettt)a  ber  <S»ic^tertätig!eit,  ober  gar  ber 
®id)t!unft  ti)ot)t  aber  ber  lanbläufigen  ^orfteüung,  bie 
an  bem  ©id)ternamen  t)aftet.  0iefer  Q3orfteUung  nid)t 
5u  entfpred)en,  il)r  üietmeljr  ju  n)iberfpred)en,  einen 
fräftigeren,  männlid)eren  unb  t>on  bem  übrigen  arbeit- 
famen  Q3olfe  tpeniger  t>erfd)iebenen  ^^puß  barjuftellen, 
ift  unfer  aller  eifrige,  ja  ängftlid)e  6orge.  Steine  njiU- 
!ommenere  6ct)meid)elei,  alö  n)enn  man  uns  t)erfid)ert, 
ba^  man  un^  ben  <S)id)ter  nici)t  anfel)e,  nod)  anmerte. 

5)urci^  ben  ^lbfd)eu  üor  bem  ®icf)tcrnamen,  burd^ 
ba^  "Bemüi^cn,  €ntfd)ulbigung  bafür  ju  gen>innen,  unb 
burd)  bie  Überzeugung,  ta%  es  feine  anbere  triftige  ^nt- 
fd)ulbigung  l)ierfür  gibt,  alö  bie  9\ed)tfertigung,  9\cd)t- 
fcrtigung  burd)  fold)e  QBerfe,  mit  tüeld)en  man  €^rc 
einlegt,  tt)irb  nun  jeber  ein;ielne  ^u  l)ol)en  '^lnfprüd)en  an 
fid)  felbft  gcjttjungen;  nid)t  in  ber  9\id>tung  be^  ei)rgei- 
jc^  unb  ber  l)od)fliegenben  Hoffnung,  fonbern  im  6inne 


3cbn?ci5erifd)C5  233 


t)er  9\et)lid)!eit,  alfo  öer  (ifd)t()cit  beö  Streben«,  t)e0 
<2öinenö,  be^  ^ylei^eö.  9?^an  tt>ilt  fid)  nid)t  tjor  ber  9'^a' 
tion,  t>or  feinen  5\oüegen,  oor  ftd)  felber  fd)ämcn  muffen. 

^a  tt)ir  nun  nad)  unfeven  9\ed)nungögeniohnt)eiten 
nid)t  glauben,  ba^  mehrere  9'iuüen,  bie  fic^  ^ufammen» 
tun,  eine  Summe  ergeben,  ba  voir  ferner  talentooUen 
Q3erfpred)ungen  feinen  Slrebit  gen>ä{)ren,  t>a  voix  enb- 
lirf)  93^cifterfd)aft  alö  eine  inbioibueüe  unb  ba{)er  a(^ 
eine  nur  auf  eigenen  Qßegen  §u  erringenbe  (Sigenfd)aft 
betrad)ten,  fallen  bei  un^  für  ben  angeljenben  0id)ter 
bic  "^^ünbrnffe  tt)eg;  er  öermeiDet  aud)  forgfältig,  bic 
^ofarbe  auf§ufte(fen.  3n  bem  t)interffen  ^infel  ber 
Sinfamfeit  öerfterft  ftd)  ber  angef)enbe  Sd^riftfteller  unb 
maufert  bort  n?ie  ein  franfeö  Äuljn,  biö  er  mit  feiner 
^unft,  feinem  6tit,  feinem  Stoffgebiet  im  reinen  ift, 
unb  tritt  erft  bann  ^eroor,  tt>enn  er  überzeugt  fein  barf, 
etnjas  leiften  gu  fönnen,  mas  xi)n  nid)t  oerunebre. 

9}^it  6d)ambaftig!eit  ift  Spröbig!eit  oerbunben.  0a-- 
^in  gef)ört  bie  "^Ibneigung,  über  tta^  gu  fprcd)en,  tvas 
einem  'oa^  Äeiligfte  ift,  über  bas  eigene  ^erf,  über 
bie  Überzeugungen  ber  '^oefte,  über  ^unft  unb  '2iftt)e-- 
tif,  t>a^  llnbef)agcn  gegenüber  münblid^en  2obfprüd)en 
(n?ä{)renb  für  gebrucfte  gro^e  ^mpfäng(i(+)feit  berr[d)t), 
ber  Soa%  gegen  bie  9^e!tame,  bie  Q3erad)tung  berer,  bie 
ficb  ibrer  bebienen,  enblic^,  njenn  es  bie  Snbioibuatität 
erlaubt  unb  bie  Stimmung  erforbert,  bie  ©robbeit,  al^ 
bie  einfad)fte  unb  nationatfte  9lbtt)ebr  gegen  Sinbring» 
(id)feiten. 

QSo  jeber  'Oaz  '3)id)ten  alö  eine  '2lu0nal)metätigfeit 
inmitten  ber  nationalen  '^Irbeit  unb  fid)  felbft  n^ieber 
alö  eine  ^lusnabme  unter  ben  0id)tern  empfinbet,  fann 
t)on  einem  Sd^riftftellerftanbe  ober  gar  ton  einem 


234  0d)tt)ei5erifd)e^ 


6tant)eö  g  e  f  ü  l;  I  feine  0\et)e  fein.  3n  unfevem  oerein^- 
feiigen  ^^olfe,  wo  !aum  einer  iff,  t)er  nx6)t  ^räfibent 
ober  ^ftuar  üon  et\x>a^  wate,  wo  t)er  Äirt  auf  t)en 
^Jltpen  bie  Statuten  eine^  ^urnt>erein^  ju  Äaufe  t)ängen 
l)at,  wci^  id)  5tt>ar  t>on  einem  3ournaliftcnt?erein,  nic^t 
aber  üon  einem  Sd)riftfteHeröerein.  9^iemant>  üerfpürt 
eben  t)aö  93ebürfni0  t>anad),  teil^  njeil  unö  nun  einmal 
bic  OSereinjelung  im  '53lute  liegt,  wiv  finb  geborene 
®acl)fe,  teilö  ttjeil  wiv  unö  t>on  3ufammen!ünften  feine 
geiftige  ^örberung  »erfpred^en,  materielle  "Jijrberung 
aber  anberenjie  ju  finben  ober  ju  vermitteln  nic^t  üer- 
jnjcifeln,  l;auptfäd)lic^  woi)l,  weil  wiv  bie  93orftellung 
nid)t  ertragen,  ^id)ter  gu  ^u^enben  in  einem  Saale 
beifammen  ^u  fel)en.  0aoor  fc^aubert  ber  ©ebante. 

QSenn  wiv  nxdjt  »erbunben  finb,  finb  wiv  ttjenigften^ 
befreunbet?  ^a  ift  ju  unterfd)eibcn :  literarifd)  befreun- 
t>et  im  Sinne  eine^  ©iosfurentums,  fo  ba^  gemeinfamer 
<5ortfci^ritt,  gegenfeitige  <5örberung  huvd)  3t>eenauö- 
taufd)  einträte,  !aum,  e^  wäre  benn  oorüberge^enb  unb 
in  nebenfäcblic^en  (Sin3etl)eiten.  '^erfönlid)e  ^reunb» 
fd)aften  aber,  warum  füllten  fie  ^ier  md)t  ebenfo  ge- 
bei^en  wie  in  anberen  93erufö!rcifen  ?  Snbeffen  oer- 
binbet  un^  alle  fefter  alö  ©enojTenfc^aft,  l)altbarer  al^ 
felbft  bie  '5reunbfd)aft,  etwa^  anbereö:  bie  5Doc^ad)tung. 
Q2ßir  »erlangen  fie  für  un^  unb  gewäl)ren  fie  ben  anbe- 
ten. 0er  befd;eibenfte  Anfänger,  wofern  er  nur  felbft- 
Dergeffene^  et)rlid)e^  Streben  im  ©ienfte  ber  S^unft  be- 
funbet,  wei^,  ba^  er  biefe  5bod)ac^tung  geniest;  perfön- 
lid)e  "iZlbneigungen  ober  private  Streitigfeiten  vermögen 
biefe^  ©efüf)l  nid)t  anjutaften.  £lnb  bie  Äod)ad)tung 
betätigt  fic^  aucb.  Q3erfud)e  einmal  einer  einen  gead)te- 
ten  Sdjweijer  Sd^riftfteller  ju  beleibigen!  Q93ie  tia  alle 


v3d)n)ei5cnfd)eö  235 


bic  einfamen  0ac^fc  au^  i^rcn  ic)öt)lcn  ^eroorgudcn, 
fd)äument)  ooc  3orn. 

3c^  glaube  mid)  nid)t  ju  täufd)en,  ba^  bie  Äoc^ad)tung, 
namentlid)  bie  Äod)ac^tung  t)on  feiten  ber  S^ollegen, 
für  ben  6cf>tt)ei5er  ®id)ter  ba^  tjöc^fte  ©ut  bebeufet, 
t)ö^er  felbft  al^  9^u{)m,  (g()re  unb  Popularität.  QSenn 
bem  aber  fo  ift,  unb  id)  bin  überjeugt,  tia%  es  fo  ift,  fo 
erflärt  fid)  bie  Überjeugungstreue,  bic  tyeftigfeit  gegen 
93erfud)ungen,  bie  ic^  n?ot)l  alß  eine  unferer  Eigentum» 
lic^!eiten  glaube  beanfprud>en  §u  bürfen.  ^age^rut)m, 
9?eid)tum  unb  ßl)ren  ju  gewinnen,  aber  babei  oon  fei» 
ne^gleid)en  al^  Q3erräter  an  beri^unft  angefe^en  5un)er» 
ben,  bicfer  ^aufd)  i)at  ^icr  nid^t^  QSerlocfenbe^. 

II.  93om  ©ilettantenftil 
QBoran  er!ennt  man  fofort  ben  Dilettanten?  9^ic^t, 
tt)ie  er  meint,  an  6prac^fet)tern,  fonbern  an  ©efc^macf^- 
fel)lern. 

Dem  Dilettanten,  tt)eil  er  nur  au^nal)mön>eife  fc^reibt, 
ift  e^  ein  ßreigni^,  njenn  er  jt^angig  Seilen  in  eine  Sei- 
tung  fe^t.  (fr  meint  bemgemä^,  etwa^  ^u^erorbentlic^e^ 
leiften  ju  muffen,  unb  inbem  er  ^u  biefem  Stt)ede  feinen 
©eift  auflje^t,  \)at  er  fd)on  einen  Äauptfet)ler  begangen, 
nämlid)  ßinfad)l)eit,  9^atürlic^feit  unb  Sac^lid)!eit  ver- 
loren. 

Der  Sd)riftfteller  öon  'Beruf  ober  (5rfal)rung  unb  cbcn- 
fo  jeber  bebeutenbe  xD^ann  eine^  jeben  anberen  '^Berufeö 
fagt,  n>aö  er  ju  fagen  \)at,  beutlic^  unb  bünbig,  unb  bamit 
fertig.  Da^  fd)eint  felbftöerftänblid)  unb  leid)t.  Unb  boc^ 
ift  t>a^  fo  feiten,  t>a%,  n?enn  i(^  irgenbroo  eine  gefunbc, 
gerabe  "iHb^anblung  über  irgcnbein  '5:i)ema,  unb  tt)äre 
e^  ta^  trocfenfte,  ju  ©efic^t  befomme,  id)  mic^  erfunbige. 


236  (5d)tt)ei,^erifd)C0 


tt)a^  für  ein  bcbeutenber  9?^enfd)  ba«  gefd)riebcn  ^abe. 
9uimlid)  ber  Dilettant  mul3t  allefi!  auf.  8et)en  wiv,  mit 
tvas  für  9?iät)d)en.  3unäd)ft  runt)et  er  feinen  'Serid^t 
ju  einem  "^luffä^d)en  ab.  ©ag  Snbe  ftimmt  lieblid)  mit 
t)em  ^^Infange  überein,  ober  es  üingt  patriotifd)  aus,  ober 
ftimmt  i)cimatUd),  ober  läuft  in  ein  Sitat  unb  ät^nlicbc^. 
6old)e  ^Ibrunbungen,  überf)aupt  ben  ^luffa^ftil  üerab- 
fc^eut  ein  6d)riftfteIIer. 

3m  einzelnen  üerjiert  ber  Dilettant  feinen  6til  mit 
6d)nörfeln.  Unter  biefen  6d)nör!eln  finb  bie  beliebte- 
ften  folgenbc. 

^ie  geiftreid)en  Gc^nörfel,  alfo  aüert)anb  f)armlofe 
QS>i^d}en  unb  6pä^d)en.  9^amentlid)  bie  „S^orrefpon-- 
benjen  t)om  Canbe"  pflegen  berart  mit  9;ßi^d)en  um-- 
n>unben  ju  fein,  taf^  man  ob  bem  üerbret)ten  ©etu  oft 
gar  nid)t  me^r  gu  üerftet)en  »ermag,  toas  ber  6d)reiber 
eigentlich  mitteilt.  9\egel :  "^Dcan  fei  nur  bann  geiftreid), 
tpenn  man  fdt)led)terbing^  mit  bem  beften  QBillen  nid)t 
anbere  !ann. 

•ferner  bie  poetifd)en  '33lümd)en,  befonber^  bei  ©a« 
men  beliebt.  ^oetifd)e  ^lümd)en  im  ^rofaftil,  alfo  ^,  93. 
im  Feuilleton  unb  im  Q3rief,  finb  immer  Hnfraut  unb 
ried)en  am  erften  ^age  fd^on  altmobifd).  9\egel:  9?tan 
tüerbe  niemals  „poetifc^". 

•Jerner  anmutige,  gierlid^e  Qßenbungen.  5barmonifd)e 
©cbänflein,  ebenfalls  meift  tt)eiblid)en  ©efd)led)teö. 

ferner  ber  93ilberfd)muc!,  met)r  nod)  im  politifd^en, 
al^  im  beUetriftifd^en  S>ilettantenftil  n)ütenb.  QÖJo  bann 
bie  buntfd)ecfigen  ©inger  gar  mibertoärtig  mit  ber  ah' 
ftraftcn  Q3orfteUung  in  5trieg  geraten,  felbft  bann,  toenn 
t>aii  Q3ilb  an  fid)  nid}t  unrid)tig  burd)gefül)rt  n?irb,  j.  ^. 
„ba^  Gc^ifflein  ber  (Jifenbal)npolitif  in  t>ci^  rid)tige 


;d)n)ei5cnfd)c^  237 


'5af)rn)affer  lenfen".  QSaö  ift  ba^  für  eine  aquatifd)e 
'Srüf^e  auf  eine  Sifenbaijn !  ^a  entgleift  ja  bie  £of o» 
motioc  ber  93ernunft  oor  ber  Überfdjroemmung  ber  ©e= 
banfenfc^ienen!  9^egel :  QBenn  man  öon  abftraften  ®tn= 
gen  ijanbelt,  fo  rebe  man  et)rlid)  abftraft!  6oId)e  <5)ingc 
mit  lecfcrn  93ilbern  aufmuntern  ju  n^oUen,  ba^  ift,  al^ 
ob  man  t>a^  fd)njeiäerifd)e  Obtigationenred)t  mit  far- 
bigen Sßuftrationen  {)erau^gäbe. 

"ferner  ber  6ct)tr>ulft.  9^an  nennt  un^  tt)o^l  „nüchterne 
0ct)  weiser".  QSenn  n)ir  aber  fd)reiben,  finb  tt)ir  et)er  ,,bom- 
baftifct)e  6d)n)ei§er".  QSir  Jt>crfen  unlg  in  bie  "Jeftrebner* 
bruft  ©a  aber  ber  "Dilettant  in  bemfetben  *2lugenblicfe, 
ha  er  fid)  patriotifd)  ober  moralifd)  auffdjroeüt,  fid)  gleid)» 
zeitig  feiner  ftiüftifd)en  llnbe{)olfenf)eit  betüu^t  ift,  fo  be- 
bient  er  fid),  um  un^  pompös  8u  fommen,  altben)äf)rter, 
niematö  oerfagenber  9)Zittel,  mit  anberen  QBorten,  ber 
©emeinplä^e.  Consules  videant!  —  Sapienti  sat! 

Übert)aupt  ©emeinplä^e !  <S)a^  ,,naffe  Clement"  (^tatt 
QSaffer),  ober  „ber  un{)eimlic^e  ©aft"  (für  ben  ^^li^), 
ober  ber  „Supiter  ^luoiuß",  ber  „t)offentli(^  ein  ßin» 
fei)en  t)aben  tt)irb",  ober  Cimmatat^en,  ober  gar  ßujern 
bie  „ßeuc^teftabt".  5)od)geet)rter  2efer,  wollen  wir  mit- 
einanber  einen  feierlid)en  6d)Wur  leiften,  ba§  feiner 
oon  un^  beiben  fxc^  jemals  be^  QOßorteö  „Ceud)teftabt" 
fd)ulbig  mac^e. 

3u  warnen  bleibt  enblid)  oor  gwedlofen,  um  ber  60- 
norität  ober  ^equemlic^feit  wegen  gebrauchten  <5^^emb- 
wörtern, 

llnb  namentlich  oor  ^rembgebanfen,  ben  Sitaten.  3«^ 
fage  wie  ber  3al)narät  oon  ben  3äl)nen:  ber  fc^leci)-- 
tefte  eigne  ©ebanfe  ift  beffer  at^  ber  befte  frembe.  3ct) 
wenigftens  l)abe  mir  jum  (Sefe^  gemacl)t,  niemals  ju 


238  ^rofeffor  (5)taubered)t  ©oct{)cfeft 

jiticren.    Unt)  t)abe  mic^  tt>ot)l  unt)  gcfunt)  babei  be- 
funbcn, 

^21lfo  idt)  faffe  jufammen:  Steine  6c^nörfel,  feine  gra- 
giöfen  ©ebärben,  feine  ))oetifd)en^lümd)en,  feine  Sd)nö- 
bigfeiten,  fein^ilt)erfd)mucf,  feine  geiftreid^en  ^Öi^d)en, 
feine  Sitate,  feine  ausgetretenen  @elei[e,  feine  lant)-- 
läufigen  9^et)enSarten,  feine  f)eimeUgen  ober  patrioti- 
fc^en  ober  pompöfen  'i^lfjentuationen  unb  t>or  allem, 
bleiben  Sie  ftanbl)aft,  niemals  „2eud)teftabt"  ! 


^rofeffor  ©taubered)t  ©oett)efe[t 

®ün!el  t)on  Qßeifenftein  über  QBett- 

(iteratur 

Q3ortrag  1901 

Q3ergangenc  Q[öod)e,  n>ar  eß  am  9}^ontag  ober  am 
©ienstag?  nein,  e^  tt>ar  bod)  am  ^Dtontag  —  erl)ielt  id) 
unbef annten  ^efud) :  „^rofeffor  ©laubered)t  ©oett)e- 
feff  ©ünfel  t>on  QBeifenftein,  @el)eimerat".  3d)  nannte 
aud)  meinen  9^amen  „^l)omaö  <S)enffelber".  „Scl)r  er- 
freut." „©anj  auf  meiner  6eite." 

,,®en  3tt)ecf  meinet  ^efud)eß",  begann  ber  Äerr  ©e» 
^eimerat,  „tt)erben  6ie  erraten.  6ie  l)aben  eö  genji^ 
n>ic  n)ir  alle  fd)on  längft  alS  eine  unerträglid)e  0d)mad) 
für  (amtliche  beutfd)fpred)enben  Canbe  empfunben,  t>af^ 
jene,  auf  n?eld)en  ber  oerflärenbe  Strahl  bes  l)öd)ffen 
®ic^tergeniu0  gefallen  ift,  fie,  welche  im  Äcrjen  ber 
beutfd)en  9iation  in  en)igcr  Sugenb  unvergänglich  fort- 
leben tpirb,  nod)  immer  eine«  würbigen  0enfmal0  ent- 


^rofeffor  ©Iaubercd)t  ©oet{)cfeft  239 

bet)rt  —  Sie  lüiffen,  tDen  id)  meine:  ^rieberife,  t)ie  un- 
fterblid)e  xyriet>erife  »on  Sefcntjeim." 

„^rieberifc  t)on  6efen{)eim?  Quarten  Gie  einmal,  ben 
9'iamen  glaube  id)  in  ber  '^at  fd)on  irgenbtt)o  gclefen  311 
t)aben.  "iHber  ba^  fie  ®et)id)te  gemad)t  f)af,  ift  mir  neu." 

©er  Äerr  @et)eimerat  50g  ein  ©efid)t,  al^  ob  mir 
eine  fd)auerlid)e  llnjiemlic^feit  entfd)lüpft  tt)äre  unt>  fa^ 
oerlegen  beifeite.  ^lö^Iid) :  „QBaß  fjaben  3ie  benn  ha  für 
einen  intereffanfen  alten  Sd)möfer  liegen?  —  ^oileau? 
toae  tüollen  6ie  mit  bem  bornierten  lebernen  ^ebantcn  ?" 

„£efen,  nid)t  fmgen." 

„'5)er  ift  ja  in  ^ranfreid)  fclber  längft  oeraltet  unb 
all  ber  pfeubo--!laffifd)e  '^lunber  feiner  Seit." 

„9!)^ einen  Sie?  ©arüber  fann  man  t»erfd)iebener  *52In- 
fid)t  fein.  Übrigens  gel)ört  eß  5U  ben  £iebling0befd)äf- 
tigungen  ber'2ßeltgefd)id)tc,  fid)  mit  veraltetem  ^lunber 
gu  befaffen." 

„*i2Id>  fo,  t>a^  ift  etttjas  anbre^ :  tt>enn  Sie  ©efd)id)te 
treiben !  Übrigens  fönnten  Sie  fid)  aud)  mit  einem  lol)- 
nenberen  ^l)ema  abgeben.  «Sie  ^yran^ofen  l)aben  eben 
leiber  überl)aupt  feine  '^oefie  im  eigentlid)en  Sinne  be^ 
Qßorte^,  t)ielleid)t  ein  paarC^rifer  aufgenommen,  bereu 
Qßert  fie  felber  nid)t  — " 

„^umpö!  meg  mit  ben  ^ranjofen!  raten  Sie  mir 
el)er  ^u  ben  Stalienern?" 

„Italiener  ?  9la !  —  Staliener  ?  nun  ja,  meinetn>egen. 
®ie  Staliener  l)aben  if)ren  <5)ante  unb  einige  9'Zeuere. 
*i2lber  bie  italienifd)e  9'cation  al^  fotd)e  möd)te  ic^  boc^ 
nic^t  alö  eine  eigentlid)  poetifd)e  l)inftellen." 

„<2Irioft?^affo?'' 

„•^rioft?  ©en  jebenfallö  nid)t.  'iHrioft  mu§te  mit  fei- 
nem „9^afenben  9?olanb"  fd)eitern,  tpeil  eben  ein  Spo0, 


24(1  ^'Profcffor  ©taubercd)t  ©oett)cfeft 

t)aö  nidyt  t)urd)  bie  '33egeifterung  eine^  gonjen  Q3ol!e^ 
getragen  mx'O,  alfo  bas  fogenannte  Slunftepo^,  an  ftc^ 
ein  llnbing  ift.  Q^Baß  bann  ^affo  betrifft,  fo  berutjt  feine 
Äauptbebeutung  in  ber  l?iteraturgefd)id)te  bod)  roefent» 
lid)  barauf,  t>a%  er  ben  Qlnla^  ju  @oett)e3  unfterblid)er 
gleicbnamiger  0id)tung  gegeben  \)at/' 

,/^llfo:  Äauptbebeutung  ^affoß:  präbeftinierter  9^0- 
beüfte{)er  für  ©oetf)e.  £lnben?u^t?  ober  meinen  6ie,  t>a% 
er  eine  ^U;nung  biefcö  erlaucl>ten  Berufes  get)abt  t)at? 
5turj,  bie  italienifrf)e  9cation  a(g  fold)e,  n)ie  Sie  fagen, 
ge^ijrt  nic^t  ju  ben  eigentlid)  poetifd)en.  ^umpß !  njeg 
mit  ben  3tatienern.  ®ann  tt)erbe  id)  mid)  lieber  mit  ben 
alten  9\cmern  bef äffen." 

„<S)ie  fönnen  Sie  rut)ig  auö  bem  Spiel  laffen !  ©enn 
bie  9^ömer  n>aren  im  ©runbe  eine  freu3profaifd)e  9^a- 
tion.  ÄoI)le  9^l)etori!,  pl)antafielofe  9iad)al)mung,  nüch- 
terne 93erftänbig!eit.  Sine  einzige  Stropl)e  oon  Äeine 
ift  mir  lieber,  id)  meine,  entl)ält  meljr  ed)te0  poetifc^e^ 
@olb  al^  bie  gefamte  bereinigte  "^oefie  ber  9^ömer  unb 
\f)X^v  9^ad)treter,  ber  ^yran^ofen." 

„<5)aö  nenne  \6)  eine  QBeltliteratur  in  ber  QSeffen» 
tafd)e!  Äeine,  ben  id)  meine.  —  Obib?  93irgil?  Äora^? 
t>aii  fagt  3l)nen  alfo  nid)tö  ?" 

„3et)enfall0  nid)t  ber  öbe  QSerefej  ioora^!  Q3irgil? 
9^un  ja,  feine  ^^Icnciö  ift  ja  in  it)rer  9lrt  fonjeit  eine  rec^t 
ad)thavt  Ceiftung,  eine  nid)t  ungefc^icfte,  toien?ol)l  un- 
enblid)  minbern^ertige  9^ad)al)mung  Äomer^,  aber  alö 
©anjeö  burd)au0  t)erfel)tt.  3n  feinen  Heineren  Sachen 
bagegen  ift  Q3irgil  mand)eö  gelungen;  l)ier  liegt  feinere- 
beutung.  Ci'l}er  nod)  Ot>ib.  Obfd^on  biefe  frioolen,  geift- 
reid)en  Spielereien  fd)lie§lid)  bod)  el)er  alleö  anbrc 
t)ei§cn  (önnen  al^  ^oefie." 


^rofeffor  ©laubered)t  ©octf)efeft  241 

„^a%  QSirgil  anbertt)atbtaufenb  3at)re  lang  ber  gan- 
zen 9}tenfd)t)eit  für  ben  größten  ^id)tcr  bcr  QSeltlitera- 
tur  galt,  neben  Äomer  ober  fogar  über  Sbomer,  ftört 
Sie  nid)t  in  Syrern  abfd)ä^igen  Urteil?" 

„3ci,  aber  id)  bitte  6ie,  tt)a§  für  eine  9?^cnfd)t)eit  ? 
9^ömer!  9)^ittetalter !  Pfaffen!  6d)oIaftifer!  iöumani- 
ften !,  bie  felber  feinen  begriff  t>on  n)at)rer  ^oefte  t)atten !" 

„<S>ie '^irmften!  darunter  aber  ©ante,  ber  öielteic^t 
einen  93egriff  öon  n)a{)rer  ^oefie  t)atte." 

„©ante  f)at  befanntlid)  Q3irgit  unenblid)  überfc^ä^t. 
®a^  f önnen  mv  \i)m  \a  aud)  nic^t  übel  nel)men,  er  fannte 
eben  Äomer  nid)t." 

„^itte,  net)men  6ie  es  il)m  nid)t  übel.  '5:un  Sie  e^ 
mir  ju  ©efallen,  njenn  nid)t  i^m.  €^  n)äre  ju  fürd)ter-- 
lic^.  ©ante,  ber  nid)t  fannte.  ©ante,  ber  ben  Q3irgil  be- 
fanntlid)  überfc^ä^te.  Unb  Sd)itler,  ber  xf)n  befanntlic^ 
überfe^tc.  Statte  ber  t)ielleid)t  aud)  feinen  93egriff  t>on 
h?a^rer  ^oefte  ?" 

„9ca,  übert)aupt  Sd)iaer ! !" 

„9^a,  überl)au))t  Schiller.  Unter  bicfenllmftänben  muf- 
fen Sie  jebenfaU^  ein  unbänbige^  Äcrjüergnügen  an 
datua  unb  ^ibuH  t)aben." 

©er  ^rofeffor  fc^aute  fic^  erftaunt  nad)  mir  um.  ,,^ic 
f önnen  Sie  ha§  jum  üorau^  n)iffen?" 

„9Run,  tt)ic  bie  Äerren  ©laubered)t  über  QBeltlitcra-- 
tur  urteilen,  fann  man  immer  jum  öorau^  tüiffen.  €ä 
ftcl)t  ja  bei  jebem  9^amen  ein  OBegn^eifer.  (Sntroeber  ein 
»ei^er,  5.  93.  bei  ^fd)^lu^,  Sopf)ofleö,  ^inbar,  ^^co- 
frit,  bann  njirb  angebetet,  ober  ein  fd)tt)arjer,  3.  "23.  bei 
(Suripibe^,  *^poHonio^,  Seneca,  bann  tt)irb  gefc^ulmei« 
ftert.  ^urj,  n)ir  fagen  alfo:  ^ump^  mit  ben  9^ömern. 
•Jtanjofcn  pump^,  Italiener  pump^,  9^ömcr  pump^. 
epiftetcr,  Cad^enbc  QBa^r^citcn  16 


242  l>rofcfTor  ©Iaubcrccf)f  ©oct^cfeff 

<S)cn  ©ned)en  ttjenigften^,  f)off  c  ic^,  njcrben  6ie  bic  ^ocfic 
nicht  abfpred)cn. 

„'20),  t>a^  \}t  je^t  ettt)a^  anbcrc^!  ®ic  ©ncd)en!  öic 
©ricd)cn!  0a^  n?ar  eine  poetifd)e  ?iation  t>on  ©otte^ 
©naben!  ^aö  t)ei^f,  tt>o{)berffant)en,  nid)t  ettva  bic 
6pätgriec^en !  0ie  '^Ueranbriner  net)me  id)  felbftoer- 
ftänblic^  aus,  tvie  übert)aupt  au^er  ettt)a  ^t)eo!rit  alle^, 
wa^  nad)  ber  Q3Iüte5eit  ^ltt)en^  fällt,  atfo  na6)  400  t?or 
(i{)riftu^,  um  eine  runbe  3a()l  äu  nennen." 

,/^Ufo  bie  Spätgrie(^en  t)om  ^a\)xt  400  an  l)atten 
aud)  feine  ^oefie!  ^umps  mit  ben  Spätgried)en!  Sin 
©lücf,  t)a%  Sic  n>enigften^  ben  tyrüf)gried)en  "^oefie  ju- 
erf ennen,  fonff  raupte  id)  n3at)rlid)  nid)t  mei)r,  ttjaß  übrig 
bliebe.  ^Ifo  ift  oielleic^t  ßuripibeö  ^\)v  93^ann?" 

®a  50g  ber  5)crr  ^rofeffor  ein  ©cftc^t,  al^  ob  er 
auf  eine  Oßan^c  gebiffen  t)ättc.  ,,(Suripibc^ '?  Suripibeö 
ift  übert)aupt  gar  fein  ©rieche." 

„qßaö  benn?" 

,,(guripibe^  ift  ein  9[Roberner,  ber  fid)  au^  Q3erfc^cn 
in«  fünfte  3al)rl)unbert  t>or  (it)riftuö  ücrirrt  t)at." 

„QSicllcic^t  aber  tpar  xf)m  bort  tt)ol)ter  at^  bei  unfern 
9?^obernen.  3d)  bin  feft  überjeugt,  er  t)af  ^  abfid)tlic^ 
getan." 

„(Suripibe^  bebeutet  ben  tiefffen  Serfalt  ber  gried)i- 
fd)en  '^oefie." 

„'3)ie  ©ried)en  felber,  tok  Sie  tuiffen,  urteilten  anber^ : 
nid)t  ben  tiefften  Serfaü,  fonbern  ben  t)öd)ften  ©ipfct 
ber  ^oefie  bebeutete  it)nen  (^uripibeg." 

,,3ö  t>aii  tvav  ja  eben  ber  t)erl)änc3ni^t)olle,  unbegreif- 
liche ©runbirrtum  ber  bamaligen  ©riechen,  t>a%  fic  Suri- 
pibe«  über  Sopl)ofleö  unb  '^ifc^plus  fteUten.  Sie  oerftan- 
ben  eben  Iciber  baei  innerfte  QKefen  ber  ^ragöbie  nic^t." 


^rofeiior  ©taubercd)t  ©oeti)cfcft  243 

,,3e^t  t>erftel)en  n»iet»cr  t)ie  ©ried)en  t>a^  innerftc 
QScfen  ber  griec^ifd)en  ^5:ragöbie  nid)t  unb  bie  Seitge- 
noffen  beß  ^eritleö  fterften  in  einem  t>er{)ängnißt)olIen 
©runbirrtum  über  ben  QÖßert  i^rer  eigenen  ^ic^ter.  Waf- 
fen 5ie  unö  boc^  refapituUeren.  <S)ie  ^tyranjofen  oer» 
ftef)en  bie  9^ömer  nid)t,  bie  9\ömer  t)erftef)en  bie  ©rie- 
chen nid)t,  bie  @ried)en  oerfte^en  bie  ©riechen  auc^ 
nid)t.  ^ber  bie  Äerren  tjon  QSeifenftein  t)erftef)en  na» 
türlid)  aUe^.  —  Sagen  6ie  mir,  Äerr  ©ei)eimerat,  n)ie 
ftet)t  e0  benn  eigentlich)  mit  ^t)xev  epoc^emac^enben  *2lr- 
beit  über  ©oetf)e^  ^ifi  ober  9D^imi  ober  2ili  ober  tx)ic 
fie  f)ei^t?  rücft  fie  oor?^ 

„QS>er  t)at  3{)nen  ba^  »erraten?  —  Q5}iffen  Sie  aber 
auc^,  ba§  icf)  §u  einem  burd)au^  entgegengefe^ten  dv' 
gebniß  über  2ilis  (ii)arafter  gekommen  bin  alö  bie  big- 
I)erige  £iteraturgefd)id)te?" 

„9iid)t  möglid) !  irf)  ftaune,  ic^  gittere !  <5)ag  n)irft  ja 
alle  unfere  QSegriffe  Don  ^oefie  um  I  ®aö  QSer!  muffen 
Sie  unbebingt  oollenben !  '2>a5  bürfen  Sie  ber  QOßctt 
md)t  üorentl) alten !    Sie  f)at  ein  9\ec^t  barauf !" 

Qßir fcf)ieben  atg  bie  beften  "Jreunbe.  „Siahe  bie  €l)re !" 
„^uf  tas  QSergnügen."  ^2luf  ber  treppe  l)otte  id)  i^n 
gurücf:  ,,^a%  ic^  bie  Äauptfad)e  nirf)t  üergeffe:  n?ar 
(fr  !urgftd)tig  ?  trug  Sr  drillen  ?  wie  ftellen  Sie  fid)  ju 
biefer  ^vageV 

0er  Äerr  ©el)eimerat  ftieg  mit  triump^ierenbem  £ä- 
c^eln  l)erbei:  „(5r  tt>ar  nid)t  !ur5ftd)tig,  (Sr  trug  feine 
'^Brille.  3c^  l)öbe  barüber  fogar  eine  befonbere  fleine 
'21bt)anblung  gefd)rieben;  n)enn  eg  Sie  intereffiert,  n)enn 
Sie  erlauben,  fo  fcf)icfe  id)'g  3l)nen  gelegentlich  ju." 

„3cl)  bitte  bringenb  barum,  ic^  gä^le  barauf.  Caffen 
Sie  mic^  ja  nicf)t  im  Stiel)." 

16* 


244  ^rofcffor  ©Iaubcred)t  ©oetf)cfcft 

Q©ie  t)cr  ^sölfer  unt)  3at)rtaufcnt>c  jufammenfäbelt! 
al^  iDärcn's  <S)ifteIn !  —  ^inc«  fte{)t  mir  feft:  QBärc 
t>er  tveifc  Äerr  gufäUig  jtt>ei  3at)rt)unbcrte  früher  auf 
t)ic  QÖJelt  gefommen,  tt)a0  ttJoUcn  n>ir  tuetten?,  ber  i>ätfe 
eine  Iateinifd)e  i?obret)e  auf  Äoraj  in  Äe^ametern  ju- 
fammengefd)uftert!  —  9^ec^t  ()at  er  ja  in  manchem,  ber 
t)oc^gebilbete  Unt)olb.  Ober  t)ielmet)r  nic^t  er,  fonbern 
bie  großen  beutf(i)en  Genfer  be^  18.  3at)rt)unbert^, 
beren  (Srfenntniffe  er  gebanfenloö  nad)))lappert,  bie 
anftubierten  '^^at)rt)eiten  burd)  bogmatifd)e  ^ngt)erjig- 
feit  ücrfrüppetnb,  ba^  aus  ber  Q5?at)rt)eit  llngerccbtig- 
feit  unb  bün!elf)afte  '=2llbernt)eit  tpirb.  Hnb  öorauöge- 
fe^t  fogar,  er  \)ab^  red)t  —  er  i}üt  aber  nid)t  rec^t, 
fonbern  re(^t  unb  unrecht  in  einem  einzigen  fc^auer» 
Uc^cn  ©emüfe  —  öorauögefe^t  atfo,  er  t}ätt^  red)t, 
barf  man  benn  S^^ftaufenben  gegenüber,  ben  größten 
<5)id)tern  unb  kentern  ber  Sa^rtaufenbc  gegenüber  in 
bicfem  tüeg Werfenben  fuffifanten  6tU  rcd)t  ^aben? 
^xx  !ommt  x>ov,  nad)  meinem  ©efc^macf,  wenn  einer 
tm^  9D2i^gefc^ic!  f)at,  einem  <5)antc  über  '^oefte,  einem 
(Juripibeö  über  t>a^  <5)rama,  einem  Q3irgil  über  t>a^ 
epo^  wiberfprec^en  ju  muffen,  fo  foüte  er  e^  befc^ei- 
bentUd),  mit  bem  Sbut  in  ber  Äanb  tun.  llnb  öor  allem 
erft  jwanjigmal  nacl)bcn!en,  et)e  er  wiberfprid^t.  ilnb 
n)al)rlid),  ^um  9^ad)bcnfen  ift  t)ier  9lnla^.  3ft  c^  benn 
tt)at)rfd)einlic^,  ift  e^  überhaupt  möglid),  t>a%  ganzen 
9Zationen,  ba^  üollen  3al)rtaufenben  eine  immanente  €i» 
gcnfc^aft  ber  '^^^enfc^ennatur,  nämlid)  bie  ^oefte,  ein- 
fach gefehlt  t)ätte  ?  93ert)ätt  eö  fid)  nid)t  t)ielleid)t  oicl- 
mel)r  fo,  ha%  jene  eine  anbere  "^luffaffung  oon  ^oefte 
t)atten,  mitl)in  einem  anbern  poetifc^en  Siele  nac^ftreb* 
ten?    £lnb  ift  benn  fo  felfenfeft  gewi^,  t>a%  unfcre 


"profeffor  ©laubcrecbt  (Soett)cfeft  245 

•iHuffaffung  t)ie  einzig  x\)a\)xt,  t)ie  in  alten  fünften  n)a^rc, 
t)ie  abfolut  richtige  ift  ?  könnte  nicl)t  ztwa  t)ie  antifc, 
alfo  t)ic  griec^ifcf)'römifc^c  "^Infc^auung  in  liefern  ober 
jenem  fünfte  ung  gegenüber  red)t  bet)alten?  QäJirb 
nid)t  t)ieUeid)t  eine  fünftige  £iteraturgefd)id)te,  alfo  5.  'S. 
ein  iberr  ^rofeffor  ©ünfel  00m  3al)re  3000,  unfere  'i^n- 
fd)auungen  al^  einfeitig  i)inff eilen  ?  manc^eg,  t)a^  wir 
für  überwunden  ausgeben,  n)iet)er  inß  9\ec^t  fe^enb? 

Unt)  oor  allem :  9?cu§  man  benn  nid)t  oerfud)en  ^u 
öerftel)en  ober  wenigfteng  abnenb  nac^gufül)len,  n)iefo 
et)ebem  ibunberte  oon  bebeutenben  ^id)tern  unb  ^en» 
fern,  bie  un^  an  Talent  unb  ©eift  t)immeltt>eit  über- 
legen fmb,  5U  einer  fold)en  ^uffaffung  ber  ^oefte  ge- 
rieten, bie  oon  ber  unfrigen  rabifal  oerfd)ieben  ift? 
*2ld)  n)cnn  \d)  nur  ein  bi^d)en  tyacl)fenntniffe  i)ätttl 
menn  id)  nur  mit  ber  ßogif  auf  befferem  'Ju^e  ftänbc! 
barüber  möd)te  id)  einmal  ^tmae  fd)reiben ! 

Ober  nod)  beffer:  QSenn  einer  aus  bem  ^lltertum 
auferftel)en  fönnte,  ein  römifct)er  9\ebner  ober  griec^i- 
fc^er  6opl)ift  ober  ein  griec^ifcl)--römifc^er  ©ramma- 
tifer  aus  ^lejanbria,  fo  ein  ßuagoraö  ober  ^'enagora^ 
ober  '^rotagoras  ober  voai  für  ein  '^^Igoras,  ber  einem 
perfönlic^  erflärte,  n>ie  fie  bamalö  bie  ^oefie  auffaß- 
ten, roaö  fie  follte  unb  njoUte,  unb  mie  unb  marum  fic 
fie  auf  fo  burd)au^  anberen  Qö^egen  fud)ten  als  mir. 

QS^äl)renb  ic^  fo  feufjte,  begann  mein  6d)reibtifc^  fic^ 
un^eimlid)  ju  bemegen,  mit  unoerfennbar  fpiritiftifc^en 
©ebärben.  Äurtig  nat)m  id)  <5eber  unb  Rapier  unb  no- 
tierte, ma^  mir  ber  ©eift  au^  bem  3enfeitö  öorfprac^. 
3c^  überfe^e  —  id)  benfe,  Sie  finb  bamit  einoerftanben 
—  au^  bem  ©riec^ifd)en  inö  <S>eutfd)e  unb  au^  bem 
6til  be^  Senfeit^  in  ben  biesfeitigen. 


246  ^rofcfTor  ©laubercd)t  ©oett)efeft 

*2llfo  folgent>e^  t)iftierte  mir  mein  fpiritiftifct)cr 
6c^reibtifd): 

Sjagoraß  üon  '^Hlc^anbrien,  ter  ©rammatifer,  9^t)e-- 
tor  unt)  6opf)ift,  geboren  im  vierten  Satire  t>eö  ^aifers 
9^ero  in  Slprcne,  geftorben  im  erften  ^a\)xc  t)ee  Sx'aifere 
5Dat)rian  in  9\om,  berjeit  in  ber  ßn)ig!eit  ftd)  befinbenb, 
an  feinen  ÄoUegen  ^^oma^  '5)en!felber  in  ßteganto- 
polig!. 

©ru^  juöor ! 

ß^  gefc^ie()t  nur  alle  I)unt)ert  3ai)re  einmal,  ba^  einer 
öon  Sud)  ben  eblen  9camen  ßuripibe«  auöfprid)t,  obne 
bem  lieben0tt)ürbigften  gemütreid)ften  <S)id)ter  be^  *^U- 
tertumö  ein^  an3ut)ängen.  3um  <S)anf  bafür  ttjiü  id) 
3^ren  Geufjer  erhören  unb  3l)nen  erflären,  tt)iefo  wir 
^Itcn  ju  einer  ganj  anberen  *i2luffafi"ung  ber  ^ocfte 
!amen  a\^  3i)r. 

Empfangen  6ie  junäd)ft  mein  offenes  Sugeftänbnig, 
t>a%  unfere  gelet)rte  !laffifd)e  5lunffpoetif  auf  falfc^er, 
bie  Rurige  auf  rid)tiger  ©runblage  rut;t.  O  triumpi)ie' 
ren  6ie  nid)t  gu  früt)!  e^  !ann  einer  au^  ber  beften 
Q5ßai)rt)eit  ben  greulki)ften  Unfinn  ftiften,  tt)ie  3.  <33.  un» 
fer  geet)rter  S^ollege  S»ünfel  üon  Q35eifenffein,  ber  au^ 
ber  gefamten  QBeltliteratur  nur  bie  tprifd)en  9\ofmd)en 
t)erauö5uftauben  oerftet)t,  alle  benju^te  Stunftpoefte  oer-- 
n)irft  unb  bie  großen  «Sid^ter  mit  feinem  fleinen  6d)ul-- 
fated)i0mu^  mi^t.  Umgefei)rt  fann  ein  anbcrer  au^ 
©runbirrtümern  bie  fd)önften  <5)inge  t)olen,  n)ie  5.  03. 
93irgil,  GorneiUe,  ©tucf,  ©oett)e,  <5:i)orn)albfen,  bie  ftc^ 
über  ta^  QBefcn  be^  alten  ©ried)entum^  grünbli6 
täufd)ten,  unb  bcnnoc^  9[?teiftertt)er!e  auig  biefem  Irr- 
tum l)crt>orbrac^ten.  —  *!2Ufo  (Juere  ©runbanfd)auung 
ber  "poefie  ift  richtig.   Q[Borin  bcftet)t  fte?  3n  ber  €r- 


^rofeffor  ©Iaubcred)t  ©oett)cfeft  247 

(enntni^,  t>a%  t>ie  ^oefic  md)t  mit  ben  übrigen  ©eifte«* 
funftionen  übcreintlingt,  fonbern  eftva^  ganj  '23efont»e' 
re^,  ja  fogar  in  bcr  Äauptfad)e,  im  Sxlern  ettt)a^  ©egen- 
fä^tid)e^  ift  Qßof)er  tjabt  3t)r  biefe  (^rfenntnis  bejo^ 
gen  ?  '^^luß  ber  T^ergleid)ung  t)er  ^oefie  aUev  Golfer.  (Sure 
Grfenntniö  ift  international.  5)ie[e  Q3ergteid)ung  aber 
tvax  un^  unmöglid),  tveil  gu  unferer  Seit  baö  ^atfad)en- 
material  nid)t  vorlag.  QÖJir  nju^ten  nur  t)on  einer  5?unft- 
poefie,  oon  einer  'S)id)t!unft  unt)  jtt)ar  b{o%  \nmvi)alb 
unfere^  eigenen  93oI!^ftammeö,  be^  ^enenifd)--römi» 
fd)en.  Erraten  aber  fonnten  n?ir'g  nid)t,  t>a%  t>k  ^oefie 
ben  anderen  t)eilfamen  ©enien  t>er  9}Zenfc^^eit  äun)it)er= 
tt)ac^fe,  bo  boc^  bie  *5Innat)me,  ba^  alle  guten  ©eifter 
einanber  t>ertt>anbt  tt)ären,  an  fid)  tt)at)rfd)eintid)er  ift 
ol2  bie  ^lnnaf)me  beß  ©egenteilö.  9lu^  biefer  einen 
©runberfenntni^  nun,  bie  3t)r  befi^t  unb  bie  un0  ent= 
ging,  mußten  mit  9cottt)enbig!eit  bie  erftaunlirf)ften  Dif- 
ferenzen entftef)en,  je  länger  befto  größere.  3d)  ^iH  3^' 
nen  bie  njic^tigften  baoon  geigen. 

I.  'Differenz.  3l)r beget)rt  eine unabt)ängigc '^oefxe, 
rü(ffid)töloö  bie  erlaud)teften  Äerrfc^aften  aui  ber'S)id)t- 
fünft  öcrbannenb  :  9\eligion,  93Zoral,  <2ßeiöl)eit  unb  tt)ie 
fte  alle  l)ei^en.  0a^  ju  tun  Ratten  tt)ir  üon  unferm  6tanb- 
punft  nid)t  ben  minbeften  ©runb.  QBir  meinten,  alte 
9}cufen  mirften  am  beften  vereint  unb  glaubten  ber^oeftc 
nid)t  im  minbeften  ju  nat)e  ju  treten,  inbem  tt>ir  fic  im 
0ienft  ber  9^eligion  unb  ber  '^Q^oral  gur  QSereblung  unb 
(Srgiel)ung  be^  93^enfd)engefc^led)teß  mittt)ir!en  ^ie^en. 

II.  ©ifferena.  9ßeil  3t)r  bie  ^oefie  alö  etn)a^  ©e- 
fonberte^  ernanntet,  l)abt  3l)r  ouc^  il)f  unterf(i)eibenbe^ 
9}Zcrfmal,  il)r  innerfteö  ^efen  aufgefpürt  unb  erfannt. 
Qßorin  befte^t  t>a^^.    3tn  Unbenju^ten,  im  "^Inon^men 


248  l>rofcfTov  GMaubcrcd)t  ©oett)efeff 

bcr  (5cclc.  Um  ^oefie  ju  fint)cn,  [tcigt  3^r  au^  ßuver 
'33cii>u^tfcinst)öt;e  in  bic  tunfelften  Cörünbe  bev  6ecle, 
bortt)in,  roo  bic  ^^antafie  träumt.  Um  ^ocfic  ju  er- 
forfd)en,  überfpringt  3()r  bie  glorreich fte  5tultur  eine^ 
93olfeö  unb  begebt  C^iic^  in  feine  barbari[d)en,  oort)ifto- 
rifc^cn  *2infänge,  in  6agen,  ^rabitionen,  alten  oergef- 
fenen  Äelbenliebern  unb  93olf0liebern  ftöbernb.  Um 
^oefte  5u  genießen,  legt  3l)r  Sucr  ti>ad)e^  "^ilbung^- 
unb  S?ulturben>u§tfein,  allen  (Suren  ©eift  weg  unb  laufct)t 
ol^  naioee  unmiffenbe^  Slinb,  fo  naio  al^  eö  Sud)  ge- 
lingt. 5\uv^,  Sure  ^oeti!  ift  —  t>ergeil)en  6ie  einem 
©rammatiter  bie  iyrembn)örtcr :  primitioiftifd),  natioi- 
ftifd),  ard)aiftij"d)  unb  ataoiftifd),  ober  roenn  6ie  eiS  in 
einem  QÖöort  t)aben  n?oüen,  finblid).  QSir  aber  muß- 
ten bie  ^oefie  bort  fud)en,  wo  mv  axxd)  bie  übrigen 
6d)ät3e  gefunben  Ratten,  am  entgegengefe^ten  (fnbc; 
nid)t  im  gel)eimni0t)oUen  ©unfel  beß  £lnbett)u^ten,  fon- 
bern  auf  ber  l)ellen  Äöl)e  be^  ©eifteß,  nid)t  an  ber  QBiegc 
ber  QSülfer,  fonbern  auf  bem  ©ipfel  il)rer  5tultur.  93cit 
einem  Qßort:  im  9^eid)e  ber  93ernunft.  9cur  xt>a^  ju- 
gleic^  ben!en«n?ürbig  erfd)ien,  fonnte  un^  bid)ten0tt)ert 
erfc^einen.  ^arum  (ommt  Suc^  unfere  ^oefie  nüch- 
tern »or;  un^  wäre  bie  Surige  töricht  unb  triüial  »or- 
getommen.  ^m  Haren  9\eic^e  ber  Q3ernunft  aber  war 
natürlid)  für  bie  mpfteriöfe  ^oc^ter  be^  Unbewußten, 
bie  '^l)antafie,  fein  S^renpla^  t)orl)anben.  9?eine  ^l)an- 
tafieerfinbungen,  nur  um  it)rer  felbft  willen  gefd)affen, 
mußten  uns  finbifd)  erfd)einen,  weil  fie  bem  ernften  ©c- 
banfen  nichts:  bieten.  QSJenn  wir  bann  einem  burd;  ben 
9\ut)m  gel^eiligten  ^b^ntafiewert  ber  93orjeit  begegne- 
ten, alfo  ?s.  03.  ben  <5abeln  ber  9Dcptt)ologie  ober  ben 
epifc^en  ©ic^tungen  ibomer^,  fo  wußten  wir  aufgetlär- 


^rofefTor  ©laubercd)t  ©ocfl)cfeft  249 

ten  6pätgriect)en  unt)  9\ömer  nid)t  met)r  rcc()t,  xva^  t)a- 
mit  anfangen.  ®a^  nämlich  bcr  größte  <S)ic^ter  t)er  Ur- 
jcit,  t)er  göttliche  Äomer,  an  folc^en  6c^nurrpfeifereicn 
foUtc  Q>ergnügen  gefunt)en  t)aben,  njie  t>ie  9^eifeaben- 
teuer  t)e^  Ot)plTeu^,  t)a^  tonnten  wiv  unmöglid)  glau- 
ben. ®a^  mad)t  gtt>ar  t)en  Sl^inbern  Q3ergnügen,  ab^t 
Äomer  tt>ar  t)od)  fein  5^int)erfd)riftfteHcr,  fonft  Ratten 
nid)t  5ei)n  3at)rf)unt)erte  mit  t)en  glorreic^ften  ©entern 
an  t)er  Gpi^e  fo  oiel  '21uf()eben2(  üon  if)m  gemacht 
QSSas  blieb  alfo  übrig?  QBir  mußten  einen  gmeiten 
6inn,  einen  ©ebanfenfinn  natürlich,  unter  feinen  (Sr- 
jät)lungen  oorausfe^en,  genau  fo  mie  Sure  gefc^eiten 
9)Zänner,  wenn  man  il)nen  neue  9^vtl)en  ober  (Spen 
bietet,  an  benen  x\)v  ^erftanb  nid)t  auf  bie  S^often 
tommt,  fic^  mürrifc^  fragen :  „3a,  ttjaö  foU  benn  t)a^  be- 
deuten? ©e^^alb  mußten  mir  Äomer,  ba  mir  il)n  nic^t 
ablel)nen  tonnten  nocl)  moütcn,  notmenbig  allegorifd) 
ertlären.  ünb  mie  mit  Äomer  ging  e^  mit  bem  alten 
^eftament  unb  fpäter  mit  "^iirgit.  3l)t  t)abt  ja  ein  aU- 
betannteö  '33eifpiel  biefer  6inneßart  in  ßuren  ßoan- 
gclien.  Qßenn  3efuß  ein  ©teic^nie  gefagt  l)at,  fo  fe^t 
ber  €oangelift  i)m^u:  bie  ©leic^nißform  mä{)lte  S^fu^ 
für  t>a^  ungebilbete  93olt,  um  ibm  bie  <2ßal)rt)eit  munb- 
gerec^t  ju  machen.  '2llfo  aud)  l)ier  beim  (Soangeliften 
mie  un^  allen  ber  ©runbirrtum,  ba^  bie  logifd)  ver- 
nünftige, abftratte  Darlegung  ttXüaß  5Döl)ere^  bebeute, 
bie  ^^antafxeersäl)lung  bagegen  blo|  eine  unmürbige 
(Srgö^lic^teit,  gut  genug  für  ba^  gemeine  Q3olt  unb  bie 
^inber.  —  ©a^  alle^  mar  eine  grunboertet)rte  ^Inftc^t, 
unb  bie  ^2lüegorifierung  üon  Äomer,  ^ibel  unb  93irgil 
eine  erbarmungemürbige  2äd)erlic^teit,  zugegeben.  '2lber 
mir  vermochten  eben  jenfeit^  ber  ©entbarteit  überl)aupt 


250  ^^rofeffor  (?>taubered)f  ©oet()cfeft 

feine  ^ocfie  mct)r  511  erfcnnen,  genau  [0,  tüie  3^r  je^t 
feine  '^oefic  me()r  jenfcitß  t)cr  Gt)arafteri[tif,  ivas  ebcnfo 
Iäd)erlic^  ift. 

III.  'Bifferenj.  ^\)v  beget)rf,  Gurer  ataüiftifd)en 
"•^luffaffung  ber  ^oefie  jufolge,  für  t)ie  ^id)t(unft  eine 
naioc,  öolf^tümlid^e,  fint)ticf)c  6))rad)e,  mitt)in  einen 
farbigen,  bilberfc^tr>eren  "i^lußbrucf.  ^ür  ba«  Qßiber- 
fpiel  aUer  ^oefie  gilt  ßud)  t>a^  abftrafte  QBort,  ber 
„blaffe"  begriff.  Q©ir  t)ingegcn,  ba  n)ir  ja  bie  ^oefie 
auf  ber  Äöt)e  ber  5?ultur  unb  ber  93ernunft  einlogiert 
t)atten,  mußten,  njofern  n>ir  nid)t  einfad)  bie  6prad)e 
ber  get)eiligten  Q3orbilbcr  blinblingö  nad)al)mten,  bie 
abftrafte  3beenfprad)e  für  bie  poefiett)ürbigere  t)alten. 
®e^t)alb,  tx>eil  ja  aüeö  <5)enfen  auf  ber  -^Ibftraftions» 
fäl)igfeit  berut)t.  Q3ermcl)rung  ber  9lbftraftion^fät)igfeit 
heticnUt  Q3ermel)rung  bes  ©eifteö,  ^ortfd)ritt  ber  5tul» 
tur.  So  l)atte  eine  9\iefenarbeit  t)on  3al)rtaufenben  ge« 
braud)t,  e^e  xvxx  Q3ölfer  be^  9lltcrtumö  jum  erften  9D^ale 
in  abftraften  Gegriffen  benfen  unb  fpred)en  fonnten. 
QBa^  einer  aber  mit  unenblid)er  9}tü{)e  unb  9tot  errun- 
gen t)at,  t>a^  fd)ä^t  er  aud).  9}^it  bem  abftraften  Q3c- 
griff  30g  bann  unöermeiblid)  aud)  bie  ^lllegorie  in  unfere 
^oefte,  t>a  ja  9lllegoric  nic^tö  anbereä!  ift,  atö  bie  ^er- 
fonifi^ierung  abftrafter  93egriffe. 

IV.  «Sifferenj.  3nbem  3t)r  t>aii  QKefen  ber  ^oefic 
als:  ein  ntpfteriöfe^  öuffö^t,  ift  e^  €uc^  möglid)  geiüor- 
bcn,  eine  ftrenge  '5;rennung  jwifc^cn  ^oefie  unb  ^rofa 
ju  t)0Ü5icl)en,  id)  meine  eine  innere'5;rennung,  unabl)ängig 
üon  ber  ^orm.  3t)r  fennt  eine  ^oefie  in  profaifd)er  Äütle 
unb  cine^rofa  unter  poetifd)er  9}2aöfe.  9Ö5ir  aber,  nac^- 
bem  wix  einmal  bie  93ernünftigfeit  be^  abftraften  ©e« 
banfen«  auf  ben  '5:i)ron  erhoben  unb  bie  "^Ijantaftc  au^- 


l>rofeffor  ©Iaubercd)t  ©oett)cfeft  251 

gefc^altct  t)atten,  befa^cn  fein  bcutlid)  unterfd^icblic^es 
innere^  9?icrfmal  t>er  ^oefie  me{;r.  '5)enn  ©cfüt)l,  '^c- 
geifterung,  ©et)an!enfd)tt)ung,  ja  fogar  3nfpivation  unb 
rf)ptt)mi[d)er  Tonfall  ift  ja  aud)  t)er  9vet)e(unft  eigen. 

dlux  eine  \!iu§erlid)feit  blieb  uns  nod)  jur  llntcvfd)ei- 
bung  öon  ^oefie  unt)  ^rofa:  ba»  9?^etrum.  ©ie  ®id)t- 
fünft  ttjurbe  t)iermit  eine  mit  ber  Q3er0funft.  'S)ie  93er0' 
fünft  get)ört  aber  in  t)ie  nämUd)e  9\ei()e  wie  ©ramma» 
tif,  Stiliftif  unt)  9\i)ctovxf.  3u  oberft  aHerbingö,  al6  eine 
•i^irt  9\t)etorif  mit  6d)ifanen.  ®a^  mu^te  natürlid)  ba» 
mit  enben,  ta%  mx  fc^Ue^lid;  t)ie  9\{)etorif  ol)ne  6d)i-- 
fanen  öorjogen,  ba  fie  ja  im  ©runbe  benfelben  ©ienft 
tat  'i2lümät)lid)e  '2Iufäei)rung  ber  0id)tfunft  burd)  bie 
Gprac^fünfte,  fo  läuft  bie  literarifc^e  (intn>idtung  beö 
gned)ifd)-römifd)en  ^Itertum^.  Qßie  ber  Qßolf  €urc^ 
93aron  t>on  9?^üni)t)aufen,  ber  ftd)  aEmät)lid)  t)on  f)in-- 
ten  in  bie  ^ferbel)aut  t)ineinfri^t.  llnb  er  begann  fd)on 
frü^  an  ber  '^oefte  ju  nagen,  ber  flaffifc^e  S))rad)tt)olf, 
fd)on  in  ber  ©lan^^eit  '2ltl)en^  unb  feine^n^egs  bto^  bei 
ßuripibeö.  'Sag  bebarf,  id)  geftel)e  e^,  ber  (Sntfd)ulbi-- 
gung.  ^ber  n)ir  l)abcn  fie,  bie  £ntfd)ulbigung,  eine  glän- 
jenbe  fogar.  '^Bebenft  bod),  t>a%  bie  Q3ertt)ed)flung  t>on 
®id)tfunft  unb  Sprad)funft  eine  endige  ©efaljr  für  bie 
9}tenfc^l)eit  bilbet,  tt)eil  ja  leiber  bie  ^oefie  fein  eigen- 
tümlid)e^  "i^u^brucf^mittel  befi^t  tt)ie  bie  9}iufif  unb  bie 
^taftif,  fonbern  fid)  xi}v  tO^unbttjerfjeug  oon  ber  ^2111-- 
tagöfprad)e  borgt.  0ie  ^oefie  n)ot)nt  im  Äaufe  ber  ^rofa 
unb  gucft  auö  ben  'Jenftern  ber  ©rammatif  l)erau0. 
^üv  QSölfer  mit  ftümperl)aftem  Sprad)benju^tfein  ober 
unentn)icfeltem  3prad)fultu^  ift  freiließ  bie  ©efat)r  ge= 
ring.  ^i)v  ©eutfd)en  j.  ^.  werbet  faum  jemals  0id)t- 
fünft  mit  6prad}funft  t>ern)ed)feln,  el)er  ©ic^tfunft  mit 


252  "Profcffor  (v^Iauberccbf  Ci^octbcfeft 

6ut)clci.  5)agcgcn  mv  ÄeUcnen  unt  9\ömcr  —  irf)  tt>\\l 
mid)  nic^t  felber  rüt)men,  aber  id)  tenfe,  öie  tüiffen'^, 
waö  mv  auf  fprad)lid)em  ©ebiet  geleiftct  tjaben!  —  3c^ 
errate,  twaö  3^;^  eintvenbeu  tvoüt:  3^r  Würbet  et)er  noc^ 
bie  '^ertaufc^ung  ber  ^oefie  gegen  bie  nacfte,  nüd^ternc 
^rofa  t»er5eit)en  —  3l)r  I;abt  aud)  alle  Hrfac^e,  t>ai>  ju 
oergeitjen !  —  alö  bie  93ertaufd)ung  ber  ^oefie  gegen 
bie  9^t)etorif.  9cid)t  v^a^v,  t)ier  fi^t  ber  6tacfeel?  Unfere 
9\t)etorif  fönnt  3t)r  Weber  begreifen,  noc^  entfc^ulbigen, 
nod)  üertvinben.  ^i)v  »ergebt  t)alt,  t)a^  bie  ^oefie  in 
einem  fünfte,  ber  une!  fet)r  wichtig  war,  gegenüber 
ber  9\t)etori!  im  9cad)tcil  ift :  bie  ^oefie,  ba  fie  auf  bie 
9}iittätig!eit  ber  '^l^antafte  beß  Äörerö  red)net,  öer» 
fc^weigt  ja  ta^  befte  ober  beutet  eß  blo^  an,  n>ät)renb 
im  ©egenteil  bie  9^l)etori(,  weil  fie  eine  eypanfioe  6pra- 
d)c  fprid)t,  alle  ©ebanten  unb  ©efüt)le  bi^  gum  legten 
9\eft  (mand)mal  nod)  über  ben  legten  9\eft  i)inauö) 
X)OÜti)nenb  jum  o{)renfd)meic^elnben  *iHu0brucf  bringt 
®arum  werben  gefüf)l6feufd)e,  5urücft)altenbe  93ölfer 
bie  ^oefie  lieben  unb  bie  9\t)etori!  oerfd^mä^en,  oerab- 
fd)euen,  Raffen,  wir  ©ried)en  unb  9?ijmer  aber  unb  un- 
fere  9^ac^fommen,  bie  9\omanen,  fönnten  e()er  ber  ^oe- 
fie  entraten  al^  ber  9\l)etorif,  be0t)alb,  weil  wir  mit  ef- 
panfioem  Temperament  veranlagt  waren. 

3u  ferneren  ©ienften  gern  bereit. 

3  ?  a  g  0  r  a  ^. 

ßtwaö  fd)Wierig,  o  3?:*agoras !  Q3on  allebem  tut  mir 
ber  Äopf  wel).  Unb  t>aii  nennt  ber  eine  Ct'rf lärung !  ilnb 
nid)t  alle^  ganj  unanfed)tbar.  ^ber  mit  bem  möchte  id) 
bod)  einmal  ein  t5tünbd)en  jufammen  biöputieren.  3e" 
benfalle  lieber  al6  mit  —  öalt!  ein  biabolifd^er  ©eban- 
te!  QKenn  wir  SloUega  3?ögora6  mit  5^'oUega  ®ünfel 


^rofeffor  ©taubcred)t  ©oct{)efcft  253 

üon  QBcifenftein  ^ufammenbringcn  f önnten !  ®a^  mö^tc 
eine  ergö^Ud)c  Disputation  abfegen!  3um  ©lüc!  beft^e 
id>  ein  metapt)pjtfd)c^  ^etep^on.  ^ing,  ting.  5baüo ! 
•2lnfcf)Iu^  mit  9}cetapt)^fien.  <5)er  Äerr  6opt)ift  S^ago- 
xa^  au^  9lleranbrien  möd)te  bod)  fo  gut  fein  unt)  einen 
•^lugenbticf  ans  ^elepf)on  fommen.  QÖ}ic?  3d)  t>erftet)c 
nic^t.  2auter.  Q©er  ift  am  ^eIepf)on?  '^i)a,  6ie  fmt)'^, 
Äerr  3f agora^.  Q3eften  ®anf  für  3t)re  gütigen  9}cittei» 
lungen.  6agen  6ie,  tt>ären  Sie  t>ielleid)t  fo  liebenstt>ür= 
big,  näd^ften  'Jrcitag  abent)  ju  einer  einfad^en  ^affe 
^cc  ju  mir  ju  fommen?  6ie  tuerben  njaf)rfd)eintid) 
^oÜega  QBeifenftein  bei  mir  treffen.  QBie?  —  9ld)  fo.  — 
3a  —  3a  —  3a  —  ^m  9}^itternad)t  ?  fagen  3ie  ?  gut, 
um  9Jiitternad)t.  9Ilfo  bleibt'^  babei.  Danfe.  6d)Iu^. 
^ing,  ting.  —  Sbernac^  »erlangte  icb  ^nfc^lu^  mit  93^* 
janj,  mo  unfer  ®ei)eimeratn)ot)nt,  unb  am  tyreitag  abenb 
um  9}Zitternad)t  fa^en  ttyxv  rid)tig  alle  brei  jufammen 
bei  einer  gemütlichen  ^affe  ^ee,  ÄoIIega  3?<i9ora^,  ^ol- 
tega  QSeifenftein  unb  ic^.  3d)  i)citt^  eigentlid)  nod^  eine 
®amc  baju  eingelaben,  eine  ^reunbin  be^  ©ef)eime' 
rat^,  ^rau  6c^nabra  (£onfufon>na  '33itberling-Sct)tt>a$- 
immeric^,  allein  fie  war  leiber  oerreift. 

^aum  njaren  bie  Äöflic^!eitöt)inberniffc  übermunben, 
fo  ^attc  auc^  fc^on  bcr  Äerr  ^rofeffor  ben  6opt)iften 
angct)arft,  in  aller  'iJlrtigfeit  natürlid). 

„6ie  fcl)en  in  mir/'  t)ub  er  an,  „mein  üere^rter  Äerr 
3?agora^,  einen  begeifterten  ^enjunbercr  be^  alejan» 
bnmfd)en  Scitalter^  —  id)  fage  t>a^  ganj  o^ne  jcbc 
Schmeichelei  —  t>a^  i)t\%t  natürlid^  ßurer  gelehrten  unb 
tt)iffenfc^aftlic^en  Kultur.  Denn  toa^  (Jure  "^ocfie  be- 
trifft, fo  ruerben  Gie  mir  felber  jugebcn,  t>a%  ftc  l)aupt- 
fäc^lid^  6tubenpoefie  war." 


254  Trofcffcr  G^Iaubcvcd)t  ©oct^cfcft 

<5)cr  3opt)ift  fd)aute  oernjunbcrt  auf:  „3o  Rotten  n>ir 
bcnn  auf  bem  ^ifd)marft  t)id)tcn  f ollen?  '^nt  3^r  ba^^ 
Hnt)  n^enn'0  regnet,  t)ict)tet  3t)r  bann  unter  bem  9\egen- 
fc^irm  ?" 

„9iein,  nein !"  rief  ber  ^rofeffor  „fo  meine  ic^  c^  ja 
bod)  nid)t  3ci)  meine  bie  ^ud)poefie.  ^oefte  foHte  ei- 
gentlid)  übert)au))t  nid)t  gefc^rieben  unb  gelefen,  fonbern 
perfönlid)  üon  xOiunb  ju  9?^unb  tt)eiter  gegeben  n)erben, 
burc^  9\f)apfoben  unb  blinbe  Sänger,  njie  in  ber 
'53Iüte^eit  ©ried)enlanb«." 

„3«  finb  benn  (^ure  9?erleger  blinb?  unb  ftubieren  fic 
ouf  bcmSlonfercatorium,  tia%  fie  fo  gut  fingen  fönnenV" 

„^id)  nein,  t>a^  ift  ja  ein  ganj  anbreß  3citatter,  in 
»etc^cm  tt)ir  leben.  6ie  aber  als  @ried)en  njaren  ver- 
pflichtet — " 

„Q[Öir  tt)aren  t)erpflicl)tet,  meinen  Sie,  unö  ben  fin- 
bifc^en  "^Infc^auungen  anjubequemcn,  tt)eld)e  man  jwei- 
taufenb  3at)re  fpäter  über  unfer  Seitalter  auf  bem  Äa- 
tf)eber  fonftruieren  n^ürbe?  9lucl)  eine  93erpfltd)tung ! 
©enau  n)ie  31)r  mit  guripibeö  t)erfal)rt.  6rft  tüftelt  3^t 
t)erau^,  Sfepfi^,  Ceibenfc^aft  unb  ©cmüt  fei  ungric- 
d)ifc^,  unb  bann  mutet  3t)r  allen  ßrnfte^  bem  (^uripi- 
beö  aU'  er  i)äU^  fxd)  fagen  follen :  Aalt !  <Siefeö  @efül)l 
ift  ungried)ifd),  "Oa^  barf  ic^  nict>t  au^fprcd)en;  ba«  n)irb 
jnjeitaufenb  3at)re  fpäter  ein  St)afefpeare  ober  ein 
^eetl)ot)en  tun." 

•^Iber  mit  Supiribe^  !am  Sjagora^  bei  bem  ^rofeffor 
fc^lcd)t  an,  ber  nun  mit  gereifter  Stimme  bem  Suripibe^ 
feinen  „jerfetjenben"  Unglauben  gegenüber  ben  ©Ottern, 
ben  ^ßunbcrn,  ben  Orafeln  oormarf. 

3ragoraß  ern^iberte:  „©lauben  Sie,  Äerr  ^rofeffor, 
an  Orafel?  an  l)eilige ^lasoögel ?  l)alten  Sic  e^  für  n)at)r. 


"Profenor  ©(aubercd)t  @oet()efeft  255 

t)a§  t)ie  gried)ifd)en  Könige  ©öttinnen  ju  ©ro^müttern 
f)atten?  ^eten  Sie  ,^u  ^ofeibon?" 

„3a  aber  ^i)v  @ried)en  mußtet  baran  glauben,  tt>eil 
"iHufnärung  t>a^  5)rama  ^erftört,  — " 

„^(^  fo.  QKir  Ratten  atfo  bem  <5)rama  juliebe  un^ 
eine  xReligiofität  ant)eud)eln  foüen,  beren  tyalfd)f)eit  tt)ir 
einfa^en  ?  ^a^  meinen  6ie  baju,  ÄoUega  ©enffelber?" 

„3d)  meine,  ha^  erlogene  ober  anerlogene  ©efüf)le 
ben  0id)ter  fd)limmer  fd)äbigen  al^  bie  l)eUfte  ^^lufflä» 
rung." 

<S)ann,  oon  ben  ßljören  beö  ^uripibes  rücfttjärt^  mit 
ber  'Begeifterung  tt>anbernb,  pries  ^otlega  Q33ei[enftein 
in  entl)ufiaftif^er  9^ebe  bie  alten  bramatifc^en  ßl)öre 
unb  bie  religiijfen  5bt)mnen  ber  Urzeit  als  ^oefte  erften 
9?ange^.  <5reilid),  fe^te  er  l)in5u,  bürfe  man,  um  fte  in 
il)rer  ooUen  Sd)önl)eit  §u  begreifen,  nie  J^ergeffen,  "Oa^ 
mit  bem  ^ejt,  ben  tüir  befi^en,  einft  ©ottesbienft  mit 
9}cufif  unb  ^anj  üerbunben  gewefen  fei. 

„^an^en  6ie  mir  bod)  einmal  einen  'Qlpoüol)pmnu^, 
Äerr  '^rofeffor",  hat  ber  ^lejanbriner.  „9tid)t?  bann 
öielleic^t  eine  ®ionpfospol!a?  QSarum  nic^t?  mir  ftnb 
ja  unter  un^."  llnb  al^  ber  '^rofeffor  xi)n  barüber  be^ 
lel)rte,  taf^  er  leiber  feine  '2lt)nung  t)abe,  mie  xO^uftf  unb 
^anj  bamal^  lauteten :  „Unb  txi  macf)en  Sie  folc^  ein 
oer^ücfte^  ©etu  um  ben  fleinaftatifd)en  ibofu^pofu^, 
ben  Sie  gar  nic^t  fennen?" 

„<5)ireft  fennen  mir  leiber  allerbingö  bie  9}Zufif--  unb 
^an§begteitung  ju  ben  5)t)mnen  unb  (I^ören  nid)t,  al- 
tein mir  miffen  au^  mancherlei  Stellen,  t>a%  e^  auf  bie 
bamaligen  ©riechen  einen  gemaltigen  €inbrucf  gemacht 

„3c^  begreife,  Sie  faugen  mit  Sntjücfen  an  einem 


256  '^rofcffor  ©taubcred)f  @octf)efeft 

93irnenfticl,  öon  welchem  t)ie  Sage  bctjauptet,  t)ic  ^ir- 
ne,  t)ic  cinft  baran  f)ing,  t)abc  üormalö  anderen  ge» 
fd)mec!f." 

<5)a  gab  cö  eine  fleinc  Q3erlegent)eitöpaufc.  3c^  Ijattc 
ba^  ©efüt)l,  bic  Äerren  oerftänben  cinanber  nic^t.  „9iod) 
ein  ^ä^d)en  '5:ce,  5berr  ^rofcffor  ?  (vtroag  3ucf er  üiet- 
Icic^t,  Äcrr  3f agora^  ?  6ie  fd)einen  mir  ettua^  aufge- 
regt." 

Äemac^  ging  ber  ©i^put  n^ieber  an. 

„^a^  muffen  Sic  mir  aber  bod)  jugeben,  Sberr  3fö' 
gora^/'  fprac^  ber  ^rofeffor,  „£ure  fogenannte  ^lUe» 
gorie  toav  boc^  ein  fc^aubcr^aft  leberneö  <5)ing.  „3ung" 
Äauptnjort  ,,3u9enb".  9}^an  fagt  nid)t  ber  3ugcnb  ober 
ba^  3u9cnb,  fonbern  bie  3«gcnb.  0ie  3ugenb  ift  alfo 
tt>eibUd);  folglich:  lange  Äaare,  langet  5lleib,  jn)ei  '^lü- 
gel  baran  unb  bie  ©öttin  3ugenb  ift  fertig.  <S)iefe  Sorte 
üon  ^ocfie  hat  jebenfaü^  niemanb  burd)  ©e!)irnüber' 
anftrengung  in  eine  9^ert)en^eilanftalt  gebracht." 

„9^un/'  entgegnete  ber  "^Ilefanbriner,  „e^  öergnügt 
fic^  jeber,  rt)omit  er  fann.  QBir  Ratten  bie  aüegorifc^en 
©ebanfcnfpä^lein,  bie  Sapanefcn  t)aben  t>Q^  3tt)erg- 
bäumlein5üd)ten ,  bie  (Jnglänber  it)re  "Ju^bäHe  unb 
©raöt)üpfereien,  bie  <5)eutfc^en  it)re  ÄamletflaubC' 
reien." 

„Sugegeben,  nur  ben)eift  t>ai  nid)t^  gegen  bie  ^Ib- 
fc^eulid)feit  ber  ^lüegorie." 

„<2lbfd)eulic^feit?  i^aht  3^r  bcnn  Qlbfc^cu  oor  ber  911- 
legorie?" 

„9^a  unb  ob!  biefc  93ogelfd)eud)e  get)ört  ©ottfeibanf 
bei  unes  ber  t>orfmtflutlicI)en  93ergangen^eit  an." 

„C^uer  9lbfc^eu  ift  jebenfall^  fein  unübern)inblic^er. 
3«^  ^Qbe  njenigftene,  njenn  ic^  au^  bem  3cnfcit^  ^erab- 


^rofeffor  ©laubered)t  ©oet^cfeft  257 

bticftc,  nicmatö  bemccft,  t><x%  einer  üon  £uc^  üor  t)em 
©ambrinu^  um!e{)rte,  n)eit  ©ambrinu«  eine  '^lUegorie 
ift  ober  t>Q%  jemant)  ein  3tt>an5igfranfenftücf  jurücf- 
gett>iefen  f)ättc,  Weil  ein  geflügelter  ©eniu^  barauf  ge- 
ftempelt  ift." 

,,9cun,  bas  fxnb  natürlich  ^u^nat)men." 

,3uöna^men?  3^r  fönnt  ja  obne  "^lüegorie  feinen 
*23runnen,  feinen  ©rabftein,  fein  6taatögebäube  erftel- 
len,  nid)t  einen  ^rofpeft,  n\6)t  einen  ^eftjettel,  nic^t 
eine  9^e!tame,  nid^t  eine  '^anfnote  herausgeben.  QCßir 
^aben  boc^  ttjenigften^  unfere  'iHUegorien  nic^t  ange= 
fungen." 

,,'2lngefungen?  Allegorien  anfingen?  wer  tut  benn 
bag?" 

0a  tat  ber  Sopl)ift  feinen  9}Zunb  auf  unb  fang  mit 
lauter  Stimme:  ,,5)eil  bir,  Äcloetia." 

,,Unb  ftellöertretenbe  ^ranfopfer",  fuf)r  er  fort,  „l)a- 
ben  wir  il)nen  aud)  nid)t  bargebrad)t" 

,,Stellt>ertretenbe  ^ranf Opfer?  ben  'iHllegorien?" 

llnb  abermals  tatSjagoraö  ben  9}^unb  auf  unb  rief: 
rr^d)  labe  6ie  ein,  biefe^  ©laö  auf  txx^  Qßo^l  ber  '2lle- 
mannia  ju  leeren/' 

,,^rat>o,  Ä)err  Sragora^/'  belobte  id),  „Sie  t)aben 
ftc^  tapfer  ^erauögebiffen.  —  9^el)men  bie  Äerren  üiel» 
leicht  einen  Sanbwid)  ?  ober  lieber  etwa^  Sü^ee  ?" 

<2lber  ber  Äerr  @el)eimerat  i)atte  norf)  allerlei  auf 
bem  Äer^en.  9)can  finbet  boc^  nid)t  alle  ^age  ©elegen-- 
i)dt,  mit  einem  autt)entifd)en  gried)ifc^en  Soptjiften  ju 
bi^putieren;  nid^t  n>af)r?  ©ie  ©elegenf)eit  mu^  man 
bocl>  benü^en.  "iHlfo  fing  er  nac^  einiger  Seit  bie  'Klüge- 
lei wieber  an,  bie^mal  t)on  einer  anberen  Seite : 

„Aber  ber  fromme  Änea^,  in  Surem  langweiligen 
epxtteUt,  Cod^enbe  "SBo^r^cUen  17 


258  "ProfciTor  @laubered)t  @octt)cfeft 

QSirgil,  baö  ift  t>od)  ein  unteiblid)er  ©cfell!  Übcrtjaupt: 
^ugcn^^clt)en!" 

„3mmevt)in,  fo  jämmerlid)c  QCßid)te  tvarcn  fic  bod) 
md)t,  tt)ic  Sucre  pft)d)ologifd)en  9\omanfd)ufte,  bie  ^\)v 
Äclben  nennt." 

„3a,  aber  tt)osu  benn  um'^  Äimmel^  tüillen  über- 
I)aupt  ^ugenb  unb  9}iorat  in  ber  ^oefte?  ®ie  ^oeftc 
ift  bod)  tx)at)rUd)  t)iel  ju  gut  baju,  um  ber  fpie^bürger- 
lid)en  "pf)<liftermoval  ju  bienen!" 

,,6agen  6ie  mir  boc^,  Äerr  ®ef)eimerat/'  fragte  3f<i- 
gora^,  „finb  Sie  fd)on  einmal  ttjegen  unfittlid)er  Äanb- 
tungen  im  3ud)tl)auö  gefeffen?"  Hnb  tia  ber  ©et)eime- 
rat  entrüftet  i)o6)  auffprang,  „t)er5ei()en  Sie,  \6)  backte 
nämlid)  llnfittlicf)!eit  gelte  bei  3l)nen  für  eine  Sljre,  t)a 
3l)r  bie  Sittlid)feit  für  eine  Sd)anbe  t)altet." 

^^QÖJer  l)at  benn  jemate!  gefagt,  t>af^  tt)ir  Sittlid)!eit 
für  eine  Scfianbe  l)alten?  ^o  net)men  Sie  ben  furiofen 
einfaül)er?" 

,,9^un,  oon  3l)nen.  Sie  t)aben  t)a  oben  oon  ber  „fpie§- 
bürgerlichen  '^t)iliftermoral"  mit  einer  fo  üeräd)tlid)en 
*33etonung  gefprod)en  unb  fo  überlegen  bie  ^d)fel  babei 
ge^ucft,  ba^  id)  bad)te,  Sie  t)ielten  fie  für  etnja^  93er- 
äd)tlid)eö." 

,,^lber  fo  begreifen  Sie  bod),"  fiel  ic^  begütigenb  ein, 
„im  i?eben  natürlid)  ^ulbigen  tt)ir  alle  ber  ?Dcoral,  ber 
5berr  ^rofeffor  aud),  !ein  9}?enfct)  pva\)[t  bamit,  ba§  er 
im  3ud)tt)auö  gefeffen  fei,  ober  t>a%  er  jemanb  umge- 
hvad)t  f)abe,  aud)  f ann  id)  3l)nen  perfönlic^  für  bie  Äarm- 
lofigfeit  unb  moratifc^e  £lnbefc^oltenl)cit  üon  ÄoHega 
0ünfcl  garantieren,  nur  in  ber  ^oefie  f önnen  n)ir  felbft- 
öerftänblid)  nid)t  bie  fpie^bürgerlid)e  9}^oral  bulbcn." 

,3d)  fo,"  bemcrfte  ber  Sopl)ift,  ,,\Qi}t  öerftel)'  ic^.  3l)r 


"ProfciTor  ©laubered)t  ©oetf)efcft  259 

»erachtet  in  t)cr  <^oefte,  tüa^  3f)r  im  Ccben  alö  @efc^ 
ad)fet.  QSäf)rent>  3()r  bid)tet,  tut3I)r  unmoralifd),  unt) 
tt)enn  3f)r  t)aö  9Dianuffript  bem  93erleger  übergeben 
\)abt,  tut  3^r  n^ieber  moralifc^.  0ann  mü^t  3f)r  aber 
gett)ifferma^en  (Suer  3cf)  in  jnjei  Äälften  fpatten,  in 
eine  poetifc^e  übermoralifd)e  unb  antimoraIi[cf)e  unb  in 
eine  fpie^bürgerlic^e  pf)iUftermoratfromme/' 

„3n  gett)iffem  Sinne,  n)enn  6ie  fo  n^olten,  ja," 

„^\t  ba^  nid)t  fd)n)er  ?  ^ut  t>a^  nid)t  tt)e{)  ?^ 

„O  nein,  nicfjt  im  minbeften.  QSir  ftnb  nämlid)  auf 
ioaIbf)eiten  eingerid)tet;  e^  ift  fo  eine  ^xt  ^ai)t  in 
unfcrer  6eete." 

,3ber  voa^  für  Sid)er^eitöt>orrid)tungen  ^abt  3^r 
bagegen,  ba^  nid)t  ettt)a  ein  ©ebanfe  aul  bem  einen 
0eelencoupe  ftd)  in  t>aß  anbere  oerirrt  unb  bort  ^on- 
fuftonftiftet?" 

„<5)ic  ©ebanfenlofigfeit." 

„Unb  £uer  ^iüe,  mit  n)eld)er  oon  beiben  Äälftcn 
f)ält  ber'g?  mit  ber  poetifc^cn  ober  mit  ber  fpie^bürger= 
liefen?" 

„9tun,  einen  fogenannten  Eilten  in  bem  ftrengcn 
6inn,  tvk  ^\)x  @ried)en  unb  9\ömer  i^n  oerftanbet:  fo 
eine  "^Irt  Spannfeber,  tüo  ber  ©ebanfe  barauf  n)irft  unb 
bic  bann  auf  ben  gntfc^Iu^  lo^frf)nappt,  fo  t)a%  bem  ©e- 
banfen  entfpred)enbe  Sbanblungen  entftef)en,  ha^  ^aben 
toir  t)eutsutage  faum  mef)r  unb  braud)en  eg  aud)  nicf)t." 

„3c^  t)an!e  für  bie  intereffantc  Q3etef)rung.  *iHUein  ic^ 
fann  mir'^  nod)  immer  nid)t  !(ar  borfteUen:  ein  unb 
bcrfelbe  9}^enfrf)  in  swei  Äälften  gefpatten,  n^oüon  bie 
eine  Äälfte  anber^  urteilt  ali  bic  anbere.  •5)ürfte  ic^ 
i)ieneid)t  um  93eifpiete  bitten  ?" 

„93on  Äerjen  gern,   *2Hfo  5,  'S,  bic  poctifcf)e  Äälfte 

17* 


260  ^rofciior  ©laubercd)t  (:ooetl)efeft 

räud)cvt  t)cm  großen  Äeibcn  ©oct^c  unb  bic  anbete 
pilgert  mit  t)em  ©efangbud)  in  t)ie  5^ird)e.  Ober:  bic 
poctifd)e  Äätfte  fc^reibt  einen  9\oman,  tvorin  bie  ur- 
n>üd)fige  nod)  Don  feiner  fogenannten  <33ilbung  t)erfälfd)' 
te  gcfunbe  5\raft  bes  '^auernftanbeö  gepriefen  n)irb, 
bie  anbere  Äälfte  lä^t  fid^  in  bie  Q3olf^fd)ulfommiffion 
n>ät)ten.  Ober:  bie  poetifd)e  Äälffe  begeiftert  fid)  über 
bie  i)errUd^e  unnad)af)mlid)e  Linienführung  beö  Q3ufen^ 
ber  93cnuö  t)on  9)^ebici,  bie  anbere  Äätfte  nennt  bie  t)err- 
lid)e  unnad)at)mlid)e  £inienfüt)rung  be«  93ufeng  ber  fd)ö' 
nen  9?cabame  ©ecolti^fp  einen  Sfanbal.  —  3d)  fann  3^» 
nen  nod)  met)r  '^Beifpiete  geben,  n)enn  6ie  tt)ünfd)en." 

„*Semüt)en  6ie  fic^  nid)t  tveiter.  ®a^  genügt.  *52lber 
tt)iffen  0ie,  n>a^  ici)  möchte,  t>a  6ie  beibe  fid)  bo(^  fo 
für  antife  9}^ufi!  unb  ^än^e  intereffteren?  (Jinen  Gatpr» 
tanj  jum  beften  geben,  ^reilid),  3t)re  profaifd)e  Äälfte 
njürbe  \i)n,  iö)  fürchte,  ein  njcnig  —  n)ie  foH  id)  fagen  — 
berb  finben." 

„<5)ann  laffen  Sie'^  lieber,  Äerr  Sjagoraö." 

3n5n)ifd)en  l)atte  fic^  Äerr  öon  QSeifenftein  ert)olt 
unb  trat  neugeftärft  in  ben  ^ampf. 

„©aö  Hnbegreiflic^fte  üon  altem",  meinte  er,  „ift  mir 
immer  €ure  9?t)etorif  genjefen.  9\^etorif  in  bie  ^oefie 
^ineinmifd^en!  ober  gar  fie  ber^oefie»or5iel)en!  QSaö 
in  aller  QBelt  t)atten  6ie  benn  übert)aupt  an  ber  faulen 
9R^etori!?  9Sem  follte  benn  biefer  ^o^le,  pompijfe,  ge- 
mütlofe  Söuber  'Jreube  mad^en?  3^^  tnag  mid)  erfun- 
bigen  tt)ie  id)  n^ill,  id)  i)ahe  in  meinem  ganjen  Ceben 
noc^  feinen  "SCRenfi^en  gefannt,  ber  in  ber  9^t)etorif  ir- 
genb  ctnjaö  ©enie^bared  gefunben  ^ättc,  »enigften^ 
unter  un^  '5)cutfd)en  gibt  es  feinen,  t>ai  fann  idt)  3t)nen 
getroft  üerfid^ern.'" 


^rofeffor  ©Iaubered)t  ©oct()efeft  261 

®ö  50g  3?agora^  ein  feinet  @cftd)t :  „Sic  t)abcn  eine 
^od)ter,  Äcrr  ©e^eimerat?  nid)t  n)at)r?  ibei^t  fte  nid)t 
<33erta?" 

„•iHHerbingg,  ®od)  öer5eif)en  Sie,  ba^  get)ört  nic^t 
t)ier()er." 

„^itte  gef)orfamft,  ba^  gef)ört  au^erorbenttid)  ^ier- 
^er.  Se^en  Sie  3^re  ^erta  auf  ein  Sofa,  unb  fü^» 
ren  Sie  \i)v  ^wtx  "iHnbeter  üor  (einen  na^  bem  anbern 
natürtid)),  juerft  einen  poetifd)en  tyriebric^,  alfo  einen, 
ber  i^r  feine  £iebe  mit  bem  naiöen  'iHuebrurf  beö  @e- 
fü^t^  erklärt,  alfo  einfilbig  unb  ftammelnb,  ta^  befte 
oerfcf)n)eigenb,  unb  f)ernac^  einen  rf)etonfd)en  ^ompo- 
nio,  ber  if)c  Öi)r  mit  einem  <Bd)tvaU,  t»on  n)ot)tftubiei:ten 
öolttönenben  ^^rafen  überfcbtoemmt,  tt)a^  mollen  n)ir 
ttjetten,  Äerr  'profeffor,  3{)re  93erta  lä^t  ben  armen 
^oeftefriebrid)  fd)mät)Iid)  abgießen  unb  erf)örtbcn^od)» 
fafelnben  '^omponio  ?" 

„ÄoUega  3?cigora^,"  unterbrach)  ic^,  „Sie  tüerben  im- 
mer perfönlid).  <5)a^  finb  njir  bei  un^  julanbe  nid)t 
gen)ot)nt  Sagen  Sic  mir  lieber  ettt>aö  anberc^.  QSie 
fonntet  3^r  auf  ben  fonberbaren  Einfall  kommen,  Sud^ 
bic'^oefie  oon  ©rammatüern,  Sd)uUef)rern,  Sopf)iften, 
9\f)etoren  feroieren  ^u  taffen  ?  StiKunft  unb  9^t)etorif 
ge{)ören  bod)  nic^t  in  eine  Kategorie  mit  ber  0id)tfunft! 
t>a^  jtnb  ja  ()immetn)eit  t>erfd)iebene  0inge!" 

©er  '^lle^anbriner  bre{)te  ftd^  um  unb  langte  ein  '^Büc^» 
lein  au^  meiner  ^ibliot^et  darauf  bud)ftabierte  er  mit 
Stentorftimmc  ben  ^itet.  „Äanbbud)  ber  Stiliftü,  9^^c- 
torif  unb  '^oetü,  i)erau^gegeben  in  93erlin  1901.  — " 

gben  n)oUte  id)  mid)  ein  n)enig  fd)ämen,  ba  fd)Iug  e^ 
ein  iii)v,  unb  ritfd)!  öerraffetten  meine  bciben  @äfte  plö^- 
lid)  bur(^  ben  ^amin,ber  "^(epanbriner  unb  ber  ®eut- 


262  <I>er  t>egrat)ierte  3cl)iücr 

fc^e,  fo  t>a^  x6)  faft  vermutete,  e^  möd)ten  allcgorifc^c 
Ä'oüegcn  gettjefen  fein. 

Unb  bod)  n)iet)er  md)t!  ®cnn  tviffen  Sic,  tt)a^  ic^  fo- 
eben  tjor  einer  6tunt)e  erl)iett?  Sinen  äu^erft  liebeng» 
ttjürbigen  "^rief  t?on  ^*oUega  ©oet^efeft,  worin  er  mir 
feinen  ®anf  für  ten  intereffanten,  genu^reid)en  ^Ibenb 
außfprad).  Qtßenn  man  aud)  nid)t  in  aüen  fünften  über- 
cinftimmt,  fo  rege  t)od)  gerade  t)er  <2ßiberfprud)  jum 
9'Jad)t>enfen  an,  fo  t>a%  fclbft  ber  Srrtum  auf  ilmtoegen 
bie  Q3}at)rt)eit  förbere  ufn?.  ufto.  ®em  93rief  tvar  eine 
Heine  Q3rofc^üre  beigelegt  oon  ber  ic^  leiber  in  ber 
6ile  nur  fd)neU  bcn  '5:itel  i)ahe  lefen  fönnen :  ,,QÖöaren 
bie  "^oftpferbe,  mit  benen  Sr  t>on  (Sger  nad)  Starlebab 
ful)r,  '23raune  ober  Sd)eden?  ^reiögefrönte  9lbt)anb- 
lung  t)on  Äerrn  ^rof.  Dr.  ©oetl)efeft  t)on  QtBeifenftein, 
i^erauögegeben  »on  ber  allgemeinen  epigonifd)en  ©e- 
fellfc^aft  jur  ^ijrberung  literarifd)er  ^etrefattur  unb 
bp^antinifcJ^en  ©eifteölebenö." 

6ie  begreifen,  meine  Ferren  unb  «S^amcn,  meine  £ln- 
gebulb,  über  bie  "J^age  ber  ^oftpferbe,  bie  t>on  jel)cr 
meine  ©ebanfen  befd)äftigte,  enblic^  inö  reine  ju  kom- 
men, unb  fo  bitte  id)  um  3l)rc  (Srlaubni^,  l)iermit  9lb- 
fc^ieb  t)on  3l)nen  ju  nel)men. 


©er  begrabievte  6d)ilter 

1903 

„©oet^e  ber  '5)id)terf önig."  „©oettje  ber  ^id)terfürft" 
„©oett)e,  ber  größte  0id)ter  ber  0eutfd)en/'  „©oetf)e 
unftrcitig  ber  erftc  beutfd^e  <5)id)ter." 

^enn  id)  baö  lefe,  unb  id)  lefe  eö  täglid)  ttjenigften^ 


0er  begrabierte  Gd)incr  263 

brcimat:  fo  mu^  id)  mid^  ftaunenb  fragen:  QBot)ern)if' 
fen  t>a^  bie  Ceute  ?  QDSer  t)at  it)nen  t>a^  gefagt  ? 

SebenfaH^  feiner  t»on  benen,  bie  jum  Urteil  berufen 
finb,  ic^  meine,  feiner,  ber  felber  ettt>aö  9\ed)teß  fann. 

Ginft  galten  ©oett)e  unb  6cf)iUer  für  ebenbürtig. 

^luc!^  f)abe  \6)  perfönlid)  n)äl)renb  meinet  Ceben^ 
nid)t  einen  einzigen  bebeutenben  93iann  gefannt,  ber 
anber^  geurteilt  i)ätte. 

3cl)  !ann  3l)nen  fogar  Ceute  bon  gutem  9camen  nennen, 
bie  6c^iller  entfd)ieben  für  grij^er  f)ielten  al^  ©oet^c: 
3.  ^.  ©ottfrieb  Heller  unb  3a!ob  '33urcfl)arbt. 

9}Zögen  nun  au^  '50Zitlionen  bon  Unberufenen  täglid) 
unb  ftünbtid)  ben  ®icl)terf önig  augfc^reien  im  9\e!lamc- 
ftil,  nad)  bem  Qxejepte:  „Obol  unftreitig  t>a^  befte 
3at)ntt)affer" ;  fo  b^'OmUt  ha^  fein  Urteil,  fonbern  blo§ 
eine  *2lnma^ung.  ßaffen  Sie  fic^  bon  ben  fleinen  Äingö- 
mafern  n\6)t  beirren.  QSenn  alle  gegenn)ärtigen  ®id)ter 
alter  9^ationen  jufammenftänben,  fo  brächten  fte  alte 
miteinanber  nic^t  eine  einzige  3tropl)e  juftanbe  bon 
bem  9Cßerte,  toie  eine  Scl)ilterfd)e  Stroplje  tt)ert  ift,  unb 
feine  fteben  Sambenberfe  bon  ber  Stilgrö^e  tt)ie  6d)ilter- 
fc^e  Santbenberfe  tönen. 

^n  bem  ©rabe  ber  ^en?unberung,  mit  tt)etd)er  einer 
6d)illerg  9^amen  nennt,  fönnen  6ie  fd)lie^en,  ob  er 
felber  itXüa^  fann  ober  nid)t. 

QBer  Sd)ilterö  9'Jamen  anbere  ali  mit  ber  größten 
e^rfurd)t  unb  93enjunberung  nennt,  fann  felber  nid)t^. 
©arauf  fönnen  6ie  ftc^  berlaffen. 

■Jür  "5)eutfc^lanb  aber  ift  e^  unrü^mlid),  t>a%  e^  fxc^, 
of)ne  5u  mucffen,  feinen  Gd^iltcr  ^at  in  ben  jtpeitcn 
9^ang  ^inunterbrücfen  laffen. 


9\ebe  be^  Dr.  90?icf)el  ©emalott)i$ 
9!}tot)ernefri$  an  ber  6d)iUerfeier 

1905 

€inc  feftlid)  gefd)mücftc  Äird)e.  ^luf  ben  'hänfen  beö 
6d^iffeg  ^ublifum.  Sine  6d)iUerbüffe.  'feierlicher 
Ginjug  t)er  vereinigten  9^ealiffen,  9^aturatiften,  ^rimi- 
tiöiften,  0^mboUften,  Sem'enfoutiften,  Q3erlainianer, 
•^au^elairianer,  ^Jin^efiecler,  0e(at)enten,  9^curoman- 
tifer,  'lO^obernen,  Sungen,  9^id^tme()riungen,  'cyreien 
^üf)neler,  Überbrettler,  ^abarettter  uftt).,  t)inter  it)rem 
Dirigenten  unt)  9^egiffeur  S^apeUmeifter  Gtrcber. 

(Sin  9cait>er  (im  ^ublifum):  3a,  tt)irb  bcnn  ^cutc 
QCßaüenftein^  ßager  auf gefüt)rt  ? 

3tt)citcr9^ait)cr:  Ober  bie  9?äuber  ? 

Äein9^aiüer:  QCßarum  ftnb  bann  einige  9^olIen 
mel)rfad)  befe^t? 

<S)icbeiben9^aiüen:  QBetc^e  benn  ? 

^  u  b  U  f  u  m  (gebieterifc^) :  Sd)t!  Stillefcbweigen! 
(®er  3ug  fc^reitet  an  ber  6d)iUerbüfte  vorbei) 

0ie6d)illerbüffe:  ®  ieg  fmb  meine  lieben  Sö^nc, 
an  tt)eld)en  id)  ein  9ßol)lgefallen  ^ahe, 

(Sine  ^aube  fd)n)ebt  über  ben  3ug  f)erniebcr) 

('5)er  3ug  [teilt  fiel)  al^  (Jl)or  im  Äalbfrei^  um  bie 

9\ebnertribüne,  bie  (5efangbücl)er  in  ber  Äanb;  ber 

Äapellmeifter  muftert  feine  Ceute,  burd)  bie  9\eit)en 

fct)reitenb) 

Äapellmeift er  Streber  (leife) :  ^a%  mir  l)eutc 
feiner  n^ieber  ©oetl)e  fingt,  ftatt  Schiller,  in  feiner  3er- 
ftreutl;eit,  tt>ie  baö  le^te  9:'cal! 

(iine  mautcnbe  Stimme:  3ö,  Wenn  man  ahtv 
au6)  fo  wenig  3eit  jum  Sinftubieren  gehabt  t)at ! 


9xcbc  t)eg  Dr.  xOcid)cl  ©cniatort)i^  265 

^apcamciftcr:  ^tfo  erfjiücr  ^ci§t  t)cr  9}iann. 
9}Zei:ft  Sud)  ben  9'camen :  Gc^iller. 

^omtcffc  Carmencita  ^ürf-Äun^äbi-Äpffc- 
rin^!p:  ^6)  e^  ift  fo  fd)tt)er  au^äufprec^en ! 

^apellmeifter:  Sugegcben.  allein  eö  fann  boc^ 
nirf)t  jebermann  ®oftojett>s!i  t)ei§en.  —  £lnb  6ie  bort 
f)inten,  .^opromuf,  Sd)mu^lc  unb  ^enj^ct,  ba^  Sie 
mir  bann  nic^t  jebe^mal  ju  grunzen  anfangen,  tt)enn 
ber  9\ebner  ben  9tamen  Sd)iUer  auöfprict)t.  3cf)  be- 
greife ja,  eö  ift  ein  unangenet)mer  9?Zoment.  "^lüein  eö 
mu§  fein  unb  gef)t  im  ^^lugenblicf  öorüber.  —  ^b^x 
meine  Äerrn  9}Zobernen,  fo  fpieten  Sie  bod)  nici>t  immer 
mit  bem  Q.i)amäUonl  ^i)nnen  Sie  ftrf)  benn  feinen 
•iHugenblic!  öon  bem  Q3iet)  trennen?  ^un  Sie  ben  QKurm 
t)inaug;  ber  get)ört  bod)  nid)t  in  eine  Sd)iUer'95or- 
fteUung.  Sie  fönnen  it)n  ja  nad)()cr  tt)ieber  {)olen. 

©ie9}^obernen  (fläglid)):  Qld),  eö  ift  fo  ein  liebet, 
fü§e^,  golbige^  ^ierc^en.  tOZ^jf!  9[}^pf !  — 

^apellmeifter:  ^^lun,  f o  fteden  Sie'^  mcinetroegen 
unter  bie  Tribüne!  aber  e^  foü  ftd)  ruf)ig  t)ert)alten! 
Stia  ie^t !  t>a^  ^ubtifum  tt)irb  ungebulbig.  *2Hfo  an- 
gefangen !  €in^,  jnjei,  brei, 

(0er  ef)or  fingt  bie  9^änie.    (Ergriffenheit  ^an  t)ört 
fc^neuäen  unb  fd)Iuc^gen) 

(Ein  9Zait>er  (im  ^ublüum):  Qßar  je^tba^  alfo  bie 
berü{)mte  9^änie,  oon  welcher  ba^  Spric^ttjort  fagt? 

3tt)eiter  9^ait>er:  Qffia^  für  ein  Spric^roort? 

(ErftertHaioer:  Ober  fagt  man  benn  nic^t:  ^ro- 
fobilß— 

^ublüum  (gebieterifc^) :  Sc^t!  9^ut)ig!  Sd)t! 
(Dr.  9}Zic^el  @enialott)i^  93^obernefri^  befteigt  bie  Tri- 
büne. Senfation,  bann  braufenber  Beifall) 


266  9\et)e  be^  Dr.  ?3iic^cl  ©cniatonji^ 

®cr9\et)ner  (Dr.9)cic^cl©.9^.):  T>eret)rfc  ^In- 
tpefc  nbelSöift  ein  er{)ebcnt)e0,  ein  ergreifen - 
be^  —  (vertraulich  jum  ^t)Ov):  9^ur  feine  ^^Ingft!  eö  ift 
un^  ja  nic^t  £rnft  mit  bem  ganzen  Q^ummet.  Sonft 
tt)ürben  wiv  un^  unfcre  eigenen  ^intenfäffer  unter- 
graben. S«  bleibt  nac^{)er  alle^  njieber  beim  bitten  — 
^arbon,  ic^  n>onte  natürlich  fagen  beim  Sungen,  beim 
9?cobernen. 

0er  Gtenograpt):  93eräeil)en  Sie,  ba^  id)  unter- 
bred^e,  Äerr  <S)o!tor,  aber  foü  id),  xdq^  Sie  üertrautic^ 
5um  Gt)or  bauc^rebnern,  aud)  ffenograpt)ieren? 

«Ser  9xebner:  Q.^efi'er  nid)t.  (3m  9\ebnerton) :  (^^ 
ift  alfo,  tt)ie  gefagt,  ein  ergreifenbeö,  ein  er- 
^ebenbe«,  toir  bürfcn  im  gctt)iffcn  Sinne  fo- 
gar  fagen  erftaunlic^e^  Sd)aufpiet,  biefe  (Sin- 
mütigteit,  mitn)elc^eramt)eutigen'^agc^au• 
fenbeunb9?M^ionen'S)eutfc^ert>onbenfcf)ncc• 
bebecften©ipfelnber'^lpenbi^Jumtt)ogenum' 
fpülten  9DZeere0ftranbe,  ot)ne  ^nfeben  beö 
Stanbe^,  beö  9^angeö  unb  ber  "Partei,  of)ne 
llnterfd)ieb  beö  '^ilterö  unb  be0  (Sefci^led)teö  — 

iUric^  ^nurr  (im  '^ublifum):  3n  ber  ^at  ein  er- 
ftaunlidjeö  Sc^aufpiel!  (5^  f)at  ftd)  ja  einer  noc^  oor 
furjem  taum  mei)r  ben  9^amen  Sd)iHer  in  <3)eutfd)lanb 
au^äufpred)en  genjagt. 

^  a  p  e  U  m  e  i  ft  e  r :  Sberr  ^nurr,  bitte  ben  9^ebner  nic^t 
unterbrcd)en  ju  tDoUen. 

Stimme  auöbem^ubtüum:  QBenn  er  aber  boc^ 
red)t{)at!  Ot)ne  ein  gnäbige^  '5ld)fet3uc!en  ttjurbc  ber 
9^ame  Sd)iüer  nie  auögefprod)en. 

(Sine  anbere  Stimme:  93erfd)ämt,  als  ob  er  eine 
poetifc^e  ilnanftänbigfeit  entl)ielte. 


9^ct)c  t)C0  Dr.  ??^id)cl  ©enialotüi^  267 

dritte  6timme:  'i^llö  Trabant  tjintcr  t) cm  QBagen 
tc^  ®id)terfürffen  festen  er  ßud)  Iciblid)  gut  genug. 

0er  9?et)ner:  60  tueit  bie  bcutfc^e  Sungc 
rctd)t  — 

^nurr:  Äat  man  fte  gegen  Sc^ißer  ^erau^geftrecft. 

5^  a  p  e  U  m  e  i  ft  e  r :  Äerr  ^nurr,  tt)enn  6ie  mit  3t)ren 
gefd)mac!lofen  '^Bemerfungen  fortfat)ren ! 

9^et)ner:  9[}^it6tola  fönnen  n)ir  fagcn^unfcr 
6d)iUer".  QSarum  bürfentvir  i{)nbenunfrigen 
nennen? 

^nurr:  QBeil  3{)r  it)n  jeitleben^  angefeinbet  t)abt. 

ÄapeUmeifter:  Se^t  aber,  Äerr  ^nurr,  n^enn  6ie 
nod)  einmal  unterbred)en,  tuerbe  ic^  mid)  genötigt  fe^en, 
3^re  (Entfernung  ju  t)eranlaffen. 

Änurr  (tro^ig):  93erfud)en  6ie'^.  3d)  ^abe  fo  t)iel 
9^ec^t  ^ier  n)ie  3t)r,  oieneid)t  me^r. 

®  er  Gt)or  (ftc^  entrüftet  umbret)enb):  ^ein  9}Zenfc^ 
^at  jemals  Gc^iüer  angefeinbet. 

^nurr:  9}Zit  9^amen  im  offenen  Kampfe  aUerbingö 
nid)t,  bagu  fet)U  (fuc^  ber  9}^ut  unb  aud)  bie  'i2lufric^- 
tigfeit  gegen  ßuc^  felbft.  '2lber  t)interrürfö,  auf  Ummegen, 
unter  ber  ©etf e.  ^Ut^,  toa^  ^i)v  taUt,  n>a«  3^r  lel)rtet, 
toar  ein  'Eingriff  auf  fein  '^Beifpiel,  eine  ^efämpfung 
feineö  ßinfluffeö  auf  bie  Ttation.  ^a^  tvav  benn  ber 
^ern  €urer  geräufd)t)onen  literarifc^en  9?et>otution  ? 
©ift  gegen  bie  l)0^e  ^oefie,  jene  ^oefie,  für  njeld^e  ber 
9Zame  6d)iaer  t^ai  6pmbol  ift.  Hnb  tt)ie  lautete  benn 
bamalö  (Euer  «Jelbgefdjrei  ? :  Sola  gegen  Sd)iüer!  Unb 
fpäter,  xva^  wolltet  3l)r  mit  (Eurer  unn>ürbigen  '33aud)- 
fried^erei  üor  (Soetl)e?  3^r  l)offtet  einen  *21ntifd)iller 
au^  i^m  t)erau^5ugö$en.  S>amit  man  GdjiHer  nic^t  fel)e, 
bamit  man  it)n  üergeffe,  be^l)alb  mu^te  @oetl)e  über- 


268  9\ct)c  t)eö  Dr.  "^D^ic^cl  ©eniaIon)i^ 

menfd)Ud)c  0\iefengeftaIt  erfjaltcn.  9cid)t  <xli  93orbilt) 
unl)  3uc^tmciff  er,  fonbern  cinjig  al^  Sonnenfd)irm  gegen 
6c^iUer  t)<\t  ^ud)  ©oetf)e  gedient. 

0a^^ubUfum:  ^rat?o,  Änurr! 

^apcUmeiftcr (sunt 9^et)ner) :  ßaffen Sie t>en Äerl 
fd)tt>a^en  unb  fa{)ren  6ie  rut)ig  njeiter.  QSir  ftnt>  jat)l- 
reid),  tt)ir  t)alten  jufammen,  tvir  t)aben  t>ie  '^a6)t 

'3)cr9^ebner:  ^orin  beftc^t  ba^CSe^cimniö, 
b  a^b  ei  t)em9tamen@o  et  f)e  — 

ÄapeUm elfter  (ärgerlid)  auffaf)renb) :  QOßag?  6ie 
aud),  Äerr  «Softor  ? 

0cr9\ebner:  3<i)  ()abe  mid)  einfach  üerfprocf)en. 
3c^  n?oUtc  fagen:  Qßorin  beftet)t  t><x^  ©et)eimniö, 
ba§  f)eute  bei  bem  9camen6d)iHer  —  f)aben  6ic 
get)ört,  id)  fagte  beutlid)  Sd)iHer  —  alle  Äerjen 
\)öi)tv  fc^lagen? 

<Saö  ^ üb lüum  (unisono):  0urd)auö  fein  ©et)eim- 
ni^.  S^ommt  oom  ©ejimalf^ftem.  99  3c»t)re  ©rabe^- 
fd)tt)eigen,  100  3at)re  Subilo. 

'53lafiu^  'Pfeifer  (tt)urftig):  ^f)  n)aö,  @ef)eimniö! 
•^laufen!  Qßeit  n)ir  e^erjiert  finb,  bli^fc^neU  auf  ^om- 
manbo  un^  jeben  beliebigen  (5ntf)ufiaömu^  anjutügen. 

3ba  öon  Snobenf)aufen:  Training.  Schiller  f)at 
^eute  ben  9^eforb.  Äipp  i)\pp  Schiller!  ^latd) ! 

9^cbncr:  ^ber  nid)t  tüf)U,  froftige  '23ett)un- 
berung  ift  e^,  nein,  innige  begeifterte,  banf- 
bare  2iebe  — 

(^eifaU  im  ^ublifum) 

0er  Gt)or  (fid)  oor  Cad)en  ben  93aud)  f)altenb): 
^enn  bie  bort  i}mUn  eine  9lf)nung  t)ätten,  tt)a^  wir 
barum  gäben,  n?enn  n)ir  ben  unbequemen  '^Ijrafenfrieb* 
rid)  ungefd)et)cn  mact)cn  tonnten! 


9\et)e  bc0  Dr.  93tid)el  ©enialotüi^  269 

Qvcbner:  QBenn  wiv  un^  nun  fragen,  n>clc^en 
Stoid  wxv  mit  t)er6^inerfeier  tjerfolgen,  (oer* 
trauUd)) :  fo  ift  e^  ber  93erfud),  n)iet)iel  ilnöcrfc^ämtf)eit 
fxd)  t)ic  9'Jation  t>on  unö  bieten  lö^t 

^apetlmeifter:  ^eine  ®efat)r !  ©icfe  fd)lappe©c- 
neration  fd)tuc!t  oUeö.  ^eine  6pur  t>on  Temperament ! 

einalterSunger  (s^nifc^) :  llnt)  glücf lid)ern)eife 
auc^  !eine  6pur  öon  ©ebäc^tniö !  ^aö  ift  ja  eben  ber 
unfd)ä^bare  Gegen  be^  QBorte^  „9}^ot)erne",  ba^  n)ir 
eh)ig  mit  bem  5)eute  ba^  ©eftern  verleugnen  fönnen, 
oi)ne  un^  bie  9}Zü^c  nehmen  ju  muffen,  beömegen  ju 
erröten  unb  unö  ju  entfc^ulbigen. 

3ba  üon  6nobent)aufen  (frö^Ud^):  ©er  neuefte 
literarifd^e  6port:  in  fein  eigene^  9^eft  —  ^ipp,  f)ipp, 
9)Zatd)!  - 

G^or  ber  9[Jiobcrnen  (jum  6()amäleon):  9[)^pf! 
9}^pf! 

9^ebner:  <2ßaö()at  unö6d)iner  gegeben?  Sin 
<2ßort  oor  altem  ifteö,  antt)e(c^e^  n)ir  benfen, 
fo  oft  tt)ir  ben  9^amen  6d)iUer  auöfprec^cn; 
6ie  erraten  e^  atte  —  t>a^  Qßort:  3beat. 
(Äcftige^  *2lu^fpudfen,  9^ülpfen  unb  ©runden  ber  9?ea- 
liften  unb  9^aturaliften.  Äeulen,  'pfeifen  unb  £ad)en 
im  übrigen  &i)Ox,  Unrut)e  unb  üerf(i)iebene  Q3cn)egung 
im  ^ublifum) 

Änurr:  ÄimmelmiHioncn ! !  ßrnjagt'^ü  9^ad)bem 
fie  tt)ät)renb  brei^ig  langen  3at)ren  ba^  QBort  berma^en 
in  93erruf  gebracht,  ba^  fein  Äunb  me^r  ein  Gtücflein 
^rot  t)on  einem  Sbcatiften  angenommen  ^ätt^ ! ! 

'23aron£otteric^  (übernäci)tig,  t>erfd)lafen) :  Sbeale 
^arifer  93eaute— ö!  "^BaUetteufen!  6t)anfonettenI  3beate 
Äüften! 


270  9\ebc  beö  Dr.  9}^id)el  @cniaIott)i^ 

Cr  in  .Trember:  y^err  ^aron,  barf  id)  mir  t)icUcid)t 
erlauben,  ^\)mn  biefe  fran5Öfifd)e  ©rammatif  für  ""^In- 
fängcr  jum  ©efc^enf  anzubieten? 

ixapeHmcifter  (^um  9\et)ner):  Äerr  ©oftor,  oer- 
meiben  6ic  beffer  baö  t5^rembn?ort  3t)eal,  e^  wirb  in 
^eutfd)lanb  md)t  me()r  üerftanben.  Spönnen  8ie  e^  nic^t 
burd)  ein  entfpred)enbe^  beutfd)e^  erfe^cn?  3.  ^.  „Mi- 
lieu" ober  „Documents  humains"  ober  fo  etn)a^? 

®er  9\cbner:  6d)iner^  ert)abcner  ©eifte^- 
flugfonntenurinbenreinenÄöt)enbe0'^tt)er^ 
—  aber  tva^  ried)t  benn  ba  fo  abfc^eutic^!  können  benn 
bie  geet)rfen  Äerrn  9'caturaliften  — 

<5)ie  9^aturaliften  (grimmig):  93ei  un«  ift  bod) 
toenigften^  ein  e^rlid)er  gefunber,  fittlid)er  —  unb  nid)tö 
'^erüerfe^. 

^ie^inbcfiecler,^efabenten,93erlainianer 
ufn?.:  Ot)o! 

H  t  r  i  d)  ^  n  u r  r  (oergnügt) :  0aö  f  ommt  oom  3eitgeift. 

'Saron  i^otterid):  91{)tt)äf)!  njaö  tt)oUt  3{)r  lange 
fragen :  bie  3uben  ftnb'^. 

(©reulicf)er  Tumult  in  ber  gangen  Äird)e) 

Äapellmeifter  (ftd)  bie  Äaare  raufenb):  Hnb  t:>a^ 
tt)ill  ©oetl)e  feiern!!  —  ^btv  tt)arum  lachen  6ic  benn 
fo  edig,  Äerr  0oftor? 

'S) er  9?ebner:3uc^l)e!3c^t^aben6iefelber  ©oct^c 
ffatt6d)iaer  gefagt!  Stfd)! 

©ie6c^illerbüfte(!öniglid)):  Gagen  6ienur  ganj 
ru{)ig  ©oet^c  für  6d)iller.  '^ßenn  6ie  nur  toenigffen^ 
ben  einen  t»on  un^  beiben  be^erjigen  möd)fen,  einerlei 
n)eld)en. 

<S) er  9?cbner:  3  oll  unb  fann  bie  heutige 6 exil- 
ier feierfpurlo^  t)orüberge^en?(oertraulic^):  3c^ 


9\et)c  t)e^  Dr.  9}cid)el  ®emalott)i^  271 

I)offc  e^  nämlic^  beftimmt.  9?tan  tt)irb  jnjor  eine  Un» 
menge  oon  Sd)illert>ereinen,  6d)iUerftiftungen,  Schiller« 
ausgaben,  Srf)inert)en!mälern,  ed)iHermet)aiUen,  6d)il- 
lerpatati,  Sd)illerpatata,  3c^iHer'n)a0'n)ei^-id)  ftiften, 
man  njirt)  fünftig  an  einem  ^ag  Schiller  öfter  zitieren 
al^  früt)er  in  3n)angig  Bahren  —  tuas  fd)at)et  baei? 

^lafiu^^feifer:9'cid)t^fd)abetba^.9^ü^entut'g. 

®er9^ebner:  9'JatürUc^.  955ir  »ergoßen  Sd)iller  jum 
^etrefaften,  fo  n)irt)  er  unerrcicf)bar,  unna{)bar,  unnac^- 
af)mlid),  unt)  fein  Sinflu^  {)at  ein  Snt)e.  0a^  i^unftftücf 
ift unö  mit  @oetf)e  gelungen,  e^  tt)irt)  uns  aurf)  mit  Schiller 
gelingen,  (l?aut  fortfal)renb) :  QSirt)  e^  jemals  ge- 
lingen, ben  0eutfrf)en  it)ren  Srf)iller  njieber 
ju  rauben?  (Q3ertraulic^):  O  ja!  ünberleic^t !  ©ererfte 
beftc  au^länbifc^e  Äanö  fann'^.  3e  mittelmäßiger,  befto 
beffer.  €in  Sarbou  l)at'^  gefonnt,  ein  Sola  l)at'ö  gc- 
fonnt  — 

ßin  ^efabent  (fläglid)):  ^berwenn  nun  einmal 
fein  ^uglänber  me^r  ba  njäre? 

gin  Überbrcttlcr:  ^al)!  im  9cotfatl  tut's  aud)  ein 
frcmber  ^änfelfänger.  3n  ben  6pelunfen  beß  9}^ont« 
martre  lungern  jcberseit  fo  ein  Stücfer  oierjig  l)erum. 

®er  ^apellmeifter:  Unter  unö  gefagt,  ic^  ^abc 
fd)on  tt)ieber  einen  ttjunberbaren  e50tifd)en  i^ä^wurm 
in  ber  ^afd)e,  für  nad)  ber  6c^illerfeier. 

^er6t)or  (beget)rlirf)  jappelnb):  ^itte,  bitte,  ^a- 
pelld)en,  füße^  Äapellc^en,  geben  Sie  t)er ! 

0er^apellmeifter:^ft!^ft!@ebulb!Qßenn3^r 
fel)r,  fe^r  artig  feib  unb  t)a^  ^eft  in  feiner  Qßßeifc  ftört, 
befommt  ^^v  it)n. 

<S)a^ '^ublif um  (aufgeregt):  Qßa^  gibt'^?  (&ma^ 
€50tifcl)eg  ?  (^linbling«) :  Äurra ! 


272  9\ebc  bee  Dr.  9?cid)el  ©cnialomi^ 

U  l  r  i  c^  Ä  n  u  r  r  (geräufd)t»oU  feinen  8tut)l  aufammcn- 
flappenb) :  3d)  gel).  (©ct)t  fort) 

®er  9\et)ncr:  "i^lber  e^  genügt  feineen)cg^, 
6d)iner  mit  leeren  Q5>orten  ju  preifen,  tt>ir 
muffen  \i)m  nad)folgen.  Qßae  öerftc^en  tPir 
unter  ber 9c aci^folge0d)iUerö? 

0  i  e  S  d)  i  1 1  e  r  b  ü  ft  e  (mit  Gtentorftimme) :  <5)a^  ÄIcinc 
unt)  t)a^  ©emeine,  ba^  t)e{)agUd)e  QBaten  in  ben  Sümp- 
fen t)er  ^Jlütägtid)!eit,  ben  9il\d  nid)t  t)öt)er  al^  bie  xRafc, 
ben  grinfenben  5bo{)n  gegen  ta^  ^r^obene,  t>a^  ©ro^e, 
ha^  ©efunbe,  ben  Soa%  gegen  tfa^  Sbeal,  bie  *i2lbn)efcn- 
^eit  be0  !ünftlerifd)en  Srnftee,  bie  (Snttt)ronung  ber 
^oefie  burc^  bie  ^rofa,  ber  (rtuigfeit  burd)  ben  Seit» 
gefd)macf,  bie  Q3ermietung  ber  Literatur  in  einen  fned)- 
tifd)en  tyrembenbienft,  t>ae  gierige  ^uffd)leden  jebeö 
Äranff)eitöftoffeö,  ber  in  bem  letzten  Q35in!et  ßuropa^ 
fault,  bie  ^prannei  ber  impotenten  bübifcben  ^yrect)« 
^eit,  bie  Q3ergi?tterung  !inbifd)er  öirtuofer  9}tä^d)en, 
ein  nüd)terneö  ptebeiifd)e^  0rama  im  3od)  ber  ^cn- 
benj,  ber  £e{)rt)aftigfeit,  ber  ^olitif  unb  So^ialöfo- 
nomie,  n>eld)em  bie  ibiftorie  »erboten  unb  ber  Q3er^ 
üerteibet  mürbe,  eine  üergigerlte,  genialtänjige  Cprif, 
n)etd)e  l)eute  mit  ber  9?ol)eit,  morgen  mit  ber  9\affi- 
niertl)eit  fotettiert,  im  Q3orbergrunb  ber  Literatur  ein 
mit  allen  ^Infprüd^en  gefpreijter,  mit  allen  Seitblafen 
aufgeblafener  ^rofaroman,  birfleibig  unb  vierbeinig  — 

©er^apellmeifter  (entf  eljt) :  3e^t  fängt  ber  3am- 
benfriebrid)  noc^  felber  an.  9}^ad)en  Sie  Sc^lu^,  Äerr 
©oftor! 

0er  9\ebner  (l)aftig):  (J0  finb  aber  nid)t  allein 
feine  <2öerfe,  e^  ift  t>or  allem  feine  ^perfönlid)- 
feit,  fein  t)eiliger   ßrnft,  fein  unbcugfamer 


9^cbc  t>e^  Dr.  9}^id)ct  ©eniaIott)i^  273 

(if)araftcr.  <5ai)rcn  iDtr  atf o  ot)ne  nad)  ixnti 
ober  rec^f ^  ju  fef)en  — 

Q.i)OV (entrüftet) :  93itte fef)r,  im  ©cgcnteil, nac^  tinf^ 
unt)  red)t^  unt)  nacf)  allen  oier  QSeltgegenben  fei)ent). 

'3)er9^et)ner:'5at)renn)iralfonac^linf^unl) 
rec^t^  unb  narf)  alten  öier  QBe;ifgegent)en  fe- 
^enb,  unüerrücft  — 

^Slafiu^^feifcr  (wurftig) :  9}^itunter  auc^  »er- 
rücft- 
0 er 9^ ebner : -unt) er rüdf tu nb  unbeirrt f ort- 
ete Sd)illerbüfte  (mit  6tentorftimme):  3n  Suren 
dliquen,  ^anben  unb  Q^eflamen,  (Suren  internationalen 
@efd)äftci^en  unb  9Rücföerftc^erungen,  in  Surer  Über- 
jeugungölofigteit  unb  QBurftig!eit,  in  Suren  QSerwanb- 
lungßüinften,  in  Surem  pfiffigen  ^ricf,  "^Infto^  erregenb, 
um  'i2luffet)en  gu  genjinnen,  ben  albernften  Caunen  ber 
9CRobe,  ben  Sinflüfterungen  be^  lumpigften  Seitgeifte^ 
fotgenb,  jebe  beliebige  ^ofarbe  auf  ben  Äut  ftec! enb,  bie 
jen^eilen  Srfolg  oerfpric^t,  unb  ba^  ©lauben^befenntni^ 
oon  morgen  befd)tt)örenb,  t>a^  ^^v  noc^  gar  nicf)t  !ennt. 
Äapellmeifter:  6d)lu^benn  enblid)!  5)err<S)oftorI 
'3)er9^ebner:3nbiefemSinnealforufenn)ir 
etnbegeifterte^,braufcnbe^bonncrnbe^  — (ba^ 
S^amäleon,  unter  ber  Tribüne  t)eroorgefroc^en,  fteigt 
i^m  auf  ben  9^ücfen  unb  gucft  i^m  über  bie  3d)ulter): 
^d^  bu  fü^eö,  golbige^  Chamäleon !  (3um  6tenogra- 
pl)en):  QBaö  toollte  ic^  boc^  gleid)  fagen? 

<S)erStenograp^:  QSal)rfd)einlic^  „lebe  ^oc^  auf 
ctoig !"  ober  fo  ettoa^. 
9R ebner:  ^ber  toer  benn?  0o  t)elfen  Sic  mir  boc^! 
®er6tenograp^:  ®er  *?nnbcrc,ber  3tt)eiteinjige,Ib. 
®cr  9^ebncr:  9^ic^tig,  ic^  banfe.  —  "Sllfo  Gc^illcr 


274  0\et)e  beß  Dr.  93^id)el  ©ematott>i$ 

t)cr  Unoerge^lic^c,  lebe  t)oc^.    llnfer  Sc^iUcr 
auf  eix>ig! 

(93eifaa.  6c^lu^.  ^raUala) 
0rau§cn  oor  l)cr  5?irc^e. 

<3)  er  6  ^  0  r  (jum  ^apeümeiftcr):  '^Iber  ift  er  auc^  faul, 
ber  Ää0tt)urm,  ben  6ic  un^  öerfproc^en  t)aben?  (trau- 
rig): QSenn  er  am  Snbe  md)t  faul  njäre! 

^omteffe  Garmcncita  (üerjücft):  ^aul?!  0®otf, 
ic^  fürchte,  ic^  bcfomme  oor  ^reuben  ben  'Sotticelli. 

Ä^apellmeifter  (burc^  ben3n?eifel  beleibigt):  9^ic^t 
faul?  (Gtolj) :  3c^  fage  (Surf) :  fo  faul,  t>a^  er  fogar  frf)on 
frepiert  ift.  So  frepiert  ba^  er  bei  ftc^  ju  Äaufe  längft 
X)erftunfen  unb  tjergeffen  ift. 

•21116  Umfte^enben  (t)erbeieilenb,  flehentlich  unb 
bringlic^) :  O  bann  für  um !  für  '5)cutfd)lanb ! 
(Ulrich  Ä'nurr  get)t  über  ben  '^la^) 

5?apenmcifter(äu^nurreilenb):^ber!'2lber!^ber! 
Äerr  collega!  Unter  un^  fann  ic^  3l)nen  ja  fd)on  ju- 
geben,  ba§  t»iele^  oon  bem,  »a^  0ie  fagten,  haß  meifte 
fogar  —  aber  mir  fc^eint,  fc^on  bie  Kollegialität  — 

Knurr:  So  foHegiälelet  fc^on  mel  ju  oiel  bei  €ud). 
9}^ein  Koüege  ift  t>aß  ^ublifum,  taß  Q3oir,  ober  n>ie 
6ie'ö  nennen  njoHen. 

Kapellmeifter:  <2lber  bebenfen  6ie  bod)  unferc 
fd)tx)ierige  liage !  Ober  n)ie  meinen  benn  6ie,  X)a%  wir 
bie  6rf)illerfeier  t)ätten  begel)en  follen? 

Knurr:  6ic^  einfc^lie^en,  bie  "Jenfterläben  ju  unb 
ba«  örf)ämen  lernen. 

9iad)fd)rift  1908.  ,,93erloren  ein  foebcn  erft  neu  cnt- 
becftcr  unb  gefeftfeierter  'S>id)ter  namcn«  Schiller.  0er 
e^rlic^e  "Jinbcr  tt)irb  gebeten,  i^n  an  bie  <2lbreffe:  0ic 
banfbare  ©ermania  abzugeben." 


3nf)a(t^t)er5eic^ni^ 

6clte 

3um  ^ru^ 

Äunftfron  unb  Äunffgenu^ 2 

®id)ter  unb  ^f)arifäer 8 

QSom  9^u^m 19 

'iJlItcr^jubiläen 21 

<3)atumöjubitäen 26 

Copuli,  Copula 28 

Q3on  ber  „männlichen"  ^oefic 31 

„<21lt"  unb  ,,iung^ 33 

Q3on  ber  (^ntrüffung^literatur  unb  i{)cer  9}Zac^e  35 

9?eoolt>er^umanität 39 

Literatur 

®aö  verbotene  €poö 44 

^tei^  unb  (Eingebung 47 

^empo  unb  Energie  be^  bid)terifc^en  Sc^affen^  53 

Über  ben  Qßert  gpnifd()er  Gammtungen     .    .  57 

Über  ben  QBert  ber  Sinjelfc^ön^eit  ....  62 

€in  Kriterium  ber  ©rö^e 65 

®ie  Stimmung  ber  ©ro^en 66 

Über  bie  Q3aaabe 67 

QÖßibmungen 73 

Q3e?iertitel 1^ 

Familiaritäten 78 

^üotria 

®ic  „®on  3uan-3bce" 82 

■einerlei  'Semerfungen  ju  allerlei  llnterrid^t  .  86 

0ie  93allettpantomime 100 

^uö  bem  Sirfuö 103 

•iamor 109 

epecf 111 

9}Zuftf 

6c^ubert^  ^laüierfonatcn 114 

3ur  ^ftbeti!  bee;  ^empo« 119 

Hnfere  6ommermujt! 122 

„<5röl)lid)  fei  mein  *=2lbenbeffen" 127 

9^atur  unb  6praci^e 

3eremia^  im  ©arten 132 

QBo  ift  bie  <3ßinterlanbfcl)aft  ju  fud^en?    .    .  139 

93on  ber  „fingenben"  ^uöfprac^e     ....  143 

18* 


276  Snljalt^ocrjcic^ni« 

6cUc 

3ur  'iVrcmbtDÖrterfrage 145 

^•rembnamc  unt)  !Ort^ograpt)ic 150 

93olf  unt)  93^enfct) 

•Die  ^erf5nlid)fcit  be^  «Sic^terg 154 

©roMtabt  unt)  ®ro^ftät)ter 177 

9^eucre  '^luffä^e 

sJlbrunt)ung 190 

93on  t)er  Originalität 192 

93om  ecl)rgct)ict>t 192 

Äonfequeng  unt)  feftc  "Jü^rung 193 

(Entmannte  Gprid) Wörter 195 

9}Za§e  unt)  6d)ranfen  t)cr  ^t)antafie    .    .    .  196 

9^ait?ität 197 

®ag  Gdjlimmfte 199 

^in  wichtiger  9^eben5tt>crf  bcr  bircftcn  9?cbe 

in  ber  ^ocfte 200 

eine  äftt)eti[c^e  anreblid)feit 202 

93on  ber  @taubt)aftig!eit 203 

^oefic  unb  ©eift 205 

<:Bom  9?calftit 208 

Q3om  3bealftit 211 

Q3erfet)rte  Qßett 214 

®a^  Kriterium  ber  epifd)en  QSeranlagung     .  216 

QBelc^e  QBerfe  fmb  tjeraltet?    .    .    /   .    .    .  219 

<S>ie  t>ornet)me  3eitfcl)rift 219 

Q3er^ted)nifd)eg 219 

ein  93üfc^el  9lpI)oriömen 220 

®ie  9}^oberne 223 

93on  ber  et)arafteriftif 224 

eine  ©ermanität 226 

93on  ber  ©üte 227 

Q3on  ber  Sugenb 228 

Gc^njeijerifc^eö 232 

"^rofeffor  ©Iaubcred)t  ©oett)efeft  ©ünfel  öon 

QBeifenftein  über  QBeltliteratur 238 

(Der  begrabierte  6d)iUer 262 

?Rebc  be«  Dr.9!)Zid)el©enialott)i^9[>^obcrnefri^ 

an  ber  Gc^iUerfcier 264 


(fugen  ^kt>zxx6^^  93erla9  in  Sena 
Sari  Spitteler,  OIt)mpifd)er  ^rüf)Ung 

^po^.  3.  'i^luflage,  4  ^änbc 

<33t).  I.  <S)ie  '^uffa^rt,  Ouvertüre,  ^b.  II.  Äera 
t)ie  Q3raut  93b.  III.  0ie^o^e3eit.  ^b.  IV.  ^nbe 
unb  '^enbc 

Seber  '^Banb  brofc^.  '^.  2.50,  geb.  9}Z.  3.50 
^Uc  4  <33änbe  in  2  93änbe  geb.  9}^.  12.— 

^unfttDart: 

€^  lebt  fein  urfprünglic^crer ©ic^ter unter  un^ 
al^  biefer.  Äeine  ^leinigfeit  in  alt  feinen  QKerfen,  bie 
aU  eine  9'tad)at)mung  93öcflin^  gebockt  werben  fönnte, 
aber  jebe  Seite  ernjeift  bie  Urt?ertt>anbtfd>aft  ätt)ifd)en 
beiber  ^ocfte.  3n  biefen  ©et)irnen  üerbid)tet  bie  Canb- 
fc^aft  ftd^,  bie  eignen  @eban!en  üerbic^ten  fid),  t)a^  aüe^ 
ballt  jtc^  jufammcn  unb  aUi^  jeugt  ineinanber,  ber  Obern 
be^  '^erfönlic^en  be{)aucf)t'ö,  ba  ift  ein  neueö  Ceben^efen 
t>a  unb  t>on  ber  'iHntife  fliegt  ein  9^ame  baju.  Q3ßa2  aUe^ 
Gpitteler  bi^  gum '^Her-'2lbftrafteften  t)in,  unb  tt)iefelbft- 
oerftänblic^-unwiUfürtic^  er'^  geftaltet  —  t>ai^  i)at  in  ber 
ganzen  Literatur  ber  ©egennjart,  meit  über  bie  beutfcf)c 
^inaug,  faum  feine0gleid)en.  Unb  ebenfon^enig  t)at  t>aii 
feine  unbefümmerte  ^Zaioität.  ©efüllt  mit  altem  ©et)alt 
ber  mobernen  Kultur,  greift  fein  ©eift  au^  ber  *iHnti!e  unb 
au^  allen  Seiten  ber  9)^enfc^^eit  biejenigen  ßtt>igteitö- 
n?erte  beraub,  bie  aud)  in  i^m  lebenbig  fmb,  unb  er 
t)erfd)mit5t  ba^  ^iHltefte  unb  <5ernfte  fo  unbekümmert 
mit  bem,  n)aö  in  unb  xt>aß  um  i^n  lebt,  xr>k  ein  O^em- 
branbt  bie  ©eftalten  db^ifti  «nb  feiner  jünger  mit  bem 
ÄoUanb  ber  eignen  Seit.  €ö  ift  ein  unerhört  freies 
6cbaff en  unb  eben  t>t^i)alb  ganj  unb  gar  ein  6  cb  a  f  f  e  n. 
*2lnfang0  njo^l  oerftu^t,  langfam  erft  enttt)irrt,  fü^lt 
ber  6pitteler  nocb  frembe  Cefer  oielleicbt  nur  nacb  unb 
nac^,  welcher  0aft  be^  £eben^  ftd^  bamit  in  un^  ergießt. 

9=.  'iloenoriu« 


(fugen  ^iebcric^^  93cr(ag  in  3ena 

£ai(  Spitteler,  ^vomet^eu^  unb  ßpi* 
metf)eu^ 

(fin  ©tcicfeniö.    2.  ^ufl.    1906.    93rofc^. 
<2}Z.  5.—,  geb.  ^1,  6.- 

darl  Spitteter,  Sftramunbana 

i^o^mifc^c  ^i^tungen.  2.  *^u^gabe  1905. 
^rofc^.  'm,  4.-    geb.  9}^.  5.— 

Sart  Spitteter,  Sct)metterUnge 

©ebic^te.  2.  ^ufl.  1907.  ^rofd).  9)^.  2.50, 
geb.  9}Z.  3.50 

Gart  ßpitteler,  Sonrab  ber  Leutnant 

(fine  ^arfteUung.  2.  <21ufl.  1906.  ^rofc^. 
9}Z.  3.-,  geb.  9>^.  4.— 

Carl  Spitteter,  ©todenlieber 

©ebic^te.    1906.    Q3rofc^.  9)^.  3.—,  geb. 
9}Z.  4.- 

Carl  6pitteler,  Smago 

9^oman.  3.  unb  4.  ^aufenb.  1907.  ^rofc^. 
9JZ.  3.—,  geb.  9)^.  4.— 

Carl  Spitteler,  9ö?äbd)eufeinbe  (©evolb 
unb  Äan^li) 

(fine  5^mbergefd)ic^te.    1907.  ^rofd).  9)^ 
2.50,  geb.  93^.  3.50. 


0rud  i^on  @ottfr.  ^ä^ 
in  9'^aumburg  a/6. 


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